Titel: | Beantwortung der Frage, ob sich die verloren gehende Kraft des Aufschlagewassers durch ihre Anwendung zum Comprimiren von Luft mit Vortheil aufspeichern läßt; von Hrn. Seguin. |
Fundstelle: | Band 130, Jahrgang 1853, Nr. II., S. 14 |
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II.
Beantwortung der Frage, ob sich die verloren
gehende Kraft des Aufschlagewassers durch ihre Anwendung zum Comprimiren von Luft mit
Vortheil aufspeichern läßt; von Hrn. Seguin.
Aus dem Cosmos, Revue encyclopedique, 1853, t. III p.
136.
Seguin, über Luftcompression mittelst der verloren gehende Kraft
des Aufschlagewassers.
In der neuesten Zeit wurde der Vorschlag gemacht, die verloren gehende Kraft der
natürlichen Motoren im Allgemeinen, und der fließenden Wasser insbesondere, dadurch
nutzbar zu machen, daß man sie aufspeichert, indem man sie zum Comprimiren von Luft
verwendet; wenn man diese Luft später nach Bedarf sich ausdehnen läßt, bringt sie
mechanische Wirkungen hervor, welche die Dampfkraft ersetzen können.
Ich werde in Folgendem zeigen, daß sich diese Idee nicht mit Vortheil praktisch
ausführen läßt, und um dieses Jedermann einleuchtend zu machen, will ich mich auf
sehr einfache Berechnungen beschränken, bei denen ich runde Ziffern anwende, welche
für die Bedürfnisse der Industrie vollkommen genügen. Ich habe also die
Gestehungskosten und das Arbeitsquantum der zum Comprimiren von Luft dienenden
Apparate zu ermitteln.
Die Kraft-Einheit, von welcher ich ausgehe, ist die sogenannte Pferdekraft,
entsprechend 30 Kilogr. Wasser in einer Stunde verdampft durch die Verbrennung von 4
Kilogr. Steinkohlen; letztere kosten 8 Centimes bei dem Mittlern Preise von 2 Fr.
per 100 Kilogr. Diese 30 Kilogr. Wasser erzeugen 30
× 1800 = 54000 Liter Wasserdampf, welche in einer Stunde oder 3600 Secunden
verbraucht werden müssen, was per Secunde 15 Liter oder
150 Hunderttheile eines Kubikmeters verbrauchten Dampf gibt. Da die mittlere
Geschwindigkeit des Kolbens in den gewöhnlichen Dampfmaschinen 1 Meter per Secunde ist, so muß der Weg des Kolbens in der
kleinen Maschine, welche eine Pferdekraft hervorzubringen vermag, 1 Meter seyn, und
die Kolbenfläche, dem verbrauchten Dampf entsprechend, 150 Quadrat-Centimeter
betragen.
Dampf von einer Atmosphäre übt einen Druck von 1 Kilogr. auf den
Quadrat-Centimeter aus; die 150/100 Kubikmeter würden daher nach der Theorie
eine Pression von 150 Kilogr. geben; wegen des Dampfverlustes und
Reibungswiderstandes beträgt aber die wirklich nützliche Kraft der Dampfmaschinen,
je nach deren Vollkommenheit, nur 50 bis 60 oder 70 Procent der theoretischen
Leistung; in der Schätzung der nutzbaren Kraft einer Dampfmaschine stimmen übrigens
die Mechaniker nicht jedesmal überein, weil sie der Pferdekraft einen verschiedenen
Werth beilegen, bald 75, bald 80, bald 100 Kilogr. auf 1 Meter in 1 Secunde
gehoben.
Wir wollen nun annehmen, man beabsichtige die Kraft eines Wassergefälles, welche
während zehn Nachtstunden verloren geht, zu benutzen, indem man sie zum Comprimiren
von Luft verwendet, und ermitteln wie groß der Aufwand für die Luftbehälter wäre, um
ihn mit den Kosten einer Dampfmaschine vergleichen zu können, welche während des
Tags dieselbe Arbeit verrichten würde die man von der comprimirten Luft während der
Nacht verlangt.
Um die Frage nicht übermäßig zu verwickeln, nehmen wir an, daß man die Luft auf fünf
Atmosphären comprimirt; das Problem ist so keineswegs geändert oder begränzt, denn
wir werden später sehen, daß der Aufwand für die Luftbehälter proportional der
gewählten Spannung wächst. Das für die Arbeit eines Dampfpferdes erforderliche
Quantum eingeschlossener und verbrauchter Luft, welches bei einer Atmosphäre 15
Liter wäre, muß bei 5 Atmosphären 3 Liter per Secunde seyn, oder per Stunde 3' × 3600 = 10800 oder 10 Kubikmeter.
Der für die Arbeit einer Stunde bei 5 Atmosphären erforderliche Inhalt jedes
Luftbehälters wird daher 10 Kubikmeter seyn müssen, und man braucht 10 solche
Behälter für die zehn Stunden Nachtarbeit. Geben wir den Behältern die Form eines
Cylinders von 2 Meter Länge auf 2 Meter Durchmesser, welcher an jedem Ende mit einer
Halbkugel von 1 Meter Halbmesser geschlossen ist, so wird sein Inhalt gleich seyn
der Fläche seines Querschnitts multiplicirt mit der Länge des cylindrischen Theils,
plus dem Volum einer Kugel von 1 Meter Halbmesser;
man hat also
einerseits
1² × 3,14 × 2
= 6,28
anderseits
1³ × 3,14 × 4/3
= 4,14
–––––
im
Ganzen
10,42
nämlich nahezu das Volum 10800 der auf 5 Atmosphären
comprimirten Luft, welche er enthalten muß.
Das im Innern des Cylinders comprimirte Gas sucht denselben zu zerreißen, und wenn
wir uns den Cylinder in der Längenrichtung durch einen Querschnitt in zwei gleiche
Theile getrennt denken, so wird das comprimirte Gas, um den Ober- vom
Untertheil zu trennen, eine Kraft gleich 5 Kilogr. per
Quadrat-Centimeter ausüben, was für eine Fläche von 2 Metern ausmacht 10000
× 2 × 5 = 100000 Kilogr.
Die Kraft welche das Eisen zerreißen würde, beträgt im Mittel 40 Kilogr. per Quadrat-Millimeter; bei einem aus
zusammengenietetem Kesselblech bestehenden Behälter kommen aber stets mangelhafte
oder geschwächte Bleche vor, daher sein Widerstand viel geringer ist und höchstens
zu 30 Kilogr. angenommen werden kann. Gewöhnlich gibt man den Kesseln (und überhaupt
allen Materialien, welche man anwendet, Eisen, Stein, Holz) eine dreimal so große
Widerstandskraft, als sie hinreichend wäre um deren Zerreißen zu verhindern; in
Frankreich ist es sogar Vorschrift, die Hochdruck-Dampfkessel auf das
Fünffache von demjenigen Druck zu Probiren, womit sie gewöhnlich in Betrieb sind.
Wir wollen aber nicht so weit gehen, sondern annehmen, daß man dem Behälter für
comprimirte Luft nur die doppelte Stärke von derjenigen gibt, welche nothwendig ist,
damit er dem Zerreißen widersteht, daß die Blechdicke folglich hinreiche, einen
Druck von 15 Kilogr. per Quadrat-Millimeter
auszuhalten; wir haben gesehen, daß der Druck auf einen Querschnitt von zwei Metern
Länge 100000 Kilogr. ist, es sind daher, um diesem Druck zu widerstehen, 100000 : 15
oder 6666 Quadrat-Millimeter Eisenfläche, vertheilt auf eine Länge von zwei
Metern, erforderlich, was für die mittlere Dicke des Kessels 3 33/100 Millimet.
gibt.
Da wir nun den Inhalt, die Form und die Blechstärke des Luftbehälters kennen, so ist
es leicht, sein Gewicht und seinen Preis zu berechnen.
Die Oberfläche des cylindrischen Theils ist gleich 3,14 multiplicirt mit dem
Durchmesser und mit der Länge des Kessels, also
3,14 × 2 Met. × 2 Met.
= 12,56 Quadrtmet.
Die Oberfläche der
zwei Halbkugeln ist
4 × 3,14 × 1 Met. × 1
M.
= 12,56 Quadrtmet.
––––––––––––––––
Die
Gesammtoberfläche ist also
25,12 Quadrtmet.
Das Eisenquantum des Behälters ist gleich seiner Oberfläche multiplicirt mit seiner
Dicke, also
25,12 Quadrmet. × 3,336 Millimet. = 0,00836,
oder 836 Hunderttausendtel eines Kubikmeters Eisen.
Der Kubikmeter Eisen wiegt 7800 Kilogr.; im Ganzen wird also das Eisen des
Luftbehälters 7800 Kilogr. × 0,00836 = 652 Kilogr. wiegen.
Man kann den Preis von 100 Kil. Kesselblech für einen Behälter welcher beständig
einen Druck von fünf Atmosphären auszuhalten hat und daher sehr sorgfältig
construirt seyn muß, mindestens zu 100 Franken annehmen; jeder Behälter für comprimirte
Luft würde daher 652 Fr. kosten, die zehn Behälter folglich 6520 Fr. Das jährliche
Interesse dieser Summe wäre 326 Fr.; der Aufwand für Steinkohlen zum Betrieb einer
Dampfmaschine welche dieselbe Kraft liefert, wäre aber nach obigen Daten, nur 4
Kilogr. × 0,02 Fr. × 10 Stund. × 300 Tage = 240 Fr.
Man könnte einwenden, daß zu den Ausgaben für Brennmaterial noch andere kommen, daß
man die Dampfmaschine mit ihrem Kessel und Mechanismus ankaufen und aufstellen muß.
Dieß ist richtig, aber um die Luft zur Gewinnung von Triebkraft zu comprimiren, sind
auch sehr kostspielige Druckpumpen und große Localitäten für die Luftbehälter
erforderlich; überdieß braucht man Regulirapparate, damit die Spannung der Gase sich
stets ziemlich gleich bleibt, nicht am Anfang sehr groß und am Ende Null ist; und
ich stehe nicht an zu behaupten, daß zur vollständigen Herstellung der Einrichtung
um die Luft comprimiren und als Triebkraft verwenden zu können, ein größeres Capital
erforderlich ist als zum Ankauf und zur Aufstellung der Dampfmaschine.
Wie sich mittelst obiger Berechnungsweise leicht nachweisen läßt, würden sich die
Kosten nicht verringern, wenn man die aufzuspeichernde Luft stärker comprimiren
wollte, weil dann die Apparate noch mehr angestrengt würden und daher ihre
Construction viel schwieriger und kostspieliger würde. Wenn z.B. der Druck
verdoppelt, auf zehn Atmosphären anstatt fünf gebracht würde, so würde zwar das
Volum und die Oberfläche des Luftbehälters um die Hälfte vermindert, dagegen müßte
die Blechstärke wenigstens verdoppelt werden etc. Ueberdieß werden die
Regulirapparate um so complicirter und kostspieliger, je größer der anfängliche
Druck ist.
Es war übrigens nicht meine Absicht, die Anwendbarkeit der comprimirten Luft als
Triebkraft anstatt des Dampfs im Allgemeinen zu erörtern, sondern ich habe mich auf
einen speciellen Fall beschränkt, wo dieses System unter gewiß sehr günstigen
Umständen keinen wirklichen Vortheil gewährt.