Titel: | Die neuen Tangentialräder in Ettlingen. |
Fundstelle: | Band 150, Jahrgang 1858, Nr. XLV., S. 162 |
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XLV.
Die neuen Tangentialräder in
Ettlingen.
Aus der Zeitschrift des österreichischen
Ingenieur-Vereins, 1858 S. 150.
Ueber die neuen Tangentialräder in Ettlingen.
Die große Baumwollspinnerei in Ettlingen nächst Carlsruhe wurde bisher durch zwei
Jonvalturbinen und ein großes schmiedeisernes Wasserrad betrieben. Letzteres
bedurfte aber beständiger Reparaturen, weil es ohne Umfangsstangen construirt war.
Deßhalb wurde es jetzt abgeworfen und durch zwei sogenannte Tangentialräder, nämlich
von Außen beaufschlagte Fourneyron'sche Partialturbinen
aus der rühmlichst bekannten Werkstätte von Escher-Wyß in Zürich ersetzt, welche heuer schon deren zwanzig
gebaut haben soll. Diese Räder sind dadurch interessant, daß sie diametral
entgegengesetzt durch je einen Bogen von 60° beaufschlagt werden, also eine
Partialität von einem vollen Drittel des Umfanges besitzen, und einen der bedeutenden
absoluten Wasserkraft von 100 Pferden für jedes Rad angemessenen Durchmesser von 2,4
Meter haben. Das ungewöhnlich große Partialitätsverhältniß gestattete, die Turbine
nach den Regeln für Vollturbinen zu construiren und berechtigt bei der
außerordentlich sorgfältigen Ausführung auch zu der Erwartung, daß der Wirkungsgrad
jenem der Vollturbinen (65–70 Proc.) nur wenig nachstehen werde. Während
nämlich sonst für Druckturbinen angenommen werden muß, daß die Zellen nicht voll
laufen, daß mithin beim Eintritt in das Rad atmosphärische Pressung stattfindet, und
die absolute Einflußgeschwindigkeit U = √2gH ist, wobei man den spitzen Winkel β des ersten Elementes der sackförmigen Schaufel
doppelt so groß als den Winkel α des mittleren
Strahls im Leitcanal gegen den Radumfang, und den Winkel γ des letzten Schaufelelementes beträchtlich größer als β machen muß, so ist hier die Schaufelform zwar
auch sackförmig, aber ein Volllaufen vorausgesetzt, und α = 15°, β = 60°
und γ, vielleicht größer als eben nöthig, =
20° construirt. (Es wird jedoch bemerkt, daß sämmtliche hier mitgetheilte
Zahlenangaben bloß geschätzt sind, weil ein Aufzeichnen oder Abmessen nicht
gestattet ist.) Dieser Umstand bewirkt, daß bei richtigem Gang des Rades die
absolute Eintrittsgeschwindigkeit U <
√2gH und die Pressung am äußeren Umfang
größer als die atmosphärische ist, vorausgesetzt, daß das Rad so gebaut ist, daß
dieses Verhältniß auch factisch eintreten kann. Die Bedingungen hiefür sind nun aufs
Vollkommenste realisirt; die Anzahl der Blechschaufeln des Rades ist nicht weniger
als 96, sämmtliche Begränzungen der beiden Zuleitungscanäle mit ihren angegossenen
beiden Leitcurven, durch welche drei Eintrittsöffnungen gebildet werden, schließen
mit bearbeiteten Flächen an die bearbeiteten Radkränze ohne allen Zwischenraum an
(die größte während des Montirens eben sichtbare Undichtheit betrug kaum einen
Millimeter) und die kreisförmigen Fugen sind oben und unten noch durch Deckbleche
vollkommen schließend bedeckt; die metallenen Schieber endlich, welche die drei
Oeffnungen auf jeder Seite vollkommen abschließen können, bewegen sich, an die
Leitflächen anliegend genau tangirend an die Mitte der Oeffnung, in einem Abstande
vom Radumfang von nur zwei Millimetern. Das Zuschieben derselben hat mithin fast
genau dieselbe Wirkung, als wenn bei einer Vollturbine die Dicke der Leitcurven mehr
und mehr wachsen würde, nur ändert sich in vorliegendem Falle dabei auch der
mittlere Winkel α und der Contractionscoefficient
ein wenig. Die Schieber bewegen sich mit verstärkten Rändern in dreieckigen Ruthen
der Ober- und Unterfläche des Leitcanals, welcher deßhalb sammt seinen
Leitschaufeln aus zwei Theilen besteht, die in der mittleren Höhe des Canals durch
Flantschen verbunden sind. Sie werden alle sechs gleichzeitig und zwar von Außen
mittelst conischer Räder, Schnecken und Wurmräder, innen ohne Zweifel durch Getriebe
mit großer Leichtigkeit bewegt. In den beiden verticalen Einfallröhren von 90
Centimeter äußerem Durchmesser sind noch Drosselklappen, welche durch Wurmräder und
zwei Schnecken an einer gemeinschaftlichen Achse mittelst Uebersetzung bewegt
werden. Das Turbinenrad hat eine lichte Radkranzhöhe von 30 Centimeter, eine Breite
von 22 Centimeter und sechs Arme; es hängt mittelst zweier Schraubenbolzen an Ohren
des gußeisernen Wellbaumes, an dem es mit einem großen Keil befestigt ist, und ist
aus einem Stück gegossen, zu welchem Behufe an jedem Arm ein Schaufelraum mit
geeigneter Zuspitzung ausgegossen ist. Die derart eingegossenen Blechschaufeln sind
sehr dünn, etwa 4 Millimeter stark, die metallenen Schieber haben auch nicht viel
mehr.
Die Fundamentplatten der Einläufe sind mit jenen des Wellzapfens verbunden, das Ende
des Einlaufes auch noch mit dem Pfannenstuhl zusammengehängt, die ganze Radstube für
beide neben einander stehenden Turbinen aus Quadern hergestellt; die untere Radebene
liegt 80 Centimeter über dem Boden; das obere Halsbandlager über dem horizontalen
conischen Transmissionsrad, und das darüber befindliche Lager für die horizontale
Transmissionsachse sind an einer gußeisernen, zwei verbundene Träger darstellenden
Brücke angebracht; die Einfallröhren reichen weiter hinauf und münden oben in einen
Wasserkasten. Sie sind aus Blech, nur die Endstücke und der Drosselklappeneinsatz
aus Gußeisen.
Die Berechnung einer derartigen Partialturbine kann mit kleinen Modificationen nach
Redtenbacher's Resultaten,
dritte Auflage, S. 169 und 173, in folgender Weise geschehen:
Gegebenes Gefälle H = 31 bad. Fuß = 9,3 Meter, gegebene
Wassermenge für ein Rad bei ganz geöffneten Schiebern Q
= 30 bad. Kubikfuß = 0,81 Kubikmeter per Secunde
(angeblich 45 Kubikfuß, das ist aber bei der starken Contraction nicht wohl
möglich), mithin die absolute Wasserkraft = 1000/75 . 0,81 . 9,3 = 97 Pferde;
gegebene Partialität 1/3 oder m = 3, d.h. es ist für
eine Vollturbine zu rechnen mit der Wassermenge mQ = 3 .
0,81 = 2,34 Kubikmeter.
Die Formeln S. 173 Nr. 221 gelten sowohl für Fourneyron'sche Vollturbinen mit innerer so wie auch für solche mit äußerer
Beaufschlagung (Francis-Turbinen), wenn in beiden
Fällen der Stellenzeiger 2 sich auf den Eintrittsumfang und 1 auf den
Austrittsumfang bezieht, denn die Wirkung der Centrifugalkraft ist dann in beiden
Fällen = 1000 Q
(v₁² – v₂²)/2g, positiv in jenem,
negativ in diesem Fall. Statt α + β ist jedoch β
– α zu schreiben, sobald die Schaufel
sackförmig ist und unter β der spitze Winkel
gegen den Radumfang beim Eintritt verstanden wird. Angenommen also, der Winkel,
unter welchem die Leitcurven den Eintrittsumfang, hier den äußeren, schneiden, sey
α₁ = 15°, derselbe Winkel für
den mittleren Wasserstrahl (später aus der Zeichnung zu controliren) α = 12°, der Winkel β des ersten Elementes der sackförmigen Schaufel gegen den
(äußeren) Radumfang = 60°, so folgt die vortheilhafteste Geschwindigkeit des
äußeren Radumfanges
Textabbildung Bd. 150, S. 165
und da nach Tab. Seite 105 für H =
0,093, √2gH = 1,35 ist:
Textabbildung Bd. 150, S. 165
Damit könnte man gleich die Umdrehungszahl n per Minute finden, wenn man R₂ hätte. Die für Fourneyron'sche
Turbinen mit innerer Beaufschlagung aufgestellte empirische Regel R₂ = 0,538√Q
kann hier passend ebenfalls für den inneren Radius beibehalten werden; also R₁ = 0,538√Q,
oder da man R₁/R₂ ungefähr = 0,8 voraussetzen darf, R₂ = 2/3√Q, mithin in unserem Falle
R₂ = 2/3√2,43 = 1,05 Meter. Wünscht
man aber eine kleinere Umdrehungszahl, so kann man R₂ auch beliebig größer nehmen, wir setzen also R₂ = 1,2 Meter, womit folgt:
n = 9,55 . v₂/R₂ = 9,55 . 6,36/1,2 = 50 Umdrehungen per Minute.
Die absolute Geschwindigkeit U, mit welcher das Wasser
aus den Leitcanälen ausfließt, ist:
Textabbildung Bd. 150, S. 165
Die Anzahl der Leitcurven i = 24 bis 30 ist für eine
Vollturbine passend; aber bei Partialturbinen, wo die Leitflächen aus Gußeisen sind,
um bearbeitet werden zu können, und wo noch auf dieselben die Schieber zu liegen
kommen, muß man die Anzahl etwas verringern; i = 18 auf
den ganzen Umfang repartirt ist zweckmäßig. Die Metalldicke der gußeisernen
Leitschaufeln und metallenen Schieber ist nach dem Gefühl anzunehmen, hier zusammen
etwa R₂/24 = 5 Centimeter. Mit diesen Angaben
kann man jetzt den auf drei Canäle auf jeder Seite (zusammen
i/m = 18/3 = 6 Canäle)
beschränkten Einlauf im Horizontalschnitt zeichnen und aus dieser Zeichnung die
normale Weite s an der Mündung der Leitcanäle in das Rad
entnehmen; man wird etwa finden s = 0,06 Meter; damit
folgt die Radhöhe δ = Q/iskU, sobald man sich über den
Contractionscoefficienten k entschieden hat. Dieser kann
bei ziemlich stark geschlossenem Schieber wohl bis auf 1/2 sinken, wenn der Schieber
einfach eben ist, wie in vorliegendem Falle; ihn anders zu formen, daß beim Austritt
aus dem Leitcanal k = 0,9 würde, wäre zwar für den
Eintritt ins Rad gut, würde aber einen größeren Austrittswinkel γ erheischen, damit die größere Wassermenge
ungehindert hinaus kann; wir nehmen also bei ganz geöffneten Schiebern in
vorliegendem Falle k = 0,7 an und finden δ =
2,43/(18 . 0,06 . 0,7 . 10,4) = 0,30 Meter.
Damit ergäbe sich nun, die Radhöhe außen und innen gleich vorausgesetzt, die nöthige
normale Zellenweite beim Austritt aus dem Rad:
s₁ = s . k/k₁ . i/i₁ .
R₂/R₁ .
sin β/sin (β – α),
sobald man sich über die Anzahl i₁ der Radschaufeln und über das Verhältniß R₂/R₁ entschieden hat, denn k₁ kann man jederzeit mit 0,9 in Rechnung
bringen.
Für das Verhältniß des äußeren zum inneren Halbmesser hat Redtenbacher bei innerer Beaufschlagung die empirische Formel
Textabbildung Bd. 150, S. 166
aufgestellt, wobei β den
spitzen Einlaufswinkel einer nicht sackförmigen Schaufel
bezeichnet, denn es ergibt sich aus dem Gefühl, daß der Radkranz verhältnißmäßig
breiter seyn muß, je stärker die Schaufel gekrümmt, also je größer β ist, und je kleiner das Rad ist. Bei äußerer
Beaufschlagung und sackförmiger Schaufel wird deßhalb das Verhältniß des inneren zum
äußeren Halbmesser R₁/R₂ desto kleiner, also der Radkranz verhältnißmäßig breiter seyn
müssen, je kleiner β und je kleiner das Rad ist.
Wir wollen uns jedoch nicht erlauben, für diesen Fall eine der obigen analoge
empirische Formel aufzustellen, sondern würden lieber vorschlagen, R₁= 0,8R₂ zu
wählen, und aus der Zeichnung des Rades zu beurtheilen, ob R₁ etwa größer oder kleiner zu nehmen sey. Im vorliegenden Falle
ist R₁ = 0,817 R₂, wobei der Radkranz aber schon den Eindruck macht, als sey er eher zu schmal
gehalten. – Die Anzahl i₁ der
Radschaufeln, so wie die Metallstärke derselben ist am besten jeweilig nach dem
Gefühl und nach der Vollkommenheit, die man beabsichtigt, zu bestimmen. Als Maximum
der Schaufelzahl für die bestmögliche Construction mag etwa die in vorliegendem Fall
angewandte Anzahl i₁ = 96 gelten, wobei die
Metallstärke nur ε₁ = R₂/300 ist. Ueber derlei Nebensachen, wie die
Verhältnisse R₁/R₂,
i/i₁ ist es schwer, empirische Formeln
zu geben; solche halten nur innerhalb enger Gränzen Stich, denn sie haben keine
wissenschaftliche Basis und müssen die Tugend haben, einfach zu seyn; daß sie also
unter sehr verschiedenen Verhältnissen etwas leisten, ist von ihnen nicht zu
verlangen. Wenn man mehrere Verhältnisse aufzeichnet, so findet das Gefühl mit
Sicherheit das passendste heraus.
Man wird nun mit der bekannten Theilung t = (2R₂π)/i₁
und mit dem angenommenen β und γ = 12 bis 20°, die Radschaufeln von der
Dicke ε₁ in geeigneter Form in den mit R₁ = 0,8 R₂
gezeichneten Radkranz einzeichnen, die äußere Zellenweite s₁ abmessen und sehen, ob sie mit der oben berechneten stimmt; wenn
nicht, so wird man leicht beurtheilen, ob man die Schaufelform und den Winkel γ, oder R₁,
oder die Schaufeldicke ändern soll, um gute Verhältnisse zu erhalten und jener
Gleichung für s₁ zu genügen. Ein etwas zu großes
s₁ beeinträchtigt den Effect weniger als ein
zu kleines, durch welches die Pressung am Eintrittsumfang erhöht, also der Eintritt
erschwert wird. Das mag der Grund seyn, warum der Constructeur den Winkel γ dem Anscheine nach = 20° oder eher noch
größer genommen hat, wiewohl dadurch der Verlust durch die absolute Geschwindigkeit
des austretenden Wassers ein klein wenig größer wird; dieser Verlust ist überhaupt
weit geringer, als die nicht berechenbaren Verluste durch Wirbelungen. – Es
wäre sehr interessant zu wissen, wie groß der Wirkungsgrad einer so vortrefflich
ausgeführten großen Partialturbine in Wahrheit ist; leider aber lassen sich bei 60
Pferdekraft keine verläßlichen dynamometrischen Versuche machen, und den Messungen,
welche 75 Proc. Nutzeffect bei jeder Schieberstellung ergeben, wird doch kein
Sachkenner Glauben schenken; 60 oder einige Procente darüber, höchstens 65 Proc.,
dürfte wohl Alles seyn, was zu erreichen ist; aber das
ist immerhin zuzugeben, daß die Abnahme des Wirkungsgrades bei abnehmender
Wassermenge viel kleiner sey als bei einer Vollturbine, also insoferne die
Partialturbine mit tangentialen Schiebern den Vorzug verdiene. Das Geeignetste
dürfte seyn, eine Jonval-Vollturbine und ein Escher'sches Tangentialrad zu combiniren, jedes auf die Hälfte der größten
Wassermenge berechnet, so daß man selbst bei 1/8 dieser Wassermenge noch die
Partialturbine allein mit 1/4 Schieberöffnung arbeiten lassen kann. Zwei
Tangentialräder neben einander aufzustellen, dürfte, wenn nicht die kleine
Umdrehungszahl bestimmend auf die Wahl einwirkt oder sonstige specielle Gründe
entscheiden, im Allgemeinen nicht so angemessen erscheinen.
S.