Titel: | Ueber die verbesserte Mühlsteinhaue und Büchse des Mühlenbaumeisters Nagel in Hamburg; von Hrn. Professor Dr.Rühlmann. |
Fundstelle: | Band 136, Jahrgang 1855, Nr. LX., S. 245 |
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LX.
Ueber die verbesserte Mühlsteinhaue und Büchse
des Mühlenbaumeisters Nagel
in Hamburg; von Hrn. Professor Dr.Rühlmann.
Aus den Mittheilungen des hannoverschen Gewerbevereins,
1854, Heft 6.
Mit Abbildungen auf Tab.
IV.
Ueber Nagel's verbesserte Mühlsteinhaue und Büchse.
Ungeachtet der wesentlichen Verbesserungen, welche bei dem neuem Mühlwesen die
Aufhängung des Läufersteins der Getreidemühlen, durch Einführung sogenannter
beweglicher (Bügel-) Hauen (Rhinen) und insbesondere der von Fairbairn in Manchester zuerst construirten Hauen, nach
dem Principe des sogenannten Hook'schen Gelenkes oder
ähnlich der Compaß-Aufhängung auf Schiffen (daher auch Compaßhaue genannt),
erfahren hat, lassen doch alle diese Anordnungen noch Manches zu wünschen übrig, und
ist es daher ganz begreiflich, wenn sich noch fortwährend denkende Fachmänner mit
der Verbesserung gedachter Mechanismen beschäftigen. Aehnliches, wenn auch nicht in
gleichem Maaße, läßt sich von den Halslagern der Mühlspindeln im festliegenden
Bodensteine, oder der sogenannten Büchse (Buchs) sagen, wovon die aus Gußeisen mit
Bronzefuttern zwar hin und wieder, namentlich bei den Mühlen mit fabrikmäßigem
Betriebe, Eingang gefunden, an vielen Orten (besonders im Königreiche Hannover) und
vorzüglich bei der sogenannten Kleinmüllerei, Postenmüllerei, aber wieder verlassen
und abermals durch die alte Holzbuchs ersetzt wurden. So kommt es denn, daß man bei
sonst ganz anerkennungswerthen Mühleneinrichtungen, die früher berüchtigte
Scandalgeschichte wiederfindet, daß unter der Buchs, um die Mühlspindel herum, ein
Leinwandsack gebunden
ist, um mindestens das Getreide zu sammeln, welches durch das von vorn herein als
undicht bekannte Halslager längs dem Mühleisen herabläuft.
Recht erfreulich war es mir daher, vor Kurzem im Herzogthume Holstein, in und um
Hamburg, eine Hauen- und Büchsen-Anordnung bei neueren Mahlmühlen zu
finden, die mir besser als alle bisher bekannten schien und meines Wissens noch
nirgends besprochen wurde.Selbst in der letzten Lieferung des Wiebe'schen
Werkes „Lehre von den einfachen Maschinentheilen“, wo
Seite 421 (§. 155) die „schwebenden
Hauen“ ausführlich beschrieben und beurtheilt
werden, geschieht der Nagel'schen Anordnung keine
Erwähnung.
Als Constructeur dieser Haue wurde mir Hr. Mühlenbaumeister Nagel in Hamburg bezeichnet, auch ich bald nachher, durch die bekannte
Zuvorkommenheit und Liebenswürdigkeit dieses Herrn, in den Stand gesetzt, ein
Exemplar derselben für die Maschinenmodellsammlung der polytechnischen Schule in
Hannover beziehen zu können, so daß ich jetzt, mit Benutzung anderer gütiger Winke
Hrn. Nagels, nachstehende Mittheilung zu machen im Stande
bin.
Im Allgemeinen ist die Nagel'sche Haue als eine
verbesserte Compaßhaue zu betrachten und besteht das Wesentliche der Verbesserung in
Folgendem:
1) Kommen die getrennten gußeisernen Schuhe oder Lagerstellen der äußeren Hauezapfen
in der Mantelfläche eines gußeisernen Hohlcylinders mit einander verbunden vor,
weßhalb sie stabiler und übereinstimmender befestigt werden können.
2) Kann ein Höherstellen oder Justiren dieser Lagerpunkte ohne Weiteres erfolgen,
ohne das sonst erforderliche zeitraubende und mühsame Einspitzen der getrennten
Schuhe und deren Befestigung durch Blei etc. vornehmen zu müssen.
3) Kommt der Aufhängepunkt des Läufers viel höher (unter allen Umständen stets über
den Schwerpunkt des SteinesBei der Bügelhaue mit Treiber befand sich der Aufhängepunkt zwar auch über
dem Schwerpunkte des Steines, allein die Reibung der Treiberklaue war so
groß, daß ein freies Spiel des Läufers fast unmöglich war. Endlich forderte
es eine astronomische Genauigkeit, um beide Klauen zum gleichmäßigen Angriff
zu bringen, ohne welchen der Stein nur würgen, aber niemals gut mahlen
konnte.) zu liegen, ohne jedoch dadurch die Entfernung zwischen Halslager (Buchs)
und Aufhängepunkt nachtheilig vergrößern zu müssen, wodurch die Wirkungen der über
dem Aufhängepunkte im Steine auftretenden Flieh-(Schwung-)kräfte
bedeutend vermindert werden.
4) Wird durch die große Höhe, bis zu welcher die Steinbüchse in das Läuferauge
hineinreicht, es fast unmöglich gemacht, daß Schrot oder Sand an die Metallbacken
des Halslagers kommen kann.
Auf Mühlen, wo zum Theil unreines Korn gemahlen wird, war es bisher kaum möglich
Metallbacken anzuwenden, weil solche bei einigermaßen mangelnder Sorgfalt immer
schnell zerstört wurden und alle künstlichen Verschlüsse sich als unzureichend
erwiesen.
Zur gehörigen Verständniß von Nr. 3 wird Folgendes dienen.
Bekanntlich setzt man die französischen Mühlsteine aus vielen einzelnen Stücken
zusammen, welche besonders der Höhenrichtung nach sehr ungleich sind, weßhalb man
auch in der Regel den oberen Theil des Läufers aus Gyps und Steinbrocken
zusammenbäckt. In beiden Fällen haben gleich große Theilchen des Läufers in
verschiedenen Höhen und Abständen von der Drehachse des Steines verschiedenes
Gewicht, und man sucht deßhalb den Läufer vor dem Gebrauche durch entsprechendes
Eingießen von Blei zu adjustiren. Dieser Gleichgewichtszustand entspricht aber nur
dem ruhenden Steine, nicht aber dem in Umdrehung gesetzten, indem in letzterem Falle
die Flieh- oder Schwungkräfte der einzelnen Stellen verschiedener Dichte
gleichsam so auftreten, als wären daselbst sonst isolirte Gewichte befestigt, deren
Drucke in der Horizontalebene wirken und nur durch andere Gegendrucke, in gleicher
Ebene und in der rückwärtsgerichteten Radiusverlängerung thätig, aufgehoben werden
können. So lange letzteres nicht geschieht, müssen schwankende, ungleichförmige, und
einseitige Abnutzung erzeugende Bewegungen eintreten, die man begreiflicher Weise so
viel als nur möglich beseitigen muß. Da nun, wie bemerkt, der obere Theil des
Läufers vor Allem, oft fast allein, derartige Stellen von sehr verschiedener Dichte enthält, so wird das Höherbringen des
Befestigungspunktes des Steines im Läuferauge offenbar die Hebelarme der über der
Aufhängestelle vorkommenden Fliehkräfte verkürzen und somit die nachtheiligen
Wirkungen der letzteren vermindern.
Nach diesen Vorbemerkungen, welche zur Würdigung des Gegenstandes ausreichend seyn
werden, gehe ich zur Beschreibung der Abbildungen Fig. 17 bis 29 (in 1/6
wahrer Größe) der fraglichen Haue und Büchse über.
Vor Allem ist zum raschen Verständniß zu bemerken, daß hier außer der gewöhnlichen
Haue und der Büchse noch ein dritter Körper, ein Hohlcylinder A vorkommt, welcher im Läuferauge völlig fest gemacht wird und zur
Aufnahme der Schuhe oder Lagerkörper der Zapfen x der
Compaßhaue bestimmt ist. Sodann ist zu rathen einen Blick auf die vollständige
Zusammenstellung aller Theile zu werfen, wie solche aus der senkrechten Durchschnittsfigur 47 (den
Schnitt nach 1, 2 von Fig. 22 genommen)
erkennbar ist. Der Hohlcylinder A ist in vier Ansichten,
Fig. 18
bis Fig. 21
gezeichnet, wobei bemerkt werden muß, daß Fig. 18 einen
Durchschnitt nach α, β vom Grundrisse Fig. 19
genommen darstellt, Fig. 20 eine Ansicht von außen und Fig. 21 eine solche von
oben gibt.
Außerhalb ist dieser Hohlcylinder A ein wenig kegelförmig
geformt, so wie unterhalb, zur Verstärkung, mit einem vorspringenden Rande versehen.
Die eigentlichen Schuhe werden durch besonders geformte, prismatische verstärkte
Räume v, v gebildet (Fig. 20 punktirt
gezeichnet), in welchen sich die bronzenen Futter oder Lagerschalen für die
Hauezapfen auf- und abschieben lassen ohne dabei herauszufallen. Die oberen
Partien der Verstärkungen oder Lagerführungen v, v sind
mit hölzernen Klötzchen z, z ausgefüllt, die vermehrt
oder vermindert werden können und mit Leichtigkeit eine Verstellung und frische
Befestigung der Haue zulassen.
Die Haue B ist im Allgemeinen Fairbairn's Compaßhaue und von Fig. 25 bis Fig. 28
verschieden geformter einzelner Theile wegen besonders gezeichnet. Dabei ist C der sogenannte Mitnehmer, welcher auf dem viereckigen
Theile m des Mühleisens N
unverrückbar fest seinen Platz findet, mit zwei Zapfen p
versehen ist, deren Lagerstellen bei q in der
halbkugelförmigen Haue B angebracht sind. Außer der
schon erwähnten Fig. 17 ist jetzt noch auf die von unten gesehene völlige
Zusammenstellung letztbemerkter Theile aufmerksam zu machen, welche mit Fig. 23
bezeichnet ist.
Die Einrichtung der Büchse oder des Halslagers D der
Mühlspindel ist ebenfalls aus Fig. 17, so wie aus der
nach γ, δ letzterer Figur genommenen
Durchschnittszeichnung Fig. 22 zu erkennen.
Die beiden Bronzefutter r und t,
t, welche die Mühlspindel N umfassen, sind in
Nuthen des Hohlcylinders D verschiebbar und können
deßhalb niemals seitlich ausweichen oder wegen verdrehter oder verschobener Lage
ungewöhnlich raschen Abnutzungen unterliegen, wie dieß bei vielen der zeither
angewandten Metallbüchsen der Fall war. Das Futterstück r ist durch Keil s und Schraube w stellbar gemacht, so wie die prismatischen freien
Räume u zwischen den Bronzeschalen r, t zur Einbringung von besonderem Stopfzeuge benutzt
werden können. Zum gehörigen Schließen der Büchse D
dienen oben und unten die Deckel H und I, welche durch Schrauben k
mit versenkten Köpfen festgehalten werden.
Die Befestigung der Büchse im Bodensteine M erfolgt durch
drei Schrauben E, deren Köpfe einerseits in dem
verbreiterten Rande von D versenkt sind, während
andererseits ihre Muttern gegen einen schmiedeisernen Ring F gepreßt werden.
Ich kann bei dieser Gelegenheit nicht unerwähnt lassen, daß seit Kurzem hier im Lande
eine von der vorbeschriebenen verschiedene Gattung von Mühlsteinbüchsen als etwas ganz Neues und sehr Empfehlenswerthes
angepriesen wird, womit ich mich durchaus nicht einverstanden erklären kann. Vor
Allem muß ich nämlich bemerken, daß diese Büchse bereits seit langer Zeit durch Armengaud's Werk: Publication
industrielle, Vol. I. Pl. 27 bekannt ist,
sodann aber entschieden verneinen, daß sie im Stande sey die vorbeschriebene Nagel'sche Büchse zu ersetzen.
Um aber in letzterer Beziehung alle unsere Leser in gehöriger Weise an der
Beurtheilung Theil nehmen lassen zu können, fügen wir in Fig. 29 eine
Durchschnittsansicht dieser Armengaud'schen Büchse bei
und bemerken zum Verständniß derselben Folgendes:
a ist ein gußeiserner, die ganze Büchse umschließender
Hohlcylinder, innerhalb mit einem concentrischen, ringförmigen Rande b versehen, um auf diesem die Büchse selbst mittelst
Schrauben c befestigen zu können. Die Mühlspindel N wird dabei von drei Metallschalen h und von zwischen je zwei derselben vorhandenen
Hanfstopfzeugen f umfaßt.
Ebenso dienen drei Keile i, welche durch Schrauben k stellbar sind, zum Anziehen der Futter, wobei gedachte
Keile nicht unmittelbar gegen die ebenen Flächen der Metallfutter e, sondern gegen vorspringende Nasen derselben
drücken.