Titel: | Ueber Chlorimetrie; von C. Noellner. |
Fundstelle: | Band 137, Jahrgang 1855, Nr. LII., S. 202 |
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LII.
Ueber Chlorimetrie; von C. Noellner.
Aus den Annalen der Chemie und Pharmacie, Juli
1855, S. 113.
Noellner, über Chlorimetrie.
Die vielseitige Anwendung des Chlorkalks als Bleich- und Oxydationsmittel,
seine leichte Veränderlichkeit bei längerer Aufbewahrung, die Ungleichheit seiner
chemischen Zusammensetzung bei oft scheinbar gleicher Darstellungsweise, haben
besonders bei diesem und den damit verwandten Präparaten eine Menge Methoden
hervorzurufen, um deren technischen Werth zu bestimmen.
Liebig's Handwörterbuch der Chemie, Knapp's chemische Technologie, Otto-Graham's Chemie u.s.w. enthalten dazu eine Menge Vorschriften,
die sich aber immer nur auf die jetzt mehr und mehr Eingang findende Titrirmethode
begründen; nur Duflos' Theorie und Praxis der
pharmaceutischen Experimentalchemie führt eine Methode an, mittelst schwefliger Säure eine dem als Bleich- und
Oxydationsmittel wirksamen Chlorgehalte entsprechende Menge Schwefelsäure zu bilden
und ihn so als schwefelsauren Baryt auf der Waage zu bestimmen. Diese Methode hat aber trotz mancher
Vorzüge im allgemeinen nur wenig Eingang gefunden, und ich möchte den Grund nur
darin suchen, weil die schweflige Säure überhaupt in chemischen Laboratorien nur
wenig Anwendung findet, und dann, weil deren wässerige Auflösungen, sowohl frei als
gebunden, während des Aufbewahrens in Schwefelsäure und deren Salze übergehen, so
daß, wenn chlorimetrische Untersuchungen nur in größeren Zeitabschnitten vorkommen,
man genöthigt wird sich diese Stoffe jedesmal frisch zu bereiten, wodurch natürlich
die ganze Chlorbestimmung für manche wieder viel zu zeitraubend wird.
Ganz anders gestalten sich alle diese Uebelstände, wenn man anstatt schwefliger Säure
das unterschwefligsaure Natron in Anwendung bringt,
welches, wie bekannt, ebenfalls schon bei gewöhnlicher Temperatur durch freies Chlor
in schwefelsaures Salz übergeführt wird und daher auch schon längst die so wichtige
technische Anwendung fand, den letzten schädlichen Rest von Chlor aus den damit
gebleichten Stoffen zu entfernen (Antichlor).
Wenn die chlorimetrischen Bestimmungen mittelst der Titrirmethode schon so genaue
Resultate liefern, so werden die Freunde derselben jede andere Methode für
überflüssig erachten; allein ich glaube, daß auch eben so viele Chemiker das Urtheil
der Waage vorziehen, namentlich werden unter den Pharmaceuten viele eher im Besitz
einer guten Waage mit Gewichten, als genau calibrirten Glascylindern, oder auch nur
gleichweiten Glasröhren sich befinden, und dabei doch öfter Gelegenheit haben,
Untersuchungen der Art ausführen zu müssen; und zuletzt gewährt es auch in gewissen
Fällen für manche eine Beruhigung, das Resultat der Titrirmethode durch den
Ausspruch der Waage controlirt und bestätigt zu sehen, da nach ersterer Methode,
namentlich für weniger damit Geübte, die scharfe Gränze der eigentlichen Wahrheit
doch so leicht überschritten wird.
Von einer größeren, im Porzellanmörser erst etwas zerriebenen Probe nimmt man zu
diesem Zwecke vielleicht 1 Gram. Chlorkalk, bringt denselben mit ungefähr 2 Gram,
unterschwefligsaurem Natron und so viel Wasser in einem Kölbchen von solcher Größe
zusammen, daß nach dem Verschließen mit einem Kork noch Raum genug übrig bleibt, um
durch Schütteln die vollständige Vertheilung des Chlorkalks bewirken zu können, was
in den meisten Fällen auch leicht gelingt und die Behandlung in der Reibschale
überflüssig macht, welche so leicht Veränderungen oder Verluste der kleinen Probe
veranlassen könnte.
Die Umwandlung des unterschwefligsauren Salzes in schwefelsaures geschieht schon in
der Kälte vollständig; zur größeren Sicherheit erwärmt man man aber das Kölbchen
noch ein wenig im Wasserbade und versetzt dann mit einigen Tropfen oder vielmehr so viel reiner Salzsäure, daß man sicher ist, alles überschüssig zugesetzte unterschwefligsaure Natron damit
zerstören zu können, was namentlich in der erwärmten Flüssigkeit sogleich unter
Bildung von schwefliger Säure und Schwefel geschieht. Durch etwa zwei Minuten langes
Kochen im geneigten Kölbchen entweicht alle schweflige Säure, und der Schwefel
scheidet sich dabei in Tropfen ganz ähnlich ab, wie es bei der Zersetzung der
Schwefelmetalle durch Säuren in der Analyse geschieht, so daß bei gänzlicher
Zersetzung des überschüssig zugesetzten unterschwefligsauren Salzes die anfangs
gelblich-weiße, milchige Flüssigkeit fast wasserhell erscheint, und die
Trennung derselben vom geschmolzenen Schwefel durch Filtration außerordentlich
leicht geschieht, eben so das nachherige Auswaschen des Filters. Das Filtrat enthält
dann neben dem Chlorcalcium des Chlorkalks, ferner der überschüssig zugesetzten
Salzsäure und dem gebildeten Kochsalz eine dem oxydirenden Chlorgehalte genau
entsprechende Menge gebildetes schwefelsaures Natron,
welches man mit salzsaurem Baryt fällt.
Wenn nun 16 Schwefel 8 Sauerstoff aufnehmen, um unterschweflige Säure zu bilden,
dieselben 16 Schwefel aber noch zweimal 8 Sauerstoff aufnehmen müssen, um in
Schwefelsäure umgewandelt zu werden, und diese Umwandlung durch die oxydirende
Wirkung des Chlors so leicht geschieht, so werden nach obigem Verfahren auf je 2
Aequivalente Chlor 1 Aequiv. Schwefelsäure resp. schwefelsaurer Baryt sich bilden,
und
116,5 Gewichtstheile (= 1 Aeq.) schwefelsaurer Baryt entsprechen 71,5 Gewichtstheilen
(= 2 Aeq.) Chlor.
Da das unterschwefligsaure Natron an der Luft sowohl trocken, wie in Auflösung
unveränderlich ist, und durch seine vielseitige Anwendung als Antichlor, in der
Daguerreotypie u.s.w. man sich solches leicht jederzeit durch den Handel vollkommen
rein verschaffen kann; da ferner die Umwandlung desselben in schwefelsaures Salz
durch Chlor so leicht geschieht, und bei der Zersetzung durch Salzsäure auch nur
schweflige Säure und Schwefel ohne Spur von Schwefelsäure gebildet werden, und
zuletzt der gebildete schwefelsaure Baryt eine so genau gekannte unlösliche
Verbindung ist, welche, nachdem sie durch Decantation und nachher auf dem Filter
ausgewaschen, mit dem noch feuchten Filter im Platintiegel getrocknet und ohne
Veränderung dann geglüht werden kann: so möchte ich dieser Methode vor allen den
Vorzug geben, da sie bei einiger Uebung eben so schnell wie die Titrirmethode zum
Ziele führt und dabei eine Sicherheit gewährt, wie sie bei den genauesten Analysen
nur verlangt wird.
Eine als Handelswaare gute Sorte Chlorkalk muß demnach nach obiger Methode wenigstens
die Hälfte schwefelsauren Baryt liefern, was 30 Proc. Chlor entspräche.