Titel: | Ueber die Unwirksamkeit des transatlantischen elektrischen Kabels. |
Autor: | Mohr |
Fundstelle: | Band 150, Jahrgang 1858, Nr. LXXVII., S. 285 |
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LXXVII.
Ueber die Unwirksamkeit des transatlantischen
elektrischen Kabels.
Ueber die Unwirksamkeit des transatlantischen elektrischen
Kabels.
Ueber die allmählich eingetretene Unwirksamkeit des transatlantischen Kabels sind
verschiedene Ansichten geäußert worden, welche jedoch sämmtlich die Erscheinung
nicht erklären. Alles was man von Ladungen und Entladungen des Drahtes, als Leidner
Flasche betrachtet, vorgebracht hat, kann schon aus dem Grunde nicht Platz greifen,
weil die Erscheinung allmählich eingetreten ist. Beim ersten Probiren des Drahtes
hätten sich diese Erscheinungen zeigen müssen, da die Bedingungen gegeben waren. Nun
bringt Nr. 277 der Cölnischen Zeitung die Nachricht daß auch das Kabel im
Mittelmeere so in Abnahme begriffen sey, daß von den vier Telegraphendrähten nur
noch Einer wirke.
Das transatlantische Kabel liegt auf einer sehr großen Ausdehnung 10,000 Fuß tief
unter der Oberfläche des Meeres versenkt. Rechnen wir Meerwasser wie reines Wasser
mit 32 Fuß senkrechter Höhe für eine Atmosphäre, so gibt diele Tiefe einen Druck von
312 Atmosphären, und nehmen wir eine Atmosphäre zu 15 Pfund Druck per Quadratzoll,
so macht dieß den ungeheuren Druck von 4680 Pfund auf den Quadratzoll aus. In
unseren Hochdruck-Dampfmaschinen ist der Druck gewöhnlich 45 Pfund per
Quadratzoll. Der Druck den das Kabel auszuhalten hat, ist demnach hundert und
viermal so groß, als in den Kesseln unserer Hochdruck-Dampfmaschinen. Für
diesen Druck gibt es fast gar keine undurchdringlichen Substanzen mehr.
In den hydraulischen Pressen dringt das Wasser bei voller Ausübung ihrer Kraft durch
drei Zoll dicke eiserne Wände, indem es sich außen in Gestalt von Tropfen ansetzt
und abrinnt. Scoresby theilt die Beobachtung mit, daß ein
Boot, welches von einem harpunirten Wallfisch mit in die Tiefe des Meeres gerissen
wurde, nach dem Wiederheraufkommen des Wallfisches nicht mehr schwamm, sondern an
dem Wallfisch mit seiner Leine nach unten herabhing. Hier war das Holz des Bootes so
vollständig mit Wasser durchdrungen worden, daß das geringere specifische Gewicht
des Holzes, welches auf seiner Porosität beruht, verschwunden und das größere
specifische Gewicht der reinen Holzfaser eingetreten war. Mit Luft gefüllte
Flaschen, welche umgekehrt mit Gewichten in die Tiefe des
Meeres herabgelassen wurden, fanden sich beim Herausziehen immer mit Wasser gefüllt, ohne daß man
eigentlich weiß, wo die darin enthaltene Luft hingekommen ist. Betrachten wir nun
die Anfertigung des mit Gutta-percha umzogenen Kupferdrahtes, so muß es uns
sehr unwahrscheinlich vorkommen, daß diese Substanz einem Drucke von 312 Atmosphären
solle Widerstand leisten können.
Die erhitzte Gutta-percha befindet sich in einem Cylinder, von dessen Spitze
der Kupferdraht durch eine Kammer hindurch gezogen wird, welche eine so weite
Oeffnung hat, als der Durchmesser des Gutta-percha-Stranges betragen
soll. Indem nun der Kupferdraht in diese Kammer durch eine von ihm ganz gefüllte
Oeffnung eintritt, dann aber central durch eine weitere Oeffnung austritt, wird die
weiche Gutta durch den Druck des Kolbens um den Kupferdraht herumgepreßt und mit ihm
zusammen und ihn umkleidend aus der Kammer herausgetrieben. Die Operation hat
Aehnlichkeit mit Spritzen der Nudeln. Da die Gutta-percha nicht eigentlich
geschmolzen ist, sondern nur durch Wärme erweicht, so füllt sie den Cylinder und die
Kammer nicht vollkommen aus und die eingeschlossene Luft geht in kleinen Blasen mit
der Gutta-percha aus der Kammer heraus. Es müssen deßhalb auch alle
überzogenen Kupferdrähte auf ihre Wasserdichtheit geprüft werden. Dieses geschieht
durch ein sehr sinnreiches Verfahren. Der Gutta-percha-Strang wird
durch eine mit Wasser gefüllte Bütte gezogen und eine Person taucht eine Hand in
dieses Wasser, während sie mit der andern Hand einen elektrischen
Erschütterungsapparat anfaßt, der mit dem Ende des Kupferdrahtes in Verbindung
gesetzt ist. So lange die Gutta-percha-Hülle unversehrt ist, ist die
Kette nicht geschlossen, weil die Gutta ein Nichtleiter der Elektricität ist. Kommt
aber die kleinste Undichtheit, so kann sich der Strom durch das in die Oeffnung
eindringende Wasser entladen, und die Person erhält eine lebhafte Erschütterung. So
werden die Undichtheiten gesucht und dann mit heißem Eisen verstrichen, bis der
Erschütterungsapparat nicht mehr anspricht. Diese Reparaturen sind nun allerdings
stark genug für einige Fuß Wasserdruck, bei stärkerem Drucke müssen sie aber
nachgeben. Es kommt nun noch eine Ueberspinnung mit Hanf und Theer dazu, welche zwar
das Eindringen des Meerwassers verzögern, aber nicht ganz aufhalten kann.
Die Fortpflanzung des elektrischen Stromes von Amerika nach Europa erfordert keine so
lange Zeit, daß wir sie mit unsern Uhren messen könnten. Jedenfalls geht der
elektrische Strom durch Kupferdraht in einem Bruchtheile einer Secunde um die ganze
Erde. Soll aber durch den Strom eine wägbare Masse, z.B. eine Magnetnadel oder ein
Anker an einem Magnete, bewegt werden, so gehört dazu allerdings eine sehr meßbare
Zeit, weil hier
nicht eine bloße Bewegung fortgepflanzt, sondern eine ruhende Substanz in Bewegung
kommen soll. Nun wird aber die Bewegung der Magnetnabel um so rascher vor sich
gehen, je stärker der elektrische Strom ist, und umgekehrt. Wenn nun durch
allmähliches Vordringen des Meerwassers bis an den Draht hier und dort kleine
Abflüsse von Elektricität stattfinden, so muß der durch den Draht selbst abfließende
Rest immer kleiner werden und die Nadeln immer langsamer bewegt werden. Diese
zunehmende Verzögerung der Mittheilungen hat in der That statt gefunden und ist
allmählich in ein vollständiges Schweigen des Kabels übergegangen, nachdem eine
entsprechende Anzahl Punkte durch Eindringen von Meerwasser in Ableitung kamen. Der
Mittelmeerdraht bestätigt vollkommen diese Ansicht; denn da noch ein Draht wirksam
ist, so kann von einer Zerreißung oder Verletzung des Kabels keine Rede seyn.
Um ein Uebel zu heilen, muß man es erst kennen. Die Wahrheit ist das einzige was uns
auf den rechten Weg führen kann, mag sie auch noch so trostlos seyn. Im vorliegenden
Falle ist nun allerdings die Wahrheit eine sehr betrübende, vorausgesetzt daß unsere
Vermuthung begründet wäre; denn wo sollen wir Stoffe finden, welche bei einem so
ungeheuren Drucke und bei einer so großen Ausdehnung keine Porosität, keine Lücken,
keine Fehler mehr zeigen.
Die dichtesten Körper welche wir kennen, sind die Metalle, allein diese sind
praktisch als Schutz gegen Wasser gar nicht anwendbar. Wollten wir auch den
Kupferdraht mit Gutta-percha, wie früher der Isolation wegen, überziehen, so
gibt es kein Mittel, diesen Strang mit einer dichten Metallhülle zu umkleiden, weil
die Gutta-percha keine Wärme verträgt und Metalle in der Kälte keinen dichten
Schluß gestatten. Von der Schwere und Unbiegsamkeit einer Metallröhre wollen wir gar
nicht sprechen. Somit kommen wir wieder auf die nichtmetallischen Stoffe zurück, von
denen man die besten bereits gewählt zu haben glaubt. Wenn es sich aber mit diesen
nicht erreichen läßt, so ist der Gedanke wegen nicht zu beseitigender Eigenschaften
der Materie unausführbar. Die Erfindungskraft wird sich jedenfalls auf diesen
wahrscheinlichsten Sitz des Uebels hinlenken müssen.
Coblenz, 6. Oct. 1858.
Dr. Mohr.