Titel: Ueber das Polar-Planimeter; von J. Amsler.
Fundstelle: Band 140, Jahrgang 1856, Nr. LXXIII., S. 321
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LXXIII. Ueber das Polar-Planimeter; von J. Amsler. Mit Abbildungen auf Tab. V. Amsler, über das Polar-Planimeter. Die zahlreichen Abhandlungen, welche in neuester Zeit über Planimeter von verschiedenartiger Construction geschrieben wurden, zeigen daß allgemein das Bedürfniß nach einem einfachen Instrumente dieser Art gefühlt wird. Ein Planimeter herzustellen, welches genauere Resultate gibt, als ein gut gearbeitetes Wetli'sches oder Hansen'sches Instrument, ist eine Aufgabe, die an und für sich interessant, aber kaum von praktischem Belang ist. Das von mir construirte Polar-Planimeter Eine kurze Notiz darüber findet man Cosmos, T. VIII p. 212; eine ausführliche Besprechung und Vergleichung mit andern Planimetern enthält die Vierteljahresschrift der naturf. Gesellschaft in Zürich im ersten und zweiten Heft. Diese Abhandlung erschien besonders abgedruckt bei Beck und Sohn in Schaffhausen, unter dem Titel: Ueber die mechanische Bestimmung des Flächeninhaltes, der statischen Momente und der Trägheitsmomente ebener Figuren, insbesondere über ein neues Planimeter. Von J. Amsler.“ dürfte, nach vielfältigen Erfahrungen, den meisten praktischen Anforderungen genügen, indem es ausreichend genau, äußerst einfach, bequem zu handhaben und wohlfeil ist. Ich betrachte es daher als eine Art Pflicht, das Instrument in weitern Kreisen bekannt zu machen und für die Anfertigung brauchbarer Exemplare zu sorgen. Von den verschiedenartigen Formen, in welchen ich hier das Planimeter ausführen ließ, schienen vorzugsweise zwei sich zu empfehlen, welche in natürlicher Größe in Fig. 1, 2 und 3 auf Tab. V dargestellt sind. Fig. 1 und 2 zeigen Grund- und Aufriß des einen Instruments, Fig. 3 stellt das andere im Grundriß dar. Zum Gebrauche setzt man das Planimeter so auf das die Zeichnung enthaltende Papier, wie Fig. 1 zeigt, daß nämlich die Rolle D, die Nadelspitze E und die Spitze des Fahrstiftes F aufsitzen, und drückt die Spitze E sanft gegen das Papier. Sodann bringt man die Spitze F auf einen bezeichneten Punkt des Umfangs der zu messenden Figur, und liest den Stand der Rolle D ab. Nun verfolgt man den Umfang (von rechts nach links herum) bis man auf den Ausgangspunkt zurückkommt, liest abermals den Stand der Rolle ab und subtrahirt die zweite Ablesung von der ersten. Befindet sich die Spitze E (der Pol) außerhalb der umfahrenen Figur, so gibt die gefundene Differenz unmittelbar den gesuchten Inhalt an. Die Flächeneinheit, in welcher dieser ausgedrückt ist, richtet sich nach der Stellung, welche der in der Hülse H mit mäßiger Reibung verschiebliche Stab A einnimmt. Die an seiner obern Fläche angebrachte Theilung dient zur Einstellung für eine gewünschte Maaßeinheit. Befindet sich dagegen die Spitze E innerhalb der umfahrenen Fläche, so muß man vor der Subtraction zur ersten Ablesung der Rolle D eine Zahl addiren, welche auf einer Seitenfläche des Stabes A zunächst neben dem Theilstrich gravirt ist, auf welchen man eingestellt hat. Das in Fig. 3 dargestellte Instrument unterscheidet sich von dem vorigen nur dadurch, daß der Stab A eine unveränderliche Länge hat, daß man also die Flächeninhalte immer in derselben Einheit ausgedrückt erhält. Die Dimensionen beider Instrumente sind so gewählt, daß sie bequem einem mathematischen Bestecke beigefügt werden können. Ein wesentlicher Punkt ist die Wohlfeilheit der Instrumente. Ein Instrument von der in Fig. 1 und 2 dargestellten Einrichtung kostet in Schaffhausen inclusive Etui 50–60 Frcs. (23 fl. 48 kr. bis 28 fl. 36 kr.); ein Instrument mit unverstellbarem Fahrstift kostet 45–50 Fr. (21 fl. 30 kr. bis 23 fl. 48 kr.).In Frankreich, England, den Vereinigten Staaten und Bayern, wo das Polarplanimeter patentirt ist, kann man es bei nachgenannten Mechanikern beziehen: in Paris bei Lerebours und Secretan. Place du pont neuf 13; in London bei Gebrüdern Elliott, 56 Strand; in Philadelphia bei Amsler und Wirz, 211 Chestnut street; in München bei T. Ertel und Sohn. – In Zürich verfertigt es J. Goldschmid. Eine einläßliche Untersuchung eines in gutem Stande befindlichen Polar-Planimeters von einem competenten Fachmann hat bis jetzt, meines Wissens, noch nicht stattgefunden, steht aber in Aussicht. – Dagegen erhielt ich über mehrere in Gebrauch befindliche Instrumente Nachricht, die sich sämmtlich in der Anwendung beim Eisenbahnbau, bei Katastervermessungen und beim Maschinenbau bewährten. – Mit meinen eigenen zahlreichen Erfahrungen (ich habe bis jetzt selbst etwa hundert solcher Planimeter repassirt und adjustirt) halte ich zurück, bis sich eine unparteiische Stimme über den Gegenstand hat vernehmen lassen. Um den „bescheidenen Zweifeln“ des Hrn. Professor Decher und Anderer, die sich für die Sache interessiren, zu begegnen, bin ich bereit, jedem Fachmann der sich deßhalb direct an mich wendet und mich gegen Schaden und Auslagen sicher stellt, ein Polar-Planimeter für kurze Zeit auf Probe zuzusenden. Dadurch dürfte eine weitläufige Besprechung der von genanntem Herrn in der citirten Abhandlung gemachten kritischen Bemerkungen überflüssig werden; indessen möchten die nachfolgenden Zeilen denjenigen Lesern nicht unangenehm seyn, welche sich eine richtige theoretische Ansicht über den Gegenstand bilden wollen. Die im Cosmos angedeutete und von Hrn. Prof. Decher in diesem Journal mitgetheilte Theorie des Polar-PlanimetersPolytechn. Journal Bd. CXL. S. 39 (erstes Aprilheft 1856). ist ohne Zweifel die einfachste, welche sich davon geben läßt; für den mit den Principien des Infinitesimalcalculs Vertrauten ist sie vollkommen streng; sie ist aber auch für denjenigen verständlich, welcher nur die Elemente der Mathematik kennt.Die auf S. 33, Zeile 15 von unten, in der Decher'schen Abhandlung angeführte Stelle ist allerdings nicht klar genug; sie könnte etwa so heißen: ...daß die über einander liegenden Theile der Flächenelemente abwechselnd positiv und negativ sind...“. Dagegen ist der von Hrn. Professor Decher als „strenger und bündiger“ ausgegebene analytische Beweis unrichtig, wie gezeigt werden soll. Auf Seite 36 seiner Abhandlung wird durch Δω die Aenderung des Coordinatenwinkels XCA (Taf. I, Fig. 6) bezeichnet. Weiterhin folgt die Gleichung ρΔφ'=hΔω. Allein hierin bezeichnet Δω offenbar die Aenderung des Winkels XCD, sollte also durch ein anderes Zeichen, z.B. durch Δω' ersetzt werden. Allerdings wird dieser Gleichung die Bemerkung vorausgeschickt, daß für ein constantes r und h die Aenderungen der Winkel XCA und XCD einander gleich seyen. Allein in der nachfolgenden Gleichung / = /(2) – (a² + b² + 2ac)/(2) welche aus der obigen abgeleitet ist, wird r nicht als constant angesehen. Daß aber mit r zugleich sich auch der Winkel ACD, also auch der Winkel XCD ändert, wenn auch XCA constant bleibt, ist klar. Für veränderliches r sind also Δω und Δω' verschieden, und daher auch die Differentialen und dω'. Vorstehende Gleichung muß also richtig so heißen /dω' = /(2) – (a² + b² + 2ac)/(2) und auf Seite 37 muß durchweg dω' statt geschrieben werden. Nun läßt sich freilich leicht beweisen, daß die beiden daselbst für φ₁ – φ₀ gegebenen Ausdrücke ihre Werthe nicht ändern, wenn mit dω' vertauscht wird, vorausgesetzt daß die Gerade AB am Anfang und Ende der Bewegung genau die gleiche Lage einnimmt, und außerdem bezüglich auf die Gerade BC nicht eine ganze Umdrehung ausgeführt hat (eine Bedingung, die bei der für das Polar-Planimeter gewählten Einrichtung immer erfüllt ist). Dagegen sind die Ausdrücke für Δφ und Δφ durchaus unrichtig, außer in dem singulären Fall, wo die den Werthen ω₀ und ω₁ entsprechenden Werthe von r (die vom Pol aus an dem Umfang der Figur gezogenen Tangenten) einander gleich sind. Ich erlaube mir, bei dieser Gelegenheit Hrn. Prof. Decher darauf aufmerksam zu machen, daß er genau das nämliche Versehen bei der theoretischen Entwicklung der von ihm erfundenen beiden Planimeter begangen hatPolytechn. Journal Bd. CXXXVI S. 168 und in diesem Bande (CXL) S. 40., indem er beidemal das Differential des dem Fahrstrahl r entsprechenden Polarwinkels mit dem Differential eines Winkels verwechselt, der sich nach einem ganz andern Gesetze ändert. Dagegen sind seine Endresultate richtig, weil sich die Unterschiede fortheben, wenn die Integration über den Umfang einer geschlossenen Figur ausgedehnt wird. Was die praktische Würdigung des Polar-Planimeters durch Hrn. Prof. Decher anbetrifft, so liegt derselben eine etwas seltsame, unklare geometrische Vorstellung vom Spiele des Laufrädchens zu Grunde; sonst würde er erkannt haben, daß dieses bei meinem Instrumente durchaus den nämlichen Bedingungen unterworfen ist, wie beim Wetli'schen, Bouniakovsky'schen, Decher'schen Planimeter. Bei allen beschreibt der Punkt, in welchem das Laufrädchen seine (feste oder bewegliche) Unterlage berührt, auf derselben eine gewisse Curve, während das Rädchen eine theils rollende, theils gleitende Bewegung ausführt, theils sich um eine verticale Achse dreht (nämlich relativ gegen die Unterlage). Bekanntlich kann aber jede nach einem willkürlichen Gesetze in einer Ebene erfolgende Bewegung einer Geraden auf unendlich viele Arten auf eine fortschreitende und eine drehende oder auf zwei drehende Bewegungen zurückgeführt werden, und zwar kann einer der Drehpunkte fest angenommen werden, oder beliebig veränderlich seyn. Die Natur jener Bewegung hängt aber offenbar durchaus nicht davon ab, in welcher Art man sie auf andere Bewegungen zurückführt, sey es bloß in der Vorstellung oder durch die Art und Weise wie man sie wirklich hervorbringt. – Ob also Drehungen, oder Parallelverschiebungen und Drehungen, oder irgend andere zusammengesetzte BewegungenDas Planimeter von Gierer in Fürth z.B. beruht auf der Anwendung einer Leitcurve. benutzt werden, um ein Planimeterrädchen nach einem bestimmten Gesetz zu führen, ist an und für sich durchaus gleichgültig. Von praktischer Wichtigkeit aber ist es, die Gliederung des Apparates möglichst einfach zu machen. Beim Polar-Planimeter ist die Führung des Laufrädchens auf zwei einfache Drehungen zurückgeführt, oder wenn man den vom Punkte B (Taf. I, Fig. 7) durchlaufenen Kreisbogen durch eine Gerade ersetzt, auf eine einfache Drehung und eine Parallelverschiebung; woraus sofort hervorgeht, daß das Instrument die einfachste Gestalt besitzt, welche unter Anwendung eines Laufrädchens überhaupt denkbar ist. – Zugleich wird man hieraus erkennen, daß die in Decher's Abhandlung (in diesem Bande des polytechn. Journals auf S. 39) angestellten Betrachtungen, welche sich auf eine übel angebrachte abstracte Vorstellung stützen, keinen realen Inhalt haben. Was auf Seite 38 gesagt ist, weist gleichfalls keinen dem Polar-Planimeter eigenthümlichen Nachtheil nach. Allerdings macht die Unsicherheit bei der gleitenden Bewegung der Laufrolle dem Mechaniker Schwierigkeit (die sich freilich, wie ich durch sehr zahlreiche Versuche gefunden habe, fast gänzlich beseitigen läßt). Allein dieses trifft alle mit Laufrolle versehenen Planimeter gleichmäßig. – Wie schon bemerkt, beschreibt bei allen der Berührungspunkt des Laufrädchens eine gewisse Curve auf seiner Unterlage. So lange die Projection der Rädchenachse mit der Bewegungsrichtung (mit der Tangente an jene Curve im jeweiligen Berührungspunkt) einen rechten Winkel bildet, findet eine rein rollende Bewegung statt; eine rein gleitende Bewegung dagegen, wenn dieser Winkel = 0 ist. Jenes ist der für das Spiel des Apparates günstigste, dieses der ungünstigste Fall. Aber beide Fälle treten in der Praxis nur ausnahmsweise und momentan ein; wiewohl sich für jedes Instrument der bezeichneten Gattung gewisse (praktisch aber ganz zu umgehende und bedeutungslose) Curven auffinden lassen, bei deren Messung das Laufrädchen beständig oder hauptsächlich unter den günstigsten oder ungünstigsten Verhältnissen wirkt. Beschreibt z.B. beim zweiten Decher'schen Planimeter (Tab. I, Fig. 10) der Punkt A einen Kreisbogen, dessen Centrum der als fest angenommene Punkt D, und dessen Radius = AD ist, so gleitet das Laufrädchen beständig. Schließt sich die von A durchlaufene Curve nur sehr nahe an einen solchen Bogen an, so tritt genau der auf S. 38 bezeichnete Fall ein, welcher nach Hrn. Prof. Decher's Ansicht dem Polar-Planimeter den Hals brechen soll. Es wäre sogar nicht schwer nachzuweisen, daß die Uebelstände dieser Gattung für die praktisch wichtigen Fälle am schwierigsten beim Bouniakovsky'schen und Decher'schen, am vollständigsten beim Wetli'schen Planimeter beseitigt werden können; das Polar-Planimeter hält die Mitte ein. Was die in der Praxis einzuhaltenden Fehlergränzen anbelangt (vergl. S. 39), so habe ich meine Ansicht darüber in der oben citirten Abhandlung auseinander gesetzt, worauf ich verweise. Es wäre mir aber lieb, eines Bessern belehrt zu werden, und eine Reihe von Beispielen kennen zu lernen, wo bei Flächenberechnungen eine Genauigkeit über 1/300 einen wirklich praktischen (nicht bloß illusorischen) Zweck hat. – Ob aber dieser Grad von Genauigkeit gar so leicht mittelst eines Schätzquadrates erreicht wird, als Hr. Prof. Decher zu glauben scheint, werden diejenigen Leser zu beurtheilen wissen, welche mit diesem Instrumente zu arbeiten im Falle waren. Daß endlich Figuren, deren eine Dimension sehr klein ist, überhaupt mit keinem Instrumente, und folglich auch mit keinem Planimeter genau berechnet werden können, ist klar; im übrigen ist es, bei gehöriger Handhabung des Polar-Planimeters, gleichgültig was für eine Gestalt die damit auszumessenden Flächen haben. Schließlich sey mir noch die Bemerkung erlaubt, daß das Decher'sche Planimeter noch einer sehr wesentlichen Umformung fähig ist, wodurch abermals zwei Lineale und zwei Drehungen wegfallen. In Fig. 4, Tab. V bezeichne EC ein um den festen Pol C drehbares Lineal. Ein zweites, bei A mit dem Fahrstift versehenes Lineal AD sey damit durch die verticale Achse D verbunden. Längs des Lineals EC sey die dazu senkrechte Laufrolle aa so verschieblich, daß beständig < AHD = 90º ist. (Es kann dieses durch die von Hrn. Prof. Decher vorgeschlagene Einrichtung erreicht werden, aber auch durch einen von H nach der Mitte von AD gehenden Stab, dessen Enden um verticale Achsen drehbar sind; dadurch wird eine Schiebung durch eine Drehung ersetzt). Macht man C D = DA = a, das veränderliche CA = r, so ist offenbar CA = r²/2a Also in der von Hrn. Prof. Decher eingeführten Bezeichnung Δφ/Δω = /2 (wo aber Δω wie oben bemerkt, nicht die Veränderung des Polarwinkels bezeichnet, welchen die Gerade AC bildet). Statt verlängert durch den Punkt C zu gehen, braucht die Achse der Rolle nur parallel zu DC zu seyn. Schaffhausen, den 12. Mai 1856.

Tafeln

Tafel Tab.
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Tab. V