Titel: | Ueber die Unfälle, welche durch die im Betriebe befindlichen Maschinen veranlaßt werden; von Hrn. Emil Dollfus in Mülhausen (Elsaß). |
Fundstelle: | Band 148, Jahrgang 1858, Nr. XX., S. 93 |
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XX.
Ueber die Unfälle, welche durch die im Betriebe
befindlichen Maschinen veranlaßt werden; von Hrn. Emil Dollfus in Mülhausen (Elsaß).
Aus dem Bulletin de la Société industrielle de
Mulhouse, Nr. 142.
Dollfus, über die durch den Maschinenbetrieb veranlaßten
Unfälle.
Die Mittel zur Verhinderung von Unfällen, welche durch die im Betriebe befindlichen
Maschinen veranlaßt werden, haben schon längst unsere Industriegesellschaft
beschäftigt; dieselbe hat auch einen Preis für diejenigen Fabrikanten ausgesetzt,
welche die besten Schutzmittel gegen solche Unfälle angewendet haben. Die
vorliegende Frage verdient unsere ganze Aufmerksamkeit, denn in dem Maaße als sich
die Maschinen vermehren, wächst auch die Anzahl der Unfälle und mit der Steigerung
der Betriebsgeschwindigkeit nimmt auch die Gefahr wesentlich zu.
Ich hielt es daher für interessant, die Beschaffenheit der Unfälle, welche sich
hauptsächlich in den Fabriken unserer Stadt und deren Umgegend ereignen, zu erheben,
und deren Ursachen zu ermitteln, um die Arten der Maschinen oder deren Theile,
welche die meiste Gefahr darbieten und daher auch die größten Sicherheitsmaßregeln
erheischen, kennen zu lernen.
Der Gefälligkeit des Hrn. Eduard Schwartz, Mitglied des
Verwaltungsraths unseres Civilhospitals, verdanke ich die Mittheilung des
Specialregisters dieser Anstalt, in welchem die Verwundeten, welche aus den Fabriken
zur ärztlichen Behandlung dahin gebracht werden, aufgeführt sind; dieses Register
enthält alle erforderlichen Notizen über die Beschaffenheit und die Ursache der
Wunden. Es kommen zwar nicht alle verwundeten Fabrikarbeiter zur Heilung in diese
Anstalt, aber doch die meisten derselben. Das erwähnte Register wird mit den
erforderlichen Bemerkungen seit Anfang 1855 geführt; es umfaßt daher einen Zeitraum von etwa 2 1/2 Jahren. Im
Verlaufe desselben wurden 111 Personen aufgenommen. Diese lieferten die Elemente zu
der vorliegenden Arbeit. Die 111 Unfälle, welche die Aufnahme eben so vieler
Personen im Krankenhause veranlaßten, classificiren sich folgendermaßen:
Verwundungen, veranlaßt durch das Räderwerk
der Maschinen
35 Fälle.
Verwundungen, veranlaßt durch die Walzen
der Druckmaschinen(Zerquetschungen der Hände und Arme)
9 „
Unfälle, veranlaßt durch selbstspinnende
Mulemaschinen (2 Todesfälle)
7 „
Verwundungen und Unfälle, durch
Transmissionswellen verursacht
6 „
Durch Laufriemen herbeigeführte Unfälle
(dabei 1 Todesfall)
6 „
Verbrennungen durch siedendes Wasser
6 „
Verwundungen durch Krempeltrommeln (es
wurde das Fleischvon den Händen abgerissen)
6 „
Contusionen durch Fallen
5 „
Verwundungen und Brüche, durch Kurbeln von
Winden etc. verursacht
4 „
Verwundungen und Brüche, durch
Schlagmaschinen (Batteurs)veranlaßt
4 „
Verwundungen durch Kreissägen
3 „
Verbrennungen durch den Dampf
2 „
Verwundungen durch den Fall schwerer
Körper
2 „
Verbrennungen durch flüssiges
Roheisen
1 Fall.
Verwundungen durch
Transmissionsräderwerk
1 „
Deßgleichen durch Mühlsteine
1 „
„ durch
Schlichtmaschinen
1 „
„ durch
Drehbänke
1 „
„ durch
Spulmaschinen der Kammwoll-Spinnereien
1 „
„ durch
Scherrahmen
1 „
„ durch
schneidende Werkzeuge
1 „
„ durch
Durchschnitte
1 „
„ durch
Druckwalzen der Spinnmaschinen
1 „
„ durch
Walzendruckmaschinen, jedoch aus anderenals den oben angegebenen
Ursachen
2 Fälle.
Zerbrochene oder beschädigte Glieder durch
nicht besonders angegebeneVeranlassungen
4 „
Man ersieht aus dieser Tabelle, daß von den darin aufgeführten 111 Unfällen 35, d.h.
fast das Drittel, durch das Räderwerk der Maschinen veranlaßt worden sind. Ueberdieß
ergaben sich diese 35 Fälle fast sämmtlich in Spinnereien, wo freilich kleine
Räderwerke am häufigsten vorkommen, daher aber auch Vorsichtsmaßregeln dagegen am
nöthigsten sind.
Die wirksamsten von diesen Vorsichtsmaßregeln oder Schutzmitteln bestehen ohne
Widerrede in der Anwendung von Mänteln oder Deckeln für das Räderwerk; die neuern
Maschien sind in der Regel damit versehen, aber die alten Maschinen bleiben ohne
diese Schutzmittel.
Die durchaus nothwendige Einführung dieser Maßregel gewährt überdieß noch andere
Vortheile, nämlich eine größere Reinlichkeit der Maschinen und eine Ersparung an
Schmiere, weil der Flaum der Wolle und Baumwolle nicht mehr zwischen die Radzähne
und in die Zapfenlager kommen kann, wo er das Oel, womit jene geschmiert wurden,
aufsaugt und eine schnellere Abnutzung dieser Theile veranlaßt, wodurch auch der
Abfall an Wolle und Baumwolle vergrößert wird.
Außer der Anwendung von Mänteln und Deckeln über den Zahnrädern ist aber auch noch
eine andere Vorsichtsmaßregel zu empfehlen, nämlich ein strenges Verbot, das
Reinigen oder Putzen der Maschinen während ihres Betriebes vorzunehmen. Eine Menge
von Unfällen rührt von dieser traurigen Gewohnheit her, die man so viel als thunlich
bekämpfen muß. Diese Arbeit wird großentheils durch Kinder ausgeführt, welche bei
ihrer Unbedachtsamkeit und Sorglosigkeit großen Gefahren ausgesetzt sind, wenn sie
das Geschäft des Putzens während des Ganges der Maschine verrichten.
Auch die Walzendruckmaschinen geben zu zahlreichen Unfällen Veranlassung (1/12 der
Gesammtzahl, wie die Tabelle nachweist), und diese Unfälle haben überdieß fast immer
den gänzlichen Verlust des betroffenen Gliedes zur Folge. Sie finden hauptsächlich
während des Reinigens der Walzen statt und rühren von der Unzulänglichkeit des
Raumes her, welcher in den meisten Fällen zwischen der Druckwalze und der
Pressionswalze verbleibt, nachdem letztere behufs dieser Operation gehoben worden
ist. Es müßte daher in dieser Beziehung eine Veränderung bei den Maschinen, die
einer solchen bedürfen, eingeführt werden, um die fragliche Gefahr zu vermeiden.
Jedenfalls machen wir unsere Zeugdrucker ganz besonders auf diese Thatsachen, welche
in hohem Grade ihre Beachtung erheischen, aufmerksam.
Eine neue Veranlassung zu Unfällen gab die Einführung der selbstwirkenden
Spinnmaschinen, und unter der aufgeführten Zahl derartiger Unfälle befinden sich
zwei, welche tödtlich waren. Eine Verhinderung dieser Unfälle ist daher durchaus
nothwendig. Sie rühren meistentheils von den Wagen her, welche mechanisch
aus- und wieder eingefahren werden, und dabei Alles zurückdrängen, was sie
behindert, wodurch Quetschungen und selbst Brüche derjenigen Körpertheile veranlaßt
werden, die zwischen die Maschinentheile gelangen. Hier muß insbesondere das
Reinigen oder Putzen der Maschine während ihres Betriebes, wozu man Kinder
verwendet, verboten werden.
Jederzeit sind in den Fabriken zahlreiche und große Unfälle durch die
Transmissionswellen veranlaßt worden. Man kann nicht genug darauf sehen, daß die
Arbeiter gegen deren Berührungen gesichert sind, denn zuweilen brauchen sich nur
Theile der Kleider oder die Haare ganz schwach an einem solchen Maschinentheil zu
reiben, damit sie von demselben mitgerissen werden, und starke, wo nicht tödtliche
Verwundungen veranlassen. Die große Geschwindigkeit womit viele dieser
Transmissionen umgehen, hat die Gefahr sehr erhöht; sie ist für die Frauen wegen
ihrer Kleidung und der Länge ihrer Haare noch größer.
Auf fast allen Wellen sind Schließfeile zur Befestigung der Muffe und der
Riemenscheiben angebracht, welche hervorstehen, was die Annäherung an die Wellen
noch gefährlicher macht. Man muß daher Vorsorge treffen, daß diese Schließen so
wenig als möglich hervorstehen, und wenn es thunlich ist, daß die Ecken der
hervorstehenden Theile abgerundet werden. Diejenigen Wellen aber, welche nicht an
der Decke der Fabrikräume und außerhalb des Bereichs der Arbeiter angebracht werden,
müssen unumgänglich mit einem Mantel versehen werden, damit die in den Räumen
befindlichen Personen mit denselben nicht in Berührung kommen können. An den großen
Wellen sind in der Regel Mäntel angebracht, aber bei den kleinen läßt man diese
Vorsichtsmaßregel häufig außer Acht, da man sie für minder gefährlich hält, was aber
durchaus nicht der Fall ist.
Die Arbeiter welche das Schmieren der Maschinen besorgen, haben fast alle die
traurige Gewohnheit, ihr Geschäft während des Ganges der Transmissionen zu
verrichten, und es sind deßhalb schon viele von ihnen Opfer dieser Unbesonnenheit
geworden. Es müßte daher eine solche Praxis streng verboten werden. Man wird dagegen
vielleicht den Einwurf machen, daß während des Betriebes einer Maschine das
Schmieren leichter sey, weil dabei das Oel in die Zapfenlager besser eindringt und
man sich versichern kann, ob die Hälse in gutem Zustande befindlich sind und sich
nicht erhitzen. Wir geben dieß zu, es ist aber nicht umumgänglich nöthig auf diese
Weise zu verfahren, denn mit etwas mehr Mühe und Sorgfalt kann man leicht zu
denselben Resultaten gelangen. Zur Verminderung der Unfälle verdienen die jetzt so
sehr vervollkommneten mechanischen Schmiervorrichtungen besonders empfohlen zu
werden.
Die Laufriemen erfordern eben so gut wie die Wellen besondere Vorsichtsmaßregeln, um
schwere und zahlreiche Unfälle zu vermeiden. Unter den in der Tabelle erwähnten
sechs Fällen findet sich eine Tödtung, und leider kamen noch einige Todesfälle vor,
deren Opfer gar nicht in das Hospital gelangten, weil bei denselben ärztliche Hülfe
nicht mehr versucht werden konnte.
Bei den Laufriemen sind insbesondere die metallenen Schnallen zu vermeiden und
dagegen Lederverbindungen anzubringen, denn die Schnallen ergreifen sehr leicht die
Kleidungsstücke und reißen mit unwiderstehlicher Gewalt alles an ihnen hangen
Gebliebene mit sich fort.
Alle Laufriemen in der Nähe des Fußbodens müssen wenigstens auf halbe Mannshöhe mit
hölzernen oder blechernen Mänteln umgeben werden, wenn sie nicht so angebracht sind,
daß durch die sie umgebenden Maschinentheile jede Annäherung der Arbeiter verhindert
wird.
Ein bedeutender Theil von den durch Laufriemen veranlaßten Unfällen erfolgt beim
Wiederauflegen derselben auf die Rollen, von denen sie aus irgend einem Grunde
abgefallen sind. Da dieses Wiederaufbringen nicht wohl anders als während des Ganges
der Maschine bewirkt werden kann, so muß es mit dem nöthigen Geschick geschehen und
nicht durch den Wärter der Maschine, weil diesem die dazu erforderliche
Geschicklichkeit in der Regel fehlt. Man muß mit dem Wiederauflegen der Riemen
entweder den Werkmeister oder einen gewandten Arbeiter, der dazu bald die nöthige
Uebung erlangen wird, beauftragen. Auch soll man zu dieser Arbeit wo möglich nicht
unmittelbar die Hände, sondern die bekannte, mit Haken versehene Stange verwenden,
womit die Operation viel leichter und gefahrloser ausgeführt werden kann.
Die Verbrennungen durch siedendes Wasser oder Dampf sind, wie die Tabelle nachweist,
ebenfalls ziemlich häufig. Derartige Unfälle können nur durch Vorsicht und gute
Unterhaltung der Apparate, welche das siedende Wasser oder die Dämpfe enthalten,
verhindert werden.
Sehr starke Verwundungen werden auch durch die Kratztrommeln veranlaßt; sie rühren
fast alle daher, daß die bei diesen Maschinen angestellten Arbeiterinnen die Bärte,
welche sich zuweilen um die Speisewalzen herum bilden, während des Betriebes
wegzunehmen suchen, oder zwischen diese Walzen das Ende eines frisch vorgelegten
Wattepackes einführen wollen. Wenn nun die Hände der Arbeiterinnen mit den Zähnen
der großen Trommel in Berührung kommen, so werden sie mit weggeführt und es erfolgen
die schrecklichen Zerreißungen, welche sehr häufig Amputationen erforderlich machen.
Es darf daher unter keinem Vorwande die Berührung der Speise- oder
Riffelwalzen der Kratzen gestattet werden, wenn die Maschine nicht still steht.
Bekanntlich gilt dieses Verbot überall, aber die Arbeiterinnen beachten es oft
nicht; die Fabrikherren sowohl als auch die Aufseher und Werkmeister dürfen es daher
nicht an öfteren Wiederholungen dieses Verbots und an Bestrafung der
Zuwiderhandelnden fehlen lassen.
Das von den Kratzen Gesagte gilt auch von den Schlag- oder Putzmaschinen.
Zuweilen werden unvorsichtigerweise die Deckel dieser Apparate beseitigt, welche die
Flügel und Schwungräder bedecken, um die Baumwolle, welche sich um die Riffelwalzen
gewickelt hat, während des Betriebes wegzunehmen. Die Unfälle sind hier nicht
weniger bedeutend, und es muß daher zu ihrer Vermeidung die größte Wachsamkeit
angewendet werden.
Die übrigen in der Tabelle angegebenen Unfälle gehören zu den zufälligen. Ihre
Verhinderung läßt sich nur durch große Aufmerksamkeit von Seite der Fabrikherren und
der Werkmeister, so wie von Seite der Arbeiter selbst erzielen, und man muß
besonders die letzterem an einem Sichgehenlassen hindern, welches sie gegen die
Gefahr gleichgültig macht, so daß sie jede Vorsichtsmaßregel unterlassen. Wir müssen
hier aber auch bemerken, daß die zu große Näherung der verschiedenen Maschinen in
demselben Local die Möglichkeit der Unfälle sehr steigert; je größer der Raum rings
um eine Maschine ist, in welchem sich die Arbeiter bewegen müssen, um so geringer
ist die Gefahr. Es sollten daher in dieser Beziehung gewisse Gränzen nie
überschritten werden. Durch das nahe Aneinanderstellen der Maschinen wird freilich
an Raum und Anlagekosten gespart, aber auch die so wichtige Sicherheit der Arbeiter
sehr gefährdet!
Mein Zweck bei dieser Arbeit war nicht der, Neues zu sagen, sondern nur das zu
wiederholen, was so leicht in der täglichen Praxis vergessen wird. Man darf nicht
glauben, daß sich alle Unfälle verhindern lassen, denn es haben dieselben so viele
verschiedenartige Ursachen, daß es unmöglich wäre, sie alle vorher zu sehen; aber
durch fortwährende und verständige Sorgsamkeit kann man wenigstens eine große Anzahl
derselben vermeiden.