Titel: | Das Verbacken des Mehls aus ausgewachsenem Getreide. |
Fundstelle: | Band 151, Jahrgang 1859, Nr. LXXVI., S. 309 |
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LXXVI.
Das Verbacken des Mehls aus ausgewachsenem
Getreide.
Ueber das Verbacken des Mehls aus ausgewachsenem
Getreide.
Ein wichtiges Problem ist in der letzten Zeit durch Hrn. Dr. Julius Lehmann, Chemiker an der
landwirthschaftlichen Versuchsstation zu Weidlitz bei Bautzen, gelöst worden: das
Verbacken von Mehl aus ausgewachsenem Roggen zu Brod.Wir haben hierüber bereits in diesem Bande S. 78 eine Notiz mitgetheilt.
Vorstehenden Aufsatz hat Hr. Prof. v. Liebig aus
dem „Dresdner Journal“ in den Anhang seiner Chemischen
Briefe (vierte Auflage, 1859) aufgenommen, welchem wir ihn entlehnen.A. d. Red.
Es war Hr. Dr. Lehmann von dem
königl. sächsischen Ministerium des Innern mit weitern chemischen Untersuchungen in
Beziehung auf die wichtigsten Lebensmittel beauftragt und ihm hierbei die obige
Frage als besondere Aufgabe gestellt worden. Die eingeleiteten Untersuchungen
ergaben, daß die durch
das Keimen der Getreidekörner entstehenden Veränderungen in der Hauptsache in einem
theilweisen Löslichwerden des Klebers und dem dadurch herbeigeführten Verschwinden
der Elasticität und Dehnbarkeit (der teigbildenden Eigenschaft) desselben, sodann
aber in einer Umwandlung des theilweise löslich gewordenen Stärkmehls vermittelst
der mit dem Kleber in geringer Quantität gebildeten Diastase in Dextrin und Zucker
sich kundgebe. Weitere Untersuchungen führten dahin, daß das Kochsalz die
Eigenschaft besitze, den in Lösung befindlichen Kleber wieder unlöslich zu machen
und ihm seine teigbildende Eigenschaft wieder zu ertheilen.
Gestützt hierauf, wurden, nachdem der anhaltende Regen zur Zeit der Roggenernte zum
Auswachsen großer Mengen von Korn geführt hatte, zuerst Versuche in der Bäckerei des
Hrn. Ochernal auf Techritz angestellt, und als solche zu
günstigen Resultaten geführt hatten, mit Genehmigung des königl. Kriegsministeriums
in der Militärbäckerei zu Dresden unter Aufsicht des Hrn. Kriegscommissärs Blume durch Hrn. Dr. Lehmann fortgesetzt.
Es wurde zu denselben Roggen gewählt, dessen Körner fast ohne Ausnahme gekeimt waren;
es wurde solcher absichtlich mit allen Keimen vermahlen; es ergab 1 Scheffel, der
160 Pfund wog,
gutes Mehl
102
Pfund
Nachgang
17
„
Schwarzmehl
15 1/2
„
Kleie
16 1/2
„
Hiernach Verlust
9
„
Von dem guten Mehle wurden 40 Pfd. mit 31 Pfd. Wasser und dem nöthigen Quantum
Sauerteig, ganz in gewöhnlicher Weise behandelt und von dieser Masse die
Versuchsbrode abgewogen. Es ergab sich das Resultat, daß das ohne einen Zusatz
gebackene Brod kuchenförmig breit lief, die Rinde sich ablöste, ein bläulicher
Schliff sich bildete, das Gebäck ungenießbar war.
Bei einem Zusatz von 1 1/3 Loth Salz auf 3 Pfd. Mehl wurde das Brod wesentlich
besser, es behielt seine Form, die Rinde löste sich aber ab, und es zeigte sich
immer noch ein kleiner Schliff an der untern Seite: das Brod war genießbar.
Ein Zusatz von 2 Loth Salz auf 3 Pfd. Mehl zeigte die vollständige Wirkung: das Brod
war in jeder Beziehung zufriedenstellend, locker, trocken, ohne allen Schliff.
Die Operation ist einfach; vor dem Einwirken wird das in Wasser gelöste Salz
zugesetzt; sonst in Allem verfahren wie gewöhnlich.
Die gleichzeitig angestellten Versuche mit Mehl aus ausgewachsenem Weizen ergaben bis
jetzt kein befriedigendes Resultat: sie sollen fortgesetzt werden.
Wenn hiernach das gewachsene Korn mit gleichem Vortheil, wie das ungewachsene, durch
den Zusatz von Kochsalz verbacken werden kann, so hat das Kochsalz noch weitere sehr
beachtenswerthe Eigenschaften bei dem Brodbacken, indem, abgesehen davon, daß zur
vollständigen Verdauung der im Brod enthaltenen Proteinstoffe Salz nöthig ist,
dieses auch die Schimmelbildung verhindert. Es ist durch die Versuche von Hrn. Dr. Lehmann erwiesen, daß
selbst nach Monaten sich noch kein Schimmel bei dem mit Salz gebackenen Brode
einstellt, während solcher, wo der Zusatz von Kochsalz unterbleibt, oft schon nach
wenigen Tagen sich einstellt.
Endlich aber bäckt sich das Mehl ungleich weißer bei einem Zusatz von Salz; es haben
dieses nicht allein die vom Hrn. Dr. Lehmann bereits vor zwei Jahren angestellten Versuche
bewiesen, sondern es ist auch erst vor Kurzem durch
Mège-MourièsPolytechn. Journal Bd. CXLVIII S.
220. hierauf öffentlich hingewiesen worden.
Ganz abgesehen von der besondern Wichtigkeit des Kochsalzzusatzes für das Verbacken
von Mehl aus ausgewachsenem Roggen, würde es überhaupt wünschenswerth seyn, wenn
sich auch unser Publicum der in Süddeutschland bekanntlich allgemein eingeführten
Sitte, gesalzenes Brod zu genießen, dafür aber die nicht
zu längerer Aufbewahrung bestimmte Butter nicht zu salzen, anschließen wollte. Denn
außer den allgemein günstigen diätetischen Wirkungen solcher Sitte würde man dann in
Jahren, wo das Getreide stark auswächst, nicht die besondere Schwierigkeit der
Gewöhnung der Consumenten an den Genuß gesalzenen Brodes zu überwinden haben. Die
secundäre Wirkung der Abschaffung der mit dem Verkaufe gesalzener Butter verbundenen
Mißbräuche würde ebenfalls keine ungünstige seyn.
Allen, welche sich für die wichtige Aufgabe zweckmäßiger Volksernährung interessiren,
sind diese Sätze lebhaft ans Herz zu legen.
Zunächst aber handelt es sich darum, der Verbackung des Mehls aus ausgewachsenem
Roggen mit Hülfe von Salzzusatz rasch und allgemein Eingang zu verschaffen.