Titel: | Ueber das Unvermögen mancher Personen, gewisse Farben zu erkennen, nebst Bemerkungen über die für Eisenbahn- und Schifffahrts-Signale zu wählenden Farben; von G. Wilson, Professor der Technologie an der Universität zu Edinburgh. |
Fundstelle: | Band 146, Jahrgang 1857, Nr. VIII., S. 26 |
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VIII.
Ueber das Unvermögen mancher Personen, gewisse
Farben zu erkennen, nebst Bemerkungen über die für Eisenbahn- und
Schifffahrts-Signale zu wählenden Farben; von G. Wilson, Professor der Technologie an der
Universität zu Edinburgh.
Wilson das Unvermögen mancher Personen, gewisse Farben zu
erkennen.
Wir entnehmen Nachstehendes einem Werke, welches von dem Genannten im vorigen Jahre
erschien, unter dem Titel: Researches on
Colour-Blindness, with a Supplement on the Danger attending the present
system of Railway and Marine Coloured Signals. By George
Wilson, Med. Dr.
Auf einen gar nicht seltenen Gesichtsfehler, nämlich das Unvermögen, gewisse Farben
zu erkennen und zu unterscheiden (Coulour-Blindness), wurde Prof. Wilson
zuerst dadurch aufmerksam gemacht, daß mehrere seiner Schüler die Farben chemischer
Niederschläge nicht richtig anzugeben vermochten. Im Verfolg dieses Gegenstandes
untersuchte W. eine große Anzahl sehr interessanter Fälle, unter denen wir ein Paar
Beispiele auswählen. – Dr. K. schrieb an den
Verf. folgenden Brief:
„Schon als Schulknabe wurde ich auf die mit mangelnde Farbenkenntniß
aufmerksam, weil ich nicht erkennen konnte, was mein Vater die hellrothen Beeren
der Stechpalme nannte. Wenn andere Kinder die mit reifen Kirschen beladenen
Bäume leicht herausfanden, konnte ich dieses immer erst, wenn ich dem
Baum so nahe kam, daß ich die Form der Frucht zu erkennen vermochte. Die
Entdeckung dieses Gesichtsfehlers war für meinen Vater sehr betrübend, welcher,
um mit Farbenkenntniß beizubringen, mich im Malen unterrichtete, wozu er
colorirte Karten der prismatischen und anderer Farben für mich anfertigte. Ich
verdarb viele Blumenstücke etc., indem ich falche Farben anbrachte, wie Blau
statt Purpurroth, Grün oder Gelb statt einiger Nüancen von Roth. Ich erinnere
mich noch an das Erstaunen meines Vaters, als er fand, daß ich einen rothen
Mantel nicht entdecken konnte, der in einem nahen Feld über eine Hecke
ausgebreitet war; Hecke und Mantel erschienen mit von ganz gleicher Farbe, wie
es noch jetzt der Fall wäre. Blau und Gelb sind für mich die lebhaftesten
Farben. Roth (nämlich Scharlachroth) ist für mich eine angenehme, nüchterne
Farbe, welche mein Auge eben so erfrischt wie Grün. Bei gewissen Nüancen von
Roth und Grün kann ich auch zwischen beiden Farben keinen Unterschied finden; so
haben z.B. rothes Siegellack und Gras für mich ganz gleiche Farbe. Dasselbe ist
der Fall bei einigen Nüancen von Braun, Grün und Roth. Berlinerblau und Roth
sind mit gleiche Farben. Eine Rose, die Lippen, eine frische Gesichtsfarbe und
das durch salpetersaures Silber gefärbte Gesicht eines Menschen, erscheinen
meinen Augen von genau gleicher Farbe. Mein Auge kann jedoch die verschiedenen
Schattirungen dieser Farben sehr scharf unterscheiden, aber sie sind alle für
mich nur Abstufungen einer einzigen Farbe.“
„Rothglühende Kohlen und Gummiguttgelb sind für mich identisch in der
Farbe. Ein Aufguß rothen Kohks bietet für mich keine Farbenveränderung dar, wenn
er durch Alkalien gedunkelt oder durch Säuren geröthet worden ist; die Farbe
erscheint mit dann intensiver, bleibt aber absolut dieselbe. Ich kann Kirschen,
Erdbeeren, überhaupt rothe Früchte, von ihren Blättern nur durch ihre Gestalt
unterscheiden.“
„Bei Einkäufen habe ich deßhalb viele Mißgriffe gemacht, z.B. rothe
Kleidungsstücke für grüne gehalten; bei mehr als einer Gelegenheit kaufte ich
rothe und grüne Beinkleider, indem ich sie für braune hielt.“
„Was die Erblichkeit dieses Gesichtsfehlers betrifft, so besaß ihn meines
Wissens keiner meiner Verwandten, und meine drei Kinder unterscheiden die Farben
genau.“
Ein mit diesem Gesichtsfehler behafteter Kupferstecher schrieb an Hrn. Wilson: „Als Kupferstecher habe ich mit zwei
negativen Farben zu thun, nämlich Weiß und Schwarz. Wenn ich nun ein Gemälde
betrachte, so sehe ich dasselbe nur in Weiß und Schwarz, oder Licht und
Schatten; und jeder Mangel an Harmonie in der Färbung eines Bildes offenbart sich mit sogleich
durch die entsprechende fehlerhafte Anordnung von Licht und
Schatten.“
Nach den Ermittelungen des Prof. Wilson und seiner
VorgängerIn der neuen Bearbeitung von Gehlor's
physikalischem Wörterbuch hat Prof. Muncke im
Artikel „Gesichtsfehler“ (Bd. IV S. 1423–1428)
die bis zum J. 1828 bekannt gewordenen Beobachtungen über das Unvermögen
gewisse Farben zu erkennen nebst der betreffenden Literatur
zusammengestellt. – Der berühmte Chemiker Dalton konnte Blaßroth (pink) von Blau
am Tageslichte nicht unterscheiden, im Regenbogen bemerkte er das Roth gar
nicht, und das Ganze schien ihm nur aus zwei Farben, Gelb und Blau, zu
bestehen. A. d. Red. verwechselt beiläufig ein Fünfzigstel der männlichen Bevölkerung Roth mit
Grün, und nahezu dieselbe Anzahl verwechselt Blau mit Grün, während verhältnißmäßig
nur sehr wenige Personen Braun mit Grün verwechseln; im Ganzen genommen besitzt
daher wenigstens eine Person von zwanzig den besprochenen Gesichtsfehler.
Was nun die Ursache dieser Abnormität betrifft, so erklärt Th. Young dieselbe aus dem Mangel der für gewisse Farben gehörigen Fibern, Brewster aus einer Unempfindlichkeit derselben; Dalton glaubt, die rothen Strahlen würden durch die
gläserne Feuchtigkeit verschluckt, welche er für blau gefärbt hält. Alle diese
Erklärungen sind jedoch ungenügend. Nach Prof. Wilson
entsteht der fragliche Gesichtsfehler durch einen krankhaften Zustand der Netzhaut,
wobei gewisse Farben keinen Eindruck hervorbringen. Er sagt: Wie bei vielen Personen
die Ohren für sehr scharfe Töne unempfindlich sind, so können auch die Augen für
gewisse Farben unempfindlich seyn; ist nun z.B. ein Auge für den Eindruck von Roth
unempfindlich, oder erscheint diese Farbe ihm als ein grauer oder neutraler Ton,
dann wird das Licht welches für gewöhnliche Augen weiß ist, für dieses Auge, das
kein Roth in der Mischung zuläßt, mit der zum Roth complementären Farbe gefärbt,
also grünlich seyn; Grün ist folglich einem solchen Auge der neutrale Farbenton, und
äquivalent dem Roth.Die wahrscheinlichste Erklärung des besprochenen Gesichtsfehlers ist bis
jetzt die von Prof. Muncke a. a. O. aufgestellte
Hypothese) er sagt: „Gibt es, jedoch bloß in Beziehung auf die
Thätigkeit des Sehnerven, nur zwei Farben mit
ihren Gegensätzen, und zwar Blau mit dem ihm
entgegenstehenden Gelb, und Roth mit dem entgegengesetzten Grün, jenes durch seine chemische Action und
dieses durch seine erwärmende Kraft ausgezeichnet, worauf der Gegensatz
zwischen Grün und Roth, Gelb und Blau bei den physiologischen Farben
gleichfalls führt, und lassen sich alle anderen Farben auf Verbindungen
und Abstufungen dieser vier einander rücksichtlich ihres physiologischen
Einflusses auf das Ange entgegengesetzten zurückführen, so dürfen wir
nur annehmen, die Nerven seyen gegen die erwärmende Kraft des Lichtes
mehr oder weniger empfindlich, um zu begreifen, daß in allen
vorkommenden Fällen bloß Gelb, als das meiste Licht gebend, völlig und
genau erkannt wird, während alle anderen Farben bloß als Gegensatz
hiergegen erscheinen;weßwegen denn Grün und Roth nicht
unterschieden, vielmehr mit Blau und Gelb verwechselt werden. Es geht
dann nicht bloß aus dem Unvermögen vieler Personen, Roth und Grün zu
erkennen, sondern auch aus einer Menge anderweitiger Erfahrungen hervor,
daß das Auge gegen diese beiden Farben am wenigsten empfindlich ist. So
erzählt Brewster, daß aus dem Spectrum,
welches ein durch ein Prisma betrachtetes Kerzenlicht gibt, bei
anhaltender Beobachtung desselben die übrigen Farben allmählich
verschwinden, und bloß Gelb und Blau zurückbleiben, welches erstere mit
überwiegender Intensität zuletzt fast in völliges Weiß übergeht. Ferner
ist es bekannt, daß Roth bei wenigem Lichte sehr dunkel erscheint,
weßwegen auch rothe Zimmer bei dem weniger starken Kerzenlichte dunkel
und unangenehm aussehen, die grüne Farbe aber ihre Eigenthümlichkeit
verliert und mit Blau verwechselt wird.“ A. d. Red.
Hr. Wilson schließt sein Werk mit Bemerkungen über die
nothwendige Vorsicht bei der Auswahl der Personen, welchen die Handhabung von
Schiffs- und Eisenbahn-Signalen anvertraut wird. Er sagt:
„Die auffallendsten Eigenthümlichkeiten der mit der besprochenen
Abnormität beschatteten Personen bestehen darin, daß sie 1) Hellroth für Grün
ansehen; 2) Dunkelroth für Brann; 3) Roth für Schwarz und 4) dunkle oder helle
Töne aller Farben mit einander verwechseln. Das (in England übliche)
Warn-Signal Grün kann folglich für das
Gefahr-Signal Roth angesehen werden, und das
letztere (wenn es schwarz erscheint) ganz ungesehen bleiben.“
„Die englischen Eisenbahndirectoren haben mit Roth und Grün als farbige
Signale eine sehr unglückliche Wahl getroffen, besonders sofern man diese Farben
bei Tage an Flaggen sieht. Dieselben werden von gewissen, mit dem besprochenen
Gesichtsfehler behafteten Personen, selbst wenn sie neu und lebhaft sind, mit
einander verwechselt. Nachdem sie mit der Zeit dunkler geworden sind, können sie
eine weitere Anzahl solcher Personen täuschen; endlich werden sie in Entfernung,
sie mögen neu oder alt seyn, von Vielen nicht erkannt, welche sie in der Nähe
unterscheiden. Ueberdieß können diese beiden Farben, wenn unvollkommen
beleuchtet, wie im Zwielicht, bei Nebel oder Schneestürmen, ganz unsichtbar
werden. Diesem großen Uebelstand läßt sich auf zweierlei Weise abhelfen. Will
man das gegenwärtige Signalsystem beibehalten, so sollte keine mit dem
fraglichen Gesichtsfehler behaftete Person zum Eisenbahndienst verwendet werden.
Das andere und bessere Hülfsmittel besteht darin, bei den Signalen hauptsächlich
deren Gestalt und Bewegungen als Zeichen zu benutzen, ihre Farbe hingegen als
untergeordnete Beihülfe; in diesem Falle wären jene Personen nicht nur zu
Signaldienst verwendbar, sondern auch vorzugsweise dazu geeignet, weil sie die
Form und Umrisse der Gegenstände schnell und genau wahrnehmen, Viele unter ihnen
sogar bei schwachem Lichte.“