Titel: | Eine neue Bewegungskraft zunächst als Ersatz der Locomotive, dann zur Steuerung des Luftballons etc.; in Vorschlag gebracht von Dr. A. H. Emsmann, Professor zu Stettin. |
Fundstelle: | Band 151, Jahrgang 1859, Nr. XLI., S. 169 |
Download: | XML |
XLI.
Eine neue Bewegungskraft zunächst als Ersatz der
Locomotive, dann zur Steuerung des Luftballons etc.; in Vorschlag gebracht von Dr. A. H.
Emsmann, Professor zu Stettin.
Emsmann, über eine neue Bewegungskraft.
Im Jahre 1836 gelang es Thilorier in Paris die Kohlensäure, welche man bis dahin nur tropfbarflüssig zu
machen vermochte, im festen Zustande darzustellen. Faraday in London wiederholte die Versuche mit Glück, und
Natterer in Wien vereinfachte die Darstellungsmethode
wesentlich. In der festen Kohlensäure erblicke ich nun
eine neue Bewegungskraft, welche im Stande seyn dürfte die Locomotiven zu ersetzen,
und wenn dieß gelungen ist, das Problem der Steuerung des Luftballons als gelöst
ergibt.
In Poggendorff's Annalen Bd. CIV S. 658Daraus im polytechn. Journal Bd. CL S.
75. habe ich die Idee im Allgemeinen angedeutet. Da dieselbe Anklang gefunden zu
haben scheint, so trete ich in dieser weitverbreiteten technischen Zeitschrift vor
das technische Publikum, um die. Idee der Realisirung wo möglich näher zu führen;
denn gelingen die Versuche, wozu bereits Einleitungen getroffen sind, so stellen
sich unberechenbare Folgen in Aussicht.
Faraday sagt: „Die Kohlensäure ist ein
merkwürdiger Körper wegen der hohen Spannung des Dampfes, den sie im starren
oder eisigen Zustande ausübt. Es gibt keine Substanz, die ihr in dieser Hinsicht
auch nur entfernt gleich kommt, und sie stellt von allem, was sonst die
natürliche Ordnung der Dinge ist, das Gegentheil auf.“ Die feste Kohlensäure erscheint in der Form von Schnee oder
auch in krystallhellen Stücken, die so klar sind, daß sie von dem Glase kaum
unterschieden werden können, in welchem sich dieselben befinden. Das Merkwürdige
ist, daß die feste Kohlensäure, wenn sie nicht in hinlänglich festen und fest
verschlossenen Behältern bewahrt wird, sich in Dunst verwandelt, aber nicht
plötzlich in ihrer ganzen Masse, wie angezündetes Pulver, sondern allmählich, etwa
wie Eis auch nur allmählich in den flüssigen Zustand übergeht. Hierbei hat der Dunst
eine mit der Temperatur steigende Expansivkraft, die nach Faraday bei – 14° R. etwa 23, bei – 7° R. etwa
29, bei 0° R. 38 1/2 Atmosphären u.s.f. beträgt. Auf diese große
Expansivkraft bei allmählicher Verdunstung gründe ich
meine Idee, die hier gebotene Kraft zur Bewegung zu benutzen, wenn ich bedenke, daß
mit zwei ungleichen Kräften im Allgemeinen dieselbe Wirkung erzielt werden kann,
wenn man dieselben auf Flächen wirken läßt, die sich umgekehrt wie die Stärke
verhalten, wie man ja mit einer Niederdruckmaschine dieselben Leistungen gewinnt,
wie mit einer Hochdruckmaschine, wenn im Allgemeinen der Kolben der
Hochdruckmaschine in demselben Verhältnisse kleiner ist, als derjenige der
Niederdruckmaschine, in welchem der Druck jener größer ist, als derjenige
dieser.
Es kommt nun zunächst darauf an, die feste Kohlensäure in
größeren Quantitäten zu erzeugen. Natter er hat dieselbe
in Massen von einigen Pfunden dargestellt. Daß man noch nicht daran gedacht hat, die
Darstellung dieses Körpers in größeren Massen zu versuchen, scheint meiner Ansicht
nach darin begründet, daß man überhaupt noch nicht daran gedacht hat, diesen Körper
anderweitig als zu physikalischen Versuchen zu benutzen. Natter er erzeugt die Kohlensäure aus Kreide mittelst verdünnter Schwefelsäure. Ein
Apparat, wie er ihn benutzt hat, und der einen Druck von 2000 Atmosphären aushält,
kostet in Wien 100 fl. C.-M.
Ist die Darstellung der festen Kohlensäure in größeren Massen gelungen, was keinem
Bedenken unterliegen dürfte, so wird das Nächste seyn, Versuche auf Eisenbahnen zur
Fortbewegung geringerer, dann größerer Lasten anzustellen.
Ich denke mir nun die Benutzung der hier gebotenen Kraft nach dem Reactionsprincipe,
also in Form von Raketen.
Ein mit fester Kohlensäure gefüllter hinreichend fester
(schmiedeeiserner) Behälter wird auf einem leichten vierrädrigen Wagen befestigt,
welcher einen vorn in einer Schneide auslaufenden Wagenkasten trägt, groß genug um
eine Person aufzunehmen, welche die Oeffnung des Kohlensäurebehälters, d.h. der
Rakete dirigirt. Die Mündung der Rakete liegt nach hinten. Ebenda ist eine Kette an
den Wagen befestigt, um andere Wagen (Lasten) anzuhängen. Wird die Oeffnung der
Rakete geöffnet, was durch einen mehr oder weniger zu öffnenden größeren Hahn oder
durch mehrere Hähne oder durch Schieber oder dergleichen geschehen kann, so wird die
ausströmende, luftförmig werdende Kohlensäure durch Reaction, wie eine Rakete,
vorwärts treibend wirken und die entwickelte Kraft wird stark genug seyn, den Wagen
vorwärts zu treiben. Um größere Lasten zu bewegen, werden mehrere Raketen
gleichzeitig auf dem Wagen anzubringen seyn.
Die Idee lohnt sich, wie mir scheint, des Versuches. Glücken die Versuche, so sind
die theuren und in ihrer Unterhaltung kostspieligen Locomotiven entbehrlich gemacht.
Da die hier erzeugte Kraft direct wirkt, so ist es nicht nöthig den Wagen so schwer
zu machen, wie dieß bei den durch Adhäsion fortziehend wirkenden Locomotiven
nothwendig geschehen muß. Ueberhaupt würde ein größerer Nutzeffect der erzeugten
Kraft resultiren, da bei den Locomotiven ein großer Theil der Kraft zur Ueberwindung
von Hindernissen verwandt werden muß. Ich bemerke nur noch, daß von Station zu
Station entweder die Raketen erneuert werden müssen, oder ein neuer in Bereitschaft
stehender gefüllter Raketenwagen vorgelegt werden muß.
Welche Anwendung die in Rede stehende Kraft gestattet, ist unberechenbar, falls die
Versuche günstig ausfallen – unter Anderm ergibt sich die Steuerung des
Luftballons.
Ich denke mir an der kreisförmigen – vielleicht besser kahnförmigen –
Gondel diametral zwei parallele mit fester Kohlensäure gefüllte Raketen; diese
müssen sich – aber unter sich parallel bleibend – nach allen Richtungen horizontal,
auch vertical stellen lassen. Oeffne ich beide horizontal stehende Raketen, so
treiben sie die Gondel vorwärts und diese zieht den Ballon mit. Dieß ist das ganze
Princip. Ich bemerke nur noch, daß man sonst auch nichts weiter hat erreichen
wollen, als durch Räder, Schrauben und dergleichen die Gondel vorwärts treiben, und
daß also in diesem Falle die Schwierigkeiten auch keine anderen sind, als in
jenen.
Die Fahrten mit dem Luftballon werden stets eine untergeordnete Rolle spielen, denn
sie werden ebenso von Wind und Wetter abhängig seyn, wie die Segelschifffahrt. Nur
in physikalischer Hinsicht ist es zunächst von Interesse, daß dann ein Problem
gelöst seyn dürfte, nach welchem man seit 1783 vergeblich gesucht hat. Ob und wie
viel an den Träumen wahr werden wird, die nach Erfindung des Luftballons alle Welt
erfüllten, wird die Zeit lehren.
Ich wiederhole, daß die Benutzung der Kraft der festen Kohlensäure anstatt der
Locomotive zunächst die Hauptsache ist. Fern von allen chimärischen Vorstellungen
weiß ich sehr wohl, daß die Erfahrung unsere Lehrmeisterin ist. Ich habe also
zunächst das Experiment abzuwarten. Die Idee hat jedenfalls viel für sich und ist
von der größten national-ökonomischen Wichtigkeit.