Titel: | Neue Verfahrungsarten bei der Gewinnung von Weingeist; von Friedrich Weil, Chemiker in Paris. |
Fundstelle: | Band 150, Jahrgang 1858, Nr. CVI., S. 421 |
Download: | XML |
CVI.
Neue Verfahrungsarten bei der Gewinnung von
Weingeist; von Friedrich
Weil, Chemiker in Paris.
Aus Armengaud's Génie industriel, Januar 1858,
durch das polytechnische Centralblatt, 1858 S. 802.
Weil's Verfahrungsarten zur Gewinnung von Weingeist.
Das hier zu beschreibende Verfahren hat hauptsächlich den Zweck, bei der Bereitung
von Weingeist aus Runkelrüben und anderen vegetabilischen Stoffen nicht nur den
ganzen Zucker, sondern auch alle übrigen in dem Material enthaltenen sogenannten
Kohlehydrate (Stärke, Gummi, Cellulose u.s.w.) in Alkohol zu verwandeln und zur
Weingeistgewinnung auch ausgepreßtes Rübenmark, Kartoffelzellgewebe, den Rückstand
vom Auspressen der Aepfel u.s.w. für die Ciderfabrication und andere ähnliche
Abfälle zu benutzen.
Die Runkelrüben oder sonstigen Wurzeln werden zertheilt, entweder mittelst der Reibe
oder durch Zerschneiden. Die Topinambourknollen brauchen jedoch nicht zerkleinert zu
werden. Man bringt das Material sodann in eine Kufe oder ein sonstiges geeignetes
Gefäß. Dasselbe kann offen seyn, in Rücksicht auf Abkürzung der Dauer der Operation
und die Verringerung der anzuwendenden Säuremenge ist es aber vorzuziehen, sich
einer geschlossenen Kufe, die einen Druck von 1 1/4 bis 2 Atmosphären aushält, zu
bedienen. Die höhere Temperatur welche in diesem Falle stattfindet, erleichtert und
beschleunigt die Umwandlung der Kohlehydrate in gährungsfähigen Zucker. In die Kufe
bringt man circa 20 Procent vom Gewicht des Materials
Wasser und 1 1/2 bis 3 Procent Schwefelsäure von 66º Baumé. Nachdem man das mit
Schwefelsäure vermischte Wasser durch ein am Boden der Kufe liegendes, mit Löchern
versehenes Dampfrohr zum Kochen erhitzt hat, fügt man das Rohmaterial hinzu und
setzt das Kochen eine genügende Zeit lang fort. Bei dieser Operation wird das
Zellgewebe des Materials mürbe gemacht oder zerfressen, so daß man den
zuckerhaltigen Saft leicht und möglichst vollständig daraus gewinnen kann. Durch die
Schwefelsäure wird außerdem Gummi, Pflanzenschleim u.s.w. in gährungsfähigen Zucker
verwandelt. Man beendet die Operation, wenn diese Umwandlung genügend zu Stande
gekommen ist. Dann wird die Flüssigkeit durch Abseihen und Auspressen oder mittelst
eines Centrifugalapparates von der Cellulose getrennt, worauf man letztere trocknet.
Die Flüssigkeit wird mit Kreide gesättigt, der dabei entstandene Gyps abgesondert,
die Flüssigkeit nach Bedarf abgekühlt und sodann gähren gelassen, worauf man den
Weingeist von derselben in gewöhnlicher Manier abdestillirt.
Das Vorstehende bildet den ersten Theil des Verfahrens, auf welchen man sich in dem
Falle, daß man die Cellulose vortheilhaft an Papierfabrikanten, zur Anfertigung von
Packpapier, verkaufen kann, beschränkt. In diesem Falle kann man die Schwefelsäure
durch eine äquivalente Menge Salzsäure ersetzen, was den Vortheil gewährt, daß statt
des schwer löslichen schwefelsauren Kalkes das leichtlösliche Chlorcalcium entsteht.
Der Verfasser glaubt bemerkt zu haben, daß letzteres besonders förderlich auf die
Gährung einwirkt. Wenn man indeß das vollständige Verfahren anwenden will, so
verwandelt man auch den bei der vorbeschriebenen Manier gewonnenen Rückstand von
Cellulose in Weingeist, indem man in folgender Weise verfährt. Der getrocknete
Rückstand wird fein zertheilt und sodann mit derjenigen Menge Schwefelsäure von 60
bis 66º innig vermischt, welche zur ersten Behandlung einer derjenigen, von
welcher die Cellulose herstammt, gleichen Portion Rüben oder sonstigen Materials
nothwendig ist. Beim Vermischen sucht man eine Erhöhung der Temperatur und Bildung
von schwefliger Säure sorgfältig zu vermeiden. Nachdem man die Masse die nöthige
Zeit hat stehen lassen, vermischt man sie mit dem 4 bis 5fachen Gewicht Wasser und
läßt die Mischung kochen. Die sodann nach Umständen durch Decantiren oder Filtriren
gereinigte Flüssigkeit benutzt man nun statt frischer Schwefelsäure, um eine neue
Portion Runkelrüben oder sonstiges Material von gleichem Gewicht wie die vorige
Portion zu behandeln, wobei man in der oben beschriebenen Weise verfährt. Man erhält
auf diese Art den Zucker, welcher bei der ersten Behandlung des Materials in Lösung
geht, mit dem aus der
Cellulose gebildeten Zucker vereinigt. Die Flüssigkeit wird sodann in Gährung
gesetzt.
Wenn man die Runkelrüben das ganze Jahr hindurch verarbeiten will, so kann man sie
zerschneiden und austrocknen. Die trocknen Rübenschnitte behandelt man ebenso wie es
für frische Rüben beschrieben wurde, nur daß man mehr Wasser anwendet und die Menge
der Säure nach dem Gewicht der frischen Rüben, welche die trockenen Schnitte
geliefert haben, berechnet.
Die Weingeistgewinnung nach dem hier beschriebenen Verfahren kann mit der
Zuckerfabrication verbunden werden, indem man aus dem Rübensaft in gewöhnlicher
Manier Zucker darstellt und nur das ausgepreßte Mark zur Gewinnung von Weingeist
benutzt. Die Behandlung desselben weicht von der der Rüben nur durch die Anwendung
einer größern Menge Wasser ab. Da das Rübenmark noch einen Theil des Zuckers der
Runkelrüben und außerdem den größern Theil der andern in denselben vorhandenen
Kohlehydrate enthält, so kann es eine beträchtliche Ausbeute an Alkohol liefern.
Man kann auch aus den sauren Wässern, welche man bei der Behandlung des Krapps zur
Fabrication von Garancin und Krappcarmin gewinnt, Alkohol erzeugen. Die in diesen
Wässern enthaltene Säure ist hinreichend, um die darin vorhandenen, aus dem Krapp
herrührenden Kohlehydrate in Zucker zu verwandeln. Man braucht sie daher nur eine
genügende Zeit lang zu kochen, mit Kreide zu sättigen, die zuckerhaltige Flüssigkeit
von dem Gyps abzusondern, gähren zu lassen und zu destilliren.
Das Verfahren des Verfassers bezieht sich auch auf Behandlung von Getreide, Reis,
Mais und Kartoffeln, um daraus Weingeist zu gewinnen. Diese Behandlung besteht
ebenfalls darin, daß man die genannten Materialien in einem verschlossenen Gefäß
unter höherem Druck, also bei höherer Temperatur, mit säurehaltigem Wasser
behandelt. Dabei erfolgt die Zuckerbildung weit schneller als bei der dem
gewöhnlichen Luftdruck entsprechenden Temperatur und man kann erheblich an Säure
sparen.
Auf der Pariser Ausstellung von 1855 waren Proben von Alkohol, die nach dem Verfahren
des Verfassers aus verschiedenen Materialien dargestellt waren, vorhanden, und dem
Verfasser wurde von der Jury für seine Erfindung eine Medaille zuerkannt.