Titel: | Bericht über eine im October 1857 nach Württemberg und der Schweiz unternommene technologische Reise; von Hrn. Regierungsrath Wichgraf in Potsdam. |
Fundstelle: | Band 150, Jahrgang 1858, Nr. XC., S. 346 |
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XC.
Bericht über eine im October 1857 nach
Württemberg und der Schweiz unternommene technologische Reise; von Hrn. Regierungsrath
Wichgraf in
Potsdam.
Aus den Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des
Gewerbfleißes in Preußen, 1858 S. 112.
Wichgraf, über eine im October 1857 nach Württemberg und der
Schweiz unternommene technologische Reise.
Obgleich der Hauptzweck meiner Reise darauf gerichtet war, die bedeutenderen Appretur- und Bleich-Anstalten für sogenannte
weiße Waaren im Königreiche Württemberg und in der Schweiz, so wie die
Anfertigung solcher Waaren selbst genauer kennen zu lernen, so lagen doch auf meiner
Reisetour noch so viele andere großartige und interessante industrielle Anstalten,
und es bot sich mir auch sonst noch Manches von gewerblichem Interesse dar, daß ich
nicht umhin konnte, auch davon, soweit es Zeit und Gelegenheit erlaubte, nähere
Kenntniß zu nehmen.
Der Beginn meiner Reise fiel in die Zeit der großen Herbstmesse in Leipzig. Ich ging
deßhalb zunächst dorthin, um den Verkehr auf der Messe und die großen Waarenlager
des In- und Auslandes kennen zu lernen. Daselbst fand ich in dem dort
stationirten preußischen Stations-Controleur und Steuer-Inspector Berndes einen sehr unterrichteten und unermüdlichen
Führer durch das Labyrinth der enormen Waarenlager. Seiner Güte verdanke ich
namentlich – um nur einige Firmen aufzuführen – die Bekanntschaft mit dem Hause
Baumann und Comp., eines der größten Geschäfte für
weiße Waaren in Sachsen, in der Schweiz (St. Gallen). In diesem Geschäfte fand ich
den Artikel der weißen Waaren in Geweben, wie in Stickereien und confectionirten
Sachen, am mannichfaltigsten vertreten. Das Haus hat besonders einen sehr starken
Absatz aus der Schweiz nach dem Oriente und nach Südamerika, wohin namentlich die
feinen Batiste, Mousseline und gazeartigen Gewebe in großen Massen – letztere
mitunter sogleich zu fertigen Ball- und andern Kleidern verarbeitet und mit
Blumenbouquets, Perlen und andern Schmucksachen verziert und in besondere Cartons
verpackt – geschickt werden. Ferner besichtigte ich die großen Lager
englischer Wollenwaaren und Teppiche vom Stadtrath Gruner, englischer und französischer Stabwaaren aller Art von Heimann Welter und Comp., Lyoner Seidenwaaren von Schletter, in welchem über 90 Commis serviren, englischer
und sächsischer Stabwaaren in baumwollenen und anderen Stoffen von Callmann und Eisener, Reißig und Comp. und andere; sodann
auch die sehr interessanten Pelzwaarenlager von Lomes,
von Gaudig und Blume und von Oppenheim, in denen die feinsten und kostbarsten, wie die gewöhnlichsten
Pelze, roh und verarbeitet, zu finden waren, u.a. die theuersten Bälge von schwarzen
Füchsen und von Seeottern aus den Nordpolar-Ländern, zu 300 Thlrn. das Stück;
neben diesen ächten fand man aber auch die unächten gefärbten Pelze, welche für
einen Nichtkenner von den ersteren oft gar nicht zu unterscheiden waren. Mehrere
andere Engros-Lager von Galanterie- und Kurzwaaren, Leder (L. Cornfeld – weiße russische Juchten à
Centner 112 Thlr.) u.s.w. lasse ich unerwähnt und gedenke nur noch eines Besuchs
zweier größeren Fabriken: erstens der Fabrik in Modewaaren, Cravatten, Hemden und
dergleichen, von Eduard Boas, in welcher 70–80
Näherinnen im Hause, und etwa 300 außerhalb beschäftigt und viele Nähmaschinen im Gebrauch waren, die sich durch
gleichmäßige und gute Arbeit auszeichneten (von Lehmann
in Leipzig für 120 Thlr. das Stück). Mit Hülfe dieser Maschinen fertigt ein Mädchen
täglich 10 Dutzend Chemisettes mit Steppsäumen, und verdient dabei wöchentlich 1 1/2
Thlr. Es werden außerdem bedeutende Mengen gewebter Chemisettes verarbeitet, welche
der Fabrikant aus Frankreich bezieht. Die feinsten Nähereien werden aber doch mit
der Hand gemacht.
Das zweite Etablissement ist die große, auf Actien gegründete Kammgarn-Spinnerei in Pfaffendorf, nahe bei Leipzig, nach neuestem
Schlumberger'schen Systeme vortrefflich eingerichtet.
Von 2 Dampfmaschinen à 30 und 80 Pferdekraft getrieben, werden 14,000
Spindeln nebst den zubehörigen Hülfsmaschinen in Bewegung gesetzt. Es werden wöchentlich gegen 230
Centner Wolle verarbeitet und gegen 100 Centner Garn producirt, dessen Nummern
zwischen 30–50 variiren, ausnahmsweise auch höher. Das Waschen der Wolle
erfolgt durch 20 Walzen-Waschmaschinen; zum Trocknen und Reinigen dienen 12
andere Maschinen, deren jede von je Einem Mädchen bedient, circa 3 Centner pro Tag verarbeitet; Verdienst
des Mädchens ist 3 1/2 Thlr. in der Woche bei 13 Arbeitsstunden; zum Kämmen,
Strecken, Spulen, Grobflyer etc. sind 40 Stück Schlumberger'sche Maschinen aufgestellt, bei jeder 1 Mädchen, welches 1
2/3 bis 1 5/6 Thlr. pro Woche erhält. Die
Feinspinnmaschinen à 200 Spindeln sind von Männern bedient, die mit 5 Thlr.
pro Woche gelohnt werden. Im Ganzen sind
6–700 Arbeiter (mit der Wollsortirungs-Anstalt) beschäftigt. Unter den
Maschinen befinden sich auch ein Paar vortreffliche englische Kämm-Maschinen
nach Lister'schem Systeme, deren Leistungen man lobte.
Ueberhaupt erblickt man überall das Bestreben, stets die neuesten und besten
Einrichtungen in Anwendung zu bringen, so daß der Besuch dieser Fabrik viel des
Interessanten bietet.
Von Leipzig ging ich direct nach Stuttgart. Dort fand ich
an dem Ministerialrathe Pfleiderer einen eben so
kenntnißreichen und in den industriellen Anstalten seines Landes bewanderten, wie
gefälligen Führer und Informator. Wegen Mangels an Zeit mußte ich meine Excursionen
auf die Hauptfabriken dieser an industriellen Etablissements aller Art so reichen
Stadt beschränken.
Zuvörderst muß ich der schönen Muster-Sammlung
erwähnen welche von der königlichen Centralstelle für Gewerbe und Handel im Gebäude
der ehemaligen Legionskaserne aufgestellt ist, und sowohl von allen Zweigen der
inländischen Gewerbsamkeit und von allen Rohproducten, als von den wichtigsten
Industriezweigen des Auslandes, besonders Frankreichs und Englands, vorzüglich
schöne, reiche und mannichfache Muster enthält. Sie wird fortlaufend mit den
neuesten Erzeugnissen, Modellen, Proben und anderen versehen, und ist dem
gewerbtreibenden Publicum jederzeit zugänglich. Man hat namentlich die Gelegenheit
der großen Industrie-Ausstellungen in London, München und Paris wahrgenommen,
und dort Vieles von den ausgestellten Gegenständen, besonders übersichtliche und
systematische Zusammenstellungen verschiedener Productionszweige käuflich erstanden,
und war damit beschäftigt, größere und hellere Räumlichkeiten für die stark
anwachsende Sammlung einzurichten.
An diese Sammlung schließt sich eine bedeutende industrielle Bibliothek mit den
vorzüglichsten technischen Werken, periodischen Schriften, Journalen, Zeichnungen
u.a., gleichfalls zur öffentlichen Benutzung. (Dabei unter Anderem eine vollständige
Sammlung von Beschreibungen der in England ertheilten Patente für neue Erfindungen.) Sodann
liegen stets reichhaltige Pariser Musterbücher der neuesten Wollen-,
Seiden-, Baumwollen- und anderer Stoffe aus, welche den
Gewerbtreibenden dergestalt zur Benutzung preisgegeben werden, daß dieselben sich
von den einzelnen in Büchern eingeklebten Proben Stückchen abschneiden dürfen; von
dieser Erlaubniß wird ein so starker Gebrauch gemacht, daß von vielen Proben nur das
Stückchen mit der darauf geklebten Nummer übrig geblieben ist. Jedenfalls werden auf
diese Weise die Musterbücher für die Industriellen allgemeiner und besser nutzbar
gemacht, als wenn – wie dieß anderswo geschieht – bloß eine einfache
Ansicht der Bücher gestattet wird. Die meisten der gedachten Muster sind ja nur
ephemerisch, für die nächste Saison bestimmt, und ihre längere Conservirung ist
daher weniger von Nöthen, als ihre augenblickliche Anwendung. Durch diese
Mustersammlung soll nicht nur auf die Ausbildung des Gewerbstandes hingewirkt,
sondern es soll auch dem in- und ausländischen Handelsstande Gelegenheit
gegeben werden, sich von den vorzüglichern Gewerbe-Erzeugnissen des Landes
Kenntniß zu verschaffen, um somit den letzteren zu Absatzwegen zu verhelfen.
Die Zahl der Besucher dieses Musterlagers, welche gewerbliche Zwecke verfolgen,
beträgt jährlich mehrere Tausende, und eben so werden jährlich Tausende von
Musterstücken aus der Sammlung an Gewerbtreibende des Landes ausgeliehen. Dieß
beweist am besten, daß die Einrichtung praktisch und ein Bedürfniß des Gewerbstandes
ist.
In demselben Gebäude befindet sich auch eine Musterwerkstätte
für Weberei, welche von der Regierung nach belgischem Muster eingerichtet,
jedoch erst im Entstehen begriffen ist. Die Hebung des Webereibetriebes durch
Unterricht läßt sich die Centralstelle sehr angelegen seyn; sie legt nicht nur
dergleichen Musterwertstätten nach belgischem Muster an verschiedenen Orten im Lande
an (die Zahl der darin aufgestellten Stühle beträgt schon über 100), sondern sie
vertheilt auch in- und ausländische Webestühle in großer Zahl, und sendet auf
Verlangen der Fabrikanten Webelehrer im Lande umher, um die Weber an Ort und Stelle
zu unterrichten. Eben so hat man Lehrerinnen aus der Schweiz kommen lassen, um
Unterricht im Sticken zu geben, und hat zu dem Ende Contracte mit inländischen
Fabrikanten geschlossen, welche für die Beschäftigung der Weber und der Stickerinnen
zu sorgen haben und dazu eine Beihülfe von der Regierung erhalten. So ist z.B. das
Haus Carl Faber in Stuttgart engagirt, um Weber für
Damaste und andere Jacquard-Webereien auszubilden, zu welchem Zwecke ihm auch
die Beschäftigung und Ausbildung der Arbeiter in der vorerwähnten Musterwerkstätte
übertragen ist; diese
Arbeiter treten demnächst in die von mir auch besuchte größere Fabrik dieses Hauses
ein. Ferner ist das Haus C. Ostertag u. Comp. in gleicher
Weise für Stickereien engagirt, welche auf dem Lande, in Dörfern unter Aufsicht von
Schweizer Lehrerinnen gefertigt werden; die Stickerinnen erhalten 24 bis 30 Kreuzer
Tagelohn; im Winter sollen sich sogar häufig Männer mit Sticken beschäftigen. Die
württembergische Regierung sucht diese Stickerei-Industrie sehr zu fördern,
und hat an vielen Orten davon schon recht günstige Erfolge erzielt, namentlich zur
Beseitigung des Nothstandes in armen Landgemeinden.
Ein eigenthümlicher und bedeutender Gewerbzweig ist für Württemberg die Spielwaaren-Fabrication geworden, besonders in
Holz- und Metallspielsachen. Der bedeutendste Fabrikant dafür ist Carl Groß. Dieser läßt die Sachen an verschiedenen Orten im
ganzen Lande, hauptsächlich in den Gebirgsgegenden, nach seinen Angaben fertigen,
und hält in Stuttgart ein bedeutendes, sehr sehenswerthes Musterlager. Wie dieß
schon bei der Münchener Industrie-Ausstellung rühmend anerkannt wurde, findet
man bei seinen Spielsachen insbesondere auch vielfach das Nützliche mit dem
Unterhaltenden zweckmäßig verbunden, um dadurch auf Erweiterung des Wissens der
Kinder hinzuwirken; so bemerkte ich mehrere hübsche Spielereien, welche auf
Anwendung physikalischer Gesetze und selbst chemischer Processe beruhten, wie die
kleinen Luftballons aus Collodium, welche mit Wasserstoffgas gefüllt werden, wozu
gleich der Apparat beigefügt ist. Groß versendet seine
Sachen nach allen Weltgegenden.
Eins der renommirtesten und auch im Auslande sehr gerühmten Etablissements Stuttgarts
ist die Fabrik von Pianofortes und Harmoniums von J. L.
Schiedmayer u. Söhne, im großartigsten Maaßstabe angelegt und stets in der
Erweiterung begriffen. Die Firma hat jetzt für die Anfertigung der Harmoniums ein
besonderes Fabriklocal erbaut, so daß diese von der Fabrication der Fortepianos
getrennt betrieben wird. Die Fabrik ist mit den vortrefflichsten Einrichtungen
versehen, unter Anwendung der Dampfkraft und der besten und neuesten Maschinen,
wobei das Princip der Arbeitstheilung in der Beschäftigung wie in der Benutzung der
Localitäten durch beide 4 bis 5 etagige Fabrikgebäude streng durchgeführt ist.
– Die Söhne des Fabrikbesitzers, musikalisch und technisch durchgebildet und
durch viele Reisen mit den Bedürfnissen des In- und Auslandes vertraut,
leiten den Betrieb der Fabrik unmittelbar. Es soll täglich wenigstens ein Fortepiano
fertig, und jährlich sollen gegen 200 Harmoniums gemacht werden. Dabei waren nur
wenig fertige Instrumente in den geräumigen Probesälen aufgestellt, woraus man auf
den großen Absatz schließen kann, der besonders durch verhältnißmäßig billige Preise, bei schöner
Ausstattung der Instrumente, sehr gefördert wird. Die Harmoniums sollen
hauptsächlich nach Amerika versandt werden, und besonders eine ganz kleine Art von
etwa drei Octaven, zum Abnehmen des Fußes Behufs bequemer Verpackung in einen Kasten
(nicht größer als ein etwas großer Violinkasten); diese sollen die
Plantagen-Besitzer gern auf der Reise mit sich führen. Den größeren
Harmoniums ist durch die sogenannte Percussions-Mechanik ein so leicht
angebender, schön ansprechender und voller Ton gegeben, daß sie den Orgeln wenig
nachstehen. Diese Fabrik führt zwar die Firma J. P. Schiedmayer, zum Unterschiede von der alten Fortepiano-Fabrik J. L.
Schiedmayer, es ist aber
dieselbe Familie. Ein näheres Eingehen auf den so interessanten technischen Betrieb
der Fabrik, auf die sinnreichen Maschinen, und auf die vielen verschiedenen
Arbeiten, wovon mich der ältere Sohn in sehr entgegenkommender Weise ohne Rückhalt
Kenntniß nehmen ließ, würde hier zu weit führen. Ich bemerke nur noch von den
Fortepianos, daß auch diese sich durch das elegante Aeußere, wie durch Ton und
Spielart sehr auszeichnen, und deßhalb und namentlich auch wegen der billigen Preise
(große Polisander-Concertflügel zu 550 fl., gewöhnliche Salonflügel zu 500
fl.) sehr empfehlungswerth sind.
Sodann hatten noch zwei Fabriken meine besondere Aufmerksamkeit auf sich gezogen,
nämlich
1) die Fabrik gewebter Damen-Corsets ohne Naht von C. d'Ambly und Comp. und
2) die Brodfabrik von Voelker,
worüber einiges anzuführen mir gestattet seyn möge.
Die Corsetfabrik, welche jetzt eine
Actien-Gesellschaft käuflich erworben hat, war die erste in Deutschland,
welche Corsets ohne Nath nach französischer Erfindung anfertigte. Jetzt existiren
dergleichen schon mehrere in Württemberg, die aber doch gegen diese Fabrik nicht in
Betracht kommen. In derselben sind 300 Webestühle im Gange; auf einem Stuhle werden
täglich 4 bis 5, in 14 Tagen etwa 10,000 Corsets gefertigt, das ist im Jahre etwa
260,000 Stück. Der Weber verdient wöchentlich 5 bis 10 fl. Mit der Fabrik ist
zugleich Bleiche und Appretur verbunden, wobei zuletzt die Corsets auf kupfernen,
dem menschlichen Körper nachgebildeten Formen getrocknet, und in die richtige
Façon gebracht werden. Dergleichen Formen gibt es verschiedene nach
bestimmten, den verschiedenen Körpergrößen entsprechenden Normalmaaßen, deren bis
jetzt nach Josselin sieben angenommen sind. Mit dem
Zurichten, Nähen, Einfassen, Bügeln u.s.w. sind 5–600 Mädchen in der Fabrik
beschäftigt, welche abtheilungsweise unter Aufseherinnen arbeiten. Um Einiges über die, noch wenig
bekannte und dabei ziemlich einfache Weberei zu sagen, bemerke ich, daß die
Webestühle gewöhnliche, ziemlich schmale Trittstühle sind (etwa 1 Meter breit). Das
Weben des Corsets erfolgt nicht der Breite, sondern der Länge nach, so daß am Corset
die Kettfäden von der einen Schnürseite zur andern, die Schußfäden quer von oben
nach unten laufen. Der Kettenbaum liegt, ähnlich wie bei dem Bandwebestuhle, am
hintern Ende des Stuhles oben senkrecht über einem Streichbaume; die Kettfäden
hängen erst zettelweise vom Kettbaume frei herunter, umfassen bewegliche, durch
Zettelgewichte beschwerte Rollen, gehen dann wieder nach oben zurück über einen
zweiten Baum, darauf nach unten über den Streichbaum horizontal durch die Schäfte
und durch einen starken eisernen Spannstock nach dem Brustbaum. Die Zahl der
Kettfäden beläuft sich bis auf 3000 und diese tragen bis 3 Ctr. Spanngewichte. Der
Arbeiter webt die geraden Stellen des Corsets wie gewöhnlich, sobald er aber an die
Stellen kommt, wo für die Wölbungen der Hüften oder des Busens das Gewebe sich
allmählich von der Mitte nach den Seiten kugelförmig erweitern muß, schießt er den
Schützen nur partien – (zettel-)weise durch die Kettfäden, z.B. also
von rechts anfangend erst durch 30 Faden, die er vielleicht 5mal bindet, dann durch
40 Fäden, die er 4mal, durch 50, die er 3mal (nach der Mitte immer weniger) bindet,
u.s.w. bis zur Mitte, wobei die einzelnen Abtheilungen der Zettelfäden, je nach der
Größe der Wölbung, allmählich immer mehr von der Hand des Arbeiters durch den sie
einklemmenden Spannstock gegen den Brustbaum zu herausgezogen werden. Es ist leicht
ersichtlich, daß die weiter herausgezogenen Stellen auch länger werden müssen, als
die nebenliegenden, und daß sich auf diese Weise eine Höhlung bilden muß; hat diese
den höchsten Punkt erreicht, so erfolgt das Weben umgekehrt von der Mitte nach dem
Rande zu in abnehmender Progression. Durch starkes Anschlagen mit der Lade
verschwinden die Uebergänge der Abtheilungen so, daß sie im fertigen Gewebe gar
nicht zu bemerken sind. Die Preise der Corsets stellen sich in weiß: Nr. 0. = 2 fl.
42 kr., Nr. 2ª = 2 fl. 15 kr., Nr. 2b 1 fl.
54 kr., Nr. 3 = 1 fl. 45 kr.; in farbig (grau) Nr. 4 = 2 fl. 15 kr., Nr. 5 u. 6 = 1
fl. 45 kr. – In Berlin hat die Agentur des Hauses Jul. Bernhard und Comp. (Louisen- und Marienstr. Ecke.)
Die Brodfabrik der Gebrüder Voelker ist gleichfalls die erste Fabrik in
Deutschland gewesen, welche den Brodteig, statt mit der Hand, mit Maschinen kneten
läßt und die Bäckerei fabrikmäßig im Großen betreibt. Der Unternehmer hat mit vielen
Hindernissen zu kämpfen gehabt. Wegen der in Stuttgart noch bestehenden
Zunfteinrichtungen hat die Fabrik, auf Widerspruch der Bäcker, nicht in der Stadt,
sondern vor dem Thore angelegt und auch nur dort der Verkauf des Brodes bewirkt
werden dürfen. – Sodann hat es in der ersten Zeit nicht gelingen wollen,
einen zweckmäßigen Ofen zum Backen so großer Quantitäten von Brod, als mit Hülfe der
Knetmaschine hergestellt werden können, zu construiren. Diese Aufgabe will der
Unternehmer durch Herstellung seines jetzigen Ofens gelöst und damit die
Maschinenbäckerei zu einer solchen Vollendung gebracht haben, die nichts mehr zu
wünschen übrig lassen soll. (?) Nach den Mittheilungen der vorzüglichsten
technischen Zeitschriften muß dieß indeß noch bezweifelt werden, und gehört die
Construction zweckmäßiger Maschinenbacköfen, trotz der damit gemachten vielen neuen
Erfindungen, immer noch zu den offenen Tagesfragen, deren Lösung auch erst das
vollständige Gelingen der Brodfabriken ermöglichen dürfte.
Die Völker'sche Fabrik erzeugt nur weißes Brod in Laiben
zu 1 1/2 – 3 Pfd. (von dem im Süden Deutschlands gebräuchlichen Spelt), und
zwar, wie ich mich überzeugt habe, von ganz vorzüglicher Güte. Sie kann täglich
4–5000 Pfd. herstellen und bedarf nur 4 Mann zu den Hülfsleistungen, zum
Drehen der Knetmaschine (wenn solche nicht durch eine Dampfmaschine getrieben wird),
Formen der Brode, Einschieben in den Ofen u.s.w. – Mit der Fabrik ist
zugleich eine Maschinenbau-Anstalt für die Knetmaschinen und die sonst
erforderlichen Vorrichtungen, Armaturen der Oefen u.a. verbunden. – Zum
Betriebe der Bäckerei dient eine Knetmaschine Rolland'scher Art und zwei Doppelbacköfen nach eigener Construction. Erstere
steht mitten in der Backstube, wird durch 1–2 Mann in Bewegung gesetzt und
macht in 15–20 Minuten etwa 3 1/2 Cntr. Teig fertig. Dieser wird in einen
danebenstehenden, mit Rollen versehenen und auf eisernen Schienen laufenden Backtrog
geworfen, mittelst desselben nach den an der Fensterseite stehenden Backtischen
geschoben, dort in Brode geformt und dann in gleicher Weise nach den
gegenüberstehenden Oefen gefahren. Dieses sind Etagenöfen von Backsteinen mit 2
flachen Backgewölben über einander, deren jedes zwischen 2 Feuergewölben liegt,
durch welche die Flammen circuliren, so daß der Ofen im Ganzen aus 6 Gewölben
besteht. Durch die Trennung der Feuerung vom Backraume bleibt dieser stets reinlich,
und dabei kann mit geringen Unterbrechungen immerfort gebacken werden. Ein Gewölbe
faßt etwa 600 Pfd. Brod in Laiben zu 1 1/2 – 3 Pfd. Die Oefen sollen
bedeutendes Ersparniß an Brennmaterial gewähren.Man vergleiche die Notiz der HHrn. Gebrüder Völker
„über die Leistungen der Backöfen gewöhnlicher Construction und
die Mittel zu deren Verbesserung“ im polytechnischen Journal
Bd. CXLVIII S. 351.A. d. Red. Der Fabrikant baut auch dergleichen Oefen mit 3 Backgewölben, wovon ich einen bei einem anderen
Bäcker sah; dieser war sehr damit zufrieden und fand diesen Ofen besser, als einen
vorher benutzten sehr kostbaren Rolland'schen mit
drehbarem Backherde, den er ganz eingehen lassen wollte.
Einen Ofen zu 2 Backgewölben baut Völker für 400 Thlr.
excl. Ziegelsteine, deren 5–6000 erforderlich seyn sollen. Von den
Knetmaschinen ist der Preis für eine kleine zu 3–4 Cntr. Teig 300 Thlr., für
eine große zu 5–6 Cntr. 400 Thlr. Die Herstellungskosten von 100 Pfund Brod
belaufen sich, nach Angabe des Hrn. Völker, wenn eine tägliche Consumtion von etwa 4500 Pfd.
vorausgesetzt wird, auf etwa 14 1/2 kr., nämlich:
Anlage-Capital etwa 10,000 fl., Zins davon
à 5 Proc. in 1 Tag
1 fl.
24 kr.
Arbeitslöhne für 4 Bäcker à 1 fl.
4 fl.
– kr.
Holz, Beleuchtung und kleine Ausgaben etwa
5 fl.
– kr.
5 Proc. Abnutzung der Utensilien (Werth etwa
2500 fl.), Reparaturen
– fl.
30 kr.
–––––––––––––––––––––––––
4500 Pfd Brod etwa
10 fl.
54 kr.
100 „ „ „
– fl.
14 ½ „
Die Selbstkosten von 100 Pfd. Brod sind folgende:
Angenommen
100 Pfd. Mehl kosten 7 fl.
100
„ „ geben
145 Pfd. Brod
145 Pfd.
Brod
= 420 kr. + (1,45 ×
14 1/2)
1 „
„
= 461/445 „ + 3,1 kr.
Schließlich erwähne ich aus Stuttgart noch des Fabrikanten Conrad Merz, welcher weiße, baumwollene und leinene Waaren, Stickereien
und Spitzen, und namentlich auch gewebte Chemisettes (in derselben Weise wie in
Nowawes nach französischer Art), fertigen läßt. Von ihm glaubte ich wegen der
Appretur der letzteren, welche in Nowawes noch nicht gelungen, etwas Näheres zu
erfahren. Indeß läßt er sie auch nur mit der Hand bügeln, und es kommen deßhalb die
Preise dadurch hoch zu stehen (pro Dutzend auf 1 Thlr.
22 Sgr. – 2 und 3 Thlr.); bei ihm webt ein Weber täglich 5 Dutzend und
verdient 20 bis 30 kr. Obschon die Waare hinter der französischen sehr zurück und
viel höher im Preise steht, so soll doch der Absatz nicht unbedeutend seyn. Die
französische Appretur ist leider auch in Württemberg wie in der Schweiz
unbekannt.
Bevor ich von der, an industriellen Anlagen wie an sonstigen Sehenswürdigkeiten so
reichen württembergischen Residenz scheide, kann ich nicht umhin, noch der großen
Fürsorge zu gedenken, welche die Regierung und besonders die dazu bestimmte
Centralstelle für Gewerbe und Handel (ein begutachtendes und die ihm besonders
übertragenen Maßregeln ausführendes Organ des Ministeriums des Innern) der inländischen
Industrie zuwendet, und wie sie namentlich bemüht ist, die Gewerbsamkeit in den
ärmeren Districten des Landes zu heben und zu fördern. – Wie schon oben
bemerkt, sind es namentlich Weberei und Stickerei, deren Verbreitung mit großem
Erfolge zu dem angegebenen Zwecke befördert wird. Durch Verbindungen mit dem
Auslande, insbesondere auch durch Reisen von Technikern erhält sich die Regierung
stets in Kenntniß der dortigen neuesten Erfindungen; auch unterstützt sie junge
Männer, um sich durch Reisen für verschiedene Industriebranchen als Musterzeichner
auszubilden. – Demnächst ist durch Industrie-Arbeitsschulen für arme
Kinder und durch gewerbliche Fortbildungs-Anstalten (Sonntags- und
Abendschulen an Werktagen) für die Ausbildung der industriellen Jugend gesorgt.
Diese Schulen sind Gemeinde-Anstalten (mit Staatsbeiträgen) und stehen unter
Aufsicht der Ortsschulbehörde. Außer Zeichnen und Modelliren wird ein
wissenschaftlicher Unterricht in 3 Abtheilungen in einem sogenannten Lehrlingscursus
(Rechnen, Geometrie, Geschäftsaufsätze, französisch und englisch), einem
Gesellencursus (Mathematik und darstellende Geometrie, Physik und Chemie, Mechanik,
Buchführung), und einem Handelscursus (kaufmännischer Aufsatz, deßgleichen Rechnen,
französische und englische Correspondenz) ertheilt. Der Anlegung von
Musterwerkstätten für Leinen- und Baumwoll-Webereien habe ich schon
oben gedacht. Es sind außerdem auch noch Strohflechtschulen in ausgedehntem Umfange,
deßgleichen Schulen für Weiß- und Wollstickerei und für Spitzenklöppeln
angelegt, die sehr guten Fortgang haben sollen. Endlich ist die Centralstelle auch
im Gebiete der Gewerbe – und Handelsstatistik durch Bearbeitung eines
vollständigen Handels- und Adreßbuches, und durch specielle statistische
Erhebungen (Enquêten) über einzelne Industriezweige sehr thätig. Dieses
Collegium ist zusammengesetzt aus 1 Director, 2 Räthen (1 Techniker) und 12
gewählten Vertretern des Gewerbestandes, nämlich 4 Handwerkern, 3 Fabrikanten, 3
Kaufleuten und 2 Gewerbeschullehrern. Bei wichtigen Angelegenheiten kann die Zahl
dieser Vertreter verdoppelt werden, was aber dann immer in allen Classen geschehen
muß. –
Von Stuttgart wandte ich mich nach Ravensburg, in dessen Nähe in dem herrlichen,
schon zum Gebiete des Bodensees gehörigen, an Wasser und Wiesen reichen
Schussen-Thale die berühmte königl. Seng-,
Bleich- und Appretur-Anstalt
Weißenau belegen ist. Bei der Besichtigung dieser Anstalt erfreute ich mich
des bereitwilligsten Entgegenkommens Seitens des Dirigenten, Cameralverwalters Breunlin, dessen Name in der Technik einen guten Klang
hat. Da ich eine besondere Beschreibung dieser Anstalt nach den mir gemachten
Mittheilungen nachfolgen lasse, so erlaube ich mir hier nur Folgendes im Allgemeinen anzuführen. In dem
Berichte über die Industrie-Ausstellung in München sagt der Referent, der
königl. sächsische Geheime Rath und Director im Ministerium des Innern Dr. Weinlig, nachdem näher
hervorgehoben, wie sehr Deutschland im Fache der Appretur, besonders der Weißwaaren,
gegen das Ausland zurückstehe, und wie es zu den Lebensfragen der deutschen Weberei
gehöre, in dieser wichtigen Beziehung energischer, selbständiger und productiver
aufzutreten, daß in dieser Entwickelung Südwest-Deutschland voranstehe.
„Zeigen auch,“ heißt es dann weiter, „die
sächsischen und österreichischen Häuser (welche ausgestellt hatten) zum großen
Theile sehr sorgfältige Bleiche und Appretur, mehren sich auch in Sachsen die
besonderen, mit Intelligenz, aber immer in kleinerem Umfange betriebenen
Bleich- und Appreturanstalten für baumwollene Waaren, so stehen doch die
Anstalten von Martini u. Comp. in Augsburg etc. und
die königl. Appreturanstalt von Weißenau in Bezug auf
Umfang, Mannichfaltigkeit und Vorzüglichkeit der Leistungen allen anderen
voran.“ Diese letztere Anstalt hat einen solchen Ruf, daß sie nicht
nur für alle württembergischen, sondern auch für sehr viele ausländische Fabrikanten
in Bayern, Baden und selbst in Sachsen, deren Fabricate in weißen baumwollenen und
leinenen Waaren aller Art, Kattune, Cambrics, Shirtings, Piqués, Mulls,
Jaconnets, Mousseline und allerlei gazeartige Gewebe, Stickereien, Tülle u.a.m.
Garne und Leinwand bleicht, appretirt und zurichtet. Mit den vorzüglichsten
Einrichtungen für Sengerei, Bleiche und Appretur versehen, kann die Anstalt täglich
bis 16,000 Ellen zurichten.
In den hellen und weiten Räumen der ehemaligen Prämonstratenser-Abtei
Weißenau, welche die königl. Regierung dazu hergab, ist die Anstalt in den Jahren
1839 und 1840 von den Schweizer Appreteuren, den Gebrüdern Erpf in St. Gallen, ganz nach Schweizer Art eingerichtet. Mit
hinreichenden Gebäulichkeiten, Wiesen und Wasserkräften versehen, ist sie im Stande,
allen, an eine solche Anstalt zu stellenden billigen Anforderungen auf das Beste zu
entsprechen. Wie die Gründer, so waren auch die Arbeiter, besonders die Werkmeister,
ursprünglich meistens Schweizer; an deren Stelle sind jedoch im Laufe der Zeit
ausgelernte Inländer getreten. Die Zahl der täglich beschäftigten Arbeiter beträgt
durchschnittlich 120 incl. 20 Kinder (64 männlichen, 56 weiblichen Geschlechts). Der
Arbeitslohn beträgt für Kinder 12 bis 15 Kreuzer bei 12 Arbeitsstunden, für Frauen
20 bis 24 kr. und für Männer 36 kr. bis 1 fl. – Die Anstalt besitzt eine
eigene mechanische Werkstätte, nicht bloß zur Ausführung von Reparaturen, sondern
auch selbst zur Anfertigung neuer Maschinen. – Die Sengerei wird durch einen
nach der neuesten Construction eingerichteten Gas-Sengapparat mit 3200 Flammen betrieben; das Gas
wird durch Buchenholz hergestellt. Die Bleiche ist für baumwollene Stoffe die
gewöhnliche Kunstbleiche unter Anwendung von Soda, Chlorkalk und Schwefelsäure; für
Leinwand in der Regel, und wenn es nicht anders verlangt wird, Rasenbleiche.
Zur Unterstützung der Arbeiter ist, wie bei allen württembergischen Staatsanstalten,
eine Kranken-Unterstützungscasse eingerichtet. – Die Anstalt soll
einen guten Reinertrag abwerfen, der auf 10 Proc. des ursprünglichen Anlagecapitals
berechnet wird.
Mein letztes Reiseziel war St. Gallen, von wo aus ich die
Hauptörter für feine Stickereien und Gewebe in den beiden
Kantonen St. Gallen und Appenzell bereiste, und auch in den Bergen viele einzelne
Weber in ihren Weberstuben oder vielmehr in den Kellern besuchte. Man zieht nämlich
die letztere Localität für die Weberei weißer Waaren vor, weil bei etwas kühler und
feuchter Atmosphäre die Schlichte nicht so schnell trocknet und weniger Bruch in den
Kettfäden vorkommt. Die Weberei wie die Stickerei wird meistens nur auf dem Land in
den Dörfern oder in einzelnen Bergwohnungen der Landleute theils als Haupt-,
theils als Nebengeschäft (im Winter) betrieben. Beim Beginn des Frühlings und zur
Zeit der Ernte wandern Tausende aus den Kellern auf das Land, bestellen das Feld und
sammeln für den Winter. Größere Fabriketablissements gibt es wenige, und selbst wo
solche angelegt sind, wie u.a. in Flawyl, dessen ich später noch näher erwähnen
werde, kommt man davon zurück und gibt der Beschäftigung der Weber in ihren Häusern
(Hausweberei) den Vorzug.
Es sey hierbei gleich über die Art und Weise des Verkehrs bemerkt daß die Weber und
die Stickerinnen ihre Arbeitsaufträge, nebst dem Muster und Rohmaterial, von
kleineren oder größeren Fabrikanten entweder direct oder, was das gewöhnlichere ist,
durch Mittelspersonen, sogenannte Ferger oder Fertger – eine Art Werkmeister
– erhalten. – Die Fabrikanten wohnen gewöhnlich selbst mitten unter
den Webern in den Dörfern, wo sie stattliche Besitzungen haben, die sich durch
Großartigkeit und Eleganz in den, von schönen Gartenanlagen umgebenen Gebäuden vor
allen andern auszeichnen. Die großen Fabrikanten lassen die von ihren Webern oder
Stickerinnen abgelieferten rohen Waaren selbst bleichen, appretiren und zurichten,
und sorgen demnächst auch selbst für den Absatz. Die kleineren Fabrikanten –
und dieß ist die Mehrzahl – setzen ihre Waaren an die Großhändler in den
Städten roh ab, und diese lassen dieselben dann in den Bleich- und
Appreturanstalten zurichten. Die Kaufleute treiben den Handel nur en gros, und zwar bis in das fernste Ausland. Sie
versenden ihre kostbaren Artikel des feinsten Luxus wie des allgemeinen Gebrauchs
nach Südamerika wie nach dem Orient, häufig schon, wie oben bemerkt, nach der
neuesten Pariser Mode zu stattlichen Roben confectionirt und in Cartons verpackt.
Der Absatz ist so bedeutend daß man fast nirgends große Vorräthe auf dem Lager
findet. Vielen Waaren sieht man schon an ihrem Aeußern, namentlich an der
Farbenzusammenstellung, an den Verzierungen wie an der ganzen Aufmachung und
Verpackung an, daß sie nur für die Türkei oder für Syrien, Aegypten oder ein anderes
Land ausschließlich gefertigt sind. Den Haupt- und wohl einen Weltmarkt
bildet St. Gallen, wo die ersten Handlungshäuser ihren Sitz haben und wöchentlich
zwei Märkte (Mittwoch und Sonnabend) abgehalten werden. An diesen strömen die
kleinen Fabrikanten vom Lande und aus den Bergen in kleinen einspännigen Wägelchen
zusammen und bieten ihre Waaren in besonders dazu gemietheten Localen oder frei auf
der Straße aus, oder tragen sie zu den Kaufleuten herum. Dieser Marktverkehr bietet
in der massenhaften Waarenzufuhr und in der zahllosen Menge der Verkäufer und
Käufer, worunter man Männer aller Nationen, oft in den malerischen Landestrachten
des Orients, erblickt, ein lebhaftes Bild von der immensen Production des Landes,
von der Mannichfaltigkeit der Waaren und von dem enormen Absatz. Man berechnet
diesen allein für die Stickereien der beiden Kantone St. Gallen und Appenzell auf
500 Millionen Francs.
Von Webern beschäftigen einzelne Fabrikanten oft mehr als 700; in den 3 Orten Neßlau,
Ebnat und Kappel in der Landschaft Toggenburg sind allein gegen 30 Fabrikanten,
welche 3–4000 Weber beschäftigen. Es fällt schwer, einzelne Orte besonders
hervorzuheben, fast jedes Haus hat seinen Webstuhl und seine Stickerinnen; ich müßte
sie alle nennen, da sie in der Industrie mit einander wetteifern und nur in der Zahl
der Weber und Arbeitgeber, sowie in der Gattung der Gewebe und Stickereien sich
unterscheiden; denn jeder Ort beschränkt sich in der Regel nur auf einzelne
bestimmte Gattungen der Arbeit. Stickereien werden vorzugsweise in der Umgegend von
St. Gallen und im Kanton Appenzell (Außer-Rhoden) gefertigt (Trogen,
Speicher, Teufen, Heiden), Webereien in der Landschaft Toggenburg, Herisau und
Umgegend; außer den schon genannten drei Orten ist besonders auch noch Wattwyl mit
wenigstens 6 größeren Häusern, und Flawyl mit Ober-Utzwyl – das St.
Gallische Tarare – hervorzuheben. Um einen Begriff von der Großartigkeit
jener Geschäfte zu geben, führe ich nach einer mir vorliegenden statistischen Notiz aus dem
Jahre 1851J. M. Hungerbühler, Industriegeschichtliches über
die Landschaft Toggenburg. St. Gallen, bei Huber.
1852. an, daß der Garnconsum von einem einzigen Hause in Wattwyl jährlich zwischen
4–5000 Centner beträgt, daß dieses Haus an Färber, Bleicher und Appreteure
etwa 80–100,000 fl., an unmittelbar oder mittelbar mittelst Fertger von Haus
zu Haus beschäftigte Weber 90–120,000 fl., an Spullöhnen für Zettelgarn unter
300–320 Familien etwa 12 bis 13,000 fl., für Francaturen, Zölle, Frachten,
Assecuranzen etwa 60,000 fl. ausbezahlt.
Flawyl mit einem Theile von Ober-Utzwyl ist um deßhalb mit Recht das St.
Gallische Tarare genannt worden, weil es die herrlichen französchen Articles de Tarare mit fast gleicher Vollendung
arbeitet. Dergleichen Artikel sind namentlich: geblümte Jaconnets und Mousselinroben
mit und ohne Jacquard, brochirt, mit lancirten Bouquets, feine Gazestoffe aller Art,
gefärbt und weiß, mit Plattstich, Vorhänge, feine Ginghams, Shawls, Mouchoirs und
viele andere weiße Artikel der Mode von Lyon und Paris für den Bedarf der Levante,
Aegyptens, Ostindiens und Südamerikas. Die Zahl der Jacquard- und
Handwebstühle im Toggenburgischen (etwa 1/3 des Kantons St. Gallen) schätzt man über
10,000, womit als Nebengewerbe in Verbindung stehen: etwa 140 Blattmacher und
Geschirrarbeiter, 300 Garnsieder und Zettler, 3500 Spulerinnen, 425
Spinnerei-Arbeiter; außerdem gewinnen dabei noch viele andere Personen ihren
Unterhalt, wie z.B. viele Kinder und schwächliche Leute durch Ausschneiden
brochirter Artikel und dergleichen mehr.
Die Arbeitslöhne sind im Allgemeinen in der Schweiz niedriger als im Zollverein, wohl
um 10–15 Proc. (wöchentlicher Weberlohn 2 1/2 bis 4 Thlr.); die Arbeitszeit
ist aber wohl um 2 Stunden länger, indem der schweizer Weber fleißiger, genügsamer
und sparsamer ist, als der deutsche, weßhalb er es auch leichter zu kleinem Vermögen
bringt, das er gern im Grund und Boden anlegt. Mit dieser emsigen Production
verbindet sich eine außerordentliche Handelsthätigkeit der Schweizer. Nach allen
Weltgegenden ziehen sie auf Unternehmungen aus, entsenden ihre Angehörigen oder
Agenten nach den entferntesten Seehäfen und Handelsplätzen, um den Waarenabsatz zu
vermitteln, sich nach den Bedürfnissen und Moden zu erkundigen, Rohstoffe zu kaufen
etc. Vielfach kam ich mit Familien in Berührung, deren Söhne in Indien oder in
Südamerika etablirt waren, oder dort lange gelebt hatten, oder im Begriff waren,
dorthin abzureisen. Wie die Töchter in der französischen Schweiz als Bonnen und Erzieherinnen, so
durchziehen die Söhne der östlichen Schweiz die Welt als Handlungsreisende und
Agenten. Bei diesem rastlosen Handelsgeiste, bei jenen günstigen
Arbeitsverhältnissen, unterstützt von ergiebigen Naturquellen, billiger Wasserkraft
etc. und bei ungehemmter Handelsfreiheit ist es nicht zu verwundern, daß die
Hauptindustrien der Schweiz sich zu der höchsten Blüthe und zu der bedeutenden
Stellung emporgeschwungen haben, welche dieses Land auf dem Weltmarkte in erster
Reihe neben den größten Handelsmächten würdevoll behauptet, und wofür seinen
Industriellen auf den großen Welt-Industrie-Ausstellungen stets die
ersten Ehrenpreise zuerkannt worden sind.
Es würde zu weit führen, wollte ich über alle interessanten Anlagen,
Fabrikeinrichtungen, Maschinen, Arbeitsmethoden, Erzeugnisse u.s.w., welche ich auf
meiner Wanderung durch die beiden Kantone in der mannichfaltigsten Weise kennen zu
lernen so reiche Gelegenheit hatte, Näheres berichten; ich fand dabei fast überall
das bereitwilligste Entgegenkommen, das ich hauptsächlich der einflußreichen
Empfehlung des Hrn. Barschall
(des St. Gallischen Chefs der oben genannten Handelsfirma Baumann und Comp.) verdanke; ich beschränke mich auf die Hervorhebung des
Wichtigsten.
In der Weberei war mir in den vielen größeren und kleinen
Werkstätten die ich besuchte, wenig Neues und Eigenthümliches aufgestoßen. Die
Stühle sind im Allgemeinen die gewöhnlichen mit Tritten, Contremarsch und
Jacquard-Maschinen; zu den feinen gazeartigen und façonnirten und mit
Broderien verzierten Geweben bedient man sich der Regulatoren, des gewöhnlichen
Stichstabes und der Brochirladen. Stichstab und Brochirvorrichtung sind an der Lade,
ersterer unter dem Gewebe, letztere über demselben dergestalt angebracht und mit der
Jacquard-Maschine und den Tritten so verbunden, daß sie von selbst in die
Kette eintreten, wodurch viel Zeit erspart wird. Zu den Blättern bedient man sich
durchweg messingener, nicht wie bei uns stählerner Riete. Die Rietblätter sind
bisweilen nach der Art des Gewebes eigenthümlich gestaltet, so sah ich z.B., um
schlangenartige Windungen der Kettfaden im Muster zu erzeugen, Blätter mit
theilweise beweglichen Rieten, worin sich diese vermöge einer kleinen an der Lade
angebrachten excentrischen Scheibe, abwechselnd nach Rechts und Links bewegten, und
dadurch den zwischen ihnen befindlichen Kettfäden die schlangenförmige Richtung
gaben.
Von den feinen Mousselinen webt ein Arbeiter in 14 Tagen 6 Stück (zu 16 Stab; 1 Stab
= 43 französische Zoll oder circa 1 1/2 Meter), von
Jaconnet 5 Stück (zu 19 Stab), Mull 6 Stück (zu 16 Stab), und verdient dafür 4 bis 5
bis 6 fl. Es arbeiteten häufig Knaben von 12 bis 14 Jahren und auch Frauen an den Stühlen, da die
Webereien weniger Kraft als Geschicklichkeit und Aufmerksamkeit, und wegen der
Feinheit der Garne (80ger bis 100ter Kette) zarte Hände erfordern.
Von besonderer Schönheit fand ich die Arbeiten in der renommirten Fabrik von Wiget und Egli in Flawyl. Dieser Firma verdankt die
Schweiz hauptsächlich die Einführung der Jacquard-Weberei. Sie erbaute 1837
ein größeres Fabrikgebäude, stellte darin 110 Jacquardstühle nach den besten Lyoner
Modellen mit Lyoner Maschinen, Regulatoren, Brochirladen u.s.w. versehen, auf, und
ließ darauf die schönsten Modeartikel in Mousselin, Jaconnets, Mull u.a.m. zu Roben,
Shawls, Schärpen u.s.w. weben (sämmtlich Articles de
Tarare). Im Laufe der Zeit, besonders durch trübe Erfahrungen des Jahres
1848 wegen höherer Lohnforderungen u.s.w. belehrt, hat die Firma die Zahl der
Webestühle in dem schönen Fabrikgebäude von 4 Etagen auf 30 und einige in dem
unteren Stockwerke eingeschränkt, und findet es ihrem Interesse entsprechender die
oberen Räume leer stehen zu lassen und die Weber in ihren Wohnungen zu beschäftigen,
wo Verabredungen unter den Arbeitern nicht so leicht vorkommen können, auch die
Arbeiter fleißiger seyn sollen. – An den Stühlen waren die Vorrichtungen zur
Bewegung des Stichstabes und der Brochirlade die allgemein üblichen; statt der
letzteren dienten bei Blumenmustern kleinere Kästchen mit der Spule, wie solche bei
den Bandwebestühlen gebräuchlich. Bei fast allen Stühlen waren Wechselladen für 2, 3
und mehr Schützen im Gebrauch, welche vermöge des Jacquards gehoben und gesenkt
wurden. Der Lohn der Weber beläuft sich auf 2 bis 4 Francs täglich.
In der Industrie der Stickereien ist die Schweiz noch von keiner Nation übertroffen.
Den Hauptsitz derselben bilden jene beiden mehrgenannten Kantone, in denen die Zahl
der Stickerinnen sich auf circa 50,000 belaufen soll, deren wöchentlichen
Arbeitslohn man über 1 Million Francs berechnet. Es sollen daneben noch sehr viele
Stickerinnen in den Nachbarländern, Baden, Württemberg, besonders in den
Hohenzollernschen Landen, und in dem österreichischen Vorarlberg von Schweizer
Fabrikanten beschäftigt werden. Es möge über diese interessante Industrie einiges
Geschichtliche, was meines Wissens noch wenig bekannt, hier Platz finden.
Die Stickerei soll erst in den Jahren 1758 – 60 in St. Gallen begonnen haben.
Bekanntlich ward sie in älterer Zeit, wie überhaupt die feinen weiblichen
Handarbeiten, nur in den Frauenklöstern gefertigt und gelehrt. So hatte auch eine
Schwester des berühmten Predigers Zollikoffer in Leipzig,
verehel. Joh. Schlatter in St. Gallen, die Stickarbeit
zuerst in einem
schwäbischen Kloster kennen gelernt und lehrte demnächst solche in ihrer Stadt
weiter. Das Handlungshaus Gonzenbach beförderte dann
diese Industrie vorzugsweise.S. 44 in der benannten Schrift von Hungerbühler. Viel später erst kam dieselbe nach Deutschland, wo sie im sächsischen
Voigtlande Wurzel schlug. Dort soll im Anfange dieses Jahrhunderts namentlich ein
Kaufmann Krause in Plauen die französische Lang-
und Plattstickerei eingeführt haben. Jetzt schätzt man die Zahl der dort
beschäftigten Stickerinnen auf 20,000, und daneben sollen noch im Erzgebirge und in
Bayern viele Personen für Plauen arbeiten.
Die Zeuge der Grundstoffe, worauf gestickt wird, sind die gewöhnlichen glatten
Weißwaaren, Cambrics, Jaconnets u.s.w., ferner Mull, Tüll, und namentlich die
feinsten Batiste, letztere beiden Stoffe in der Regel englischen Fabricats. Die
Arten der Stickereien sind nach den Grundstoffen verschieden und in den Points sehr
mannichfaltig, hauptsächlich Kettenstich in Verbindung mit Langblatt- und
Hohlstich, wodurch so viele Nüancirungen gebildet werden können, daß man über 70
Points zählt. (Eine ganz neue Arbeit war die sogenannte Relief-Stickerei mit
plastisch aufliegenden Blumen und Verzierungen.) Die Mustertücher der Stickerinnen
gewähren darüber einen interessanten Ueberblick. Die Geschicklichkeit der letzteren
vermag durch Anwendung der mannichfaltigen Points mit Zwirn und Nadel wahre
Kunstwerke auf den Grundstoff zu zaubern, – anders kann man es nicht
bezeichnen, wenn man unter den Händen der Arbeiterin auf dem über den Rahmen
gespannten Batisttuche die schönsten Tableaux, u.a. reiche Landschaften mit Bäumen,
Wasser, Geflügel und sonstiger Staffage entstehen sieht – denn die Arbeit
geht schnell von der Hand. Und doch wie mühsam ist diese Arbeit! Die
Weltausstellungen haben uns Kunstwerke, große Vorhänge, Decken u.a. vorgeführt,
woran Monate, ja Jahre lang gearbeitet ist; z.B. hing in dem Palais de l'exposition in Paris ein Rideau aus, die Apotheose Napoleons I. darstellend, an dem 8 Stickerinnen 10 Monate
gearbeitet hatten; dessen Preis betrug aber auch nicht weniger als 10,000 Fr.
Der Stickapparat ist ein einfacher runder auf Einem Fuß stehender Holzrahmen, auf den
der Stoff mittelst eines Riemens und einer Schnalle um den Rand festgespannt wird.
Zur Entwerfung der Muster werden geschickte Dessinateurs gehalten. Das Muster wird
vermittelst der bekannten Stüpfelmaschine durchstochen und demnächst auf den
Grundstoff mittelst durchgestäubten und durch Plätteisenhitze oder Dampf fixirten
Harzpulvers übertragen.
Der Arbeitslohn ist nach der Art der Arbeit und der Geschicklichkeit der Stickerin
sehr verschieden, 40 bis 80 Centimes (4 bis 6 Sgr.) bis zu mehreren Francs
täglich.
Nicht unbedeutende Concurrenz macht jetzt die mechanische
Stickerei mit der Heilmann'schen Stickmaschine, welche
zwar schon vor etwa 26 Jahren erfunden aber erst in der neuesten Zeit, freilich
wesentlich verbessert, praktisch in Anwendung gekommen ist. Eine englische Maschine
dieser Art für Seiden- und Tuchstickerei war auf der Pariser Ausstellung zu
sehen. Auf Weißwaaren hat man sie meines Wissen erst in St. Gallen angewendet, und
zwar mit wesentlichen Verbesserungen und Vereinfachung des Mechanismus. Es sind in
St. Gallen und Umgegend schon gegen 200 solcher Maschinen im Gange (sie werden sehr
geheim gehalten). Der Güte des Fabrikanten Giger im Dorfe
Degersheim, unweit Herisau, verdanke ich deren nähere Kenntniß, indem er mich
bereitwilligst in seine Fabrik führte, in der bereits 20 und einige dieser Maschinen
im Gange waren.Eine ausführliche Beschreibung der älteren Heilmann'schen Stickmaschine befindet sich im polytechn. Journal,
1836, Bd. LIX S. 5.A. d. Red. Die wesentlichsten Theile sind der senkrecht stehende, mittelst Pantographen
zu bewegende Zeugrahmen, die beiden dagegen fahrenden Wagen mit den Doppelnadeln
(das Oehr in der Längenmitte) und das seitwärts angebrachte Muster. – Eine
erwachsene Person bewegt die Wagen durch eine Kurbel mit der rechten, und leitet die
Spitze des Storchschnabels am Muster mit der linken Hand, zwei Kinder helfen die
Fäden einziehen und die etwa krumm gewordenen Nadeln gerade biegen. Die von mir
gesehenen Maschinen waren etwa 20 Fuß breit; die Wagen trugen 2 Reihen Nadeln über
einander (um dasselbe Muster gleich doppelt – oben und unten – zu
sticken) jede mit 106, also beide mit 212 Nadeln. (Es soll deren mit 4 Reihen Nadeln
und mit solchem Mechanismus geben, daß ein Arbeiter mit 2 Maschinen zugleich
arbeiten kann.) Rechnet man täglich nur 2000 Ein- und Ausgänge der Wagen,
wobei die Maschine jedesmal 212 Stiche macht, so ergibt dieß 424,000 Stiche. Nimmt
man an daß eine fleißige Stickerin 30 Stiche in der Minute, d. i. 1800 in der
Stunde, oder bei 12 Arbeitsstunden 21,600 pro Tag machen
kann, so würde jene Maschine nach diesem Verhältniß etwa 20 Arbeiterinnen ersetzen.
Der Preis der Waare stellt sich um circa 20 Proc.
billiger als bei der Handstickerei. Bis jetzt kann man nur in geraden Linien, in der
Plattstich-Manier, auf nicht sehr festen Stoffen sticken. Indeß ist doch die
Anwendung der Maschine schon sehr mannichfaltig und wird von den Schweizer
Fabrikanten mit dem lebhaftesten Interesse verfolgt. Ein einziger Fabrikant in St.
Gallen soll schon 100 solcher Maschinen im Betrieb haben. Dieselben werden bei St.
Gallen gebaut und sollen schon im Preise von 600 Thlrn. an zu haben seyn; die oben
erwähnten Maschinen mit 212 Nadeln haben 4000 Francs das Stück gekostet.
Von den vielen Anstalten für Sengerei, Bleiche und Appretur, welche in 3 Branchen in der Schweiz meistens
getrennt, jede für sich von besondern Unternehmern betrieben werden, und von denen
ich die vorzüglichsten besucht, habe ich nach Beschreibung der Weißenauer Anstalt
nur Weniges hervorzuheben. Bei der enormen Production von Weißwaaren sind diese
Anstalten natürlich von viel größerem Umfange als die Weißenauer. Die größte und
ausgezeichnetste ist die von Tribbelhorn (Firma N. Meßmann) in St. Gallen, worin sich Bleiche, Appretur,
Druckerei und Färberei vereinigt finden. Dazu gehören über 40 Gebäude (in
verschiedenen Stadttheilen) und gegen 1100 Arbeiter sollen darin beschäftigt seyn.
Die Zahl der Trockenrahmen soll circa 375 betragen. Eine
eigenthümliche Einrichtung war in der Bleiche die Art und Weise der continuirlichen
Fortbewegung der zu bleichenden Stoffe aus den Chlor- und Säuregefäßen in die
Waschbäder, durch die Walkhämmer u.s.w., zu welchem Ende die einzelnen Stücke Zeug
an einander geheftet waren und durch große an der Decke befestigte Porzellanringe
über Rollen liefen, die durch Wasserkraft getrieben, das Zeug aus einem Raum in den
andern und aus einem Apparat in den andern continuirlich nach Erfordern
fortbewegten. Leider sah ich das Werk nicht im Gange.
Eine andere neue Einrichtung war eine eigenthümliche Dampf-Trockenmethode für
Shirting-Appretur. Dazu dient gewöhnlich ein Apparat mit liegenden
Kupfercylindern. In der Anstalt war ein besonderes Zimmer dazu eingerichtet; längs
zweier Wände liefen die Dampfleitungsröhren parallel mit Fußboden und Decke in etwa
4 bis 5füßiger Distanz von einander; dazwischen waren die 19 kupfernen
Trockencylinder (etwa 1 Fuß Durchmesser) senkrecht aufgestellt, bequem zum
Herausnehmen und Wiedereinsetzen eingerichtet, und mit geeigneten
Dampfabschluß- und Zuleitungshähnen versehen. In der Mitte des Zimmers befand
sich ein gewöhnlicher Apparat zum Ab- und Aufrollen des Shirtings auf den
Cylinder. So wird jedes Stück für sich getrocknet und kann jeder Cylinder, sobald er
bezogen ist, leicht zwischen die Dampfröhren gebracht und eben so leicht wieder
abgenommen werden, sobald der Shirting den gehörigen Trockengrad erreicht hat. Neben
der bequemeren Handthierung soll ein Hauptvortheil darin liegen, daß das Gewebe sich
besonders in der Breite verdichtet, während es bei dem bisher gebräuchlichen Apparat mit liegenden
Cylindern (wovon auch einer mit 10 Cylindern vorhanden war) aus einander gezogen
wird. Unter den Trockenrahmen befanden sich auch viele nach englischer Art mit
Ventilation; man wollte aber die älteren vorziehen.
Noch erwähne ich einer von mir besuchten besondern Anstalt, welche dazu bestimmt ist,
die flott liegenden Figurschußfäden auf der Rückseite der brochirten Gardinen und
anderer derartigen Zeuge auszuschneiden (Firma: Graf und
Mühlhaupt). Die Ausschneidemaschinen sind nach Art
der Tuchschermaschinen construirt, mit schneckenförmig um eine Stahlwalze gewundenen
Messern, über welche das Zeug mit großer Schnelligkeit läuft; es gehen immer 16
Stück zu 38 Ellen (19 Stab) 3mal durch und jedesmal wird die Walze etwas enger
gestellt. Dergleichen Maschinen fand ich auch schon in Sachsen (in Plauen) im
Gebrauch.
Auf meiner Rückreise nahm ich meinen Weg durch das sächsische Voigtland und
besichtigte in Plauen – dem Hauptort der sächsischen Stickerei und Appretur
für Weißwaaren – die größeren Anstalten dieser Art, namentlich von J. L. Böhler u. Sohn und F. A. Hempel. Beide Etablissements sind zwar an sich von bedeutendem Umfang und
leisten Vortreffliches, wie es ihnen auch nicht an neuen und zweckmäßigen
Einrichtungen fehlt, die ich besonders in der Appreturanstalt von Hempel bemerkte; sie stehen aber doch den Schweizer
Anstalten im Umfange und besonders auch in der Kunst des Appretirens nach. Auch fand
ich manche Behandlungsweisen der Stoffe anders und, wie es mir schien, nicht so
zweckmäßig als in der Schweiz. Dieß zeigte sich namentlich in der Bildung der
Apprets, nämlich der zum Stärken angewendeten Stoffe und deren Zusammensetzung,
– eine Hauptaufgabe der Appreteurs, – worin die Schweizer sehr weit
sind, weßhalb sie damit aber auch sehr geheim halten.
Möchten diese Mittheilungen etwas dazu beitragen, der Appretur wie überhaupt der
Fabrication der Weißwaaren die Aufmerksamkeit der hohen Behörden zuzuwenden und dem
Lande einen Industriezweig zu gewinnen, der bei uns so gut wie ganz darniederliegt.
Und doch ist der Bedarf an Weißwaaren, den unsere Kaufleute aus dem Ausland beziehen
müssen, trotz der hohen Eingangssteuer so außerordentlich groß! Unseren so oft wegen
mangelnder Arbeit darbenden armen Webern würde damit eine dauernde Arbeitsquelle
geschaffen; ist auch der Arbeitslohn, da die Stoffe meistens leicht und billig sind,
nicht so hoch, als der von theuren halb- oder ganzwollenen oder schwereren
baumwollenen Waaren, so können doch die Weißwaaren schneller und massenhafter
angefertigt werden, und bringen dadurch wieder ein was am Lohn abgeht. Ueberdem gibt es überall Weber,
welche für schwere Tritt- oder Jacquard-Webereien zu schwächlich sind,
denen daher jene leichtere Waare stets sehr willkommen seyn wird.