Titel: | Der „Große Orientale“ – Great Eastern – Dampfschiff von 22,000 Tonnen und für 10,000 Personen, erbaut von Hrn. Brunel. |
Fundstelle: | Band 145, Jahrgang 1857, Nr. XXXIX., S. 162 |
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XXXIX.
Der „Große Orientale“
– Great Eastern – Dampfschiff von 22,000
Tonnen und für 10,000 Personen, erbaut von Hrn. Brunel.
Aus Armengaud's Génie industriel, April 1857, S.
213.
Ueber das Dampfschiff: der „Große
Orientale“.
Die Engländer waren die ersten, welche im Jahre 1838 es wagten, mit Dampfschiffen
(dem Sirius und dem Great Western) den atlantischen Ocean zwischen Großbritannien
und New-York zu durchschneiden. Eine brittische Gesellschaft machte im J.
1843 den ersten Versuch mit einem großen Dampfer, dessen Rumpf gänzlich aus Eisen
bestand. Dieses Schiff war der Great Britain, es hatte:
eine Länge von
98 Met.
eine Breite von
15
„
seine Maschine hatte die Kraft
von
1000 Pferden.
Wiederum ist es eine englische Gesellschaft, welcher wir die größte maritime
Unternehmung verdanken, von der man je hat reden hören. Diese Gesellschaft nennt
sich die Eastern Steam-navigation Company (die
Oestliche Dampfschifffahrts-Gesellschaft). Ihr Zweck ist, Auswanderer und
Güter nach Australien zu führen, dann die durch das Gold in Californien reich
gewordenen zurück zu fahren. Das Schiff soll nicht bloß die sogenannte
transatlantische Reise machen, sondern regelmäßige und schnelle Fahrten zwischen den
brittischen Colonien in Australien und der Metropole. Es sollen zehntausend Personen
die Meere, welche England von Neuholland trennen, in einer einzigen Tour, ohne
Unterbrechung der Reise, innerhalb fünf Wochen durchfahren.
Mit keinem der bisher gebauten Schiffe wäre dieses möglich; man beschloß daher zu
diesem Zweck ein Riesenschiff zu erbauen, welches die Dimensionen seiner Vorgänger um
die Hälfte übertrifft, und wegen seiner ungewöhnlichen Größe nothwendig nach einem
ganz neuen Plane construirt werden mußte.
Der berühmte Ingenieur Hr. Isambard K. Brunel wurde
beauftragt, diesen Coloß der Meere herzustellen, welcher zuerst den Namen Leviathan erhielt, der dann in den des großen Orientalen umgeändert wurde.
Der Bau wird zu Millwall bei London
in den Schiffwersten der HHrn.
Scott-Russel
und Comp. ausgeführt; gegenwärtig
nähert er sich seinem Ende; der Rumpf ist ganz fertig.
Der größte bisher gebaute Dampfer ist die (im polytechn. Journ. Bd. CXL S. 1 beschriebene) Persia mit
folgenden Dimensionen:
Länge
112,0 Met.
Breite
13,7 „
Der große Orientale ist fast doppelt so lang, denn
er hat eine Länge von
209 Met.
seine verhältnißmäßig geringere Breite wird
seyn
25 „
und seine Tiefe
18 „
Die Construction des neuen Riesenschiffes unterscheidet sich nicht allein von den
hölzernen Schiffen, sondern auch von den bisher erbauten eisernen. Letztere bestehen
bis jetzt aus einem Plankenwerk von Eisenblechplatten, die an einem schmiedeisernen
Gerippe befestigt sind. Statt dieser Construktion, welche für ein so großes Schiff
nicht die gehörige Festigkeit gewährt haben würde, hat man eine andere angewendet,
die sich durch ihre sinnreiche Einfachheit auszeichnet. Die Wände, aus Blechplatten
bestehend, welche wie diejenigen der Dampfkessel unter einander verbunden sind,
wurden doppelt und hohl gemacht; im Zwischenraum sind der Quere nach gehende
Scheider behufs der erforderlichen Festigkeit angebracht. Der Rumpf besteht folglich
aus einer Anzahl dichter Zellen, die keine Verbindung unter einander haben, daher
das mögliche Eindringen von Wasser auf gewisse Punkte beschränkt bleiben muß und er
eine Festigkeit erhält, welche fast so groß ist als wenn er aus massivem Eisen
bestände, und damit die specifische Leichtigkeit hölzerner Fahrzeuge verbindet.
Die Entfernung zwischen den beiden Wänden
beträgt
0,75 Met.
die Stärke der Platten
0,025 „
Jede einzelne Platte wurde mit ungeheuren Scheren, die man durch eine Dampfmaschine
bewegte, beschnitten, und gelangte alsdann zu Walzen, welche ihr den nöthigen Grad
der Krümmung gaben; jede Platte erhielt eine Nummer, worauf sie nur auf den ihr vorher bestimmten
Platz gebracht zu werden brauchte.
Der innere Schiffsraum ist der Quere nach in zehn Haupträume getheilt, mittelst
blecherner, 18 Meter von einander entfernter Scheidewände. Diese Abtheilungen wurden
nach den Bedürfnissen wieder auf dieselbe Weise getheilt. Das obere Deck ist doppelt
und besteht aus Zellen, wie die Wände. Die Zwischendecke sind einfach und theilen
die Querräume der Höhe nach.
Man sieht, daß beim Bau des Rumpfes gar kein Holz verwendet wurde, daher das Schiff
als feuerfest zu betrachten ist. In Beziehung auf das Wasser, haben seine
verschiedenen Theile eine solche Anordnung, daß selbst ein bedeutender
Wassereinbruch sich nur auf einen kleinen Raum beschränken würde. Selbst wenn das
Schiff durch heftige Stöße in zwei, drei oder vier Theile zertrennt werden würde,
könnte ein jeder von diesen Theilen noch schwimmen wie das Schiff selbst.
Die Treibapparate sind zweierlei Art, Ruderräder und eine Schraube.
Die Räder, welche einen Durchmesser von 17 Meter haben, erhalten ihre Bewegung durch
vier Maschinen, jede mit einer Nominalkraft
von
1400 Pferden.
Jede von
diesen Maschinen für die Ruderräder istmit einem Kessel
versehen;
ihre Cylinder haben einen Durchmesser
von
1,85 Meter,
einen Kolbenlauf von
4,20 „
Zum Betriebe der Schraube dienen ebenfalls vier Maschinen,
die aber von sechs Kesseln gespeist werden;
ihre Kraft beträgt
1700 Pferde.
Die Schraubenwelle hat eine Länge
von
18
Met.
sie wiegt
60,000 Kil.
der Durchmesser der Schraube selbst
beträgt
7,3
Met.
Ueberdieß wird der große Orientale mit sechs Masten von mittlerer Höhe versehen, von
denen zwei quadratische Segel erhalten; er bekommt auch einen Vordersteven, aber
keinen Bugspreet, um den Vordertheil des Schiffes nicht zu sehr zu belasten. In der
Regel wird man die Segel auf dem Meere nur dann benutzen, wenn sich ein guter
frischer Wind erhebt, in welchem Falle die 6 bis 700 Quadratmeter Segel dem Schiffe
als Segler einen schnelleren Lauf ermöglichen.
Der Gesammtgelaß dieses Schiffes
beträgt
22,000 Tonnen.
Die Kohlenräume können aufnehmen
10,000 „
Die übrigen Räume können an Gütern
fassen
5,000 „
Ungeachtet des bedeutenden Platzes, welchen die Maschinen, Magazine, Küchen etc.
einnehmen, sind mit einem gewissen Luxus und Comfort eingerichtete, zum Theil sehr
geräumige Cajüten für folgende Passagierzahl vorhanden:
Passagiere
erster Classe
800
„
zweiter „
1,800
„
dritter „
1,200
Truppen und deren
Ausrüstung
10,000 Mann.
Man könnte glauben, daß das Regieren eines so großen Schiffes eine zahlreiche
Mannschaft erfordern müßte, und dieß wäre auch der Fall, wenn man in unserm
Jahrhundert nicht das Mittel gefunden hätte, zu den meisten Zwecken die Arbeit der
Menschen durch Maschinen zu ersetzen. Die Marine ist in dieser Hinsicht nicht hinter
der Industrie zurückgeblieben. Die Amerikaner haben bereits Dampfmatrosen (steam-sailors) und Diener für alle Arbeiten (servants of all works) erfunden, welche in Beziehung auf
Gelehrigkeit, Kraft und Genauigkeit, ihre lebendigen Collegen übertreffen sollen.
Der große Orientale wird daher zu seiner Bedienung nur eine Mannschaft von 500 an
Bord nehmen; dagegen wird er versehen feyn:
zur Arbeit an den Winden, Pumpen, beim Lichten der Anker u.s.w. mit zwei
Dampfmatrosen, jeder von 30 Pferdekräften;
zur Speisung der Kessel, mit zehn andern derartigen Apparaten, jeder von 10
Pferdekräften;
endlich zum Drehen der Schraube, wenn die großen Motoren regulirt werden sollen, mit
zwei kleinen Maschinen von je 20 Pferdekräften.
Die gesammte nominelle Kraft, welche für dieses Fahrzeug verwendet wird, sowohl zu
seiner Bewegung als zu seiner Lenkung und Bedienung, beträgt daher 3300 Pferde, was
eine fast zweimal so große reelle Dampfkraft repräsentirt.
Der Capitän dieses großen Schiffes würde natürlich auf seiner Estrade zwischen den
Radmänteln, bei dem Geräusch der Maschinen, dem Pfeifen des Windes und dem Lärm der
Schiffsmannschaft und Passagiere, nicht im Stande seyn mit Hülfe eines Sprachrohrs
auf eine Entfernung von 100 Metern sich verständlich zu machen; man beabsichtigt
daher bei Tage und unter gewöhnlichen Umständen einen Semaphor, und Nachts, sowie
bei nebligem Wetter, gefärbte Lichter für die Signale anzuwenden, oder an Bord einen
elektrischen Telegraphen zu errichten. Mittelst des letztern könnte der Commandant
zu jeder Zeit seine Befehle dem Steuermann oder dessen Gehülfen, den Mast
– und andern Wachen, den Maschinenwärtern und den übrigen Vorständen des
Dienstes sehr schnell mittheilen.Im September v. J. erschien bei James Reynolds in
London, 174 Strand, eine colorirte Zeichnung nebst Beschreibung des neuen
Dampfschiffes, unter dem Titel: Mr. Brunel
's Great Ship. Reynolds
's View, Section Plan, and Description of the
Great Eastern Steam-ship, building at
Millwall for the Eastern Steam-navigation Company, and designed
to carry ten thousand persons. Drawn to scale, shewing the exact
dimensions of every part. Wir entnehmen dieser Druckschrift
Folgendes:Die Dampfmaschinen für die Ruderräder sind direct wirkende mit oscillirenden
Cylindern und können verbunden oder getrennt betrieben werden, um beide
Ruderräder zugleich oder nur je eines in Bewegung zu setzen. Diese Maschinen
sind ohne Vergleich größer als alle bisher zu Marinezwecken gebauten; ihre
reelle Pferdestärke wird auch viel größer seyn als die (oben angegebene)
nominelle.Die (oben erwähnten) zehn Kessel der Maschinen werden mit fünf Kaminen
versehen, jeder Kessel kann von dem benachbarten abgesperrt und nach
Belieben benutzt werden. Diese Kessel werden longitudinal auf der
Mittellinie des Schiffes angebracht und jeder erhält zehn Oefen, deren es
also im Ganzen hundert seyn werden. Als Brennmaterial will man Anthracit
anwenden.Die Tauchung des Schiffes wird, wenn es beladen ist, 30 (engl.) Fuß betragen;
unbeladen, 20 Fuß.Eine Eigenthümlichkeit desselben ist, daß sein Deck eben (flach) wird,
ausgenommen an den Stellen für den Cajüten-Eingang und ähnliche
Zwecke; bei seiner großen Länge können daher die Passagiere eine Promenade
von mehr als einer (engt) Biertelmeile um das Deck herum machen.Hr. Brunel schätzt die Geschwindigkeit dieses
Schiffes auf fünfzehn Knoten per Stunde, ohne
Verminderung bei jedem Wetter? mit dieser Geschwindigkeit kann es die Reise
zwischen England und Indien um das Cap in 30 bis 35 Tagen machen; die Reise
zwischen England und Australien in 33 bis 36 Tagen.Zum Bau des Schiffes sind beiläufig 7000 Tonnen Schmiedeeisen
erforderlich.Das Capital der östlichen Dampfschifffahrts-Gesellschaft beträgt
1,200,000 Pfd. Sterl; sie ist ermächtigt, es auf den Betrag von 2,000. 000
Pfd. Sterl. zu erhöhen. A. d. Red.