Titel: | Zur Theorie der Bierbrauerei; von G. E. Habich in Roxbury, Massachussets. |
Autor: | G. E. Habich |
Fundstelle: | Band 148, Jahrgang 1858, Nr. XC., S. 379 |
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XC.
Zur Theorie der Bierbrauerei; von G. E. Habich in Roxbury, Massachussets.
Habich, zur Theorie der Bierbrauerei.
Von meinen Erfahrungen, die ich für die Theorie der Bierbrauerei flott gemacht habe,
lasse ich hier wieder ein Stück folgen. Freilich wohl hätte ich das ganze Material
vorläufig magaziniren können, um es später einmal anständig in Reihe und Glied
gestellt, aufmarschiren zu lassen. Doch halte ich's für besser, mit einzelnen
Portionen vorzutreten, weil ich 1) den praktischen
Bierbrauern einen Geschmack an der „Theorie“ ihres Gewerbes
infiltriren möchte, und 2) weil ich weiß, daß man diesen meinen Collegen nur mit
kleinern Abschnitten kommen darf, wenn man überhaupt daran denkt – –
gelesen zu werden.
Zunächst Einiges als Ergänzung früherer Artikel.
Meine Befürchtung, daß das Hopfenöl in den Würzedämpfen
einen nachtheiligen Einfluß bei der Benutzung derselben zum Einmaischen ausüben
könnte, hat sich als ungegründet erwiesen. Wiederholte
vergleichende Versuche stellten heraus, daß die Verzuckerung der mit 155° F.
auf (54 6/10° R.) die Ruhe gebrachten Maische in gleicher Zeit erfolgte, mochten die verwendeten Dämpfe nun Hopfenöl
enthalten haben oder nicht. Und diese Dämpfe waren im entsprechenden Falle so reich
an Hopfenöl, daß das damit direct erhitzte Nachgußwasser starken Duft
verbreitete.
Gelegentlich dieser Versuche wurde auch das Nachgußwasser einer Prüfung auf einen
etwaigen Zuckergehalt, der in Gesellschaft der
Würzedämpfe zugereist seyn konnte, unterworfen. Die Böttger'sche Probe wies denselben jedesmal
nach. Auf diesen Verlust hat schon Dr. Stark in der Encyclopaedia
britannica aufmerksam gemacht; aber er ließ es unentschieden, ob der
Zuckerstoff lediglich mechanisch deportirt wird, oder ob das
Sieden eine Portion Zucker in Alkohol verwandele und solcher Gestalt
verflüchtige (Colossal!). Wie groß dieser Verlust ist, habe ich nicht ermittelt,
– das mögen die Brauer, welche die Würzedämpfe nicht wieder benutzen, nachholen; – ich erwische den Flüchtling in
irgend einem Theile meines Apparats jedesmal wieder, um ihn in seine Landesgränzen
zurückzuführen. Doch das im Vorbeigehen.
Heute mögen mich meine Leser hauptsächlich in den
Gährkeller
begleiten. Wir werden einiges Interessante zu sehen
bekommen.
Voraus senden muß ich, daß ich seit einigen Wochen mit meinem Freunde Dr. Weinland in Cambridge an mikroskopischen Untersuchungen über das Leben der
Hefenzelle arbeite, die demnächst als selbstständiges Werk mit vielen
Abbildungen nach Photographien erscheinen werden. Zum
Verständniß des Nachfolgenden hebe ich aus diesen Untersuchungen hervor, daß eine
gährende Bierwürze, aufs sorgfältigste filtrirt, reich an
Hefensporen ist, deren Entwickelung zu größeren
Hefenzellen sich unter dem Mikroskop rasch verfolgen läßt. Ohne Zweifel wird auch
die den Gährbütten entsteigende feuchte Kohlensäure eine größere oder geringere
Menge solcher Hefensporen in die Luft des Gährkellers
entführen. Und damit glaube ich den Schlüssel zu jener räthselhaften Selbstgährung der Belgier gefunden zu haben. Ich machte
folgenden Versuch.
Zwei geräumige Glasflaschen wurden mit einer klaren Würze gefüllt, – die
Mündung der einen verstopfte ich mit einem Baumwollenpfropf, die der andern blieb
offen. Beide Flaschen wurden nun nahe bei Gährbütten gestellt, welche im Betrieb
waren.
Während der ersten 14 Tage war an beiden Flaschen auch nicht die geringste Spur von
Gährung zu bemerken. Später bildete sich etwas sogenannter Kahn (ein Pilz mit gestreckten Zellen) auf der Oberfläche. Am 24. Tage
besah ich mir das Resultat genauer. Die Flüssigkeit war stark milchsauer; –
die Attenuation war von 9,3 Sacchar-Proc. auf 8,5 gegangen, was ohne
Bedeutung ist (den Einfluß der Milchsäure ungerechnet). Am Boden der Flasche lag
eine braune Substanz mit zahllosen Hefenzellen und Sporen.
Wurde diese Hefe mit frischer Würze zusammengebracht, so
stellte sich alsbald eine ganz normale Untergährung ein. Die dabei gebildete
Unterhefe zeigte sich unter dem Mikroskop bedeutend verschieden von den andern
beiden Hefenarten, – sie gebiert die jungen Zellen auf andere Weise.
Daß der Baumwollenpfropf den Hefensporen den Zutritt nicht
versperrt hat, leuchtet ein, – bisher hat man das nicht angenommen.
Andere Flaschen mit Würze, welche an einem, den Gährgefäßen fernen (aber auch
wärmeren) Ort der „Selbstgährung“ überlassen blieben, wurden
noch früher sauer und lieferten gar keine Hefenzellen.
Sonach glaube ich zu der Annahme berechtigt zu seyn, daß der Brauer eine Thorheit
begeht, wenn er auf den Zufall der Entstehung einer ersten
Hefenzelle speculirt, – er würde sich in der Regel geprellt
finden.
Sehen wir uns aber die mangelhaften Berichte über das belgische Gährverfahren an, so
wird uns nicht entgehen, daß – wenn auch „nur selten etwas Oberhefe
dazu gegeben wird“ (vergleiche Heiß' Bierbrauerei, S. 151) – stets Hefensporen
genug von den obern feuchten Holz schichten der
Gährbottiche zurückgehalten werden, um „nach 8–10 Tagen“
eine langsame Gährung beginnen zu mache;; – daß ferner
die Gährung in zugespundeten Fässern (mit kleiner Oeffnung im Spund) wohl nie eine so
sorgfältige Reinigung des Gährgeschirrs im Gefolge hat,
um nicht selbst noch große Massen von ausgebildeten Hefenzellen ungestört sitzen zu
lassen; – daß also
die sog. Selbstgährung sich lediglich auf eine durch äußerst
wenig und zum Theil gering entwickelte (Sporen) Stellhefe herbeigeführte,
verzögerte Gährung reduciren wird.
Ein ziemlich lückenhaftes Capitel der Gährungschemie ist bekanntlich das
über die Temperatur-Erhöhung gährender
Flüssigkeiten, – die Vervollständigung desselben war Zweck bei
Anstellung der unten folgenden Versuche.
Es wird zum allgemeinern Verständniß der Sache beitragen, wenn ich dem Leser einiges
Bekannte ins Gedächtniß zurückrufe und die Ergebnisse bereits früher von Andern
angestellter Versuche übersichtlich zusammenfasse.
Im Allgemeinen ist man darüber einig, daß Wärmeentwickelung ein
steter Begleiter der Zersetzung des Zuckers durch geistige Gährung ist
(vergleiche Balling's Gährungschemie, Bd. I S. 125;
– Knapp's chemische Technologie, Bd. II S. 280
u.a.). Man hat nun consequenter Weise die Menge der
ausgeschiedenen Wärme zu der Menge des zersetzten Zuckers
in ein Verhältniß gesetzt. Zur Beweisführung sind einige Versuche im größern
Maaßstabe herangezogen, die diese Voraussetzung bestätigen sollen. Betrachten wir
uns zunächst diese Experimente der Reihe nach und halten wir uns nur an die am
vollständigsten durchgeführten.
Ueber die Temperatursteigerung bei gährenden Bierwürzen
theilt Balling (Bierbrauerei, 2ter Theil, S. 223) eine
Zusammenstellung der in England erhaltenen Resultate mit. Diese Tabelle gibt uns die
Temperatur der Würze beim Stellen mit Hefe und im höchsten
Gährungsstadium, – ferner den Extractgehalt der Würze und die
Saccharometer-Anzeige des Jungbiers (woraus sich dann der stattgefundene
Vergährungsgrad ergibt). Durch den Vergleich der Temperatur-Unterschiede mit
dem erfolgten Vergährungsgrad resultirt nun, daß die erstere
da am höchsten war, wo
auch die Vergährung am vollständigsten erfolgte.
Die weitere Consequenz dieses Satzes würde natürlich seyn, daß auch in jedem einzelnen Stadium der Biergährung die
Temperatursteigerung der zersetzten Zuckermenge proportional wäre. Den
experimentellen Beweis dafür finden wir bei Balling nicht und wollen deßhalb versuchen, ihn anderweit
herbeizuschaffen.
Ph. Heiß referirt in seiner
„Bierbrauerei“ Seite 188 über eine bayerische
Schenkbiergährung, – er erwähnt aber nur beim
Stellen der Temperatur und des Gehalts der Würze, – bei der
Kräusengährung fehlt die Saccharometer-Anzeige. Wie leicht würde es ihm in
seiner Stellung als Braumeister geworden seyn, diese nur im Großen durchführbaren
Versuche mit aller Schärfe vorzunehmen.
Ein vollständigeres Referat gibt uns Heiß über den Verlauf
der Gährungen, denen er in England beiwohnte. Von den S.
217 bis 225 mitgetheilten 4 Beobachtungen können wir indessen nur drei gebrauchen,
und bei der schottischen Ale-Untergährung fehlt leider die Angabe der ursprünglichen Würzeconcentration. Bei der
Zusammenstellung auf der am Schlusse folgenden Tabelle A
sind seine Saccharometerangaben nach Long in das in
Deutschland gebräuchliche Procent-Saccharometer (und zwar nach Balling bei 14° R.) übersetzt, und schließlich die
Temperaturdifferenzen (es ist ja gleichgültig ob Fahrenheit oder R. oder C.) und die
Differenzen der Saccharometeranzeigen (welche den jedesmal zersetzten Zuckermengen
proportional sind) nebeneinander gestellt.
Die in so kurzen Zeitraum zusammengedrängte Obergährung
der Porter- und Englisch-Ale-Würzen und die so frühzeitige Unterbrechung der Beobachtungen (bei der
Abkühlung der gährenden Würzen vor dem Fassen), sowie der geringe Vergährungsgrad
des Bieres am Ende des Experiments berechtigen nicht zu
irgend einem Schlusse über den proportionalen Zusammenhang der Temperatursteigerung
mit der stattgefundenen Vergährung. Bei der Ale-Gährung (Untergährung)
dagegen muß uns der Umstand, daß nach dem Zurückgehen der Krausen die Temperatur beständig abnimmt,
während doch die Attenuation des Biers noch fortdauert
(wenn auch im abnehmenden Verhältniß) – höchst auffällig erscheinen. Denn
wenn der Gährungsproceß wirklich eine Wärmequelle ist, so
muß man doch erwarten, daß bei weniger energischer Attenuation die Temperatur längere Zeit stationär bleibt – zumal da, bei der
geringfügigen Differenz zwischen den Temperaturen der gährenden Flüssigkeit und dem
Gährlocal, von einer Abkühlung durch das letztere kaum
die Rede seyn kann.
Eine andere Versuchsreihe hat uns Th. Fischern (Mitth. des
böhmischen Gewerbevereins, Jahrg. 1847, S. 705–715) durch Weingährung gegeben, aus denen ich die beiden im größern Maaßstabe durchgeführten Experimente
hervorhebe.
I. Die Kellertemperatur wechselte von 6 bis 9° R. Das Gährfaß enthielt 10
Hektoliter.
Tag
derBeobachtung.
Saccharometer- Procente.
Differenz.
Temperatur.
Tag
derBeobachtung.
Saccharometer- Procente.
Differenz.
Temperatur.
1
21,777
11° R.
11
7,333
18
1,131
3,047
3
20,646
12
12
4,286
17
1,120
2,101
4
19,526
12,5
13
2,185
15
1,426
0,985
5
18,100
13
14
1,200
14
1,070
0,825
6
17,030
14
15
0,376
13,5
1,915
0,799
7
15,125
16,5
18
– 0,423
12
1,839
0,698
8
13,286
16,8
19
– 1,121
11
2,141
0,000
9
11,145
17
20
– 1,121
11
1,700
10
9,445
17,5
2,112
Der Umstand, daß die größte Attenuation vom 11. zum 12.
Tage stattgefunden hatte und dabei auch die Temperatur am
höchsten gestiegen war, veranlaßt Fischern zu dem
Ausspruch: „es scheint somit die Temperaturzunahme in einem geraden
Verhältnisse mit der Attenuation zu steigen.“
Sehen wir uns auch seine 4te Beobachtung, bei der die äußeren Einflüsse günstiger
waren, noch an.
IV. Kellertemperatur fast constant 6° R. Das Gährgefäß enthielt 20,8
Hektoliter.
Tag
derBeobachtung.
Saccharometer- Procente.
Differenz.
Temperatur.
Tag
derBeobachtung.
Saccharometer- Procente.
Differenz.
Temperatur.
1
19,159
9° R.
9
7,429
11,5
1,198
2,426
3
17,961
9
10
5,003
12,5
1,324
2,812
4
16,637
9,5
11
2,191
12,5
1,572
1,756
5
15,065
9,5
12
0,435
11,5
1,801
0,636
6
13,264
10
13
– 0,201
11
1,785
0,588
7
11,479
10
14
– 0,789
10
1,840
0,777
8
9,639
11
69
– 1,586
10
2,210
Hierzu bemerkt Fischern wieder: „Auch aus den
vorstehenden Beobachtungen geht hervor, daß die Temperaturzunahme mit der
zersetzten Zuckermenge im Verhältnisse steigt.“
Daß diese Annahme für den ersten Theil des Gährungsverlaufs ihre Richtigkeit hat,
wird Niemand bestreiten. Aber das rasche Sinken der
Temperatur, trotz der fortdauernden Attenuation, blieb
mir doch immer ein Räthsel, und ich entschloß mich, einige vergleichende Versuche in
größerm Maaßstabe anzustellen, die mich über diese Fragen aufklären sollten.
Zunächst wollte ich eine sehr fühlbare Lücke beseitigen. Alle über die Lösung dieser
Frage vorhandenen Beobachtungen waren bei der Gährung von Hefe
bildenden Flüssigkeiten (Würze, Most) angestellt. Auch die
Runkelrübenzucker-Melasse, bei deren Gährung Balling (Branntweinbrennerei, S. 203) eine bedeutende Zunahme der
Temperatur beobachtete, enthält reichliche Mengen stickstoffhaltiger Substanzen, welche die Hefenbildung herbeiführen. Es
war also nothwendig eine reine Zuckerlösung mit Hefe in
Gährung zu bringen (wobei die Hefe bekanntlich consumirt
wird) und die dabei auftretenden Temperatur-Unterschiede zu bemerken.
Ist der Satz, daß die fortschreitende Zersetzung des Zuckers
eine gleichzeitig fortschreitende Temperaturerhöhung bedingt, richtig: so
mußte eine beschleunigte Zersetzung des Zuckers auch eine
Beschleunigung der Temperatur-Zunahme zur
Folge haben und ich konnte – bei der höchst gleichmäßigen Temperatur meines
Gährkellers – den Versuch im kleinern Maaßstabe
mit der Aussicht auf ein
entscheidendes Resultat anstellen. Diesen raschern Gährungsverlauf bewerkstelligte
ich natürlich durch einen größern Hefenzusatz.
Solche Versuche habe ich nun wiederholt mit demselben Erfolge angestellt, –
einer derselben mag für viele sprechen.
Eine Auflösung von Rohrzucker wurde mit einer reichlichen Portion Unterhefe (auf 30
Pfd. einer 12,7procentigen Zuckerlösung 1/2 Pfd. dickbreiiger Hefe) versetzt und in
einem verdeckten Holzgefäß der Gährung überlassen. Hier ist das Resultat.
Tag der Beobachtung.
Temperat. des Kellers.
Temperat.der
gährenden Flüssigkeit.
Saccharometer- Procente.
Differenz der
Sacchar.-Procente.
Bemerkungen.
April 12
52° F.
52° F.
12,7
0,8
13
52 1/2
51 1/2
11,9
2,1
14
53
51 1/2
9,8
2,0
15
52 1/2
51 1/2
7,8
1,7
16
52 1/2
51 3/4
6,1
1,5
17
53 3/4
53
4,6
1,3
18
54
53
3,3
1,3
Die höhere Kellertemperat. am
19
54
52 1/2
2,0
18. hat die Gährung wieder
beschleunigt,
bei gleichzeitigem Sinken der Temperatur der
Flüssigkeit.
Es geht daraus hervor, daß bei der Gährung reinen Zuckers,
wobei die Hefe consumirt wird,
Diese Consumtion von Hefe ist nicht etwa mit einem
Zerbersten der Zellen verbunden; – diese
bleiben nach wie vor Zellen, die aber (unter dem Mikroskop)
bedeutend an Durchsichtigkeit gewonnen, weil sie
an Inhalt verloren haben, – die
platten Zellen sind noch platter geworden. Später
darüber mehr.
nicht nur keine Temperaturerhöhung eintritt, sondern daß sogar
die Temperatur der Flüssigkeit constant unter die Temperatur des Gährraums
herabgeht, solange die Zuckerzersetzung dauert. Durch dieses Factum bringen
wir zunächst die massenhafte Gasentwickelung, wobei eine
große Menge Wärmestoff verbraucht (latent) wird, mit den
übrigen wissenschaftlichen Principien wieder in Einklang, – die
„Anomalie“ verschwindet. Daß dieser Wärmeverbrauch oder die
demselben entsprechende Temperatur-Erniedrigung
gleichen Schritt halten muß mit der Gasentwickelung oder dem derselben zu Grunde
liegenden chemischen Proceß, ist an und für sich klar.
Aber auch die obigen Messungen zeigen, daß bei der höchst gleichmäßig
fortschreitenden Attenuation auch eine ebenso gleichförmige Wärmeabsorption
(Temperaturerniedrigung) Platz greift.
Da nun die bei der Gährung der Bierwürzen und des Mostes auftretenden Wärmemengen
ihren Stammbaum nicht auf die Zersetzung des Zuckers zurückführen können, so erübrigt für deren legitime Herkunft nichts anderes als die
Zellenbildung bei der Ausscheidung der Hefe. Jene Proteinstoffe, welche in
den der Gährung unterworfenen Flüssigkeiten gelöst waren,
gestalten sich unter Verdichtung, und damit verbundener
Wärme-Entwickelung, zu jenem noch ziemlich
unbekannten Zelleninhalt. Offenbar muß auch wiederum
Wärme latent werden, wenn dieser Zelleninhalt theilweise
wieder gelöst wird, wie bei der Gährung reiner
Zuckerlösungen. Folgerichtig auch muß ferner die Summe der
ausgeschiedenen Wärmemengen in geradem Verhältniß stehen zu der Summe des
neugebildeten Zelleninhalts, – sie bildet den Maaßstab für die
stattgefundene Zellenbildung.Heut zu Tage muß man sich sein geistiges Eigenthum nach allen vier
Weltgegenden hin verschanzen. Dessentwegen beanspruche ich auch andurch die
Priorität meiner Entdeckung einer neuen Wärmequelle in
der Zellenbildung. Und zwar will ich auf die Wichtigkeit derselben
für Pflanzen- und Thier-Physiologie ausdrücklich hinweisen.
Die Möglichkeit der Fortdauer einer Vegetation trotz der strengsten
Winterkälte bedarf eines neuen Factors zur Aushülfe eben so sehr, als sich
der Athmungsproceß als einzige Wärmequelle für den Thierkörper längst als
unzureichend herausgestellt hat. Auch für die Pathologie muß diese Thatsache
von hohem Interesse seyn.
Zwei Gährungsversuche, von etwas rascherm Verlauf als die gewöhnlichen
Untergährungen, wurden in der Art eingeleitet, daß die beiden neben einander
stehenden Bottiche gleiche Mengen (85 Kubikfuß engl.) derselben Würze bekamen,
– dagegen aber erhielt der eine Bottich nur 10 Pfd. Stellhefe, während der
andere 30 Pfd. bekam. Es liegt auf der Hand, daß im letztern Falle die Zellenbildung der Menge nach bedeutend größer seyn mußte
in einer gewissen Zeit, oder – was dasselbe ist – daß in
gleichen Zeiträumen größere Wärmemengen ausgeschieden werden mußten. Ich weiß wohl,
daß ich den praktischen Bierbrauern damit nichts Neues sage; sie wissen längst, daß
der Gährungsverlauf um
so „hitziger“ ist, je mehr Hefe beim Stellen verwendet
wurde.
Der Leser mag sich nun die unter B am Schluß mitgetheilte
tabellarische Zusammenstellung der beiden Versuche genauer betrachten.
Das Maximum der Temperatur trat bei dem Versuche I am 12.
April Abends ein. Ist diese Temperaturerhöhung Folge der
Zellenbildung, so mußten also auch kurz vorher die
größten Hefenmengen producirt seyn. Nun sehen wir aus der Spalte
„Differenz der Saccharometer-Anzeigen,“
daß kurz vorher die größten Zuckermengen zersetzt waren. Und das ist es, was bisher irregeleitet hat.
Man hat außer Acht gelassen, daß die Zuckerzersetzung und die
Hefenbildung nur in diesem Falle Hand in Hand
gehen. Es ist ein Verdienst Balling's, längst auf dem
Wege des Versuchs nachgewiesen zu haben, daß die neugebildete
Hefe stets in demselben unwandelbaren Verhältniß zu der zersetzten Zuckermenge
steht. Dieser Satz ist mehrfach bestritten worden, – wir werden
deßhalb darauf zurückkommen müssen, nachdem wir uns das Resultat der beiden Versuche
nach allen Richtungen betrachtet haben.
Beim Versuch II haben wir erst am 13. April Abends die höchste Temperatur und
wiederum kurz vorher die größten Differenzen der
Saccharometer-Anzeigen. Ich muß ausdrücklich bemerken, daß in dieser
Beziehung meine Resultate von denen Fischern's abweichen.
Fischern beobachtet die höchste Temperatur vor der höchsten Saccharometer-Differenz, –
ich nachher. Wiederholte Versuche werden darüber
entscheiden müssen, wo der Irrthum liegt.
Die Temperatur sehen wir ferner einige Zeit auf dem Gipfelpunkt stationär werden und
dann sinken trotz der fortdauernden Attenuation. Ohne
Zweifel ist es hauptsächlich die entweichende Kohlensäure, welche hier als abkühlendes Element in Rechnung gezogen werden muß. Die
Attenuation nimmt stufenweise ab, die durch die gleichzeitige Zellenbildung
producirten Wärmemengen werden immer dürftiger, – das Gas aber entweicht mit
den Wärmemengen, welche das Product der vorausgegangenen
intensivern Zellenbildung waren.
Wir wollen nun den Versuch machen, die Wärmemengen, welche bei beiden Experimenten
sich frei gemacht haben, annähernd zu vergleichen. Da die
Flüssigkeitsmengen gleich waren und ihre Temperaturen in
gleichen Zeitintervallen notirt wurden, – da
ferner die Wärme-Verluste durch die Kohlensäure annähernd dieselben sind,
sobald man die beiderseitigen Notirungen bis zu gleicher
Saccharometer-Anzeige
heranzieht: so muß uns
die Summe der Thermometer-Grade für diese beiden Zeitabschnitte belehren, ob
der Proceß in beiden Fällen dieselben Wärmemengen
geliefert hat.
Halten wir den Punkt fest, wo die Saccharometer-Anzeige bis auf 4,2 Proc.
herabgegangen war. Bei I fand das am 15. April Abends statt, – die Summe der
bis dahin beobachteten Thermometergrade ergibt
716°. Bei II haben wir diese Attenuation (= 4,2 Proc.) erst am Schlusse des
Versuchs und addiren deßhalb sämmtliche
Thermometer-Anzeigen – 752°. Berücksichtigt man, daß das
Kohlensäuregas aus dem Bottich I mit höherer Temperatur
entwich als das aus dem Bottich II, – daß also die restirenden Wärmemengen
geringer ausfallen mußten: so ist das Resultat
hinreichend übereinstimmend, um zunächst den Schluß zu rechtfertigen, daß hier für
gleiche Differenzen der Saccharometer-Anzeigen
(d.h. für gleiche Mengen zersetzten Zuckers) auch gleiche
Wärmemengen frei werden.
Da wir nun aber aus der Gährung reinen Zuckers ersehen
haben, daß diese Zuckerzersetzung keine Wärmequelle ist,
dieselbe vielmehr im vorliegenden Falle in der Zellenbildung zu suchen ist, – da ferner die Zellenbildung
proportional ist dem dazu verbrauchten Stoff: so
formuliren wir unsern Satz dahin:
Die Neubildung gleicher Hefenmengen, als Grund der
Ausscheidung gleicher Wärmemengen, ist proportional der zersetzten Zuckermenge.
Um möglichst verständlich zu werden, wiederhole ich die Sache in anderer Form.
Die Wärme-Entwickelung war proportional der stattgefundenen Zuckerzersetzung, –
weil aber nicht die Zuckerzersetzung, sondern die Zellenbildung die alleinige Wärme quelle ist, so ist auch
die Wärme-Entwickelung proportional der
stattgefundenen Zellenbildung, –
folglich auch ist
die Zuckerzersetzung proportional der Zellenbildung.
Da sind wir also auf diesem dialektischen Wege zu ganz demselben Resultate gekommen,
wie Balling auf dem Wege der directen Bestimmung: daß nämlich die zersetzten
Zuckermengen (oder die durch Gährung entstandenen Alkoholmengen) stets
proportional sind den neugebildeten Hefenquantitäten.
Otto hat in seinem bekannten „Lehrbuche der r.
Pr. d. landw. Gewerbe“ wiederholt seine Zweifel an der Richtigkeit
dieser Angabe Balling's
ausgesprochen, –
aber seine Einwürfe sind nichts weniger als stichhaltig. So z.B. kann sich Otto nicht erklären, daß dieselbe Hefenmenge gebildet
werden sollte, wenn zur Darstellung einer Bierwürze die Hälfte des Malzes durch
Stärkmehl ersetzt ist, als wenn keine solche Vertretung stattgefunden hat (vergl. a.
a. O. Seite 127). Das Factum erklärt sich aber höchst einfach dadurch, daß eine
Malzwürze viel mehr Hefe bildende Substanzen enthält, als
während der Vergährung ihres Zuckergehalts in die proportionale Hefenmenge
umgewandelt werden können. Ein einfaches Experiment erweist die Sache zur
Evidenz.
In einem gut vergohrenen, völlig klaren Biere löse man etwas Zucker auf und filtrire. Die Flüssigkeit kommt bald wieder in Gährung
und sondert neue Hefenmengen aus, weil die in der klaren
Flüssigkeit vorhandenen Hefensporen sich auf Kosten der noch
vorhandenen Hefenbildungsstoffe zu völlig ausgebildeten Zellen entwickeln
können. Nach Beendigung der Gährung kann der Versuch wiederholt werden mit der
wiederum filtrirten Flüssigkeit, – der Erfolg bleibt derselbe bis zur
völligen Erschöpfung der Flüssigkeit an
Hefenbildungsstoffen.
Wenn Otto (Seite 781) die Vermehrung der Ausbeute bei der
Hefenfabrication als Gegenbeweis anführt, so beruht das wohl bloß auf Angaben der
Hefenfabrikanten. Mir ist eine Hefenfabrik bekannt, die sich einer enormen Ausbeute
an Hefe bei der Vergährung der Branntweinmaischen rühmt, d.h. Hefe als Handelswaare, die – – mit einer reichlichen
Portion Kartoffelstärke versetzt ist. Die Menge der producirten reinen Hefe ist stets dem stattgefundenen
Vergährungsgrade proportional.
Eben daselbst behauptet auch Otto, daß „an
Proteinsubstanz sehr arme Bierwürzen ebenso vollständig als Bierwürzen welche
reich an Porteinstoffen sind, vergähren.“ Dagegen habe ich
einzuwenden, daß es überhaupt keine Bierwürzen gibt,
welche arm an Proteinstoffen zu nennen sind. Setzt man
solchen Würzen große Zuckermengen zu und läßt sie
vergähren, so ist ein Verhältniß der beiden Bestandtheile der Würze denkbar, wobei
die Proteinstoffe nicht mehr ausreichen zur Erzeugung der Hefenmenge, welche bei der Weingährung stets im Spiel seyn
muß. Dann – geht's an die Consumtion der
vorher gebildeten Hefe, welche wiederum proportional der
stattgefundenen Vergährung stattfindet, weil sich der
Zelleninhalt an der Bildung des „Weins“ betheiligt.
Die dann ausgeschiedene Hefe hat weniger entwickelte
Zellen, – es ist weniger Zellen inhalt da und deßhalb ist auch die Endosmose, mit der
jede Weingährung beginnt,
weniger lebendig. In einer Bierbrauerei am Rhein pflegt
man Traubenzucker in großen Portionen zur Würze zu setzen und erzeugt damit ein
feines Bier. Aber man klagt, daß dadurch die Hefe geschwächt wird. Natürlich,
– weil man's falsch anfängt, wenn man den
Traubenzucker vor der Gährung zusetzt. Die Zuckermengen
werden so reichlich verwendet, daß bei der Gährung Hefen consumtion stattfindet. Setzt man die Traubenzuckerlösung dem Jungbier zu, so ist jenem Uebelstande abgeholfen. Und in
dieser Weise durchgeführt, ist das
„Gallisiren“ des Biers eine ebenso verständige Operation,
wie das des Weins, – der Geschmack der Consumenten hat beides ins Leben
gerufen. Wie man beim Wein dadurch das Verhältniß der Säure zum Alkohol- und Wassergehalt beliebig
ändern kann, so wird man auch beim Bier ganz nach dem
Willen der Stammgäste hier mehr vollmundige, dort mehr
trockene (weinartige) Biere fabriciren, indem man das
Verhältniß des Leims zum Alkohol- und Wassergehalt
regulirt.
Ueber die sehr verschiedene Vergährungsfähigkeit der auf
verschiedene Weise dargestellten Bierwürzen habe ich noch Einiges beizufügen.
Es sind bekannte Thatsachen, daß Würzen aus blassem Malze
bei der Hauptgährung vollständiger vergähren, als Würzen aus stärker gedarrtem Malz, – und daß Würzen aus Malz und Stärkmehl noch besser vergähren. Worin hat das seinen
Grund?
Zur Ermittelung des Vergährungsgrades bedienen wir uns des
Saccharometers, indem wir die vorhandene Saccharometer-Anzeige vor und nach der Hauptgährung
ermitteln. Die Saccharometer-Anzeige vor der
Gährung gibt uns direct die Procente an Extract. Durch
die Gährung verschwinden aus der Würze der Zucker und
jene Substanzen, welche zu neuer Hefe geworden sind, – die Flüssigkeit wird
dadurch leichter und das Saccharometer muß also weniger Grade zeigen. Statt des Zuckers aber tritt
Alkohol (oder vielmehr jene Verbindung des Alkohols mit Porteinstoffen, welche wir
„Wein“ genannt haben) auf, – diese Flüssigkeit ist
leichter als Wasser und verdünnt also das Bier, was
sich abermals durch den Verlust einiger
Saccharometerprocente herausstellen muß. Der Unterschied der
Saccharometer-Anzeigen vor und nach der Gährung wird dadurch also noch augenfälliger.
Der Unterschied beider Anzeigen muß in directem Verhältniß zu
der Menge des zersetzten Zuckers stehen und gibt uns einen Anhaltspunkt zur
Beurtheilung der fortschreitenden Gährung. Dividiren wir diese Differenz durch die
Saccharometer-Anzeige vor der Gährung, so erhalten
wir einen Bruch, der um so größer wird, je vollständiger
die Vergährung war. Diesen Bruch nennt Balling
Jeder Bierbrauer sollte sich mit der in Balling's
Gährungschemie umständlich entwickelten Attenuationslehre bekannt machen,
wenn er daran denkt, sich eine zuverlässige Meinung über den Zustand seiner
Viere im Lagerkeller zu verschaffen. den „scheinbaren Vergährungsgrad,“ und er reicht in der
That aus, um ein Urtheil über die stattgefundene Vergährung zu haben, wenn wir Biere vergleichen, die nach gleicher Methode gebraut
sind. Warum nicht überall? wird aus dem
Nachfolgenden klar werden.
Betrachten wir jenes Stoffgemenge, welches man Extract
nennt, genauer, so finden wir, daß seine Zusammensetzung je
nach der Braumethode und dem verwendeten Material sehrvariabel ist. Nehmen
wir den Extract eines blassen Gerstenmalzes als Norm an, so haben wir als
Hauptbestandtheile: Zucker, Dextringummi und Pflanzenleim. Vergleichen wir damit den
Extract von stärker
gedarrtem Malz, so finden wir, daß sich die Einwirkung des Darrens
hauptsächlich auf den Pflanzenleim geworfen hat, – der Leim ist dadurch löslicher in kaltem Wasser geworden und der Extract
enthält deßhalb mehr Leim- und weniger Zucker-Procente.
Durch Zusatz von Stärkmehl beim Maischen wird dagegen die
Zuckermenge im Extract vergrößert und der Leimgehalt relativ verringert. Es versteht sich von selbst, daß die schon erwähnten
Differenzen, welche durch das mehr oder mindere Darren des Malzes hervorgerufen
werden, auch hierbei noch außerdem sich geltend machen.
Da nun der Leimgehalt durch die Gährung nicht zersetzt wird, so muß er in der
vergohrenen Würze verbleiben und sich am Saccharometer als restirender
„Extract“ documentiren. Dieser Rest von nicht gährungsfähigem Extract (Pflanzenleim) ist also am
größten bei stark gedarrtem Malz, geringer bei blassem Malz und am kleinsten bei Stärkmehl-Malzwürzen. Je größer dieser Leimrest,
desto geringer muß natürlich auch der „scheinbare
Vergährungsgrad“ der Würzen erscheinen, und umgekehrt. Das liefert
den Schlüssel zu der verschiedenen Vergährungsfähigkeit verschiedener Würzen.
A. Wärme-Entwickelungen bei der Gährung von
Porter- und Ale-Würzen (nach Heiß).
Textabbildung Bd. 148, S. 392
Dauer der Gährung, Stunden; Stadium
der Gährung; Temperatur nach Fahrenheit; Saccharometer-Anzeige; nach Long; nach Balling;
Differenz d. Saccharometer-Proncente; Grade; Pfunde; Procente; I. Porter (Obergährung); angestellt mit Hefe; niedere
Kräusen; leichte; Hefentrieb; wurde gekühlt und
zeigte beim Fassen; II. Englisch Ale (Obergährung); angestellt; niedere Kräusen;
hohe; Hefentrieb; III. Schottisch Ale (Untergährung); angestellt; niedere
Kräusen; hohe; Kräusen gehen zurück; Oberfläche nur noch bedeckt
B. Wärmeentwickelungen bei der Untergährung zweier
Winterbier-Würzen mit verschiedenen Hefenmengen; von G. E. Habich.
Textabbildung Bd. 148, S. 393
Zeit der Beobachtung; Tag; Stunde;
Temperatur des Gährkellers. Fahrenh.; I. 85 Kubikf. Würze von 9,3 Proc.
Extractgehalt gestellt mit 30 Pfd. dickbreiiger Hefe; II. 85 Kubikfuß Würze von
9,3 Proc. Extractgehalt gestellt mit 10 Pfd. dickbreiiger Hefe; Temperat. der
Würze. Fahrh.; Saccharometer-Procente; Differenz der
Saccharometer-Procente; Stadium der Gährung; Mittags; Abends; Morgens;
mit Hefe gestellt; rahmt stark; Beginn der Kräusen; niedere Kräusen; hohe
Kräusen; Beginn des Hefentriebs; Hefentrieb; starker Hefentrieb; dabei wurde
viel Hefe an der Decke ausgeschieden; alle ausgeschiedene Hefe ging zu Boden;
Diese an der Oberfläche ausgeschiedene Hefe war aber nicht etwa
„Oberhefe“ , – das Mikroskop entschied alsbald,
daß es richtige „Unterhefe“ war. Unterhefe hat nie Knospen, es sind stets vereinzelt schwimmende Zellen,
– Oberhefe macht Knospen und schwimmt höchst selten allein, wie schon Mitscherlich sehr richtig
beobachtet hat