Titel: | Ueber die sogenannte Alizarin-Tinte; von J. Winternitz. |
Fundstelle: | Band 139, Jahrgang 1856, Nr. CVI., S. 447 |
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CVI.
Ueber die sogenannte Alizarin-Tinte; von
J.
Winternitz.
Aus Wittstein's Vierteljahrsschrift für prakt. Pharmacie, 1856,
Bd. V S. 225.
Winternitz, über die sogenannte Alizarin-Tinte.
Wer das Alizarin kennt, also weiß, daß es der dauerhaft rothe Farbstoff der
Krappwurzel ist, muß bei dem Namen „Alizarintinte“
unwillkürlich an eine rothe Tinte denken, und daher beim
Anblick derselben sehr verwundert seyn, sie nicht roth sondern dunkelgrün, und die
damit gemachten Schriftzüge vom Dunkelgrünen alsbald ins Dunkelblaue und Schwarze
übergehend zu finden!
Der Name Alizarintinte ist daher eine Mystification, offenbar zu dem Zwecke erfunden,
die Bestandtheile und Bereitung derselben geheim zu halten, sowie denjenigen, der es
versuchen sollte, ihre Zusammensetzung und Nachmachung zu ermitteln, irre zu leiten.
Ohne Zweifel wird auch schon Mancher es probirt haben, aus dem Alizari (Krapp) eine
sogenannte Alizarintinte, wie sie seit kurzem im Handel cursirt, zu bereiten, aber
vergebens, das Product war ein ganz anderes.
Man sieht, daß solche Novitäten nur richtig erkannt werden können, wenn man ihre
Eigenschaften und Bestandtheile prüft, d.h. sie vor das Forum der Chemie zieht, ohne
sich durch den Namen zu einer vorgefaßten Meinung verleiten zu lassen.
Die äußeren Eigenschaften der Alizarintinte – ihre Farbe, ihr Farbenwechsel
beim Stehenlassen und Eintrocknen an der Luft, ihr Geruch und Geschmack –
brachten mich zunächst auf den Gedanken, es müsse im Wesentlichen eine Auflösung von
Eisenvitriol in Holzessig seyn.
Der rohe Holzessig enthält nämlich nach Pettenkofer's Entdeckung eine krystallinische Substanz, welche
identisch mit derjenigen ist, die zuerst von Wackenroder
bei der trocknen Destillation der Catechusäure erhalten und daher Brenzcatechusäure oder Brenzcatechin genannt wurde. Ganz dieselbe Substanz fand Wittstein unter den Producten der trocknen Destillation
der Ratanhiagerbsäure; R. Wagner schon früher unter denen
des Morins und der Moringerbsäure, und gab ihr, da es sich herausstellte, daß sie
ein sehr allgemeines Product der trocknen Destillation vegetabilischer Körper ist,
und ihre Formel = C₁₂H₆O₄ zwei Aeq.
Sauerstoff mehr enthält als die Phensäure (Carbolsäure = C₁₂H₆O₂), den passenden Namen Oxyphensäure. Eine charakteristische Reaction dieser Säure besteht darin,
daß ihre Auflösung durch Eisenoxydsalze tief grün gefärbt wird (reine
Eisenoxydulsalze verändern die Lösung nicht), daß die grüne Färbung durch vorsichtige
Sättigung mit Ammoniak in eine blaue, aber durch den geringsten Ueberschuß des
Alkalis in eine violettrothe übergeht, ohne daß dabei eine Trübung entsteht.
Als ich nun Eisenvitriol in rohem Holzessig auflöste, erhielt ich eine grünliche
Lösung; die damit gemachten Schriftzüge sahen frisch allerdings sehr blaß aus,
wurden jedoch beim Eintrocknen ziemlich schwarz, etwa wie von einer frischen
Galläpfeltinte. Die Alizarintinte mußte aber, außer Eisenvitriol und Holzessig, noch
andere färbende Materien enthalten, denn es gelang mir nicht, mit diesen beiden
Substanzen eine so dunkle Flüssigkeit zu erzielen, als das käufliche Product ist.
Ich schritt daher zu einer genauem Untersuchung des letztern.
Die Alizarintinte besitzt eine dunkelgrüne ins Blaue stechende Farbe, ist nur in
dünnen Schichten durchsichtig, riecht specifisch nach rohem Holzessig, schmeckt nach
letzterem, zugleich auch tinteartig, und reagirt entschieden sauer (in den
Anpreisungen heißt es sie sey nicht sauer). Ursprünglich nur äußerst wenig eines
dunkelblauen Salzes enthaltend, läßt sie beim Stehen an der Luft weit mehr davon
fallen.
setzt man ihr starke Salzsäure zu, so verschwindet der grüne Ton und der blaue bleibt
allein übrig, auch dann noch wenn die Probe erhitzt wird. Dieß Verhalten deutet auf
die Gegenwart einer sehr beständigen blauen Farbe, welche sich auch bald als Indigo erwies, denn als ich den Versuch statt mit
Salzsäure, mit Salpetersäure wiederholte, erfolgte in der Wärme Zerstörung der Farbe
und die Flüssigkeit sah jetzt bräunlichgelb aus.
In der mit Salzsäure versetzten Tinte brachte Schwefelwasserstoff keine Veränderung
hervor.
Ammoniak erzeugte in der Tinte einen starken violettbraunen stockigen Niederschlag,
der durch Ammoniumsulphid sofort kohlschwarz wurde.
Kohlensaures Kali verhielt sich ähnlich wie Ammoniak.
Baryumchlorid gab eine weiße, in Säuren unlösliche Trübung.
Eisenchlorid verdunkelte und trübte die Tinte stark ins Blaue.
Kaliumeisencyanid erzeugte einen starken schwarzblauen Niederschlag.
Leimlösung brachte die Tinte fast ganz zum Stocken, und bei weiterer Verdünnung mit
Wasser setzten sich dicke Schmutzigweiße Flocken ab.
Durch vorstehendes Verhalten war die Natur der Alizarintinte entschleiert; sie
besteht hiernach aus gewöhnlicher Galläpfeltinte, mit einem
Beisatze von rohem Holzessig und Indigosolution! – Die Angabe in der
Leipziger Illustrirten Zeitung (1856, 2. Febr.), die Alizarintinte enthalte
Oxalsäure, ist irrig, denn wenn man die Tinte mit einer Auflösung von kohlensaurem Kali kocht,
filtrirt, das Filtrat mit Essigsäure übersättigt und dann Kalkwasser hinzufügt, so
erfolgt keine Trübung.
Es handelte sich jetzt noch darum, die Tinte genau nachzumachen; hierzu waren einige
quantitative Bestimmungen erforderlich.
1 Unze Tinte hinterließ beim Eintrocknen 24 Gran einer spröden, jedoch
hygroskopischen Masse, die durch Verbrennen 4 Gran braunrothe Asche gab, worin 3,06
Gran Eisenoxyd enthalten waren, welche 2,754 Gr. Eisenoxydul entsprechen.
1 Unze Tinte gab, nach dem Ansäuren mit Salzsäure, durch Fällen mit Baryumchlorid
3,41 Gr. schwefelsauren Baryt, worin 1,17 Gr. Schwefelsäure. Diese erfordern zur
Bildung von Eisenvitriol 1,053 Gr. Eisenoxydul und entsprechen 4,064 Gr.
krystallisirtem Eisenvitriol.
Die Tinte enthält also weit mehr Eisen als dem darin befindlichen Eisenvitriol
entspricht. Dieser Ueberschuß an Eisen rührt keineswegs von vorhandenem Berlinerblau
her; auch könnte letzteres nur durch Vermittelung von Oralsäure aufgelöst in der
Tinte seyn, in meiner Tinte war aber keine Oralsäure. Der Eisenüberschuß ist
offenbar ein rein zufälliger, einestheils bedingt durch die übrigen Materialien
(Indigo, Gummi liefern ja eisenhaltige Aschen), anderntheils durch in der
angewandten Portion Tinte fein suspendirtes gerbsaures Eisen.
Auf folgende Weise erhielt ich eine Tinte, welche von der käuflichen Alizarintinte
sich in nichts unterschied.
100 Gewichtstheile gepulverte Galläpfel wurden mit 1200 Theilen rohem Holzessig ein
paar Tage lang in gelinder Wärme digerirt, filtrirt und der Filterinhalt so lange
mit rohem Holzessig nachgewaschen, bis das Filtrat wieder 1200 Theile betrug. In
diesem klaren braunen Auszuge löste man 12 Theile Eisenvitriol und 50 Theile
arabisches Gummi auf, ließ wieder einige Tage unter fleißigem Umrühren stehen und
setzte schließlich noch so viel Indigosolution hinzu, daß das Ganze 1500 Theile wog.
(Die dazu verwendete Indigosolution war durch Auflösen von 1 Theil Indigo in 4
Theilen rauchender Schwefelsäure, Verdünnen der Masse mit Wasser, Fällen der
Flüssigkeit mit kohlensaurem Kali, Sammeln des blauen Niederschlags auf einem Filter
und Waschen desselben mit Wasser, bereitet worden. Bekanntlich fängt dieser blaue
Niederschlag an sich in Wasser zu lösen, wenn das anhängende schwefelsaure Kali
ziemlich entfernt ist; und eben diese Lösung des blauen Niederschlags – des
sogenannten Indigocarmins – in Wasser war es, welche ich zur Alizarintinte verwandte.) Beim
Zumischen der Indigosolution nimmt die violettblaue Galläpfeltinte sogleich den der
Alizarintinte eigenen dunkelgrünen Ton an.