Titel: | Ueber die Destillationsproducte der Steinkohlen und deren technische Anwendungen; von Professor Crace Calvert in Manchester. |
Fundstelle: | Band 135, Jahrgang 1855, Nr. LXXXIII., S. 378 |
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LXXXIII.
Ueber die Destillationsproducte der Steinkohlen
und deren technische Anwendungen; von Professor Crace Calvert
in Manchester.
Nach einem Vortrag desselben in der Society of arts, am 22. Novbr. 1854.
Aus dem Mechanics'
Magazine, 1854, Nr. 1634 und 1635.
Calvert, über die Destillationsproducte der Steinkohlen und deren
technische Anwendungen.
Die Chemiker haben in den Destillationsproducten der Steinkohle zahlreiche Substanzen
entdeckt, wie man aus folgender Tabelle ersieht:
Gase.
Flüssige Stoffe.
Kohlenwasserstoff im Minimum
Schwefelkohlenstoff.
(Leuchtgas).
Ammoniak.
Kohlenwasserstoff im
Maximum
Eupion.
(Sumpfluft).
Paraffinhaltiges Oel.
Propylen.
Anilin.
Wasserstoff.
Leukol.
Kohlenoxyd.
Carbolsäure.
Schwefelwasserstoff.
Benzin.
Naphthol. Naphthen.
Feste Stoffe.
Naphthalin.
Pyren.
Paraffin.
Chrysen.
Paranaphthalin.
Ich werde mich im Folgenden nur mit den flüssigen und festen Destillationsproducten
der Steinkohlen befassen.
Die flüssigen Producte zerfallen in zwei Classen, nämlich
den wässerigen und den theerigen Theil des Destillats.
Der wässerige Theil des Destillats ist hauptsächlich wegen
seines Ammoniakgehalts von Werth. Anfangs kauften
denselben die chemischen Fabriken von den Gasanstalten, um damit schwefelsaures
Ammoniak für landwirthschaftliche Zwecke zu bereiten, sowie Salmiak, welcher theils
zum Löthen, theils in den Kattundruckereien bei Darstellung der Dampffarben
verwendet wurde. Aus beiden Salzen bereitete man auch viel Aetzammoniak für die
Apotheken. Das unreine Ammoniak, welches man direct durch Destillation der
Gasflüssigkeit erhält, wurde häufig in den Färbereien angewandt; ferner, um mit den
Flechten Orseille und Persio für die Seiden- und Wollenfärbereien
darzustellen.
Eine der nützlichsten Anwendungen der Ammoniakflüssigkeit (des sogenannten
Gaswassers) ist die zur Fabrication von Ammoniak-Alaun, welche in den letzten
Jahren bedeutend zugenommen hat. Die chemische Fabrik der HHrn. Spence und Dixon bei
Manchester verbraucht jährlich zu diesem Zweck 800,000 Gallons Ammoniakflüssigkeit,
welche ihr die großen Gasanstalten jener Stadt liefern. Zur Gewinnung des
Ammoniak-Alauns wird nämlich ein, meistens harte Massen bildendes
Nebenproduct der Steinkohlengruben, der sogenannte Alaunschiefer, in langen aber
schmalen Haufen langsam geröstet, um ihn porös und zerreiblich zu machen. Die
geröstete Masse kommt in große bleierne Pfannen mit Schwefelsäure von 1,65 spec.
Gew., wie man sie aus den Bleikammern abzieht. (Zur Bereitung der Schwefelsäure
dient ein anderes Nebenproduct der Steinkohlengruben, nämlich der Schwefelkies.) In den
bleiernen Pfannen wird der geröstete Schiefer mit der Schwefelsäure beiläufig 48
Stunden lang erhitzt; man zieht dann die Flüssigkeit in eine Bleikammer ab, in
welche man das aus dem Gaswasser destillirte Ammoniak in gasförmigem Zustand leitet.
Der so sich bildende Ammoniak-Alaun wird durch mehrmaliges Umkrystallisiren
in ganz reinem Zustande erhalten.
Es wäre ein großer Vortheil für die Landwirthschaft, wenn das Ammoniak, welches jetzt
beim Verkohlen der Steinkohlen in den gewöhnlichen Oefen verloren geht, gewonnen
würde, worauf schon Dr. Lyon Playfair aufmerksam machte, nach dessen Schätzung 100 Tonnen Steinkohlen
durchschnittlich 6 Tonnen schwefelsaures Ammoniak liefern würden. Das Quantum Kohks,
welches jährlich in England dargestellt wird, beträgt wenigstens 1 Million Tonnen,
welche daher 60,000 Tonnen schwefelsaures Ammoniak geben würden. Auf diese Weise
erhielte man einerseits einen wohlfeilen und wirksamen Dünger für die
Landwirthschaft, und andererseits könnten in Folge der Verwerthung des Ammoniaks die
Kohks zu einem niedrigeren Preis verkauft werden.
Ich gehe nun auf den theerigen Theil des Destillats der
Steinkohlen über. Derselbe wurde bisher gewöhnlich an die Destillateure verkauft,
welche daraus einerseits ein leichtes Oel (coal naphtha
genannt), hauptsachlich aus Carbolsäure bestehend, andererseits ein schweres Theeröl
gewannen, während Pech als feste Substanz in der Retorte zurückblieb.
Dieses Pech wurde in der letzten Zeit in Manchester mit
bestem Erfolg beim Pflastern der Straßen verwendet. Beim
Neupflastern der Straßen erhitzt man nämlich eine große Quantität dieses Pechs mit
Zusatz von Theer und Asphalt in tragbaren Kesseln in der Straße selbst und gießt es
dann in heißem flüssigem Zustande auf den Kies, welcher die Zwischenräume der
Pflastersteine ausfüllt; die kleinen Kiesel werden dadurch fest mit einander
verbunden und das Pflaster wird so dauerhaft, daß es mehrere Jahre lang an den
befahrensten Stellen keine Ausbesserung erheischt. Diese Methode ist überdieß bezüglich der Salubrität sehr vortheilhaft; ein solches
undurchdringliches Pflaster widersetzt sich nämlich dem Durchgang von Unreinigkeiten
und still stehendem Wasser, und wenn sich solche darunter ansammeln, so können doch
ihre schädlichen Effluvien nicht mehr durchdringen, welche sonst die Gesundheit der
Bewohner großer Städte benachtheiligen und sogar gefährliche Epidemien veranlassen;
die Wichtigkeit dieser Pflasterungsmethode wird noch einleuchtender, wenn man
berücksichtigt wie bedeutend die Oberfläche ist, welche die Straßen einer großen
Stadt darbieten.
Hr. Bethell hat in der letzten Zeit dieses Pech einer
weitern Destillation in Retorten unterworfen und so poröse, jedoch dichte Kohks
erhalten; die bei dieser Operation übergehenden Oele eignen sich zur
Maschinenschmiere.
Der Steinkohlentheer wird jetzt auch in Verbindung mit Gutta-percha oder
Kautschuk zum Isoliren der Telegraphendrähte benutzt, ferner als Firniß für Metalle,
um sie gegen die Einwirkung der Atmosphäre zu schützen.
Unter den flüchtigen Producten welche bei der Destillation
des Steinkohlentheers übergehen, ist eines der ersten ein Gemisch von sehr
flüchtigen Kohlenwasserstoffen, das man rohes Theeröl (crude
naphtha) nennt. Nach wiederholtem Destilliren wird dasselbe als gereinigtes
Theeröl unter dem Namen naphtha verkauft und
hauptsächlich in Markt- oder Meßbuden gebrannt; mit Terpenthinöl gemischt,
liefert es das sogenannte Camphin, welches in Privatwohnungen in Lampen gebrannt
wird.
Letzteres Theeröl wird für besondere Zwecke noch gereinigt; man vermischt es nämlich
mit 10 Procent seines Volums concentrirter Schwefelsäure, welcher Mischung nach dem
Erkalten etwa 5 Proc. Braunstein zugesetzt werden, worauf man den obern Theil
destillirt. Das rectificirte Theeröl in der Vorlage hat ein spec. Gew. von 0,85; man
benutzt es zum Auflösen von Kautschuk um damit Kleider wasserdicht zu machen; wenn
man das Gemisch mit Schwefel versetzt und es dem Wasserdampf von 164 bis 208°
Reaumur Temperatur aussetzt, so erhält man vulcanisirten Kautschuk.
Man hat das rectificirte Theeröl auch dem Holzgeist beigemischt, um letzterm die
Eigenschaft zu ertheilen die Harze besser aufzulösen und auf diese Weise wohlfeile
Firnisse darstellen zu können.
Mittelst einer Reihe weiterer Reinigungen liefert das rectificirte Theeröl das
sogenannte Benzin, welches die Eigenschaft besitzt, mit
großer Leichtigkeit Flecken von Fett, Wachs, Theer und Harz aus Zeugen und
Kleidungsstücken aufzulösen, ohne das Gewebe oder dessen Farbe zu benachtheiligen,
und ohne daß ein Geruch oder eine Spur zurückbleibt, wie es mit dem Terpenthinöl der
Fall ist. Dieses schätzbare Product wird in der Folge zahlreiche Anwendungen in den
Manufacturen anstatt Alkohol und anderer Flüssigkeiten, welche zu kostspielig sind,
finden.Man sehe Calvert's Abhandlung über verschiedene
Anwendungen des Benzins, im polytechn. Journal Bd. CXXXIV S. 310. A. d.
Red. So wird gegenwärtig in Yorkshire sehr viel Wolle vor dem Spinnen gefärbt, hauptsächlich zur
Teppichfabrication; diese gefärbte Wolle muß dann behufs des Vorspinnens eingefettet
werden; bisher kannte man aber kein Mittel, um das angewandte Oel später wieder zu
entfernen, ohne die Farbe zu benachtheiligen; dasselbe blieb daher in dem Gewebe
zurück und benahm nicht nur der Farbe großentheils ihre Lebhaftigkeit, sondern war
auch die Ursache daß die so fabricirten Teppiche früher matt oder schmutzig wurden.
Durch Anwendung von Benzin, welches die Farben nicht angreift, kann nun das Oel
abgezogen und folglich die Farben in ihrer ursprünglichen Lebhaftigkeit wieder
hergestellt werden. – Das Benzin ließe sich auch mit Vortheil in der
Photographie anwenden, um das Fett von den Daguerreotypplatten zu entfernen.
– Behandelt man das Benzin mit starker Salpetersäure, so entsteht das
sogenannte Nitrobenzin, welches als Surrogat des ätherischen Bittermandelöls und zum
Parfümiren von Seifen etc. immer mehr in Gebrauch kommt.
Die nächsten zu erwähnenden Destillationsproducte der Steinkohle sind die sogenannten
leichten Theeröle, welche auf der Oberfläche des
Wassers bleiben.
Diese leichten Theeröle enthalten ein sehr interessantes Product, das Kreosot oder die Carbolsäure,
welches die antiseptischen Eigenschaften im höchsten Grade besitzt. Ich habe diese
Substanz mit bestem Erfolg zum Conserviren von Leichnamen für die Section, sowie der
Häute von Thieren behufs des Ausstopfens angewandt. Wegen ihrer eigenthümlichen
chemischen Zusammensetzung hat man sie in der letzten Zeit zur Bereitung eines
schätzbaren Farbstoffs, der Kohlenstickstoffsäure,
benutzt, welche auf seidenen und wollenen Zeugen ein sehr schönes Strohgelb liefert.
Mittelst der erwähnten Substanz läßt sich die Kohlenstickstoffsäure (Pikrinsäure)
sehr wohlfeil in reinem Zustande darstellen,Ihre Darstellung ist im polytechn. Journal Bd. CXVIII S. 426 mitgetheilt. A.
d. Red. so daß die Färber damit ein herrliches Gelb und Grün erzeugen können,
welches an der Luft nicht verschießt, was hingegen bei den mit Pflanzenfarbstoffen
dargestellten gelben und grünen Farben meistens der Fall ist. Die so bereitete
Kohlenstickstoffsäure ist ganz frei von öligen oder theerigen Substanzen, welche der
gefärbten Waare einen unangenehmen Geruch ertheilen würden.
Der sehr bittere Geschmack der Kohlenstickstoffsäure veranlaßte mich sie als
Fiebermittel zu versuchen; Dr. Bell hat auch im Krankenhaus zu Manchester mittelst derselben einige Fälle
von Wechselfieber geheilt. Ich habe bereits vielen ausgezeichneten Aerzten eine
Quantität dieser Säure eingehändigt, und hoffe daß es sich bald herausstellen wird,
daß sie wirklich ein brauchbares Surrogat des kostspieligen schwefelsauren Chinins
ist.
Neuerlich machte ich von der Carbolsäure (dem Kreosot) eine Anwendung, welche den Färbern und
Kattundruckern Vortheile gewährt. Bekanntlich lassen sich die Extracte der
Gerbematerialien nicht längere Zeit aufbewahren, ohne zu verderben, weil der in
denselben enthaltene Gerbestoff sich zersetzt und durch einen Gährungsproceß in
Zucker und Gallussäure verwandelt wird; letztere Säure besitzt aber, wie ich mich
überzeugte, nicht nur keine färbenden Eigenschaften, sondern wirkt überdieß
schädlich, weil sie die zum Befestigen der Farben auf dem Zeug angewandten Beizen
abzuziehen strebt. Wenn man nun die Extracte von Gerbematerialien mit einem kleinen
Quantum von Carbolsäure versetzt, so lassen sie sich in den Färbereien aufbewahren
und als Surrogate der zu ihrer Darstellung angewandten Substanz benutzen, wodurch
einerseits Arbeit erspart und andererseits eine bessere Wirkung von den
Gerbematerialien erzielt wird.
Die dritte Substanz, welche bei der Destillation des Steinkohlentheers übergeht, hat
man schweres Theeröl genannt und sie wurde von Hrn. Bethell auf oben erwähnte Weise benutzt. Dieses Oel
enthält ein eigenthümliches organisches Product, welches Dr. Hofmann in London entdeckte und Kyanol oder Anilin nannte; es
besitzt die Eigenschaft, mit Chlorkalk eine schöne blaue Farbe zu geben.
Das das Kyanol und die Kohlenstickstoffsäure ebensowohl mit Indigo als mit
Steinkohlentheer erzeugt werden können, so besteht offenbar zwischen den Produkten
dieses Theers und denjenigen des Indigos eine große Aehnlichkeit und ein chemischer
Zusammenhang; es ist mir daher sehr wahrscheinlich, daß diese Producte in wenigen
Jahren als Surrogate für Indigo und Krapp angewandt werden dürften. Es gelang Laurent zwei Producte vom Naphthalin zu erhalten, welche
eine große Analogie mit den Farbstoffen des Krapps haben. Ein solches ist die
gechlorte Naphthalinsäure, welche dieselbe Zusammensetzung wie der Farbstoff des
Krapps hat und mit ihm identisch wäre, wenn das Chlor in der Säure durch Wasserstoff
ersetzt würde. Die gechlorte Naphthalinsäure gibt auch mit Alkalien eine sehr schöne
rothe Farbe. – Behandelt man den Farbstoff des Krapps mit Salpetersäure, so
erhält man Alizarinsäure, welche identisch mit der Naphthalinsäure, dem
Oxydationsproduct des Naphthalins, ist. – Während der Destillation des
Steinkohlentheers geht das Naphthalin als eine feste weiße Substanz in großer Menge
in die Vorlage über.
Hr. James Young in Glasgow hat die interessante Thatsache
entdeckt, daß durch Destillation der Steinkohlen bei niedriger Temperatur andere
Producte erhalten werden, als wenn man die Kohlen bei hoher Temperatur destillirt,
wie z.B. bei der Leuchtgas-Fabrication. So erhält man im erstem Falle anstatt
des Naphthalins festes Paraffin und ein paraffinhaltiges Oel; letzteres wird, mit
anderen Oelen gemischt, jetzt in bedeutender Menge in den Baumwollspinnereien zu
Manchester als Maschinenschmiere benutzt. Mit dem festen Paraffin, welches auch bei
der Destillation des Torfs erhalten wird, fabricirt man Kerzen, wozu man es mit
beiläufig 20 Procent Wachs versetzt; diese Kerzen sind wegen ihrer Durchsichtigkeit
und der Reinheit ihrer Flamme sehr beliebt.Man f. über die Fabrikation der flüssigen Kohlenwasserstoffe und des
Paraffins das Patent von P. Wagenmann, S. 138 in
diesem Bande des polytechn. Journals. A. d.
Red.