Titel: | Ueber die Anwendung des rectificirten Steinkohlenöls bei Oelfarbenanstrichen, nach Hrn. Pelouze Sohn; Bericht des Hrn. Barreswil. |
Fundstelle: | Band 133, Jahrgang 1854, Nr. LXXI., S. 303 |
Download: | XML |
LXXI.
Ueber die Anwendung des rectificirten
Steinkohlenöls bei Oelfarbenanstrichen, nach Hrn. Pelouze
Sohn; Bericht des Hrn. Barreswil.
Aus dem Bulletin de la Société
d'Encouragement, Juni 1854, Nr. 11.
Barreswil, über Anwendung des rectificirten Steinkohlenöls beim
Oelfarbenanstrich.
Hr. Pelouze Sohn, hat die Société d'Encouragement in seinem Schreiben vom 23. Januar
d. J. auf die vortheilhafte Anwendbarkeit des gereinigten Steinkohlentheeröls
(besonders des aus Cannelkohle gewonnenen) zu den
verschiedenen Oelanstrichen aufmerksam gemacht.Polytechn. Journal Bd. CXXXII S.
78.
Der Ausschuß für chemische Künste, welchem jenes Schreiben übergeben wurde, damit er
sich über den Werth dieses Surrogats ausspreche, theilt im Folgenden das Resultat
seiner Versuche mit.
Das Steinkohlenöl, welches Hr. Pelouze den Malern
(Anstreichern) liefert, ist farblos und sehr flüssig; wenn man es auf ein Uhrglas
oder auf ein ungeleimtes weißes Papier gießt, so
verdunstet es ohne einen Rückstand zu lassen. Am Licht färbt es sich nicht, und die
Luft scheint seine Eigenschaften in keiner Weise zu verändern. Sein Siedepunkt ist
nicht constant. Dieses rectificirte Steinkohlenöl ist nämlich ein Gemisch
verschiedener Kohlenwasserstoffe (Benzin, Benzoin, Cumen etc.), welche bei der
Destillation zwischen 100 und 168° C. übergehen; es ist also das zweite
Product der Destillation, nämlich der Periode zwischen dem Uebergang der zu
flüchtigen Kohlenwasserstoffe und des schweren Oels, welche beide zu der erwähnten
Anwendung nicht brauchbar sind.
Das rectificirte Steinkohlenöl hat einen durchdringenden Geruch, demjenigen des
Leuchtgases ähnlich, welcher aber ganz verschwindet, sobald die Flüssigkeit
vollständig verdunstet ist.
Hr. Pelouze, welcher bereits beträchtliche Quantitäten
rohen Steinkohlenöls in seiner Fabrik zu Champeret rectificirt, übergab uns ein zu
unseren Versuchen hinreichendes Quantum gereinigten Oels.
Das Verhalten der Oelanstriche bezüglich der Gesundheit, war der Ausgangspunkt der
Arbeiten des Hrn. Pelouze; er schloß aus seinen eigenen
Versuchen und den ihm mitgetheilten Thatsachen, daß das Terpenthinöl in dieser Hinsicht nicht
vorwurfsfrei ist, und daß daher dieser Uebelstand vermieden oder wenigstens
verringert werden kann, wenn man anstatt desselben eine andere Flüssigkeit anwendet,
die in kürzerer Zeit aus dem Oelanstrich verdunstet. Zahlreiche Proben, welche er
durch Maler in seiner Gegenwart anstellen ließ, überzeugten ihn, daß das
rectificirte Steinkohlenöl ein ganz geeignetes Ersatzmittel des Terpenthinöls aus
dem Gesichtspunkt der Gesundheit ist.
Wenn die wesentlichen Oele einen positiven Einfluß auf den thierischen Organismus
haben, was unter anderen die Versuche der HHrn. Reynoso
und Robin außer Zweifel setzen, so ist klar, daß, je
rascher sich diese Oele verflüchtigen, desto weniger man unter übrigens gleichen
Umständen bei vorzeitiger Bewohnung frisch angestrichener Zimmer gefährlichen
Ausdünstungen ausgesetzt seyn wird.
Dieser ganz natürliche Schluß konnte auf die Befürchtung führen, daß die Anstreicher
bei Anwendung des rectificirten Steinkohlenöls sich während desselben Zeitraums mit
einem reichlichem und daher nachtheiligern Dampf in Berührung befinden, als wenn sie
das Terpenthinöl anwenden. Ueber diesen Einwand konnte nur die Erfahrung
entscheiden. Der Ausschuß hat sich durch Beobachtung und Vernehmung der Anstreicher
überzeugt, daß der Geruch des rectificirten Steinkohlenöls, obgleich stärker und
durchdringender als derjenige des Terpenthinöls, von ihnen ertragen wurde, ohne daß
er ihnen eine unerwartete Unbehaglichkeit verursachte, die sie dem ihnen zur
Anwendung übergebenen Product hätten zuschreiben können.
Die ökonomische Frage kann bei diesem Surrogat erst in zweiter Linie in Betracht
kommen; der Ausschuß hat sich bezüglich derselben überzeugt, daß Hr. Pelouze, welcher gegenwärtig das rectificirte
Steinkohlenöl zu einem denjenigen des gewöhnlichen Terpenthinöls wenig
überschreitenden Preise liefert, denselben nicht unbedeutend ermäßigen könnte,
sobald der neue Industriezweig eine größere Ausdehnung erlangt hat.
Auch die Frage der mehr oder weniger leichten Anwendbarkeit hat der Ausschuß
sorgfältig geprüft. Aus den Versuchen die er selbst anstellte und den Erkundigungen
welche er bei erfahrenen Malern (Anstreichern) einzog, geht hervor, daß das
rectificirte Steinkohlenöl, ungeachtet seiner Flüchtigkeit, nachdem es dem Mohnöl
oder Leinöl beigemischt worden ist, mit denselben ebenso gut vereinigt bleibt wie
das Terpenthinöl, und daß die Farben sich während der Arbeit nicht merklich
modificiren, daher keine zu rasche Verdunstung des Steinkohlenöls stattfindet.
Die verschiedenen Versuche welche der Ausschuß anstellte, bezogen sich auf das
rectificirte Steinkohlenöl für sich allein, auf das mit Leinöl vermischt, und auf die
Oelfarbenanstriche, sowohl mit Zinkweiß als Bleiweiß.
Erster Versuch. – Zwei gleiche Papierblätter
wurden, das eine mit rectificirtem Steinkohlenöl, das andere mit Terpenthinöl
vollständig getränkt. Ersteres war nach Verlauf von drei Stunden trocken; letzteres
brauchte zum vollständigen Trocknen fünf Stunden. Der Geruch des rectificirten
Steinkohlenöls verschwand von einem Tage bis zum andern vollständig; derjenige des
Terpenthinöls verblieb drei Tage.
Zweiter Versuch. – Die beiden wesentlichen Oele
wurden mit ihrem dreifachen Volum Leinöl gemischt und von jedem Gemisch in ähnlichen
Tassen eine 2 Millimeter dicke Schicht von gleicher Oberfläche der Luft ausgesetzt.
Der Geruch des rectificirten Steinöls war nach Verlauf von drei Tagen zerstreut;
derjenige des Terpenthinöls war selbst nach einer Woche noch vorhanden.
Dritter Versuch. – Von einer und derselben
Oelfarbe wurde eine Portion mit einem Fünftel rectificirten Steinkohlenöls
vermischt, eine andere mit einem Fünftel Terpenthinöl. Man strich damit, unter
denselben Umständen, eine Fläche von 2 Met. Höhe und 1/2 Met. Breite in dunkeln und
vollkommen geschlossenen Zimmern an. Nach 24 Stunden öffnete man die beiden Zimmer,
und in jedem war nun auffallend der Geruch des angewandten wesentlichen Oels zu
bemerken. Nachdem die Thüren 24 Stunden offen geblieben waren, zeigte sich in dem
mit rectificirtem Steinkohlenöl angestrichenen Zimmer der Geruch vollständig
verschwunden, während er in dem mit Terpenthinöl angestrichenen noch vorhanden
war.
Vierter Versuch. – Von zwei massiven Thüren wurde
die eine mit Oelfarbe, welche mit rectificirtem Steinkohlenöl versetzt war, die
andere mit derselben Oelfarbe welche mit Terpenthinöl versetzt war, angestrichen.
Nachdem diese Anstriche 24 Stunden lang der directen Luft und dem Licht ausgesetzt
gewesen waren, gab derjenige mit dem Steinkohlenöl gar keinen Geruch mehr von sich,
wogegen der andere sehr auffallend nach Terpenthinöl roch.
Fünfter Versuch. – Man bemalte zwei Gänge, indem
man für den einen rectificirtes Steinkohlenöl, für den andern Terpenthinöl anwandte.
Nach 24 Stunden war in dem ersten der Geruch verschwunden, hingegen in dem zweiten
noch merklich.
Sechster Versuch. – Zur Ausbesserung eines Zimmers
benutzte man eine Oelfarbe mit Zusatz von rectificirtem Steinkohlenöl anstatt Terpenthinöl; nach 24
Stunden war der Geruch vollständig verschwunden, was bei Anwendung von Terpenthinöl
niemals der Fall ist.
Aus den mitgetheilten vergleichenden Versuchen ergibt sich, daß man für die Anstriche
mit Oelfarbe anstatt des Terpenthinöls das rectificirte Steinkohlenöl anwenden kann,
und daß dieses Verdünnungsmittel die vortheilhafte Eigenschaft besitzt, schneller zu
verdunsten, daher die mit Oelfarbe angestrichenen Zimmer in diesem Falle früher
bewohnbar werden.