Titel: | Die quantitative Bestimmung von Zucker; von Professor H. v. Fehling. |
Fundstelle: | Band 148, Jahrgang 1858, Nr. CIII., S. 454 |
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CIII.
Die quantitative Bestimmung von Zucker; von
Professor H. v.
Fehling.
Aus den Annalen der Chemie und Pharmacie, April 1858, S.
75.
Fehling, über die quantitative Bestimmung von Zucker.
Zur Bestimmung von Zucker in organischen Substanzen sind hauptsächlich drei Methoden
anwendbar: das Gährungsverfahren, die Probe mittelst Polarisation und die Probe mit
einer titrirten alkalischen Lösung von weinsaurem Kupferoxyd-Alkali. Keine
dieser Methoden gibt ein absolut genaues Resultat, doch halte ich nach vielfachen
vergleichenden Versuchen, welche seit mehr als 10 Jahren im hiesigen Laboratorium
angestellt sind, die letzte Methode für diejenige, welche die der Wahrheit am
meisten sich nähernden und die sichersten Resultate gibt.
Bei Traubensaft sowohl wie bei Lösungen von reinem Rohrzucker ist es schwierig, durch
Gährung in kurzer Zeit eine vollkommen vergohrene zuckerfreie Flüssigkeit zu
erhalten; auch nach 8 Tagen selbst findet sich noch unzersetzter Zucker; überdieß
ist ja in neuerer Zeit kein Zweifel mehr, daß bei der Gährung des Zuckers nicht nur
Kohlensäure und Alkohol, sondern auch andere Producte sich bilden, Amylalkohol,
Butylalkohol u.s.w., selbst Bernsteinsäure nach Pasteur.
Unter diesen Umständen ist also die Kohlensäure kein sicheres Maaß des Zuckers.
Die optische Probe ist oft schon wegen des Farbstoffgehalts umständlich, aber selbst
bei leicht zu klärendem und entfärbendem Rübensaft, der 10 bis 14 Proc. Zucker
enthielt, ist es mir bei vielfachen Proben mit einem von Duboscq bezogenen Soleil'schen Saccharometer
nicht möglich geworden, den Gehalt an Zucker genauer als etwa 1/4 Proc. zu
bestimmen, d. i. also 1/40 bis 1/56 des ganzen Zuckergehalts. Bei Traubenzucker ist
der Fehler, der durch die Unsicherheit über die Gleichheit der Farben stattfindet,
noch größer, weil er weniger stark den Lichtstrahl ablenkt, als der Rohrzucker.
Namentlich habe ich oft gesehen, daß verschiedene Personen wegen ungleicher
Beurtheilung der Farben constant differirende Resultate erhielten. Ueberdieß ist es
noch zu ermitteln, in wie weit das Rotationsvermögen, z.B. des Harnzuckers, sich
ändert durch Gegenwart fremder Körper, Temperatur u.s.w.
Zur Bestimmung von Krümelzucker gibt nach meinen Versuchen die Reduction von
Kupferlösungen noch die genauesten und unter sich am meisten übereinstimmenden
Resultate, wenn man gewisse Vorsichtsmaßregeln beobachtet. Man hat dieser Methode
namentlich den Vorwurf gemacht, daß auch andere Stoffe ähnlich wie Zucker wirken
können; dieser Vorwurf
trifft jedenfalls die optische Probe eben so sehr. Die meisten fremden Körper lassen
sich durch Ausfällen mit Bleiessig entfernen, weßhalb diese Reinigung meistens
wesentlich ist. In normalem Harn, der mit 10 bis 20 Proc.
Krümelzucker (aus Harn oder Honig dargestellt, nach der Analyse = C₁₂H₁₂O₁₂
versetzt war, habe ich nach der Behandlung mit Bleiessig immer genau die zugesetzte
Menge Zucker gefunden. Da der Bleiniederschlag nach dem Trocknen ein sehr geringes
Volum einnimmt, so wird die Zuckerflüssigkeit mit Wasser und Bleiessig auf das
bestimmte Volum verdünnt, und von diesem nach dem Absetzen ein Theil der
obenstehenden Flüssigkeit schnell filtrirt und dann verwendet.
Eine weitere wesentliche Bedingung ist natürlich die Beschaffenheit der Kupferlösung;
ich habe früher nachgewiesen,Polytechn. Journal Bd. CXVII S.
276. daß diese eine bestimmte Zusammensetzung haben muß, um nicht beim Kochen für
sich schon zersetzt zu werden; es scheint namentlich die Reinheit des weinsauren
Kali's hier von Einfluß zu seyn, ich habe deßhalb statt neutrales weinsaures Kali,
das leichter krystallisirbare Seignettesalz angewendet, welches im Handel leicht
rein zu haben ist. Wird die Kupferlösung in gut geschlossenen ganz gefüllten Gefäßen
aufbewahrt, so hält sie sich Jahre lang unverändert; in angebrochenen oder schlecht
verschlossenen Gefäßen zieht sie leicht Kohlensäure an und scheidet dann beim Kochen
für sich schon rothes Kupferoxydul ab; dieselbe Veränderung erleidet die Lösung,
wenn man Kohlensäure hineinleitet, oder irgend eine andere Säure zusetzt, wodurch
ein Theil des Alkali's gesättigt wird. Versetzt man die veränderte Lösung vor dem
Kochen mit verdünnter Alkalilauge statt mit reinem Wasser, so verändert sie sich
beim Kochen nicht mehr. Es ist also nothwendig, die Kupferlösung stark alkalisch zu
machen und sie vor Zutritt von Kohlensäure geschützt aufzubewahren; und auch die auf
Zucker zu untersuchende Flüssigkeit darf nicht sauer seyn, wenn nicht die
Kupferlösung sehr großen Ueberschuß an Alkali enthält.
Bei der Probe selbst habe ich immer am besten gesunden, die Kupferlösung über einer
Lampe in schwachem Sieden zu erhalten, und die zuckerhaltende Lösung so langsam
zuzusetzen, daß das Sieden kaum unterbrochen wird.
Bei dem Einhalten des angegebenen Verfahrens bekommen selbst verschiedene
Experimentatoren, mit Lösungen, die von 15 bis 20 Proc Traubenzucker enthalten,
Resultate, die nicht mehr als um 0,1 Proc differiren, also auf 1/150 bis 1/200 des
Zuckergehalts übereinstimmen.
Am sichersten sind die Resultate bei Prüfung auf Krümelzucker; Rohrzucker muß zuerst
durch Erhitzen mit verdünnten Säuren in Fruchtzucker übergeführt werden, wobei es
schwierig ist, die vollständige Umwandlung zu erkennen. Milchzucker läßt sich
leichter als Rohrzucker durch Kochen mit verdünnter Schwefelsäure in Glucose
überführen, doch ist das bekanntlich hier nicht nöthig, da Milchzucker schon für
sich Kupferoxyd zu Oxydul reducirt, aber in einem anderen Verhältniß als
Krümelzucker. Nach Rigaud, wie auch nach Städeler und Krause, reducirt
1 Aeq. Milchzucker 7 Aeq., nach Boedecker 7,5 Aeq.
Kupferoxyd. Ich versuchte schon vor 12 Jahren die Kupferlösung mittelst Milchzucker
zu titriren, konnte aber keine constanten Resultate erhalten, und nahm deßhalb
später Traubenzucker. Durch obige Angaben veranlaßt, habe ich seiner Zeit wiederholt
Versuche über die Quantität des reducirten Kupfersalzes in der Art anstellen lassen,
daß eine genau gewogene Quantität Milchzucker mit etwas überschüssiger Kupferlösung
gekocht, das Kupferoxydul abfiltrirt und seine Menge genau bestimmt wurde. Hierbei
berechneten sich immer über 7 Aeq., zuweilen selbst über 8 Aeq. Kupferoxyd; Hr. Dr. Marx erhielt bei sechs
Versuchen mit den gleichen titrirten Lösungen von Milchzucker und Kupfervitriol auf
1 Aeq. der ersteren zwischen 7,62 und 7,96 Aeq. Kupfersalz; entschieden scheint die
Dauer des Kochens von Einfluß zu seyn. Zur Bestimmung von Milchzucker ist es also
auch unzweifelhaft nöthig, durch Kochen seiner Lösung mit etwas Schwefelsäure ihn in
Glucose umzuwandeln, was bald so vollständig erfolgt, daß 1 Aeq. Zucker genau 10
Aeq. Kupfersalz zersetzt.