Titel: | Ueber die Entmischung des Weingeistes in Folge spontaner Verdunstung; von Professor Dr. August Vogel jun. in München. |
Fundstelle: | Band 149, Jahrgang 1858, Nr. CXXIX., S. 449 |
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CXXIX.
Ueber die Entmischung des Weingeistes in Folge
spontaner Verdunstung; von Professor Dr. August Vogel
jun. in München.
Aus den Sitzungsberichten der
mathematisch-naturwissenschaftlichen Classe der kais. Akademie der
Wissenschaften, Wien 1858, Bd. XXX S. 261.
Mit Abbildungen auf Tab.
VIII.
Vogel, über die Entmischung des Weingeistes in Folge spontaner
Verdunstung.
Eine genauere Kenntniß des Verdampfungsverhältnisses des reinen Alkohols zum Wasser,
welches aus einem Weingeiste durch spontane oder absichtliche Verdampfung entweicht,
muß für mannichfache technische Fragen nicht ohne Interesse erscheinen, unter
anderen bei der Destillation, beim Lagern des Spiritus in Fässern, beim Schaalwerden
geistiger Flüssigkeiten etc. Ich habe deßhalb durch eine Reihe directer Versuche die
näheren Anhaltspunkte für diesen Gegenstand zu ermitteln gesucht. Zunächst begann
ich damit, eine gewogene Menge wässerigen Alkohols der spontanen Verdampfung zu
überlassen. Nach einigen Tagen wurde die Wägung des Alkohols wieder vorgenommen,
dessen specifisches Gewicht genau bei 15,5° C. genommen, und derselbe sodann
abermals während einiger Tage der spontanen Verdampfung ausgesetzt.
Die Bestimmung des specifischen Gewichtes geschah in den von nur zu diesem Zwecke
construirten specifischen Gewichtsfläschchen.Polytechn. Journal Bd. CXLIV S.
178. Da jedoch bei der Füllung und Ausleerung derselben jedesmal ein geringer
Verlust an Flüssigkeit stattfinden mußte, so wurde dieser durch ZurückwägenDas Zurückwägen ist in den folgenden Tabellen der Kürze wegen mit dem
Ausdrucke „nach der Operation bezeichnet.“
bestimmt, dann aber berechnete ich in den Tabellen die Gehalte an Alkohol
und Wasser auf das ursprüngliche der spontanen Verdampfung ausgesetzte Gewicht.
Es erstreckten sich diese Versuche zunächst auf drei Alkohole von verschiedenem
Gehalte, nämlich von 84,64 Gew. Proc., 49,55 Proc. und 10,08 Proc. an absolutem
Alkohol. Dieß geschah aus dem Grunde, weil allenfallsige Verunreinigungen sich
offenbar in dem aus 84,64procentigen durch spontane Verdampfung auf 10procentigen
herabgekommenen Alkohol beträchtlich anhäufen mußten; namentlich gilt dieß von
Spuren nicht völlig entfernten Fuselöles, wodurch das Resultat der spec.
Gewichtsbestimmung beeinträchtigt werden müßte.
Die Reduction des specifischen Gewichtes auf Gewichtsprocente geschah nach den von
Fownes ausgearbeiteten Tabellen, welche sich bei
früheren Controlbestimmungen als besonders zuverlässig ergeben hatten.
Die Capacität des zu den specifischen Gewichtsbestimmungen dienenden Fläschchens
ergab sich zu:
Spec. Gewicht Fläschchen + Stativ +
Wasser
12,301 Gramme.
„
„
„ +
„
5,605
„
i. e. Volumen Wasser
6,696
„
Die erste Versuchsreihe, wobei ein 85procentiger Alkohol der spontanen Verdampfung
ausgesetzt wurde, ergab folgende unmittelbare Wägungen.
Erste Versuchsreihe.
Tara des
Verdunstungsgefäßes
71,26 Gramme.
Nr. 1. Den 4. März.
Gewicht-BruttoD.
i. Verdunstungsgefäß + Verdunstungsflüssigkeit.
186,11
Volumen Alkohol-BruttoFläschchen
mit Stativ + Alkohol.
11,207
Nr. 2. Den 6. März.
Gewicht-Brutto
159,99
Nach der Operation
159,61
Volumen Alkohol
11,236
Nr. 3. Den 8. März.
Gewicht-Brutto
146,04
Nach der
Operation
145,80
Volumen Alkohol
11,255
Nr. 4. Den 10. März.
Gewicht-Brutto
133,52
Nach der Operation
133,29
Volumen Alkohol
11,276
Nr. 5 Den 13. März.
Gewicht-Brutto
116,49
Nach der Operation
116,21
Volumen Alkohol
11,311
Nr. 6. Den 16. März.
Gewicht-Brutto
104,35
Nach der Operation
104,11
Volumen Alkohol
11,358
Nr. 7. Den 19. März.
Gewicht-Brutto
92,72
Nach der Operation
92,42
Volumen Alkohol
11,451
Nr. 8. Den 22. März.
Gewicht-Brutto
83,70
Nach der Operation
83,27
Volumen Alkohol
11,589
Nr. 9. Den 24. März.
Gewicht-Brutto
78,18
Volumen Alkohol
11,79
Hier wurde die erste Versuchsreihe aus den oben angeführten Gründen und auch deßhalb,
weil das Volumen zur Bestimmung des specifischen Gewichtes zu klein geworden wäre,
unterbrochen.
Es folgt nun die zweite Versuchsreihe, wozu 50procentiger Alkohol, absichtlich durch
Verdünnen mit Wasser aus dem Alkohol der vorigen Versuchsreihe hergestellt,
verwendet wurde.
Zweite Versuchsreihe.
Tara des
Verdunstungsgefäßes
39,30
Nr. 10. Den 11. März.
Gewicht-Brutto
92,20
Volumen
Alkohol
11,761
Nr. 11. Den 12. März.
Gewicht-Brutto
72,24
Nach der
Operation
71,66
Volumen Alkohol
11,983
Nr. 12. Den 13. März.
Gewicht-Brutto
61,57
Nach der Operation
61,00
Volumen Alkohol
12,136
Nr. 13. Den 19. März.
Gewicht-Brutto
48,56
Volumen Alkohol
12,300.
In dem letzten Versuche dieser Reihe war allerdings nur reines Wasser als Rückstand
geblieben, so daß die Reihen damit hätten abbrechen können; um jedoch noch genauere
Werthe für die Entmischung solcher Flüssigkeiten, die sehr arm an Alkohol sind, zu
gewinnen, wurde noch eine dritte Versuchsreihe mit einem 10procentigen Alkohol
ausgeführt.
Dritte Versuchsreihe.
Tara des
Verdunstungsgefäßes
39,30
Nr. 14. Den 17. März.
Gewicht-Brutto
85,85
Volumen Alkohol
12,194
Nr. 15. Den 18. März.
Gewicht-Brutto
77,75
Nach der
Operation
77,51
Volumen Alkohol
12,251
Nr. 16. Den 19. März.
Gewicht-Brutto
71,40
Nach der Operation
71,11
Volumen Alkohol
12,283
Nr. 17. Den 20. März.
Gewicht-Brutto
66,23
Nach der Operation
65,58
Volumen Alkohol
12,296
Nr. 18. Den 22. März.
Gewicht-Brutto
57,20
Volumen Alkohol
12,302
Wir haben hiemit nun die Daten vollständig bei einander, welche uns ein Bild der
schrittweisen Entmischung des 85procentigen Alkohols in Folge der spontanen
Verdampfung darbieten, um damit das Verhältniß, in welchem dabei Wasser und Alkohol
aus dem jedesmal zum Versuche verwendeten Weingeist entweichen, zu überblicken.
Berechnet man nun aus den angeführten Wägungen das spec. Gewicht, daraus dann nach
Fownes' Tabellen den Gewichts-Procentgehalt an
absolutem Alkohol und hieraus endlich wieder den Gehalt an absolutem Alkohol und
Wasser in dem jedesmal der Wägung unterworfenen Weingeist, so erhält man folgende
tabellarische Zusammenstellung:
Tabellarische Zusammenstellung.
Textabbildung Bd. 149, S. 453
Gewicht des Weingeistes; Specifis.
Gewicht; Procentgehalt an absolutem Alkohol; D.h. in der Gesammtmenge Gehalt an;
absolutem Alkohol; Wasser; D.h. es verdampfte in dieser Periode ein Alkohol v.
Procentgehalt; Versuchsreihe 85procent. Alkohol; 50proc.; 10procent; Nr.
Aus der Vergleichung der Werthe in der letzten Verticalspalte dieser Tabelle wird ein
interessantes und technisch höchst wichtiges Verhalten wasserhaltiger Alkohole beim
Verdampfen klar. Stets verdampft natürlich ein alkoholreicherer Weingeist, als der
der Verdunstung ausgesetzte. So entwich im Durchschnitt in der Zwischenzeit zwischen
den beiden ersten Versuchen, während welcher der Alkoholgehalt von 84,64 auf 82,92
herabsank, ein Alkohol von 90,48 Proc., also ein weit stärkerer. In einem ungleich
auffallenderen Maaße findet nun aber dieses Entweichen stärkeren Alkohols, als der
ausgesetzte Spiritus, in schwachen weingeistigen Flüssigkeiten statt. In Nr. 10
entweicht schon aus einem 49,55 procentigen Weingeist, während derselbe auf 33,14
herabsinkt, ein Alkohol von 76,6 Proc. In dem letzten Versuche, Nr. 16 und Nr. 17,
tritt diese Differenz noch mehr hervor, so daß aus einem (Nr. 16) 1,5proc.
Weingeist, bis derselbe auf 0,35 herabkömmt, ein 7,68 procentiger Weingeist
fortgeht. Dieses Verhalten ist um so beachtenswerther, als dadurch überhaupt die
Möglichkeit gegeben ist, durch Destillation einen schwachen Weingeist, zu
concentriren; denn offenbar müssen auch für die Verdampfung bei höheren Temperaturen
analoge Gesetze bestehen. Aus der Kenntniß dieser Gesetze würde eine technisch
wichtige Anwendung auf die Spiritusbereitung folgen.
Zur leichteren Uebersicht des Vorganges schien es vortheilhaft, die gefundenen und im
Vorhergehenden mitgetheilten Werthe als Curve zu verzeichnen. Nimmt man hiebei
zunächst das Gesammtgewicht des jedesmal der Verdunstung ausgesetzten Alkohols als
zugehörige Ordinaten auf, so erhält man die Ansichten in Fig. 28–30.
Man kann sich nun leicht durch directe Anschauung überzeugen, namentlich wenn man die
2. und 3. Versuchsreihe (Fig. 29 und 30)
berücksichtiget, daß diese Werthe in der Verzeichnung keine gerade Linie geben, d.h.
daß nicht Alkohol und Wasser in einem constanten Verhältniß verdampfen. Theoretisch
würde man Aehnliches gefolgert haben, denn es ist klar, daß indem weniger Wasser als
Alkohol im Anfange der ersten Versuchsreihe verdampfte, der Wassergehalt sich in dem
Rückstande steigern mußte und bei der Gleichförmigkeit der Mischung also sich eine
nunmehr überwiegende Menge Wasserpartikelchen an der Oberfläche der Verdunstung
darbieten müßte.
Eben wegen der Eigenschaft, daß die dichteren aus der Verdunstung resultirenden
oberen Schichten niedersinken und dadurch eine beständige Ausgleichung der Mischung
durch die ganze Masse herbeiführen, eignet sich Weingeist besonders zum Studium der
partiellen Betheiligung verschiedener flüchtiger Liquida an der Verdampfung ihrer
Gemische.
Versucht man nun diesen Schluß auf die vorliegenden Beobachtungswerthe anzuwenden, so
ergibt sich, wenn wir uns dabei sogleich an ein wirkliches Zahlenbeispiel halten,
folgende Betrachtung.
Nimmt man z.B. in der Periode zwischen dem ersten und zweiten Versuch die Verdunstung
als gleichmäßig an, da in der That dieses Stück der Curve von der geraden Linie
nicht merklich abweicht, so erhält man für eine mittlere Abscisse = 101,78 die dem
verdunsteten Alkohol und Wasser entsprechenden Werthe: 23,64 und 2,48, b. h. während
23,64 Alkohol verdampften, giengen zugleich 2,48 Wasser fort.
Diesem Werthe der Abscisse entspricht nun eine den Alkohol repräsentirende Ordinate
von 85,39; dieses Verhältniß der Verdampfung fand daher statt bei einem Alkohol von:
(100 × 85,39)/101,78 = 83,90 Proc. In diesem Weingeiste lagen also offenbar
83,90 Theilchen Alkohol neben 16,10 Wassertheilchen; von gleichen Gewichten Alkohol
und Wasser in der Mischung, d.h. von 16,10 Theilen dieser 83,90 verdampfen (16,10
× 23,64)/83,90 und während dieser Zeit verdampfen 2,48 Theile Wasser. Um also
die Alkoholmenge zu finden, die während der Zeit, da ein Theil Wasser verdampft,
fortgeht unter der Voraussetzung daß beide gleiche Oberflächen haben, erhält man
folgende Gleichung:
x = (16,10 × 23,60)/(83,90 × 2,48),
x = 1,826,
d.h., während 1 Theil Wasser verdampft, verdampfen von einer
gleich großen Oberfläche 1,826 absoluter Alkohol.
Führt man nun dieselbe Betrachtung für ein anderes Beispiel obiger Werthe, z.B. für
das Mittel zwischen den Beobachtungen Nr. 8 und Nr. 9 aus, so hat man: die mittlere
Abscisse = 10,19, für die mittlere Ordinate = 5,70, d.h. die hier stattfindende
Verdunstung bezieht sich auf einen 56,92procentigen Alkohol. Aus diesem verdampfte
nun auf 1,16 Wasser 4,32 Alkohol. Es fragt sich abermals, wie viel Alkohol
verdampft, während von einer gleichgroßen Oberfläche 1 Theil Wasser verdunstet?
Man hat für diesen Fall:
x = (43,08 × 4,32)/(56,92 × 1,16),
x = 2,82.
Nimmt man endlich noch als drittes Beispiel die Verdampfungsperiode zwischen Nr. 15
und Nr. 16, so hat man:
mittlere Abscisse
= 35,31
„ Ordinate
= 1,06.
Dieß entspricht einem Weingeiste von 3,00 Proc. absolutem Alkohol und man hat sonach
wieder:
x = (97,00 × 1,17)/(3,00 × 4,99),
x = 7,58.
Aus dem Vergleiche dieser Werthe ergibt sich das interessante Resultat, daß in
schwachem Weingeiste eine weit beträchtlichere Verdampfung stattfindet, bezogen auf
die Betheiligung desselben an der verdampfenden Oberfläche, als dieses für stärkeren
Weingeist unter demselben Gesichtspunkte der Fall ist. Aus 84procentigem Alkohol
verdampfen, wie so eben abgeleitet, 1,826 Theile Alkohol, während von der gleichen
Oberfläche 1 Theil Wasser ausgehaucht wird, aus 57procentigem Alkohol schon 2,82
Theile Alkohol und aus einem Alkohol von 3 Procenten 7,58 Theile Alkohol. Das eine
Extrem dieses Falles würde der nahezu absolute Alkohol seyn, bei welchem ja
bekanntlich für die vorliegenden Bedingungen eine Wasseranziehung aus der Atmosphäre
stattfindet. Die zunächst über der Oberfläche stehende mit Wasser gesättigte
Luftschicht bleibt sich im Anfange und Ende des Versuches gleich, in ihr können aber
bei geringerem Alkoholgehalt größere Antheile, ähnlich wie im leeren Räume,
diffundiren. In dieser Weise lassen sich die bei abnehmendem Alkoholgehalt der
Mischung wachsenden Werthe für x erklären.
Wenn man die Umstände berücksichtigt, unter welchen die Verdunstung von Statten geht,
so muß man namentlich beachten, daß dieselbe in atmosphärischer Luft, die also bis
zu einem gewissen Grade mit Feuchtigkeit beladen ist, vor sich geht. Findet nun aber
die Diffusion verschiedener Gase gerade so statt wie im luftleeren Räume, so ist
klar, daß der Alkoholdampf sich in die Atmosphäre gerade so wie in den leeren Raum
diffundiren werde, dagegen wird dieß beim Wasser nicht der Fall seyn, welches
vielmehr unter einem der Hygroskopicität der Luft entsprechenden vermehrten Drucke
verdunsten wird. Bei der spontanen Verdampfung weingeistiger Flüssigkeiten muß daher
stets der Feuchtigkeitsgrad der Luft von entschiedenstem Einflüsse seyn und bei
einer erschöpfenden Behandlung dieser Frage wäre jenem Factor ganz besonders
Rechnung zu tragen. Ein anderer Fall ist die Verdampfung in geschlossenen Gefäßen,
wie bei Destillationen, wo sie in der mit den Gasen selbst gesättigten Atmosphäre
oder im leeren Räume vor sich geht.