Titel: | Beschreibung der königl. württembergischen Bleich-, Seng- und Appreturanstalt für Weißwaaren zu Weißenau; von Hrn. Regierungsrath Wichgraf in Potsdam. |
Fundstelle: | Band 151, Jahrgang 1859, Nr. XLVI., S. 192 |
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XLVI.
Beschreibung der königl. württembergischen
Bleich-, Seng- und Appreturanstalt für Weißwaaren zu Weißenau; von Hrn.
Regierungsrath Wichgraf
in Potsdam.
Aus den Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des
Gewerbfleißes in Preußen, 1858 S. 127.
Wichgraf, über die k. württemb. Bleich-, Seng- u.
Appreturanstalt für Weißwaaren zu Weißenau.
Unweit der ehemaligen freien Reichsstadt Ravensburg, in dem schon zum Gebiete des
Bodensees gehörigen segensreichen Schussenthale, liegt die frühere
Prämonstratenser-Abtei Weißenau. Die schönen und geräumigen Gebäude dieses
alten Klosters, mit den dazu gehörenden Feldern und Wiesen, überließ die königlich
württembergische Regierung im Jahre 1839 den Appreteuren Gebrüder Eduard und
Heinrich Erpf aus St. Gallen zur Einrichtung einer
Bleich-, Seng- und Appretur-Anstalt für Weißwaaren.
Die Industrie dieser Waaren ist in Württemberg schon in dem Jahr 1830 durch das Haus
Springer und Schlegel in Isny eingeführt und später
durch Zwerger und Deffner in Ravensburg, Hirsch Neuburger's Söhne in Buchau und Dietenhein u.a. verbreitet worden. Sie hatte aber nur schwachen Fortgang,
weil es an einer Anstalt für die Appretur fehlte, welche den weißen Waaren das
gefällige Aeußere und überhaupt erst die gehörige Vollendung gibt, um sie zum Handel
tauglich zu machen. Die Fabrikanten hatten sich deßhalb genöthigt gesehen, ihre
Waare in der Schweiz appretiren und zurichten zu lassen; es war ihnen hierbei zwar
zollfreie Aus- und Wiedereinführung gestattet, diese Versendung der Waare und
die Abhängigkeit vom Auslande hemmte aber doch sehr die freie Entwicklung der
Fabrication. Aus diesem Grunde und da die Befreiung von dem Zolle auch im Interesse
der Zollverwaltung nicht fortdauern konnte, sah sich die Regierung veranlaßt, für
die Anlegung einer eigenen Appreturanstalt im Lande zu sorgen. Sie wußte deßhalb die
vorgenannten Schweizer, welche ein bedeutendes (jetzt noch bestehendes)
Etablissement dieser Art in St. Gallen besaßen, zur Uebersiedelung nach Weißenau zu
bewegen, wo dieselben dann in den Jahren 1839–40 mit Unterstützung des Staats
jene großartige Anstalt in den hellen und weiten Räumen der alten Klostergebäude
einrichteten.
Die Anstalt leistete bald Vortreffliches und brachte die Weißwaaren-Industrie
Württembergs schnell zu der Selbstständigkeit und Bedeutung, welche sie jetzt dem
concurrirenden Auslande würdig zur Seite stellt. Dazu trug freilich auch die
Tüchtigkeit der Unternehmer, welche ihrerseits keine Anstrengung und Opfer scheuten,
das Meiste bei. Sie selbst hatten leider nicht das Glück, die Früchte ihres Strebens
zu genießen. Da die Industrie selbst erst in der Entwickelung begriffen war, so
fehlte es der Anstalt natürlich im Anfang an der nachhaltigen und ausreichenden
Beschäftigung, demungeachtet mußte sie gleich von Vornherein mit allen Einrichtungen
und auch mit den nöthigen Arbeitskräften versehen seyn, um allen den vielfachen
Anforderungen der so mannichfaltigen Baumwollen- und Leinen-Industrie
zu entsprechen. Die Unternehmer machten daher schlechte Geschäfte. Als nun noch im
Jahre 1851 der Chef des Hauses Erpf in St. Gallen starb,
gestalteten sich hierdurch die Verhältnisse der Unternehmer so ungünstig, daß der
Fortbetrieb der Anstalt in Frage kam. Die Regierung sah sich demnach genöthigt,
dazwischen zu treten und das Etablissement selbst käuflich zu übernehmen.
Die Direction wurde dem Cameral-Verwalter Breunlin
übertragen, der schon 1840 und 1841 die früheren Besitzer durch seinen Rath
unterstützt hatte und der noch jetzt die Anstalt mit vieler Umsicht und Sachkenntniß
leitet.
Nach der Uebernahme hatte die Regierung noch bedeutende bauliche und gewerbliche
Verbesserungen auszuführen; dennoch hat sie jetzt schon eine gute Einnahme von dem
Betriebe der Appretur.Der Reinertrag soll sich auf 10 Proc. des Kaufcapitals belaufen und jährlich
im Steigen begriffen seyn, ungeachtet seit dem 1. Januar 1855 die
Appreturlöhne zeitgemäß herabgesetzt sind.
Die Einrichtungen der Anstalt sind folgende:
1) Die Sengerei. Sie liegt im Erdgeschosse und ist im Jahr
1852 nach neuester Construction in Schweizerart für Gas
eingerichtet, während bis dahin in der älteren Weise auf glühendem Eisen gesengt
wurde. Das Gas wird in einer Art Kohksofen, der im Keller steht, durch Verkohlen von
Buchenholz erzeugt, in einem dicht dabei im Nebengebäude aufgestellten Gasometer
aufgefangen und von dort in den Sengapparat geleitet. Als Nebenproduct wird Theer
gewonnen.
Der Sengapparat besteht in einem System von vier zu je zwei horizontal in etwa 2 bis
3 Fuß Entfernung über einander liegenden Gasleitungsröhren, der Länge nach mit
messingenen, ganz fein durchlöcherten Aufsätzen versehen, durch welche das Gas
ausströmt. So kann jede Röhre mit 800 Flämmchen, welche einen zusammenhängenden
Flammenstrom bilden,
brennen, und der zu sengende Stoff wird, wenn er über alle 4 Röhren passirt, durch
3200 Flämmchen gesengt. Durch Hähne, welche an den Hauptröhren und an den
messingenen Aufsätzen angebracht sind, kann jede Röhre ganz oder theilweis
geschlossen und die Breite der Flamme beliebig regulirt werden. Der Stoff wird auf
Lattenwalzen gerollt und mittelst einer Leitschnur und fünf eisernen unter den
Gasröhren liegenden Leitwalzen über die Flammen gezogen. Die Maschine wird, wie alle
Hülfsmaschinen der Anstalt, durch Wasserkraft bewegt (der Apparat ist in Herisau in
der Schweiz gebaut und soll 1300 fl. gekostet haben). Die Feuerung derselben heizt
zugleich den Trockenraum für gebleichte Waare.
In der Schweiz hat man jetzt nur Gassengerei, und auch in Sachsen geht man schon dazu
über. So fand ich bei Boehler, in Plauen, einen dem oben
beschriebenen fast ganz gleichen Röhrenapparat, wozu das Gas aus der städtischen
Gasbeleuchtungsanstalt (Kohlenwasserstoffgas) benutzt wurde. Hiermit war man indeß
nicht sehr zufrieden, indem das Gas ungleich ausströmte und die Flammen bald länger
und stärker, bald kürzer und schwächer brannten. Es ist aber eine Hauptsache, daß
der Senger die Flammen ganz in seiner Gewalt hat und nach der Beschaffenheit des zu
sengenden Stoffes reguliren kann; deßhalb ist ein eigener Gaserzeugungsapparat und
eigener Gasometer ein Haupterforderniß einer guten Gassengerei.
2) Die Bleiche. In derselben sind neben dem, auch für die
Appretur dienenden Wasserrade (zu 48 Pferdekraft berechnet) und neben dem
Dampfkessel, welcher zum Heizen theils der Laug-, Chlor- und
Säuregefäße (letztere beide sind viereckig, von starken Sandsteinplatten, erstere
von Holz), theils der Appretur-Kalander und Stärkmaschine dient, an
mechanischen Vorrichtungen im Gange:
2 Walken mit je 6 Löchern, eine davon mit Kupfer ausgeschlagen, nach irischer Art
besonders für Leinwand (man zieht das Walken mit Hämmern den Waschrädern und anderen
Waschapparaten vor); 1 Walke mit einem Troge von Marmor, worin 4 Löcher; 1
Garnwaschmaschine (eine Art hölzerner Wassertrog, worin das Garn an den Sprossen
einer, dicht über dem Wasser horizontal liegenden Leiter hängt, welche sich schnell
hin und her bewegt und so das Garn spült); 1 Flatschmaschine und 1 Presse zum
Austreiben des Wassers; 3 Wasserpumpen nebst einer Röhrenleitung mit lebendem Druck;
3 Centrifugaltrockenmaschinen.
Daß diese Apparate in der Bleich-, wie überhaupt alle in der ganzen Anstalt in
der zweckmäßigsten Verbindung aufgestellt, daß überall Wasser- und
Dampfzuleitungs-Röhren angebracht und Wasserreservoirs aufgestellt sind, und daß dabei
Alles sehr compendiös und unter möglichst ausgedehnter Benutzung der mechanischen
Kraft eingerichtet ist, darf ich nicht näher erwähnen.
3) Die Appretur. Deren Einrichtungen gehen durch fünf
Stockwerke, wobei drei sehr große Trockenböden. Alle Räume sind mit Luftheizung
versehen. Zum Betriebe sind vorhanden:
6 Stärke- und Bläuemaschinen (dabei eine neu aufgestellte breite Bläuemaschine
für Gardinen etc. nebst Dampfkalander); 1 Auswindestuhl; 2 gewöhnliche, 1
Glanzkalander, 2 irische Stoßkalander (Beating-mills); 1 enorm große Kastenmange (circa 20 Fuß lang mit 600 Ctrn. Druck) nebst 2 Aufwindestühlen; 1
Einsprengmaschine, endlich 52 verschiedene Trockenrahmen (alle horizontal mit sehr
compendiösen mechanischen Vorrichtungen zum Breit- und Schmalstellen, zum
Hin- und Herschieben für elastische Mullappretur u.s.w.).
Neuerdings ist noch ein Sortiment sogenannter englischer Rahmen mit Ventilation
aufgestellt, wobei breite Flügel in gewissen Distanzen über den Rahmen hängen und
durch Hin- und Herbewegen die Ventilation bewirken (über einem Rahmen von circa 90 Fuß Länge waren 18 solcher Flügel angebracht).
– Dergleichen fand ich auch in der Schweiz im Gebrauch.
Die Auswindemaschine hat die bekannte einfache Einrichtung eines etwa 15 bis 20 Fuß
langen schmalen hölzernen Troges, an den Enden mit Haken versehen, um welche das mit
Stärke getränkte Zeugstück gelegt und dann durch Umdrehen des einen Hakens scharf
zusammengedreht wird, bis wenig oder gar keine Stärke mehr abgeht. Man hält diese
Manipulation, welche mehrmals wiederholt und demnächst auch noch durch Nachwringen
und Ausschlagen mit den Händen fortgesetzt wird, für die Hauptsache, um die Appretur
gleichmäßig zu vertheilen und das zu starke ungleichmäßige Ansetzen derselben zu
verhindern.
Die feinen Stickereien, Gardinen auf Tüll und andere feine Gewebe werden auf langen
hölzernen Tischen ausgebreitet und mittelst großer Schwämme mit dem Appret (sehr
dünn zubereitet) versehen. (In Sachsen spannt man diese Zeuge in Rahmen und stärkt
sie mittelst leinener mit Stärke gefüllter Beutel, indem man diese mit der Hand
aufdrückt und so die Stärke durchpreßt.)
Es werden in Weißenau gegen 70 verschiedene Arten von Appreturen geliefert, wovon
einige der am gewöhnlichsten vorkommenden weiter unten genannt sind.
4) Endlich besitzt die Anstalt noch eine eigene mechanische
Werkstätte, theils zum Ausbessern des gehenden Werks, theils zur
Anfertigung neuer Maschinen.
Die Zahl der in der Anstalt beschäftigten Arbeiter beläuft sich auf circa 120 incl. 20 und
einige Kinder (64 männliche, 56 weibliche Arbeiter), die Kinder verdienen bei 12
Arbeitsstunden 12–15 kr., die weiblichen Arbeiter 24–42 kr., die
männlichen 42 kr. bis 1 fl. Die jährliche Gesammt-Ausgabe für Arbeitslöhne
beträgt etwa 13,000 fl.
Um noch des Verbrauchs einiger Rohmaterialien zu erwähnen, bemerke ich, daß jährlich
an Soda etwa 17,000 Pfund, an Chlorkalk 6000 Pfd. und an Schwefelsäure 5500 Pfund
für die Bleiche verbraucht werden. – Für Leinwand wird in der Regel
Rasenbleiche angewendet und nur auf besonderen Wunsch halb chemisch gebleicht.
Ueber die Leistungen der Appretur sind mir folgende
Zahlenangaben mitgetheilt, wobei das Stabmaaß zu 43 Pariser Zollen (circa 1 1/2 Meter) gerechnet ist.
An Baumwollen-Waaren wurden veredelt und mit den genannten Appretarten
versehen:
pro 1. Mai
1853–54
pro 1. Mai
1854–55
Ordinair-Appret
19,461
Stab.
34,056 Stab.
Chiffon oder Naturel
11,022 „
34,128 „
Shirting, Madepolam- und nach Leinwandart
394,479 „
444,082 „
Cambric mit einfachem und doppeltem Wasser
44,866 „
36,370 „
Glanzappretur
5,221 „
4,754 „
Jaconat gewöhnlich
117,731 „
142,089 „
„ englisch
12,684 „
14,262 „
„ durch Dampf
31,088 „
33,128 „
Batist
50,057 „
61,881 „
Organdis ganz
15,450 „
8,716 „
„
halb
45,200 „
59,709 „
Blumen-Appretur
21,376 „
36,350 „
Linon
47,789 „
8,518 „
Englischer AppreturMan verlangt jetzt wenig ganz Linon, dagegen mehr halb, und
dieser ist gleich dem englischen, weßhalb bei diesem die Zu-,
bei ersterem die Abnahme.
249,797 „
273,275 „
Langstich
35,249 „
34,975 „
Gingham
1,576 „
896 „
–––––––––––––––––––––––––––––––––––
Summa
1,102,686 Stab.
1,227,189 Stab.
Das ist pro Arbeitstag resp. 3675 Stab und 4090 Stab,
oder durchschnittlich täglich 100 Stücke zu 36–40 Stab. – Die Preise
sind billig, Ausrüstung und Verzierungen, überhaupt die vollständige Aufmachung wird
in der Anstalt sogleich mitbesorgt.
Den größten Theil der Waaren liefert Württemberg selbst; Vieles kommt aber auch aus
Bayern, Baden, selbst aus dem sächsischen Voigtlande; Einiges auch aus
Westphalen.
Die Einrichtungen der Anstalt sind derartig, daß dieselbe im Stande ist, noch 1/4
mehr Rohstoff zu veredeln; sie besitzt dazu die nöthigen Räume und gut eingeübte
Arbeiter. Für letztere ist, wie bei allen württembergischen Staatsanstalten, eine
Kranken-Unterstützungscasse eingerichtet.