Titel: | Ueber Verbesserungen in der Construction der Turbinen, nach Girard. |
Fundstelle: | Band 140, Jahrgang 1856, Nr. XCVI., S. 412 |
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XCVI.
Ueber Verbesserungen in der Construction der
Turbinen, nach Girard.
Nach verschiedenen Berichten in den Comptes rendus
1849–1855 zusammengestellt von H. Tellkampf. – Aus der Zeitschrift des
hannoverschen Architekten- und Ingenieur-Vereins, 1856,
Bd. II S. 79.
Mit Abbildungen auf Tab.
VI.
Ueber Girard's Verbesserungen.
Ein großer Uebelstand, welcher sich einer häufigeren Benutzung der Turbinen
entgegenstellt, beruht darin, daß dieselben eigentlich nur bei einem bestimmten
Ausschlagsquantum, wofür sie gerade berechnet sind, ihren größten Nutzeffect von 60
bis 75 Procent geben, und daß dagegen durch Veränderungen im Aufschlagsquantum der
Wirkungsgrad jedesmal erheblich vermindert wird, und zwar viel mehr, als solches bei
verticalen Wasserrädern der Fall ist. Z.B. bei der Turbine zu Mühlbach (siehe
d'Aubuisson's Hydraulique S. 466, oder Morins
Expériences sur les Turbines) fand man den
Wirkungsgrad bei vollem Aufschlagsquantum, d.h. als sämmtliche Schützen geöffnet waren, gleich 75
Procent, dagegen verminderte sich derselbe bis auf 37 Procent, als nur 1/6 der
Schützen offen waren. Ferner ist die Construction und Aufstellung der Turbinen,
namentlich solcher mit Leitschaufel-Apparaten, immer ziemlich verwickelt und
in der Regel bedeutend kostspieliger, als bei den ober- oder
mittelschlächtigen Wasserrädern von gleicher Leistung.
Während der letzten Jahre sind in Frankreich von dem Civil-Ingenieur Girard verschiedene nicht erfolglose
Versuche gemacht worden, Verbesserungen in der Construction der Turbinen einzuführen
und dabei die oben genannten Uebelstände nach Möglichkeit zu beseitigen oder
wenigstens zu vermindern. Diese Versuche dürften bei der großen Wichtigkeit, welche
eine möglichst vortheilhafte Benutzung der Wasserkraft für die Entwickelung und
Belebung der Industrie hat, allgemeine Beachtung verdienen, und es werden deßhalb
einige kurze Mittheilungen über diesen Gegenstand nicht ohne Interesse seyn.
Die von Girard nach und nach eingeführten Verbesserungen
bestehen dem Wesentlichen nach im Folgenden: Alle die von ihm erbauten Turbinen sind
im Allgemeinen nach dem Fontaine-Jonval'schen Systeme (siehe Weisbach's Ingenieur-Mechanik, Bd. II S. 315 oder polytechn.
Journal, 1844, Bd. XCIV S. 118) construirt, jedoch mit dem Unterschiede, daß der
Leitschaufel-Apparat ganz fehlt, wodurch natürlicher Weise die Construction
erheblich vereinfacht und billiger gemacht wird. Ferner gibt Girard den Radschaufeln im Durchschnitt eine flachere Neigung gegen den
Horizont, als bei den Fontaine'schen Turbinen der Fall
ist, und zwar aus dem Grunde, um das Wasser nicht zu schnell durch das Rad
hindurchlaufen zu lassen, so daß es möglichst viel von seiner lebendigen Kraft an
die Radschaufeln zur Bewegung des Rades abgeben kann (?).
Diese Anordnung soll wesentlich dazu beitragen, zu bewirken, daß das Rad sowohl bei
schneller, als langsamer Umdrehung, sowohl bei großem, als kleinem Aufschlagsquantum
einen ziemlich unveränderten Wirkungsgrad beibehält, was bekanntlich für manche
Industriezweige, wo solche verschiedene Geschwindigkeiten für die Fabrication zu
Zeiten erforderlich sind, von großer Wichtigkeit ist.
Eine ganz eigenthümliche, vielfach von Girard ausgeführte
Verbesserung besteht ferner in der Anwendung der sogenannten Hydropneumatisation. Dabei befindet sich die Turbine in einer möglichst
dicht gegen den Zugang der äußeren Luft abgeschlossenen Radstube, worin die Luft
durch eine von der Turbine getriebene Luftpumpe bis zu einem gewissen Grade
comprimirt wird. Diese verdichtete Luft übt dann natürlich einen bedeutenden Druck auf das
Unterwasser in der Radstube aus und bewirkt, daß der Unterwasserstand innerhalb der
Radstube erheblich niedriger als außerhalb derselben wird. Durch diese eben so
sinnreiche, als einfache Vorrichtung wird also verhindert, daß das Rad durch einen
zu hohen Stand des Unterwassers, wie man zu sagen pflegt, ersäuft werde, d.h. zu
sehr in seinem Gange aufgehalten werde; ferner kann man auch dadurch das
Aufschlagquantum nach Belieben reguliren, indem man die Dichtigkeit und den Druck
der Luft verstärkt oder vermindert, und folglich den Unterwasserstand in der
Radstube je nach Erforderniß mehr oder weniger senkt. Das Gefälle des Wassers in der
Radstube soll nach Girard's
Angaben durch Anwendung der Hydropneumatisation eher vergrößert als verkleinert
werden. Das beste Zeugniß von der Zweckmäßigkeit dieser Einrichtung liefern die
vielfältigen Anwendungen, welche davon bereits in wenigen Jahren gemacht worden
sind.
Neuerdings hat Girard bei den von ihm construirten
Turbinen auch noch die Verbesserung angebracht, daß er die Breite der Radschaufeln
von oben nach unten hin fortwährend zunehmen läßt, indem er den beiden Radkränzen,
wozwischen die Schaufeln sich befinden, keine senkrechte Richtung gibt, sondern
deren Richtungen nach oben hin convergiren läßt. Er bezweckt hierdurch, daß das
Wasser, welches während seiner Bewegung von oben nach unten in den Schaufelcanälen
fortwährend von seiner anfänglichen Geschwindigkeit an das Rad abgibt, also sich
immer langsamer bewegt, auch immer entsprechend größere Querschnitte zu durchlaufen
findet, derartig, daß in jedem beliebigen Augenblicke der Bewegung das Product aus
der Geschwindigkeit des Wassers und dem zugehörigen Querschnitte der Radcanäle eben
so groß wie beim Eintritte des Wassers in das Rad und beim Austritte aus demselben
seyn muß. Es sollen auf diese Weise die sonst so schädlichen Wirbel des Wassers in
den Radcanälen ziemlich vollständig vermieden werden.
Endlich hat Girard auch noch den Versuch gemacht, ein
Turbinenrad von ganz derselben Art und Weise, wie die eben beschriebenen, nicht
horizontal, sondern vertical anzubringen und zwar so, daß der Wasserstrom auf die
Vorderfläche des Rades und nicht, wie bei den gewöhnlichen verticalen Wasserrädern,
auf deren schmale Seitenfläche trifft. Solche verticale
Turbinen (mit horizontaler Achse) sind namentlich mit Vortheil zur
Benutzung mit sehr geringem Gefälle bei beträchtlicher Wassermenge zu verwenden, da
bekanntlich die sonst gebräuchlichen unterschlächtigen Wasserräder sich nur sehr
langsam drehen, in der Regel nur 15–25 Procent Nutzeffect geben und einen
kostspieligen und weitläuftigen Apparat erfordern, um sich nebst dem Schnurgerinne
bei wechselnden Wasserständen auf- oder abwärts verstellen zu lassen. Es würden
daher die verticalen Turbinen ebenso, wie die unterschlächtigen Wasserräder,
vorzüglich dazu dienen, in größeren Flüssen und Strömen, wo ein erhebliches
Aufstauen des Wassers unzulässig ist, die Geschwindigkeit des fließenden Wassers zur
Bewegung des Rades auszunutzen; sowohl im festen Gerinne, wie auch als
Schiffsmühlenräder würden sie wahrscheinlich mit Vortheil zu verwenden seyn. Eine
Anwendung der Hydropneumatisation ist bei den im festen Gerinne liegenden verticalen
Turbinen weniger erforderlich als bei den horizontalen, da der Nutzeffect der
ersteren auch bei wechselnden Wasserständen fast ganz derselbe bleibt, indem bei
höherem Wasserstande zwar das Rad durch das höhere Unterwasser mehr aufgehalten
wird, aber auch zugleich durch das höhere Oberwasser mehr Radschaufeln gleichzeitig
getroffen und in Bewegung gesetzt werden, als solches bei niedrigem Wasserstande der
Fall ist.
In den Comptes rendus der französischen Akademie der
Wissenschaften vom 30. April 1855 (mitgetheilt im polytechn. Journal Bd. CXXXVII S. 10) findet sich die kurze
Beschreibung einer von Girard construirten verticalen
Turbine in der Chocolade-Fabrik von Ménier und
Comp. in Noisiel sur Marne. Dieses Rad, dessen Construction aus der in den
Figuren
14 und 15 gegebenen Skizze hervorgeht, hat sich vorzüglich deßhalb als sehr
zweckmäßig bewährt, weil es jederzeit sowohl, als bei niedrigem Wasserstande der
Marne kaum die Hälfte des Rades in das Wasser eintauchte, wie auch, als bei
Hochwasser das ganze Rad vom Wasser überfluthet war, den erforderlichen Nutzeffect
gab, um die Mühle fortwährend im Gange erhalten zu können.
Das Rad liegt in einem festen Gerinne, welches sich der Form des Rades anschließt,
und ist nicht zur Hydropneumatisation eingerichtet, überhaupt auch nicht in eine
Radstube eingeschlossen, sondern arbeitet in freier Luft. Es trägt an seinem äußeren
Umfange einen conischen Zahnkranz, welcher die Bewegung einem oben darüber
befindlichen kleinen Kegelrade mittheilt, durch dessen stehende Welle sie sich dann
in das Innere der Mühle weiter fortpflanzt. Die Breite der Radschaufeln erweitert
sich in der oben beschriebenen Weise von der Vorder- nach der Hinterfläche
des Rades zu, wie auch aus der Zeichnung ersichtlich ist. Die horizontale Welle,
woran das Turbinenrad befestigt ist, hat ihre Zapfenlager innerhalb der beiden
festliegenden kegelförmigen Körper von Eisenblech, welche sich auf der vorderen und
hinteren Seite des Rades befinden und durch je zwei horizontale, eiserne Arme von
linsenförmigem Querschnitte (wodurch das Wasser am wenigsten gehemmt wird) an den
Seitenmauern des Gerinnes befestigt sind. Die aus der Zeichnung hervorgehende,
eigenthümlich geschweifte Form des Blechkegels und des Gerinnbodens an der Vorderseite des Rades
ist deßhalb gewählt worden, damit das Wasser möglichst ohne Contraction dem Rade
zugeführt werde. Nach Girard's
Angabe soll diese verticale Turbine auch noch den Vorzug vor den gewöhnlichen
Reactionsrädern haben, daß hier nur ein sehr unerheblicher Wasserverlust durch die
Zwischenräume zwischen den Radkränzen und dem Gerinne, so wie den festen Blechkegeln
zu beiden Seiten des Rades stattfindet.
Ueber die Hydropneumatisation im Allgemeinen und insbesondere deren Anwendung auf
horizontale Turbinen finden sich in den Comptes rendus
aus den Jahren 1849 bis 1852 einige kurze Mittheilungen, deren Erwähnung ebenfalls
von Interesse seyn dürfte. Unter dem 17. December 1849 wird zunächst die Anwendung
der Hydropneumatisation auf Wasserräder angedeutet, und dann auch die Einrichtung
einer selbstwirkenden, hydropneumatischen Schützenvorrichtung kurz beschrieben, die
vorzüglich bei festen Mühlwehren zweckmäßig anzubringen ist. Bekanntlich äußern
nämlich solche Wehre häufig einen sehr schädlichen Einfluß auf die umliegenden
Ländereien, indem sie bei hohen Wasserständen das Oberwasser dergestalt aufstauen,
daß Ueberschwemmungen eintreten. Selbst wenn die Wehre mit gewöhnlichen Ziehschützen
versehen sind, so werden die letzteren bei Hochwasser doch nur selten geöffnet,
theils aus Unachtsamkeit, theils aus Furcht, daß sie durch das heftige
Hindurchströmen des Wassers beschädigt werden könnten. In dieser Hinsicht sind nun
gerade die hydropneumatischen Schützenvorrichtungen zu empfehlen, weil dieselben
sich selbst reguliren und eine Gefahr für das Wehr beim Hindurchströmen des Wassers
nicht befürchten lassen, da sie in der Regel ganz unabhängig von den Wehren angelegt
werden. Sie bestehen aus einem gehörig langen und weiten Canal in Form eines Hebers,
der meistens seitwärts im Ufer neben dem Wehr vorbeigeführt wird, und wovon das eine
Ende in das Oberwasser, das andere in das Unterwasser eintaucht. Im mittleren Theile
dieses Canales, der heberförmig nach oben gebogen ist, befindet sich Luft, welche
durch eine Luftpumpe nach Belieben comprimirt werden kann und vermöge ihrer
Elasticität einen entsprechenden Druck auf das Wasser in beiden Enden des Canales
ausübt, so daß das letztere verhindert wird bei niedrigen Wasserständen durch den
Canal hindurchzufließen. Bei Hochwasser wird aber auf eine angemessene Weise, etwa
durch Vermittelung eines Schwimmers, ein auf dem höchsten Punkte des Canales
angebrachtes Ventil durch den steigenden Wasserstand selbst geöffnet, so daß dann
die comprimirte Luft aus dem Canale entweichen und das Wasser frei hindurchströmen
kann. Eine solche
hydropneumatische Schützenvorrichtung kann auch vielleicht zweckmäßiger Weise bei
Schleußen und Festungswerken Anwendung finden.
In den Comptes rendus vom 6. October 1851 und vom 23.
Februar 1852 wird über Versuche berichtet, welche in der Papiermühle von Dufay zu Egreville mit einer älteren, nach dem Fontaine'schen Systeme construirten Turbine, welche
nachträglich von Girard zur Hydropneumatisation
eingerichtet worden war, angestellt wurden. Der Leitcurven-Apparat dieser
Turbine enthielt 40 Leitschaufeln, deren Zwischenräume von oben durch kleine
Schützen, wovon ein jeder einzeln gehandhabt werden konnte, verschließbar waren. Aus
denjenigen Versuchen, die bei niedrigem Wasserstande und ohne Benutzung der
Hydropneumatisation angestellt wurden, ergab es sich, daß für Geschwindigkeiten des
Rades zwischen 18 und 27 Umgängen und für Wassermengen von 651 bis 2304 Litern (je
nachdem 6 bis 20 von den oben genannten Schützen geöffnet waren) per Minute der Nutzeffect ziemlich unverändert gleich 70
bis 75 Procent blieb, aber bis auf 60 Procent abnahm, als die Turbine derartig
belastet wurde, daß sie nur 9 bis 10 Umgänge per Minute
machte. Es wurden ferner bei hohem Wasserstande Versuche mit und ohne Anwendung der
Hydropneumatisation an derselben Turbine angestellt und zwar im letzteren Falle, um
genaue Resultate zu erhalten, die Bewegung der Luftpumpe gehemmt, indem deren
Verbindung mit der Turbine ausgerückt wurde. Aus diesen Versuchen ging nun als
Durchschnittsresultat hervor, daß bei hohem Wasser der Nutzeffect der Turbine durch
die Anwendung der Hydropneumatisation um 20 bis 25 Procent seines sonstigen Werthes
vermehrt wurde.
Das Vorstehende darf nur als eine kurze Uebersicht der verschiedenen von Girard ersonnenen und ausgeführten Verbesserungen in der
Construction der Turbinen, so wie der Mühlwehre etc., angesehen werden. Wer sich
genauer und ausführlicher darüber zu unterrichten wünscht, muß hier auf die
folgenden Schriften Girard's
verwiesen werden:
Nouveaux Barrages dits Barrages Hydropneumatiques fixes et
mobiles, 1850, Preis 5 Francs.
Turbine sans directrices, 1854, Preis 5 Fr.
Nouveau Récepteur hydraulique, dit
Roue-Hélice à axe horizontal, ou Turbine sans
directrices, 1855, Preis 1 Fr.
Aus dieser letztgenannten, kleinen Broschüre ist die Zeichnung der verticalen Turbine
(Fig. 14
und 15)
entnommen; daselbst sind auch zwei Tabellen mitgetheilt, welche eine
Zusammenstellung der sämmtlichen, bisher während der Jahre 1851–1855 nach den Girard'schen Systemen construirten Turbinen enthalten, im
Ganzen 130 Stück, wovon etwa die Hälfte zur Anwendung der Hydropneumatisation
eingerichtet ist, die Hälfte in gewöhnlicher Weise in freier Luft sich bewegt.
Besonders bemerkenswerth sind darunter die zwei verticalen Turbinen mit horizontaler
Welle, welche beide nach der oben gezeichneten Construction für ein Gefälle von 1/2
Meter in der Chocolademühle von Ménier und Comp.
in Noisiel für Marne, die eine für 40, die andere für 50 Pferdekräfte Leistung
ausgeführt worden sind.