Titel: | Ueber das neue Verfahren zur Stahlfabrication des Hrn. Uchatius in Wien. |
Fundstelle: | Band 141, Jahrgang 1856, Nr. VIII., S. 43 |
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VIII.
Ueber das neue Verfahren zur Stahlfabrication des
Hrn. Uchatius in
Wien.
Aus Armengaud's Génie industriel, Mai 1856, S.
247.
Ueber ein neues Verfahren zur Stahlfabrication.
Hr. Uchatius, welcher zu Paris von Hrn. Carl Lentz vertreten wird, ließ sich am 13. November 1855,
eine verbesserte Methode Stahl zu erzeugen, für Frankreich patentiren.
Seine Erfindung besteht darin, den Stahl unmittelbar aus Roheisen darzustellen,
welches zu diesem Zweck in sehr kleine Stücke zertheilt und hernach mit Substanzen
umgeben und gemengt wird, die Sauerstoff und Wasser enthalten, und welche, einem
sehr hohen Hitzegrad ausgesetzt, diesen Sauerstoff und dieses Wasser abgeben und
dadurch den Kohlenstoffgehalt des Roheisens auf ein gewisses Verhältniß vermindern,
auch diesem Roheisen die fremdartigen Substanzen vollständig entziehen.
Hauptbedingung ist bei diesem Verfahren, daß das Roheisen vorher in sehr kleine
Stücke zertheilt wird, was auf mechanischem Wege geschieht, indem man das
geschmolzene (aus dem Hohofen abgestochene) Roheisen in kaltes Wasser laufen läßt,
welches dabei umgerührt wird, so daß ganz kleine Körner entstehen, von denen 60 bis
2000 auf 1 Kilogr. gehen. Je kleiner die Körner sind, desto besser wird der nach
dieser Methode erzeugte Stahl.
Nachdem das Roheisen in sehr kleine Stücke zertheilt ist, umgibt und mengt man es mit
20 Proc. Spatheisenstein (welcher ganz schwefelfrei ist) und 1 1/2 Proc.
Mangansuperoxyd (Braunstein), beide in gepulvertem Zustande. Das Ganze kommt in
einen Tiegel von gehöriger Größe und wird in einem Ofen, wie sie zur
Stahlfabrication gebräuchlich sind, mit der erforderlichen Sorgfalt geschmolzen.
Sobald der Spatheisenstein und der Braunstein eine etwas hohe Temperatur erreichen,
lassen sie unmittelbar einen Theil ihres Sauerstoffs, ihre Kohlensäure und ihr
Wasser fahren, welche dem Roheisen einen Theil seines Kohlenstoffs entziehen; wenn
der Spatheisenstein und der Braunstein dann in Fluß kommen, reinigen sie das
Roheisen von allen fremdartigen Substanzen, welche in die Schlacke gehen, während im
Tiegel ein homogener, zäher und elastischer Stahl zurückbleibt.
Nachdem der Stahl gut geschmolzen ist, gießt man ihn in geeignete Formen, und
schmiedet die erhaltenen Stäbe aus, damit deren Molecüle einander genähert werden, worauf
der Stahl in den Handel gebracht werden kann.
Aus dieser Beschreibung ersieht man, daß das Verfahren sehr einfach und mit
beträchtlicher Ersparung an Rohmaterial, Brennmaterial und Handarbeit verbunden ist,
weil man anstatt des Stabeisens unmittelbar das aus dem Hohofen abgestochene
Roheisen anwendet und bei demselben nur einmaliges Schmelzen erforderlich ist. Es
geht dabei kein Eisen verloren, weil der angewandte Spatheisenstein einen großen
Antheil desselben abgibt, so daß das Gewicht des Stahls erhöht anstatt vermindert
wird.
Dieses Verfahren wurde in der letzten Zeit in Frankreich von Hrn. Lentz angewandt. An der Nordbahn hat man mit dem neuen
Stahl (von welchem man in Frankreich das Kilogramm für 40 bis 45 Centimes, in
England für 30 Centimes liefern kann) verschiedene Versuche angestellt, welche gute
Resultate gaben. Man hat aus ihm Drehhaken (Schrothaken) und Werkzeuge zum Spalten
der Reifsegmente gemacht, welche bei der Arbeit sehr gut widerstanden; dagegen
leisteten Grabstichel nicht die Dienste der aus gewöhnlichem Stahl verfertigten. Die
mit dem Stahl des Hrn. Lentz verfertigten Werkzeuge
widerstehen in der Regel sehr gut, wenn sie keinen Stoß auszuhalten haben; ist
dieses hingegen der Fall, so verliert der neue Stahl alle seine Vorzüge.
Man hat mit gewöhnlichem Gußstahl und dem neuen Stahl vergleichende Biegungsversuche
angestellt. Letzterer gab erst unter einem Gewicht von 10000 Kilogr. nach, während
der gewöhnliche Stahl unter einem Gewicht von 8000 Kilogr. nachgab. Wenn der neue
Stahl regelmäßig für 40 Centimes das Kilogr. zu beziehen wäre, so dürste er große
Dienste leisten, und wenigstens zum Theil den jetzt gebräuchlichen Gußstahl
ersetzen. Derjenige, womit die erwähnten Proben angestellt wurden, war zu Wien mit
Roheisen von Algerien dargestellt worden.
Man könnte mit diesem Material vortreffliche Bandagen für Wagenräder machen, wenn es
sich leicht schweißen ließe; bis jetzt erwies sich aber der neue Stahl wenig
schweißbar, was vielleicht der Ungeübtheit unserer Arbeiter zuzuschreiben ist.
Hr. Vissocq, welcher der Gesellschaft der Civilingenieure
über die erwähnten Versuche berichtete, glaubt jedoch nicht, daß man diesen Stahl
jemals gut schweißen kann. Es gelingt dieß scheinbar durch einen Kunstgriff, aber
die Schweißung ist nicht wirklich erfolgt. Um diese Ansicht zu begründen, legte er
zwei Stahlstücke vor, welche anscheinend vollkommen zusammengeschweißt waren; als
man dieselben aber mehrmals nacheinander erhitzte und dazwischen jedesmal in Wasser
ablöschte, trennten sie sich endlich vollständig. Diese Stücke waren also niemals
zusammengeschweißt, sondern bloß sehr gut zusammengefügt gewesen.
Mit dem neuen Stahl ließen sich vielleicht gute Schienen darstellen; dazu müßte er
aber dem Stoß gut widerstehen. Bis jetzt scheiterten alle Versuche, mit dem
gewöhnlichen Stahl gute Schienen zu erhalten. Der neue Stahl läßt sich kalt krümmen
und stark biegen bevor er bricht. – Man hat bereits Achsen von gewöhnlichem
Gußstahl, welche unter ein Fallwerk mit 600 Kilogr. schwerem Fallklotz gebracht, der
von 6 Meter Höhe herabfiel, eine größere Biegung gestatteten als das beste
Stabeisen; nach sechs Schlägen erhielt man nämlich eine Einbiegung von 0,46 Met.,
und diese Achse ließ sich dann wieder sehr gut gerade richten, ohne einen Riß zu
zeigen.
Mit einem aus dem neuen Stahl verfertigten Schrothaken konnte man eine ganze Walze
von sehr hartem Gußeisen abdrehen, während ein Schrothaken aus gewöhnlichem Gußstahl
von derselben nicht über 8 Centimeter abdrehen konnte ohne stumpf zu werden.
Der Stahl des Hrn. Lentz zeigt auf dem Bruch ein rundes
Korn, der gewöhnliche Stahl hingegen ein viereckiges; dieß ist vielleicht die
Ursache des verschiedenen Verhaltens der aus beiden verfertigten Werkzeuge, wenn sie
mit oder ohne Stoß arbeiten müssen.