Titel: | Die wahrscheinlich zweckmäßigste Darstellungsweise eines künstlichen Düngers; von Dr. F. F. Runge, Professor der Gewerbekunde in Oranienburg. |
Fundstelle: | Band 145, Jahrgang 1857, Nr. LIII., S. 230 |
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LIII.
Die wahrscheinlich zweckmäßigste
Darstellungsweise eines künstlichen Düngers; von Dr. F. F. Runge, Professor der Gewerbekunde in OranienburgAus Stamm's illustrirter Wochenschrift „die neuesten Erfindungen“, 1857, Nr. 30..
Runge, über die wahrscheinlich zweckmäßigste Darstellungsweise
eines künstlichen Düngers.
Die Bestandtheile der Knochen sind erwiesenermaßen gute
Düngungsmittel. Aber unaufgeschlossen wirken sie anfangs nur vermöge des faulenden
Leims. Die phosphorsaure Kalkerde die sie enthalten, wird (in der festen Verbindung,
wie sie es in den Knochen ist) sehr langsam zersetzt und von der Pflanzenwurzel eben
so langsam aufgegenommen.
Die Bestandtheile der Wolle (wollener Lumpen) sind
ebenfalls gute Düngungsmittel. Aber auch die Wolle muß erst aufgeschlossen werden
(faulen), ehe eine Wirkung eintritt, was mit großem
Zeitverlust
verbunden ist. Beides: Knochenaufschließen und
Wollenaufschließen, kann nun auf chemischem Wege ohne
allen Zeitverlust sogleich bewerkstelligt werden!
Es geschieht bei den Knochen durch Schwefelsäure, bei der
Wolle durch Natron. Dann hat man sauren phosphorsauren
Kalt und schwefelsauren Kalk einerseits, und wollsaures Natron andererseits.
Beide Aufschließungen führen jedoch nicht zum Ziel: Man kann damit nicht gut düngen,
denn sie sind vollkommene Auflösungen, und andererseits
zu ätzend um von den Pflanzen vertragen zu werden.
Ein guter Dünger muß milde seyn. Der gewöhnliche Viehmist
wird es durchs Verfaulen (Dammerde u.s.w. bildend), der
chemische durch Abstumpfung, wodurch schwer auflösliche
Verbindungen entstehen.
Die Abstumpfung geschieht durch den chemischen Gegensatz, der uns hier gegeben ist,
in dem schwefelsäurehaltigen phosphorsauren Kalt einerseits und in dem basisch
wollsauren Natron andererseits.
Mischt man nämlich Beide im richtigen Verhältniß zusammen, so entsteht ein dickes
Gerinnsel, das nach dem Abscheiden vom Flüssigen und nach dem Trocknen aus
schwefelsaurem und phosphorsaurem Kalk und höchst fein zertheilter, etwas
veränderter Wolle besteht.
Es ist kein Zweifel, daß dieses Gemenge, welches die Bestandtheile der Knochen und
der Wolle enthält, in vielen Fällen einen guten Dünger abgeben würde. Allein es
fehlt ihm noch mancher nothwendige Bestandtheil und dann kommt seine Bereitungsart
zu theuer zu stehen, da das durch Austausch der Bestandtheile entstandene
schwefelsaure und phosphorsaure Natron in der Mutterlauge bleibt.
Das zum Aufschließen der Wolle verwendete Natron würde demnach für die
Düngerbereitung verloren gehen und dadurch das Erzeugniß theuer werden.
Unter diesen Umständen liegt es sehr nahe, den Kalk
anstatt des Natrons zum Aufschließen der Wolle in Anwendung zu bringen. Auch war er
es wirklich, mit dem ich meine Versuche begann. Sie fielen jedoch fruchtlos aus.
Kocht man nämlich Wolle mit dünner Kalkmilch, so wird sie zwar sehr mürbe und
schleimig und geht zusammen, aber eine eigentliche Auflösung bildet sich, selbst
nach stundenlangem Kochen, nicht.
Da aber augenscheinlich eine große Einwirkung der Kalkmilch auf die Wolle stattfindet
und zur wirklichen Auflösung nicht viel fehlt, so versuchte ich, um diese
vollständig zu bewirken, verschiedene wohlfeile Zusähe
zur Kalkmilch.
Es gelang mir auch sogleich mit dem schwefelsauren Natron.
Kocht man:
8 Pfd.
Wolle mit
3
„
Kalk und
96 „
Wasser
4–6 Stunden, so findet die oben angegebene ungenügende Einwirkung auf die Wolle statt, und die
Abkochung zeigt nach dem Erkalten und Klären nur eine Schwere von 1–1
1/2° B.
Ganz anders ist das Ergebniß nach einem Zusatz von schwefelsaurem Natron.
Kocht man nämlich:
8 Pfd.
Wolle,
3
„
Kalk,
96 „
Wasser,
1
„
schwefelsaures Natron,
so zeigt sich bald ein merkliches Schwinden der Wolle und in 3
bis 4 Stunden ist eine Auflösung entstanden, die nach dem Erkalten und Klären eine
Schwere von 4–5° B. zeigt, also die Wollbestandtheile in Auflösung
enthält. Kocht man bei einem Druck von 1/2 bis 1 Atmosphäre, so bewirkt man die
Auflösung in viel kürzerer Zeit. Diese Auflösung ist nun vollkommen geeignet, sich
mit dem oben erwähnten sauren phosphorsauren Kalk zu zerlegen, so daß man nach dem
Zusammenmischen Beider die Bestandtheile der Knochen und der Wolle in breiartiger Vereinigung bekommt. Diese wird dann, im
richtigen Verhältniß mit phosphorsaurem Bittererbeammoniak versetzt, einen ganz
ausgezeichneten Dünger geben.
In der Mutterlauge findet man nun das schwefelsaure Natron
wieder. Sie kann also aufs Neue als Lösungsmittel für die Wolle dienen, indem man
unter Zusatz von Kalk frische Wolle damit kocht.
Man erhält so ganz dasselbe Ergebniß, wie bei der ersten Kochung. Da aber ein Theil
schwefelsaures Natron in dem Brei-Niederschlag (der nicht ausgewaschen wird)
zurück bleibt, so muß dieser bei einer neuen Kochung ersetzt werden.
So kann man demnach jedesmal die Mutterlauge von Neuem wieder zum Auflösen der Wolle
verwenden.
Es liegt diesem Verfahren eine neue, von mir entdeckte chemische Thatsache zum
Grunde. Bekanntlich ist es nicht möglich, auf nassem Wege das schwefelsaure Natron
durch Kalk zu zerlegen, sonst würde man nicht das umständliche Verfahren der
Sodabereitung auf trockenem Wege befolgen. Nur auf feuchtem Wege geht es durch Auswittern, was hier aber
nicht in Betracht kommen kann. Genug, die Thatsache ist neu und erheblich, daß durch
Vermittlung der Wolle (und anderer thierischer Stoffe, wie ich gefunden habe) der Kalk dem Natron die
Schwefelsäure entzieht, eben weil das Natron die Wolle vorfindet, um sich damit zu
verbinden. So entsteht nun zunächst wollsaures Natron; dieses wird aber bei dem
großen Ueberschuß von Kalk wieder zerlegt in wollsauren Kalk und freies Natron, das
dann von neuem Wolle auflöset und so fort. Dadurch wird es möglich, mit wenig
schwefelsaurem Natron verhältnißmäßig viel Wolle aufzulösen und das reine Natronsalz
ganz zu ersparen. Dieser Umstand ist für den Kostenpreis des Erzeugnisses von großer
Wichtigkeit.
Bei einer Darstellung dieses Düngungsmittels im Großen
können noch allerlei Nebenvortheile erlangt werden. So gibt es eine Menge Lumpen,
die im Handel werthlos sind, weil sie weder rein Wolle noch rein Leinwand oder
Baumwolle sind, sondern aus beiden bestehen, und durch Nähen (Steppen) so fest
vereinigt, daß es zu theuer kommt sie mit der Schere oder dem Messer zu trennen.
Hier haben wir nun ein wohlfeiles Trennungsmittel: die natronsalzhaltige Kalkmilch
löst die Wolle der Lumpen auf und hinterläßt die Leinwand
und den Kattun, die nun der Papiermüller gebrauchen kann und der wenigstens das
Vierfache von dem dafür bezahlt, als was man ursprünglich für die Lumpen gab. Da
beim Kochen der Wolle mit Kalk und Natronsalzen ein starker Geruch nach Ammoniak
bemerkbar wird, so ist noch zu ermitteln, ob es lohnt diess Ammoniak aufzufangen. Im
Fall der Bejahung hätte es keine Schwierigkeiten, da die Kochung in verschlossenen
Kesseln stattfindet, deren Dampf in die Trockenbehälter des Düngers geleitet wird.
Hiemit sind dann leicht Kühlfässer zu verbinden.
Es könnten auch Haare, Leder, Seide, Fleisch, Fische und andere thierische Abfälle
die Stelle der wollenen Lumpen vertreten, jedoch bleiben genaue Versuche darüber
vorbehalten.
Sollte nun nach den oben dargelegten Grundsätzen und Thatsachen eine chemische
Düngerfabrik im Großen angelegt werden, so würde dazu Folgendes erforderlich
seyn:
1) Eine Knochenbrennerei mit Woulf'scher Vorrichtung zum
Gewinnen des Ammoniaks, nebst Gefäßen zur Darstellung der Ammoniaksalze.
2) Eine Mühle mit Roßwerk zum Verkleinern der schwarzgebrannten Knochen und zum
Verwandeln der trockenen Düngermasse in ein feines Pulver.
3) Bleierne Pfannen zum Aufschließen des Knochenmehles mittelst Schwefelsäure.
4) Eiserne Dampfkessel, um mittelst eines Druckes von wenigstens 1/2 Atmosphäre die
Wolle schnell durch Kalkmilch und schwefelsaures Natron aufzulösen.
Mit der Feuerung dieser Dampfkessel stehen die bleiernen Pfannen (3) in Verbindung,
da zum Aufschließen der Knochen nur eine gelinde, aber länger andauernde Wärme
erforderlich ist.
Die beim Kochen entweichenden Dämpfe sind durch Röhren zu leiten, um den nassen
Düngerbrei zu trocknen.
5) Hölzerne Behälter zum Zusammenmischen der sauren Knochen- und basischen
Wolleauflösung nebst Seihevorrichtungen.
6) Könnten auch noch Pressen erforderlich seyn, um den breiartigen Dünger schnell vom
überschüssigen Wasser zu befreien und in Kuchen zu formen, die dann in warmer Luft
leichter trocknen als der Brei.
Ein genügendes Urtheil über die Düngerbereitung läßt sich erst nach Versuchen in
einem ziemlich großen Maaßstabe feststellen. Mehrere Mengenverhältnisse sind jedoch
gegeben, und hängen nicht vom Belieben ab. Denn es
handelt sich um die Darstellung eines Erzeugnisses, das weder sauer noch basisch
ist; daher muß der Gehalt der sauren Knochenauflösung an (zu ihrer Darstellung
verwendeter) Schwefelsäure, im richtigen Verhältniß zu dem Kalk der Wollenauflösung
stehen, also ungefähr wie 49 Schwefelsäure zu 28 Kalk; beide rein gedacht.
Die Menge des Zusatzes von Ammoniak- und Bittererdesalzen möchte für
verschiedene Zwecke wohl verschieden seyn. Auch wird die Frage noch zu erörtern
seyn, ob der schwefelsaure Kalk, welcher beim Aufschließen der Knochen mittelst
Schwefelsäure entsteht, dem künstlichen Dünger beigemischt werden soll oder nicht.
– Ferner, ob und welche salpetersaure Salze noch etwa zuzumischen wären.