Titel: | Neuer hydraulischer Motor, sogenanntes Schraubenrad mit horizontaler Achse, oder Turbine ohne Leitcurven; von Hrn. L. D. Girard. |
Fundstelle: | Band 137, Jahrgang 1855, Nr. II., S. 11 |
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II.
Neuer hydraulischer Motor, sogenanntes
Schraubenrad mit horizontaler Achse, oder Turbine ohne Leitcurven; von Hrn. L. D. Girard.
Aus den Comptes
rendus, April 1855, Nr. 18.
Girard's neuer hydraulischer Motor.
Bei der beständig zunehmenden Errichtung industrieller Etablissements reichen die
Privatgewässer, welche bisher vorzüglich von den Fabriken ausgebeutet wurden, bald
nicht mehr aus, und es kommt oft der Fall vor, daß es sich um die Nutzbarmachung der
bewegenden Kraft der großen, öffentlichen, schiffbaren Flüsse handelt. Jedermann
weiß, wie unvollkommen heutigen Tages die für geringe Gefälle oder bloß schnell
fließende Gewässer bestimmten Wasserräder noch sind, wovon z.B. die Räder des
Notre-Dame-Wasserwerkes einen schlagenden Beweis geben. Nicht
Jedermann möchte sich vielleicht aber eine richtige Vorstellung machen, was Motoren
ausrichten könnten, welche der Natur großer Ströme, deren lebendige Kraft fast
unbegränzt ist, zweckmäßig angepaßt sind; so ist z.B. durch eine einfache Rechnung
leicht nachzuweisen, daß in der Rohne beständig eine Kraft von mindestens 500000
Pferden thätig ist.
Die nur in fließendes Wasser eingehängten Räder, wie die Schiffsmühlenräder etc.,
haben in ihrem jetzigen Zustande mehrere wesentliche Fehler: 1) haben sie nur eine
sehr geringe Umdrehungsgeschwindigkeit; 2) ist ihr Nutzeffect ebenfalls sehr gering,
er beträgt nämlich zwischen 15 und 25 Procent, und zwar nur unter der Bedingung, daß
das Rad mittelst eines complicirten Mechanismus seine Lage in einer Verticalebene
ändern kann, um immer in gleicher Höhe bezüglich des Wasserspiegels zu bleiben, welcher bei den zu
benützenden Flüssen bekanntlich sehr bedeutend wechselt; 3) ist die Kraft, welche
solche Wasserräder aufnehmen können, immer nur sehr klein, selbst wenn man ihnen so
große Dimensionen gibt, als sie sich mit einer guten und dauerhaften Construction
vereinigen lassen.
Ich will nun den neuen Motor beschreiben, welchen ich im vergangenen Jahre für das
Hüttenwerk von Ménier und Comp. zu Noisielsur-Marne ausgeführt habe, der mir auf eine sehr
befriedigende Weise die bedeutende Lücke auszufüllen scheint, deren ich oben
bezüglich der Nutzbarmachung der den großen Flüssen inwohnenden Kraft erwähnte. Seit
der Aufstellung dieses Motors variirte die Marne von dem niedrigsten Wasserstande
bis zu einer solchen Höhe, daß das neue Rad vollständig bedeckt und überfluthet
wurde, ohne daß auch nur einen Augenblick der Gang des Hüttenwerkes, welches von
diesem Rade in Bewegung gesetzt wird, unterbrochen wurde. Ich muß bei dieser
Gelegenheit meinen lebhaftesten Dank dem Hrn. Ménier aussprechen, welcher mir mit seltener Uneigennützigkeit sein
Werk zur Verfügung stellte, um an demselben den ersten Versuch mit meinem Motor in
großem Maaßstabe zu machen.
Mein Motor besteht aus drei besonderen Haupttheilen:
Der erste ist ein Rad, welches an seinem Umfang mit Zähnen
versehen ist, um seine Bewegung einer verticalen Achse mittheilen zu können, durch
welche diese Bewegung in das Innere des Werkes fortgepflanzt wird. Dieses auf einer
Welle befestigte Rad besteht aus zwei concentrischen Kronen oder Kränzen, die einen
hohlen Ring bilden, der sich stromabwärts erweitert, und in welchem eine Anzahl
gekrümmter Schaufeln angebracht ist, was mich veranlaßte dem Rade den Namen
Schraubenrad (roue-hélice) zu geben. Das
erste Element dieser Schaufeln, nämlich das stromaufwärts gerichtete, hat eine
Neigung, welche von der Geschwindigkeit abhängt, die man dem Motor geben will; das
letzte Element dagegen weicht nur wenig von der verticalen Umdrehungsebene des Rades
ab, um das Wasser mit der möglich geringsten Geschwindigkeit aus dem Rade austreten
zu lassen, damit das Wasser so gut als möglich seine ursprüngliche Geschwindigkeit
an das Rad abgeben muß Der innere Radkranz ist durch Arme mit einer Nabe verbunden,
welche auf einer horizontalen Achse aufgekeilt ist. Diese Achse endlich liegt in der
Richtung des Stromes, und die Umdrehung des Rades geschieht also in einer
Verticalebene, welche zur Stromrichtung senkrecht steht.
Der zweite Hauptbestandtheil des Apparates, welcher
stromaufwärts vor dem Rade fest liegt, besteht ebenfalls aus zwei concentrischen
Kränzen, die einen ringförmigen Canal bilden, welcher gegen den Strom zu erweitert ist. Dieser Canal
führt das Aufschlagwasser direct den gekrümmten Schaufeln des Schraubenrades zu. Der
innere Kranz, welcher stromaufwärts bis zu einer Spitze verlängert ist, bildet eine
Art Gehäuse oder einen Hohlraum, von welchem das Wasser abgeschlossen ist und in
welchem das stromaufwärts gerichtete Achsenende des Rades liegt.
Der dritte Hauptbestandtheil, welcher stromabwärts, also
hinter dem Rade liegt, besteht in einem hohlen Conus, der mittelst zweier hohlen
Arme von linsenförmigem Querschnitte durch die Seitenmauern getragen wird. Der
innere Raum dieses Conus ist wie das stromaufwärtsliegende Gehäuse dem Wasser
unzugänglich gemacht, und trägt den stromabwärts gerichteten Drehungszapfen des
Rades.
Bei diesem neuen Wasserradsysteme trifft das durch den stromaufwärtsliegenden
Trichter eingefangene Wasser auf die schiefen Flächen der Schaufeln und gibt an
dieselben seine Kraft ab, ohne daß hierzu Leitcurven nothwendig wären, und es läßt
sich die Umdrehungsgeschwindigkeit des Motors durch Schrägerstellen der Schaufeln
bedeutend erhöhen, ohne daß der Nutzeffect merklich geändert würde. Nimmt man alle
diese Umstände zusammen, so ergibt sich, daß die Construction des neuen Motors
außerordentlich einfach wird, und ich muß noch beifügen, daß bei diesem Rade eine
Art Compensation zwischen der Wassermenge, welche das Rad beim Steigen des Flusses
absorbirt, und der damit verbundenen Gefällverminderung von selbst eintritt; denn in
dem Maaße als der Wasserstand vor und hinter dem Rade steigt, womit gewöhnlich eine
Gefällverminderung verbunden ist, taucht auch das Rad tiefer ein, und folglich kommt
dadurch eine größere Anzahl von Schaufeln gleichzeitig in Thätigkeit.
Da das Wasser im Rade nach und nach seine Geschwindigkeit abgibt, und je langsamer es
fließt, für dieselbe Masse der Querschnitt immer größer werden muß, so war es
nothwendig, die durch die Schaufeln mit einander verbundenen concentrischen
Radkränze stromabwärts allmählich zu erweitern, und zwar so, daß der Querschnitt der
lichten Oeffnung im Rade überall im umgekehrten Verhältnisse zur Geschwindigkeit des
Wassers im Rade steht.Das Grundprincip dieses neuen Wasserrades ist offenbar dasselbe, auf welches
Hr. C. Walther, Professor der Mechanik an der k.
polytechnischen Schule zu Augsburg, im J. 1847 in einer Abhandlung
aufmerksam machte, welche in diesem Journal Bd. CVI S. 165 mitgetheilt
wurde, und die auch in den Moniteur industriel
etc. überging.A. d. Red.