Titel: | Physiologische Untersuchung des Mehlthaues und über die Helminthen, welche diese Krankheit des Getreides verursachen; von Hrn. C. Davaine. |
Fundstelle: | Band 139, Jahrgang 1856, Nr. XXXV., S. 150 |
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XXXV.
Physiologische Untersuchung des Mehlthaues und
über die Helminthen, welche diese Krankheit des Getreides verursachen; von Hrn.
C.
Davaine.
Aus den Comptes rendus, Septbr. 1855, Nr.
11.
Dovaine's physiologische Untersuchung des Mehlthaues.
Das Getreide ist einer Krankheit unterworfen, welche während regnerischer Jahre in
gewissen Gegenden sich sehr verbreitet; sie ist unter dem Namen Mehlthau bekannt. Diese Krankheit wird durch
mikroskopische Thierchen verursacht, deren Organisation jener der cylindrischen
Würmer ähnlich ist, die in Menschen und den Wirbelthieren schmarotzen. Es sind Helminthen von der Ordnung der Nematoïden (Fadenwürmer). Diese Getreidewürmer haben schon lange
Zeit die Aufmerksamkeit der Naturforscher durch ihre merkwürdige Eigenschaft auf
sich gezogen, mehrere Jahre lang im Zustand vollkommener Austrocknung verbleiben zu
können, dann mit Wasser befeuchtet, Bewegung und Leben wieder zu gewinnen,
neuerdings wieder ausgetrocknet und wieder ins Leben gerufen werden zu können, und
so acht bis zehn Mal nach einander. Da man die Erscheinung dieser Thierchen in den
Getreidekörnern nicht zu erklären vermochte, so zog man ihre thierische Natur
überhaupt lange Zeit in Zweifel.
Durch Hrn. Rayer wurde ich in
den Stand gesetzt, eine Untersuchung mit einer großen Anzahl erkrankter Aehren
anzustellen und die Art der Uebertragung, Erzeugung und Entwickelung dieser Würmer
zu entdecken, dann die Eigenschaften ihrer Larven besser zu studiren. Auch geht aus
meinen Untersuchungen hervor, daß es nicht schwierig ist das Getreide vor dieser
Krankheit zu schützen.
Wenn man eine kranke Aehre, nachdem das Getreide gereift
ist, untersucht, so findet man eine Anzahl Körner, und manchmal alle Körner ganz
entstaltet; sie sind klein, zugerundet, schwarz, und bestehen aus einer dicken,
harten Schale, welche innen mit einem weißen Pulver gefüllt ist. Dieses Pulver
enthält keine Spur von Stärkmehl; es besteht ausschließlich aus mikroskopischen Fädchen, welche
trockne, steife Würmchen sind. In Wasser getaucht, zeigen diese Würmchen zuerst
hygroskopische Bewegungen, welche aber bald aufhören. Ist das Getreide neu, so
machen alle diese Würmchen sehr bald andere, mannichfaltige und kräftige Bewegungen,
wahre Lebensäußerungen; ist das Getreide aber alt, so kommen sie erst nach mehreren
Stunden oder selbst nach mehreren Tagen wieder zu Bewegung und zum Leben.
In einem kranken Getreidekorn befinden sich solche Würmchen gewöhnlich zu mehreren
Tausenden. Es läßt sich an ihnen kein Zeugungsorgan entdecken, wornach man annehmen
könnte, daß eines das andere erzeugt habe; sie sind sich alle gleich an Gestalt, an
Größe und Organisation, welche sehr einfach und derjenigen der Embryonen im Ei der
lebendig gebärenden Nematoïden ganz analog ist. Dieser Zustand ist es, in
welchem die Mehlthau-Würmchen bisher größtentheils
beobachtet wurden; untersucht man aber eine kranke Aehre vor
der Zeit der Getreidekrankheit, so findet man in den vom Mehlthau
getroffenen Körnern nebst diesen geschlechtslosen Würmchen andere, größere Würmer,
in einer Anzahl von 2 bis etwa 12, wovon die einen mit männlichen, die anderen mit
weiblichen Geschlechtstheilen versehen sind, in welchen letztern man Eier wahrnimmt;
diese sind die Eltern der geschlechtslosen Würmchen. Woher kommen aber diese
erwachsenen Würmchen, welche die anderen erzeugen? Sie können in das Getreidekorn
nicht wie jene Insectenlarven gelangen, deren Mutter das Ei in das von ihr
durchbohrte Zellgewebe einer Pflanze gelegt hat; auch kann man nicht, mit Bauer, annehmen, daß sie mit dem Saft durch die Gefäße in
das Korn gelangt sind. Wie ich mich durch mehrere Versuche überzeugt habe, ist der
Vorgang einfacher.
Wenn man ein gesundes Getreidekorn neben einem mit Mehlthau behafteten einsäet, so entwickelt sich der Keim
des erstern, während das zweite aufschwillt, sich erweicht und fault. Die Würmchen,
welche in dem mit Mehlthau behafteten Korn vertrocknet und in scheinbar todtem
Zustand waren, gewinnen nach einigen Wochen, wenn sie von der Feuchtigkeit
hinreichend durchdrungen wurden, wieder Leben; sie durchbrechen alsdann die sie
einschließende, erweichte Wand und entfernen sich; diejenigen, welche zu der durch
die Keimung des gesunden Getreidekorns erzeugten jungen Pflanze gelangen, dringen
durch die den Halm bildenden Blattscheiden ein. Zwischen diesen Scheiden bildenden
Blättern halten sie sich lange auf, ohne daß ihre Organisation oder ihre Größe eine
Veränderung erleidet. Wenn die Witterung feucht ist, so kriechen diese Würmer bei
dem Emporwachsen des Halms in die Höhe; bei trockener Witterung verweilen sie zwischen den
Blattscheiden ohne Bewegung und ohne Lebenszeichen, bis ein Regen, der sie wieder
befeuchtet, auch die Lebenszeichen hervorruft.
Die Aehre bildet sich ehe sie außerhalb erscheint, und bleibt lange Zeit zwischen den
Scheiden der letzten Blätter verborgen. Die in den Scheiden sich frei bewegenden
Würmchen begegnen dieser Aehre und können zwischen deren Theile gelangen. Damit dem
Angriff der Würmchen die Erzeugung von Mehlthau
nachfolgt, muß diese Begegnung in eine der Bildung der Aehre sehr nahe Zeit fallen.
Wenn die Aehre erst einige Millimeter lang ist, die Spreuchen, die Staubgefäße und
der Eierstock in ihrer Schuppengestalt noch keine unterscheidende Ausbildung erlangt
haben, so bestehen diese Schuppen aus sehr weichen, markigen, im Entstehen
begriffenen Zellen, in welche leicht einzudringen ist, und zu dieser Zeit gelangen
die Würmchen in das Zellengewebe der Aehre. Sobald aber diese Schuppen die Gestalt
der verschiedenen Theile annehmen, aus welchen die Blüthe des Getreides besteht, und
der zweitheilige Griffel erkennbar wird, dringen die Würmchen nicht mehr in das,
jetzt zu feste, Zellgewebe, und der Mehlthau kann nicht
mehr erzeugt werden. Ich habe mich von dieser Thatsache durch mehrere Versuche
überzeugt.
Das vom Mehlthau befallene Getreide ist also kein Korn, welches, ursprünglich normal,
später eine Veränderung erlitt, sondern die mikroskopische Untersuchung desselben
ergibt, daß sein Gewebe aus überernährten (hypertrophischen) und aus ihrer Form
gebrachten Zellen besteht, ähnlich jenen der auf mehreren Gewächsen durch
Insectenlarven erzeugten Galläpfel. Das Korn existirt, selbst in rudimentärem
Zustande, noch nicht beim Eindringen des Würmchens in die Schuppe, aus welcher sich
später der Eierstock, das Staubgefäß oder das Spreuchen bilden würde. Die Gegenwart
des Würmchens bringt in den Theilen eine Wirkung hervor, welche ihre normale
Entwickelung und ihre Structur ändert; sie verwandeln sich in einen gerundeten
Auswuchs, in dessen Mitte sich die Würmchen befinden. Gewöhnlich erstreckt sich
diese Verwandlung auf alle Blüthentheile, und man findet nur einen einzigen, ganzen
oder vieltheiligen Auswuchs; manchmal haben sich mehrere Theile besonders
entwickelt, wo dann der Auswuchs ein vielfacher ist; manchmal entgeht aber auch ein
Blüthentheil der Umbildung und man findet ein Streuchen, oder ein Staubgefäß, oder
selbst den Eierstock unverwandelt, jedoch verkümmert. Die Theile, in welche die
Würmchen eingedrungen sind, wachsen rasch heran, und wenn die Aehre sich außerhalb
ihrer Scheide vor der Bildung des normalen Korns, vor der Blüthezeit zeigt, so ist
eine runde und schon große Galle zwischen den Balgklappen vorhanden, welche später als Getreidekorn
eingethan wird, dessen Stelle sie einnimmt.
Vor ihrem Eindringen in das Zellgewebe der Blüthenanfänge des Getreides hatten die
Würmchen noch gar nicht zugenommen, sich nicht entwickelt und war zwischen ihnen
kein Unterschied zu entdecken wodurch sich ihr Geschlecht bestimmen ließ; nach ihrem
Eindringen in das Zellgewebe wachsen sie aber, entwickeln sich rasch und es zeigt
sich der Unterschied beider Geschlechter. Das Männchen, welches nicht so schnell wie
das Weibchen wächst, ist zunächst daran zu erkennen, daß es kleiner ist und bald
auch an seinen Begattungsorganen. Bei beiden Geschlechtern sind die Zeugungsorgane
nach dem Typus derjenigen der Nematoïden-Würmer gebaut. Das Weibchen
legt eine große Menge Eier, in welchen man einen Embryo sich bilden sieht; dieser
durchbricht bald die Membran des Eies und lebt, ohne später eine Veränderung zu
erleiden, als Larve in der Höhlung worin sich seine Eltern befinden.
Während die Würmchen heranwachsen, ihre normale Größe erreichen und in das von ihnen
gebildete Galläpfelchen ihre Eier legen, wird letzteres verhältnißmäßig größer. Zur
Zeit der Reife des Getreides hat es fast die Größe eines normalen Korns. Zu dieser
Zeit haben auch die ausgewachsenen Würmchen ihre Eierlegung beendigt, die Eier sind
entwickelt und die Embryonen ausgekrochen; die Eltern sind alsdann schon todt, ihre
Hüllen und Organe zu Trümmern zusammengeschrumpft; die Schalen der Eier haben sich
aufgelöst und die Würmchen der neuen Generation trocknen mit dem sie einschließenden
Gallengewächs bald aus. Wenn man demnach ein vom Mehlthau befallenes Getreidekorn in
reifem Zustande untersucht, so findet man darin nur noch ein weißes Pulver, welches
von selbst entstanden zu seyn scheint, denn es ist jede Spur seines Ursprungs
verschwunden. Die Myriaden von Würmchen, welche dieses Pulver bilden, sind Larven,
welche wie das Ei gewisser Thiere oder wie das Samenkorn der Pflanzen, in scheinbar
todtem Zustand die zur Aeußerung ihrer Lebenskraft nothwendigen Umstände abwarten,
welche oft erst nach mehreren Monaten oder Jahren eintreten.