Titel: | Ueber Gerberei und Leder; von Professor Dr. Fr. Knapp. |
Fundstelle: | Band 149, Jahrgang 1858, Nr. XC., S. 305 |
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XC.
Ueber Gerberei und Leder; von Professor Dr.
Fr. Knapp.
Aus den Abhandlungen der naturw. techn. Commission bei der k.
bayer. Akademie der Wissenschaften, München 1858, Bd. II S.
1.
Knapp, über Gerberei und Leder.
Der Proceß von der Durchdringung der Erfahrungen des praktischen Lebens durch die
naturwissenschaftliche Erkenntniß geht zwar in der jetzigen Zeit in sehr
ausgedehntem Maaßstab, aber darum nicht in gleichmäßigem Schritt vor sich. Bald wird
die Theorie durch das Herandrängen eines praktischen Zweigs veranlaßt oder durch das
Interesse, was er der gerade schwebenden wissenschaftlichen Discussion bietet,
verlockt, sich mit ihm zu befassen; bald bleibt ein Zweig aus Mangel an äußerer
Anregung, bald wegen der Schwierigkeit, welche die Untersuchung bei der ungünstigen
Natur dieses oder jenes Stoffes erwarten läßt, von der Wissenschaft weniger
beachtet. Auch die Verwechslung des Seltenen mit dem Wichtigen hat die Betheiligung
der Wissenschaft oft von Dingen eingreifendster Bedeutung abgelenkt und
Unbedeutendem zugeführt. So kommt es, daß man über die Ultramarinfabrication
wissenschaftlich besser unterrichtet ist, als über die tausendjährige
Glasfabrication, daß wir eine Menge ausländischer Droguen besser kennen, als
Roggen- und Gerstenmehl; daß wir über das Upasgift mehr Untersuchungen
besitzen, als über die Obstsorten oder den Cichorienkaffee; daß wir keine klare
wissenschaftliche Erkenntniß von der Natur des Gußeisens, des Stahls, des Porzellans
und vieler ähnlichen Dinge besitzen. Wenige gewerbliche Zweige unter denjenigen, die
durch ihre Producte als erste Lebensbedürfnisse hervorragende Bedeutung besitzen,
sind so sehr außerhalb der wissenschaftlichen Kenntnißnahme geblieben, wie dieß bei
der Gerberei der Fall ist. Zwar hat die Wissenschaft die Kenntniß von der Natur der
Gerbstoffe wesentlich erweitert, aber sie hat sich ohne Vergleich ausführlicher mit
den chemisch- als mit den technisch-wichtigen Gerbstoffen, wie der
Eichenrinde beschäftigt; so sehr sie die chemische Natur, die Constitution der
Gerbstoffe aufgehellt hat, so hat doch die Kenntniß von ihrem Verhalten zur
thierischen Haut, von der gegenseitigen Einwirkung beider und der Natur des daraus
hervorgehenden Productes einen verhältnißmäßig unerheblichen Zuwachs erfahren.
Die Gerberei ist rein empirischer Entstehung und aus der Praxis des
Handwerksbetriebes herausgewachsen. Selbst die verschiedenen Methoden der Gerberei
sind nicht etwa auf dem Boden einer rationellern Entwicklung entsprossene Zweige,
sondern von ursprünglich landschaftlichem Charakter, die nationalen Ausprägungen
derselben Industrie nach den jedesmal gebotenen Mitteln, die noch vielfach in der
gegenwärtigen Praxis vorsticht. Man spricht von ungarischem Leder, vom russischen
Juften; die Sämischgerberei ist ursprünglich nur die Gerbung, die der jagende
Indianer und der Viehzüchter mit dem Gehirn oder Fett des getödteten Thieres
bewerkstelligt, das Gerben mit Galläpfeln, die Saffianbereitung ist die Gerbmethode
des Orients, die Gerberei mit Eichenlohe die des Occidents u.s.w. Es ist nun nach
dem was unser jetziges Wissen bietet, sehr schwer, sich einen klaren Begriff über
die Natur und das Wesen des Leders und der Gerberei zu machen. Vieles steht nicht im
Einklang mit den Thatsachen im Allgemeinen; manches, was etwa für die Rothgerberei
paßt, widerspricht der Weiß-, was mit dieser vereinbarlich wäre, der
Sämischgerberei und umgekehrt.
Séguin, der um die Gerberei große Verdienste
besitzt, stützte sich auf die Umwandlung der thierischen Faser durch kochendes
Wasser in Leim, sowie auf die große Verwandtschaft des letztern mit dem Gerbstoff
(Tannin) und definirte das Leder als gewerbsmäßig dargestellte gerbsaure Gallerte.
Thierische Haut ist kein Leim, wenn auch fähig durch Kochen in Leim überzugehen; die
Verbindung des Leims mit Gerbsäure ist hart und spröde, der Zweck der Gerbung ist
vor allen Dingen Erhaltung der Geschmeidigkeit der Haut. Aehnlich verhält es sich
mit der Verbindung der Thonerdesalze mit Leim. Es ist also die Definition Séguin's, abgesehen davon, daß sie auf die
Sämischgerberei keine Anwendbarkeit hat, auch für Loh- und Weißgerberei nicht
haltbar. Zwar sagt noch Prechtl in seiner technol.
Encyklop. Bd. IX S. 238: „es verbinde sich (beim Gerben) die
fäulnißabhaltende Substanz mit der Faser, so daß dieselbe vermöge dieser chemischen Verbindung ihre gährungsfähigen
Eigenschaften verliere.“
Spätere Schriftsteller sprechen von einer chemischen Verbindung der Faser und des
Gerbstoffs nicht mehr, oder nicht mehr ausdrücklich. So läßt sich Dumas (Chimie appliquée aux
arts, Bd. VII S. 523) „combiner la
matière animale de la peau avec le tannin,“
Berzelius' Lehrbuch Bd. IX S. 369 spricht von einer
„Vereinigung“ beider
schlechthin, ohne sie näher zu erklären, während Karmarsch und
Heeren's technisches Wörterbuch, 2te Auflage Bd. II S. 561 „das
Leder durch bestimmte chemische Behandlungsweise entstehen läßt.“
Neuere Autoren scheinen das Leder wieder viel unumwundener als bloße chemische
Verbindung zu betrachten. Johnson (polytechn. Journal
Bd. CXLV S. 167) sagt in der
Beschreibung seines Verfahrens, aus Lederabfällen Leim zu machen, „so
lange die Gerbsäure mit Gallerte in dem Leder verbunden ist.“
Payen in seiner Abhandlung über die näheren Bestandtheile des Leders
(polytechn. Journal Bd. CXLV S. 70) erklärt
„die Festigkeit des Leders für abhängig von der Eigenschaft zweier
Gerbstoffverbindungen, die sich in derselben Haut gebildet hatten,“
einer lockern und einer faserigen; er sagt weiter – „der Gerbstoff
verbindet sich mit beiden Theilen der Haut (dem lockern und dem faserigen)Diese Unterscheidung fällt doch wohl zusammen mit dem Gewebe der Haut und
den Stoffen der thierischen Flüssigkeiten, die sich im Leben in der Haut
befinden und beim Gerben nicht absolut entfernt werden., für jeden derselben sind viel geringere Mengen Gerbstoff erforderlich
als für den Leim.“ – Stenhouse in
einer Mittheilung über Gewinnung des Leims aus Leder, polytechn. Journal Bd. CXLVII S. 70, spricht von der
„Verschiedenheit der Constitution“ zwischen Sohlleder und Oberleder, von
„einer Umwandlung (wonach dürre Leder keinen Leim mehr geben), die
mehr auf einer Umlagerung der Molecüle, als auf Stickstoffverlust
beruht.“
Es schien daher für die Theorie wie die Praxis von hinreichendem Interesse, eine
Reihe von Beobachtungen zu machen, um die Begriffe über Natur und Wesen des Leders
einigermaßen festzustellen.
–––––––––––
Bekanntlich ist es nicht die Haut im weitern Sinn des Worts, die der Gerber
bearbeitet, sondern die „rein gemachte
Haut“, oder „Blöße“, d.h. das durch mechanische und chemische Hülfsmittel
von allen übrigen Gebilden und Stoffen, wenn auch nicht vollkommen, doch in hohem
Grad befreite Corium. Die reingemachte Haut hat in nassem Zustand ganz und gar die
Beschaffenheit wie auf dem thierischen Körper; sie stellt ein milchweißes höchst
weiches, geschmeidiges Gewebe dar, welches unter dem Mikroskop als aus äußerst
subtilen farblosen, durchsichtigen, durch Gabelung vielfach verästelten, im
Allgemeinen der Hautoberfläche parallel laufenden Fasern besteht. Die
Undurchsichtigkeit und Milchweiße hat nur einen optischen Grund in der
Lichtzerstreuung. Beim Trocknen schrumpft dieses Gewebe zu einer hornartigen,
durchscheinenden, anscheinend structurlosen homogenen Masse ein, die einige Zeit in
Wasser gelegt, wieder zu der frühern geschmeidigen milchweißen Haut aufschwillt.
Die Erscheinung, daß die Haut beim Trocknen das milchweiße Ansehen verliert, beruht
darin, daß die Bindegeweb- und elastischen Fasern dabei zusammenkleben, etwa
wie die Windungen der Darmhaut in den Saiten zu musikalischen Instrumenten, so daß
die Zwischenräume und die Lichtzerstreuung wegfallen. Die Kraft, mit der die Fasern
aneinanderkleben, ist so
groß, daß es unmöglich ist, ihre Trennung auf rein mechanischem Weg zu
bewerkstelligen und so der Haut die frühere Geschmeidigkeit gleichsam auf trockenem
Weg wieder zu geben; sie bleibt entweder steif, pergamentartig, oder zerreißt, oder
widersteht beiden, wie dickere Rindshäute. – Bleibt eine reingemachte Haut
längere Zeit im Wasser liegen, so tritt ein fauliger Geruch und ein sichtliches
Schwinden ihrer Substanz ein; sie verdünnt sich, es zeigen sich später Löcher, die
mehr und mehr zunehmen, bis zur endlichen Zerstörung des Ganzen.
Die verschiedenen Operationen des Gerbens in der allgemeinsten Bedeutung genommen,
haben einen zweifachen Zweck: zunächst die Neigung der Haut zur Fäulniß soviel nur
immer möglich aufzuheben; dann sollen sie der Haut die Eigenschaft geben, nach dem
Trocknen keine steife hornartige Masse, sondern ein deutlich faseriges, nicht
durchscheinendes, mehr oder weniger geschmeidiges Gewebe zu bilden, oder sich doch
leicht und ohne Anstrengung auf mechanische Weise (durch
„Stollen“) in ein solches verwandeln zu lassen. Eine Haut,
die dieß thut, nennt man gar und der daraus abgeleitete
Kunstausdruck GerberEigentlich „Gärben“ von gar machen; am Rhein nennt man
die entgegengesetzten Eigenschaften „spissig“, ein terminus technicus, dessen Etymologie ich nicht
anzugeben weiß. besagt sehr gut, wie es sich in den Augen des Handwerkers zunächst und vor
allem um die Gare, gleichviel ob durch dieses oder jenes Mittel, handelt. Auf die
Erreichung der beiden Hauptzwecke der Gerbung haben zwar alle drei
Hauptarbeiten,
das Reinmachen der Haut,
die Gerbung im engern Sinne
und das Zurichten,
Einfluß, aber dieser Einfluß ist bei der zweiten, der Gerbung
im engern Sinne, überwiegend; doch ist es nothwendig, der Betrachtung dieser
letztern einige Bemerkungen über
das Reinmachen
vorauszuschicken. Das an der Fleischseite der Haut anhängende
Unterhautzellgewebe, sowie die das Gewebe der Haut durchsetzenden feinen Gefäße und
Nerven, wenigstens die sie erfüllenden Substanzen werden durch die bekannten Mittel
des Einweichens und des Bearbeitens auf dem Schabebock entfernt. Die Reinigung der
Narbenseite der Haut, das „Abhaaren“
ist jedoch eigenthümlicher Art; es bezweckt die anatomische Scheidung des Coriums
von der auf ihm liegenden Epidermis und mit den der letztern zusammenhängenden
Gebilden, insbesondere den Haaren. Die Erscheinung und Manipulation beim Abhaaren
ist oft, weil man das Anatomische nicht berücksichtigte, mißverstanden worden.So gibt z.B. Prechtl in seiner technologischen
Encyklopädie Bd. IX S. 244 an, die Haare wurzelten im
Unterhautzellgewebe. Die Haare sind bekanntlich reine Epidermisgebilde und sitzen in dem Corium
nur mittelbar, unmittelbar aber in einer in das Corium tief hineinragenden
Einstülpung der Oberhaut. Die beim Abhaaren zur Anwendung kommenden Mittel (Kalk
beim Kalkäschen, Gährung beim Schwitzen) bezwecken daher nur eine Lockerung der
Epidermis. Beim Abstoßen der Haare von den gekalkten oder vom Schwitzen kommenden
Häuten wird eigentlich nur die Epidermis und zwar mit der in ihr befestigten
Behaarung vom Corium abgestoßen; die Haare dienen dabei mehr als Handhabe. –
Etwas anders verhält sich dieß bei der Anwendung von Rhusma, oder der ihm ähnlich
wirkenden Schwefelverbindungen. Wie schon Böttger seiner
Zeit bemerkt hat, besitzt das Product der Einwirkung von Schwefelwasserstoff auf
Kalkmilch dieselbe Wirkung aus das Haar und in gleichem Grad, wie das Gemisch von
Schwefelarsenik mit gelöschtem Kalk; es ist zugleich trefflich geeignet, den Vorgang
genau zu beobachten. Wenn man nämlich Kalkmilch mit Schwefelwasserstoff sättigt, so
bildet sich neben dem ungelösten Schwefelcalcium eine wasserklare Lösung von
Schwefelwasserstoff-Schwefelcalcium, welche allein jene Wirkung des Rhusma
besitzt. Senkt man in eine solche Lösung ein Haar, so wird es nach einigen Secunden
völlig schlaff, verliert die Durchsichtigkeit, wird milchig und läßt sich durch den
gelindesten Druck mit Leichtigkeit zerquetschen. Betrachtet man das aufgeweichte
Haar unter dem Mikroskop, so findet man die das Haar äußerlich umgebende und
einhüllende Zellenschicht völlig verschwunden und die sonst fest verbundenen Fasern
der eigentlichen Haarsubstanz von einander losgelöst, außer Zusammenhang und
erweicht. Behandelt man auf ähnliche Weise ein Stück behaarte Haut, so läßt sich das
Haar schon mit einem hölzernen Messer oder Falzbein wegschaben. Es wird jedoch dabei
die Epidermis nicht gleichzeitig beseitigt und das Haar mehr oberflächlich entfernt,
als entwurzelt.
Das Gerben.
Wie man sich die Vereinigung oder Verbindung der Haut mit den gerbenden Substanzen,
wenn sie keine chemische ist, denken solle, bleibt eine für Theorie und Praxis
wichtige Frage. Durchläuft man die sehr lange Liste von Patenten und Verbesserungen
im Fache der Gerberei, so muß man gestehen, daß ein nicht unbedeutender Theil des
Bestrebens zu nützen und
Fortschritte zu machen, durch die unrichtigen Anschauungen, wie sie einmal gäng und
gäbe sind, eine falsche unfruchtbare Richtung erhalten hat. So existirt, um nur ein
Beispiel anzuführen, ein Patent, worin der Erfinder einer Schnellgerbemethode den
Gerbstoff dem Innern der Haut dadurch zugänglicher zu machen sucht, daß er die Haut
vor dem Gerben auf einer Maschine mit Nadelstichen durchbohrt! Die Haut ist nun so
durchdringlich und in dem Grad den Gerbstoffen zugänglich, daß ein Stück einer
1–1 1/2 Linien starken Kalbshaut in eine syrupdicke ätherische Lösung von
Galläpfelgerbstoff gelegt, in höchstens einer Stunde
völlig gar und ausgegerbt ist.
Auch die gewöhnlichen Proceduren der Gerber enthalten nicht weniges, was gegen die
Annahme spricht, als sey das Leder einfach eine chemische Verbindung. – Wenn
das Leder eine chemische Verbindung der gallertgebenden Hautsubstanz mit Gerbstoff
wäre, so müßten andere leimgebende Thierstoffe eben so gut Leder bilden, was nicht
der Fall ist. Fasern, entkalkte Knochen z.B. bilden selbst nach längerem Behandeln
niemals irgend dem Leder ähnliches. Umgekehrt besitzen Thonerdesalz und Eisensalze
ausgezeichnete gerbende Eigenschaften, obwohl sie den Leim nicht fällen. –
Ferner ist die Verschiedenheit der chemischen Natur der Gerbmittel und ihre
Mannichfaltigkeit nicht zu Gunsten jener Annahme. Salze der Metalloxyde
M₂O₃, Gerbsäure, Fett sind so heterogene Dinge und bringen doch in der
Gerberei so gleiche Wirkung hervor. Wenn sich ein Körper organischer Abstammung von
irgend einer histologischen Form, z.B. in der Form von Fasern etc. mit einem andern
chemisch verbindet, so geschieht dieß in der Regel mit Verlust dieser Form, d.h. die
Verbindung ist nicht mehr faserförmig. Zwar hat man in der Schießbaumwolle den Fall,
daß die Faser unter Beibehaltung ihrer organischen Form eine wahre chemische
Verbindung mit der Salpetersäure eingeht, aber es kann wenigstens die Verbindung
nicht rückgängig gemacht werden, was beim Leder der Fall ist. – Bei der Haut
wird die anatomische Structur und die Form der Bindegewebfasern durch das Gerben
nicht allein nicht angetastet, sondern erst recht deutlich hervorgehoben. Dazu
kommt, daß das auf die Haut fixirte Gerbmittel sich vollkommen wie chemisch frei
verhält; es läßt sich in dieser Fixirung leicht mit jedem andern Körper verbinden,
zu dem es Verwandtschaft hat, z.B. auf die Haut fixirte Gerbsäure mit Eisensalzen
schwarz u.s.f. färben, ohne daß sie von der Faser losläßt. Eine in
Galläpfelgerbsäure gegerbte Haut verliert durch Auswaschen, auch mit der größten
Menge Wasser und wenn es noch so lange fortgesetzt wird, ihre Gerbsäure bis auf den
etwa in den Poren zurückgebliebenen unverbundenen Theil nicht wieder. In der Kälte
mit einer sehr
verdünnten Lösung von kohlensaurem Natron digerirt, nimmt die anfangs wasserklare
Lösung eine bräunlichgelbe Farbe an, die rasch in Berührung mit der Luft dunkelt,
sie fällt alsdann Eisenoxydsalze, Brechweinstein und Leim. Der rückständige Theil
des Leders erscheint durchsichtig, geschwellt; er trocknet nach dem Auswaschen zu
einer durchscheinenden hornartigen Masse ein, die sich in siedendem Wasser
allmählich aber vollständig zu Leim auflöst. Dieß ist also eine vollkommene
Rückbildung von Leder in Haut und man kann so die Haut beliebigemal in Leder
verwandeln und rückwärts. Behandelt man ein in Eichenlohe gegerbtes Leder in
derselben Weise, so entzieht zwar die Soda, indem sie sich braun färbt, viel
extractive Bestandtheile, welche anfangs Eisensalze schwärzen, später nicht mehr;
der Rückstand erscheint ebenfalls geschwellt, viel heller von Farbe als vorher, aber
er ist immer Leder, gibt keinen Leim, eine Reduction zu Haut findet nicht statt. Es
muß daher der leider kaum bekannte Gerbstoff der Eichenrinde, von dem man nur weiß,
daß er von dem der Galläpfel sehr verschieden ist, weit inniger an der Faser haften
als letzterer.Diese Beobachtung ist schon vor sechs Jahren in meiner chemischen Technologie
erwähnt. Auch Stenhouse fand (l. c.) bei der Behandlung der Leder mit
Kalkhydrat im Papin'schen Topf, daß gewisse
leichte Leder in Haut reducirt wurden, Sohlleder aber nie. Er glaubt diesen
Umstand, der wohl nur in der Verschiedenheit der angewendeten Gerbestoffe
beruht, in einer Verschiedenheit der „Constitution“ der
Lederarten suchen zu müssen.
Sowie sich die Gerbsäure auf der Haut verändern und chemisch mit anderen Stoffen
verbinden kann, so kann sich auch die Hautfaser umändern ohne von der Gerbsäure
loszulassen. Kocht man Leder – in diesem Fall ist es gleichgültig ob
loh- oder galläpfelgares – in Wasser, so verwandelt es sich in eine
tiefbraune in der Hitze zähe, fadenziehende, in der Kälte spröde, leicht zu
pulvernde faserlose Masse von muscheligem Bruch, – eine Substanz, die nichts
anders ist als die Verbindung von Gerbsäure mit Leim. – Alaungares Leder
verhält sich völlig wie Haut, in Wasser gekocht verwandelt es sich ohne weiters in
Leim, indem es sich auflöst; in angesäuertes Wasser gelegt, schwillt es wie Haut und
ist nicht von solcher zu unterscheiden, was bei lohgarem Leder nicht der Fall ist.
– Jeder Gerber weiß, daß weißgares Leder nach der Gerbung nicht ausgewaschen
werden darf. Alaungares Leder gibt nämlich an kaltes Wasser beim Auswaschen das
aufgenommene Thonerdesalz ziemlich rasch und vollständig wieder ab, so daß zuletzt
nichts als die ursprüngliche Haut zurückbleibt. Bei alaun- oder weißgarem
Leder kann mithin am wenigsten eine chemische Verbindung des Thonerdesalzes mit der
thierischen Faser vorausgesetzt werden. Weit eher wäre dieß bei den Bestandtheilen
des sämischen Leders der
Fall, welches eine in der That merkwürdige Widerstandskraft gegen Reagentien
besitzt. Längere Zeit in Wasser gekocht gibt es nur Spuren von Leim und behält nach
dem Trocknen seine faserige Beschaffenheit und Geschmeidigkeit fast unverändert, nur
daß es etwas narbenbrüchig wird, wenn es anders mit der Narbe gegerbt worden. Nur
durch Behandeln mit einer Auflösung von ätzenden Alkalien, wenn man es nicht bis zur
völligen Auflösung damit behandelte, wird das sämische Leder nach dem Trocknen
spröde und brüchig. Säuren schwellen es gar nicht.
Faßt man alle diese Erfahrungen und Thatsachen zur Entscheidung der Frage zusammen,
ob dieß Leder eine chemische Verbindung der Haut mit dem Gerbmittel ist, oder nicht,
so sprechen sie überwiegend dagegen. Es bleibt noch übrig, die Frage auf
experimentellem Wege der Lösung näher zu bringen. Insbesondere erschien es von
Interesse, den Einfluß zu studiren, den die Haut (Bindegewebfaser) auf die
Gerbmittel äußert, ob sie fähig ist Zersetzungen derselben hevorzubringen, in
welchen Gewichtsmengen sie dieselben aufnimmt und sofort. Zu dem Ende setzt man die
Haut Auflösungen der Gerbmittel von bekanntem Gehalt aus und untersucht das
Ergebniß. Es wäre zwar auf den ersten Anblick das einfachste, die Haut vor und nach
dem Gerbversuch zu wiegen, allein es ist unmöglich auf diesem Weg auch nur annähernd
richtige Resultate zu erhalten. Einmal ist es ungemein schwierig, die Haut auf einen
so hohen Grad von Reinheit zu bringen, daß sie an die Auflösung der Gerbmittel keine
löslichen Stoffe mehr abgibt, dann ist es nicht viel leichter, die Haut zum Behuf
des Wiegens vollkommen zu trocknen, ohne sie zugleich für die Aufnahme der
Gerbmittel ungeschickt zu machen; endlich aber bietet die Eigenschaft der Haut, von
dem aufgenommenen Gerbmittel unter dem Einfluß des Auswaschwassers wieder abzugeben,
das größte Hinderniß. Da die Gränze durch keine bestimmten Kennzeichen markirt ist,
so bleibt man stets im Zweifel, ob man von dem bereits auf die Haut fixirten
Gerbmittel durch zu weit getriebenes Auswaschen einen Theil wieder entfernt, oder ob
man im Gegentheil durch mangelhaftes Auswaschen einen Theil des nicht fixirten
Gerbmittels in den Poren der Haut zurückgelassen hat. – Zu den Versuchen
verschafft man sich von dem Gerber reingemachte Haut, sog. Blöße, die man zuerst auswindet, in destillirtem Wasser aufweicht, wieder
auswindet und so drei- bis viermal, um sie dann durch methodisches Auswaschen
von den etwaigen löslichen Bestandtheilen vollends zu befreien. Zu dem Ende bedient
man sich am besten eines möglichst hohen Glascylinders; man füllt diesen mit
destillirtem Wasser und bringt die Hautstücke mittelst eines Platindraht-
oder Glasrosts so in den Cylinder, daß sie gerade unter die Oberfläche untergetaucht sind.
Das was das destillirte Wasser aus der Haut auflöst, senkt sich zu Boden und wird
sofort durch reines Wasser ersetzt. Es genügt bei 5–10 Grm. Haut das
destillirte Wasser des Glascylinders nach je 24 Stunden 4–5mal zu erneuern,
um dahin zu gelangen, daß eine unter der Luftpumpe getrocknete Probe keine
Gewichtsabnahme mehr zeigt. – Die Veränderungen, welche die Haut auf die
Lösung von Gerbmitteln hervorbringt, lassen sich am besten an den Lösungen selber
beobachten. – Zur Behandlung der gereinigten und ausgewaschenen Haut mit den
Gerbmitteln bringt man die Lösung von angemessener Stärke in ein dünnes Becherglas
von 150–200 Grm. Inhalt, welches man auf einer empfindlichen Waage wiegen
kann. Das Glas ist von Oben mit einer aufgeschliffenen Glasplatte als Deckel
verschließbar. Die schwache Verdunstung, welche trotz des Glasdeckels immerhin
während der Dauer des Versuchs noch stattfindet, läßt sich so aufs Genaueste mit der
Waage controliren; ein Glasstab als Rührer zum Bewegen der Haut ist mit
eingeschlossen. Auf diese Art ist man im Stande, jede Aenderung im Gewicht des
Ganzen zu controliren. Die Quantität dessen, was die Haut aus der Flüssigkeit
ausnimmt und fixirt, ergibt sich aus der Analyse des Bestandes der Lösung vor und
nach dem Versuch, auf ihre Quantität berechnet. Auf diese allerdings mühsame und
zeitraubende Art, welche in manchen Fällen durch Titriren abgekürzt werden kann,
kann man die Einwirkung der Haut und der Gerbesubstanzen studiren, ohne den
mindesten störenden Eingriff in den Act ihrer gegenseitigen Bindung.
Gerbversuch mit Alaun.
In 40,655 Grm. einer verdünnten Lösung von gewöhnlichem, mehrmals unkrystallisirtem
Alaun legte man unter wiederholtem Umrühren ein in destillirtem Wasser völlig
ausgewaschenes Stück einer Kalbsblöße von 3,862 Grm. Trockengewicht 2 × 24
Stunden ein. Die ausgewaschene Haut wurde zuerst zwischen Fließpapier, dann unter
der Luftpumpe über Schwefelsäure getrocknet, gewogen, nachher in destillirtem Wasser
wieder aufgeweicht und sammt dem letzten der Alaunlösung zugesetzt, indem man den
dadurch hervorgebrachten Gewichtszuwachs bestimmte. – Die Alaunlösung vor dem
Versuch wog 40,655 Grm.; 19,822 Grm. derselben gaben 0,225 Thonerde, entsprechend
1,132 wasserfreiem Alaun; – die Lösung nach dem Versuch wog 40,164 Grm.;
13,984 derselben gaben 0,144 Thonerde und 0,408 Schwefelsäure, entsprechend 0,690
wasserfreiem Alaun. Es war daher
vor dem Versuch
2,318 Grm. wasserfreier Alaun
nach
„ „
1,983 „
„
„
in Lösung und sind mithin
0,335 Grm. oder 8 1/2 Proc. der Haut von dieser fixirt
worden.
Die Haut erschien vollständig gar. Die gefundenen Mengen
Schwefelsäure und Thonerde stehen in dem Verhältniß von 4 SO₃: 1,08
Al₂O₃ und ist mithin keine Aenderung in der Zusammen setzung des
Thonerdesalzes vor sich gegangen.
Als Alaunlösung mehrmals hintereinander mit Hautstreifen behandelt und dann
abgedampft wurde, gab die Flüssigkeit nur Alaunkrystalle wie vor dem Gerben.
Gerbversuch mit schwefelsaurer Thonerde.
Unter gleichen Umständen wie im vorigen Versuch brachte man 1,814 Grm. gereinigte
Haut in 44,996 Grm. einer Lösung von reiner schwefelsauren Thonerde. Die Lösung
enthielt vor der Gerbung 1,589 wasserleeres Salz, nach der Gerbung 1,082 Grm. und
wurde mithin von der Haut 0,507 oder 27,9 Proc. fixirt. Es gaben 24,103 Grm. der
Lösung vor dem Gerben 0,262 Thonerde und 0,591 Schwefelsäure; nach dem Gerben 10,006
Grm. Lösung 0,114 Thonerde und 0,259 Schwefelsäure. Das Aequivalentverhältniß ist im
ersten Fall 1: 2,92, im zweiten Fall 1: 2,91, also ungeändert und hat keine
Zersetzung stattgefunden.
(Der Schluß folgt im nächsten Heft.)