Titel: | Verfahren, um zahlreiche vegetabilische Substanzen zur Fruchtzucker-Fabrication verwenden zu können; von G. F. Melsens, Professor der Chemie zu Brüssel. |
Fundstelle: | Band 138, Jahrgang 1855, Nr. CXII., S. 426 |
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CXII.
Verfahren, um zahlreiche vegetabilische
Substanzen zur Fruchtzucker-Fabrication verwenden zu können; von G. F. Melsens, Professor der
Chemie zu Brüssel.
Aus Armengaud's Génie industriel, August 1855. S.
106.
Melsens' Verfahren um zahlreiche Substanzen zur
Fruchtzuckerfabrication verwenden zu können.
Die verdünnte Schwefelsäure kann, wie die concentrirte Schwefelsäure, die Cellulose
(Holzfaser, den pflanzlichen Zellstoff) modificiren und auflösen, unter der
Bedingung daß eine 100° Cels. übersteigende Temperatur angewendet wird.
Der incrustirende Stoff, das Sclerogen oder die in den pflanzlichen Zellen
enthaltenen Stoffe, können sich zum Theil in eine gährungsfähige Substanz
verwandeln, wenn man diese Producte eben so behandelt wie das Stärkmehl behufs
seiner Umwandlung in Fruchtzucker, d.h. sie einige Zeit in einer sauren Flüssigkeit
auf einer Temperatur von 100° C. erhält.
Die technische Anwendung dieser Thatsachen bildet den Gegenstand der nun zu
besprechenden Erfindung.
In einen Autoklaph (papinianischen Topf), welcher innen (damit er von den Säuren
nicht angegriffen wird) mit Blei bekleidet, übrigens mit Manometer, Thermometer,
Sicherheitsventil und Niveauröhre versehen ist, gibt man die zu behandelnde Substanz
mit verdünnten sauren Auflösungen; nachdem der Apparat gut verschlossen wurde,
bringt man das Ganze auf eine Temperatur, welche je nach den angewandten Substanzen
von 100° C. bis zu derjenigen Hitze wechselt, wobei sich die organischen
Stoffe in brenzliche Producte oder braune Säuren zersetzen, also bis 180°
oder 200° C. Man läßt die Wirkung einige Zeit andauern. Der Autoklaph kann
direct über freiem Feuer erhitzt oder über der Sohle eines Flammofens angebracht
werden; letztern erhält man auf der geeigneten Temperatur mittelst Registern, welche
die Flamme unter den Autoklaph zu leiten oder sie von demselben abzulenken
gestatten. Auch überhitzter Dampf läßt sich als Heizmaterial für den Apparat
anwenden.
Die Dauer der Operation und die anzuwendende Temperatur hängen von dem
Aggregatzustand des angewandten Faserstoffs oder Körpers ab. Die aus dem Autoklaph
genommenen Substanzen werden neutralisirt, filtrirt und dann mittelst Ferment in
geistige Gährung versetzt, oder auch abgedampft um Fruchtzucker-Syrup zu
erhalten.
Der Erfinder wendet wandelbare Quantitäten von Wasser und Säure an; mit Wasser
welches nur 2 Proc. Schwefelsäure enthält, bekommt er analoge Resultate wie mit
solchem welches 10 Proc. Säure und darüber enthält; in der Regel wendet er nur 3 bis
5 Proc. Säure an.
Je nach der Beschaffenheit der Substanzen, läßt man dieselben auch vor der Behandlung
im Autoklaph längere Zeit in kaltem oder warmem Wasser liegen, oder faulen,
überhaupt eine ähnliche Gährung durchmachen wie die Lumpen nach dem alten Verfahren
der Papierfabrication. Das Einweichwasser kann auch alkalisch oder sauer seyn. Diese
Vorbereitung hat den Zweck, den sehr festen Geweben ihren Zusammenhang zu
benehmen.
Diejenigen Substanzen, welche die Cellulose in sehr cohärentem Zustande darbieten,
kann man zuvor mit Salpetersäure behandeln, wie es mit der Stärke zur
Dextrinfabrication geschieht. Nach dieser Vorbereitung wirken die verdünnten Säuren
kräftiger auf solche Cellulose.
Die Substanzen welche der Erfinder hauptsächlich verarbeitet, wirken im Allgemeinen
durch die Cellulose welche sie enthalten, aber einige von ihnen enthalten auch
Stoffe welche sich in eine gährungsfähige Materie dadurch umwandeln lassen, daß man
sie einige Stunden in Wasser welches einige Procente Säure enthält, auf einer
Temperatur von 100° C. erhält; so geben z.B. Baumblätter durch diese
Behandlung eine Substanz welche in Berührung mit Bierhefe gährt, wenn die saure
Flüssigkeit, worin sie ausgelöst ist, vorher neutralisirt und nöthigenfalls durch
Abdampfen concentrirt wurde. Durch methodisches Auswaschen kann man diesen
Substanzen die gebildete gährungsfähige Materie entziehen; es bleibt dabei die
Cellulose zurück, welche man hernach auf angegebene Weise im Autoklaph behandelt.
Diese Operation ist bei allen vegetabilischen Substanzen anwendbar und bildet ein
neues industrielles Verfahren.
Die Substanzen, welche der Erfinder zur Fruchtzucker-Bereitung nach der einen
oder andern der beschriebenen Methoden oder durch Anwendung beider nach einander
benutzt, sind folgende:
1) Pflanzenstoffe, z.B. junge Baumschößlinge, Geniste,
Heidekraut, Blätter, Stroh, Stoppeln, Schwämme; dieselben können auch schon mehr
oder weniger in Fäulniß übergegangen seyn;
2) Fabrications-Rückstände, z.B. die Spreu vom
Reinigen des Getreides, Malzkehricht; Rückstände der Brauereien, der Korn-
oder Runkelrüben-Brennereien; Rückstände von der
Rübenzucker-Fabrication, ausgepreßten Rübenbrei; Rückstände von der
Stärkefabrication mittelst Kartoffeln; Rückstände vom Brechen (Schälen) des Flachses
und Hanfes; Holzsägespäne; erschöpfte Gerberlohe; erschöpfte Wurzeln und Hölzer der
Färbereien und Apotheken etc.
3) Reste von Fabricaten, z.B. altes Tapetenpapier,
Maculatur; gefärbte oder farblose Lumpen etc.
Wenn diese Lumpen durch eine Substanz gefärbt sind, welche der Einwirkung des Wassers
und einer hohen Temperatur widersteht, so kann man dieselben (durch erwähnte
Behandlung mit säuerlichem Wasser) auflösen oder zertheilen und hernach den
Farbstoff absondern. Behandelt man die Krappwurzel mit saurem Wasser bei einer
Temperatur welche das Alizarin nicht zerstört, so wird ihr ein Theil des Zellstoffs
und der den Farbstoff begleitenden Unreinheiten entzogen; das so von den
fremdartigen Stoffen (welche aufgelöst oder zersetzt wurden) mehr oder weniger
befreite Alizarin ist in einem zum Färben geeigneteren Zustande. Wenn man auf oben
angegebene Weise türkischroth gefärbte Lumpen behandelt, um Fruchtzucker in
Auflösung zu erhalten, so wird das Alizarin frei gemacht, und um es vollkommen rein
zu erhalten, braucht man es nur in einem Alkali aufzulösen und hernach durch eine
Säure auszufällen.
Läßt man die verdünnten Säuren bei einer hohen Temperatur einwirken, so greifen sie
direct und leicht Substanzen an, welche im Allgemeinen nur von den concentrirten
Säuren oder nur wenig von schwachen Säuren angegriffen werden. Die oben beschriebene
Verfahrungsweise ist insbesondere auf die Wollenlumpen anwendbar; behandelt man
dieselben mit einem
solchen Quantum von Säure, daß ihr Stickstoff in Ammoniak umgesetzt werden kann, so
lösen sie sich fast vollständig auf und liefern eine als Dünger verwendbare Masse,
welche eine beträchtliche Menge von Ammoniaksalzen enthält.
Man begreift, daß es möglich ist auf diese Weise von den Wollenstoffen gewisse
Farbstoffe zu isoliren, welche einer hohen Temperatur und der Einwirkung verdünnter
Säuren widerstehen, vorausgesetzt daß sich diese Farbstoffe im Wasser nicht
auflösen, wie z.B. der Indigo.
Hr. Melsens glaubte in dem Patent, welches er in
Frankreich nahm, auf den Unterschied zwischen seinen Methoden und dem Verfahren
einerseits von Braconnot und Arnoux, andererseits von Jacquelain aufmerksam
machen zu müssen. Die beiden ersteren operiren mit Holzsägespänen und mit Lumpen,
sie wenden aber eine große Menge concentrirter Schwefelsäure an; die Manipulationen,
die Abscheidung einer großen Menge von Säure müssen diese Operationen schwierig und
kostspielig machen, um so mehr da man in vielen Fällen einen vorher getrockneten
Rohstoff anwenden muß. – Jacquelain operirt auf
nassem Wege bei einer hohen Temperatur; aber seine Versuche beschränken sich auf die
stärkmehlhaltigen Substanzen, zu deren Umsetzung in Zucker er keine Säure anzuwenden
braucht.
Melsens verwendet bei seinem Verfahren zur
Fruchtzucker-Erzeugung die so wohlfeilen Rohstoffe, welche Braconnot und Arnoux
benutzten, und er wendet wie Jacquelain einen Autoklaph
an; da aber bei seiner Methode die Mitwirkung der verdünnten Säuren die hohe
Temperatur unterstützt, so kann er allen Säureüberschuß ersparen, welchen die
ersteren Chemiker anwandten und stets auch die Kosten des Trocknens, folglich
feuchte oder nasse Rückstände verarbeiten, welche wohlfeil zu erhalten sind.