Titel: | Automatischer Schreibtelegraph, von C. Wheatstone. |
Fundstelle: | Band 151, Jahrgang 1859, Nr. CIII., S. 419 |
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CIII.
Automatischer Schreibtelegraph, von C. Wheatstone.
Aus den Comptes rendus, Januar 1859, Nr.
4.
Wheatstone's automatischer Schreibtelegraph.
Mein neuer automatischer Schreibtelegraph bietet Vortheile dar, welche man bis jetzt
noch nicht erlangt hat. Mit dem gegenwärtig auf dem Bureau der königl. Gesellschaft
der Wissenschaften zu London aufgestellten Apparate lassen sich 500 Buchstaben in
einer Minute drucken. Die durchlöcherten Papierbänder, welche die Ordnung und
Reihenfolge der elektrischen Ströme durch einen dem Jacquardwebestuhl analogen
Mechanismus bestimmen,
sind so vorbereitet, daß die Gruppen von Punkten, welche die verschiedenen
Buchstaben vorstellen, deutlich von einander getrennt sind, wodurch die Verwirrung,
zu welcher die continuirliche Aufeinanderfolge von an einander liegenden Buchstaben
gegenwärtig häufig Anlaß gibt, unmöglich wird; und der Druck der Depesche in
Punkten, die mit Schreibtinte aufgetragen werden, vergrößert das Gewicht der Organe
des Apparates gar nicht, bietet also der bewegenden Kraft der Elektromagnete keinen
Widerstand dar.
Meine Erfindung besteht im Wesentlichen in einer neuen Combination von Mechanismen,
welche den Zweck haben, im Voraus vorbereitete telegraphische Depeschen nach einer
entfernten Station zu signalisiren und dort niederschreiben zu lassen. Lange
Papierbänder werden durch eigens hiezu construirte Maschinen mit Löchern
durchschlagen, welche dergestalt gruppirt sind, daß sie die Buchstaben des
Alphabetes oder andere Zeichen repräsentiren. Das auf diese Weise zubereitete Band
kommt in einen Apparat, der mit einem Rheomotor oder einer sonstigen Quelle
elektrischer Kraft verbunden ist. In Thätigkeit gesetzt, bewegt dieser Apparat das
Papierband der Länge nach und läßt es auf zwei Stifte oder Spitzen dergestalt
wirken, daß, wenn eine derselben in die Höhe gehoben wird, der Strom die
Telegraphenleitung in einer gewissen Richtung durchläuft, wogegen beim Heben der
andern Spitze die Stromrichtung sich in die entgegengesetzte verwandelt. Die
Hebungen und Senkungen der Stifte werden durch die Löcher des Papiers und die
dieselben trennenden vollen Zwischenräume bestimmt. Die solchergestalt bald nach der
einen, bald nach der andern Richtung sich folgenden Ströme wirken auf einen an der
entfernten Station aufgestellten Schreib- oder Druckapparat so, daß derselbe
auf einem durch Uhrwerk in Bewegung gesetzten Papierbande die entsprechenden Zeichen
hervorbringt.
Ich will nun die verschiedenen Organe dieses telegraphischen Systems einzeln
beschreiben, wobei ich im Voraus bemerke, daß jedes dieser Organe eigenthümlicher
Natur ist und an den jetzt gebräuchlichen Apparaten angebracht werden kann.
Der erste Apparat ist ein Perforator (perforateur), eine Durchlöcherungsvorrichtung, welche
die Bestimmung hat, die Papierbänder in der zur Bildung der Depesche dienlichen
Ordnung zu durchlöchern. Das Papierband tritt in eine zu seiner Leitung bestimmte
Rinne. Auf dem Boden dieser Rinne befindet sich eine Oeffnung, welche weit genug
ist, um die Hin- und Herbewegung des oberen Randes eines Rahmens zu
gestatten, welcher drei Durchschläge enthält, deren Enden in einer und derselben zur Länge des Papiers
senkrechten Linie liegen. Jeder dieser Durchschläge läßt sich durch einen Druck des
Fingers auf eine ihm entsprechende Taste einzeln in die Höhe heben. Der Druck des
Fingers auf die Taste bringt – außer dem Heben des entsprechenden
Durchschlags, um das Papier zu durchlochen – nach einander zwei verschiedene
Bewegungen hervor: erstens hebt er eine Zange, welche das Papier in der Lage, worin
es sich eben befindet, festhält; zweitens bewegt er den Rahmen mit den drei
Durchschlägen vorwärts. Bei dieser Vorwärtsbewegung nimmt derjenige Durchschlag,
welcher in die Höhe gehoben war, das Papierband mit und rückt es um die gewünschte
Strecke von seiner Stelle. Während der rückgängigen Bewegung der Taste, welche
stattfindet wenn der Finger nicht mehr aufdrückt, fixirt zuerst die Zange das
Papier, sodann fällt der Rahmen in seine normale Lage zurück. Die zwei äußeren
Tasten und Durchschläge dienen zum Ausschlagen der Löcher, welche in ihrer
Gruppirung die Buchstaben repräsentiren. Die Taste und der Durchschlag in der Mitte
dienen zum Ausschlagen der kleineren Löcher, welche die Intervalle zwischen zwei
aufeinander folgenden Buchstaben bezeichnen. Die Durchlöcherungen des Bandes
gestalten sich demnach auf folgende Weise:
Textabbildung Bd. 151, S. 420
Durch einen sehr einfachen Zusatz macht man den Perforator geeignet, nach einer
entfernteren Station neuerdings eine Depesche zu entsenden, welche dort gedruckt
empfangen wird, ohne dieselbe übersetzen, selbst ohne ihren Sinn verstehen zu
müssen. Man leitet nämlich das bedruckte Band zwischen zwei Walzen, wovon die eine
die Bewegung einer Schraube aufnimmt, welche aus freier Hand so gedreht wird, daß
die Zeichen der Depesche der Reihe nach unter den Augen des Telegraphisten
vorübergehen. Mit der rechten Hand drückt man auf die Tasten des
Durchlöcherungsapparates, während man mit der linken Hand die Schraube in Umdrehung
setzt. In dem Maaße nun, als die Zeichen der Reihe nach zu Gesicht kommen, drückt
man die den Punkten oder Buchstaben entsprechenden Tasten nieder. Es ist dieses eine
ganz mechanische Operation, welche beinahe gar keine geistige Anstrengung erfordert.
In der Wirklichkeit wird an dem gebräuchlichen Alphabete nichts geändert. Man kann
die Bestimmung treffen, daß die Punkte auf der einen Seite des Bandes die kurzen
Zeichen und die Punkte auf der andern Seite die gestreckten Zeichen des üblichen
Alphabetes vorstellen, während die Ordnung der Reihenfolge unverändert bleibt. Bei meinem System nehmen
aber die Buchstaben keinen so langen Raum ein und sind daher leichter abzulesen. Der
zweite Apparat ist der Zeichengeber (transmetteur), welcher die von dem Perforator
durchlöcherten Papierbänder in Empfang nimmt und die Ströme irgend einer Batterie in
der durch die Löcher des Papiers bestimmten Ordnung und Richtung entsendet. Diese
Transmission wird durch einen Mechanismus bewerkstelligt, welcher dem des
Perforators sehr ähnlich ist. Ein Excentricum erzeugt und regulirt die Wiederkehr
oder Reihenfolge der drei Bewegungen, nämlich 1) die hin- und hergehende
Bewegung eines kleinen Rahmens, welcher eine Coulisse nebst Falz enthält, die dazu
bestimmt ist, das Papier in Empfang zu nehmen und dasselbe während der
Vorwärtsbewegung des Rahmens vorzuschieben; 2) die Hebung und Senkung einer Feder,
welche das Papier während der Rückbewegung des Rahmens festhält und ihm gestattet
demselben bei seiner Vorwärtsbewegung zu folgen; 3) die gleichzeitige Hebung oder
Senkung dreier parallelen Stifte oder Drähte, welche mit ihrem einen Ende auf der
Achse des Excentricums ruhen und mit dem andern freien Ende in Löcher dringen, die
in den Falz der Coulisse gebohrt sind. Die drei Drähte sind mit der Achse des
Excentricums nicht fest verbunden, sondern jeder wird durch eine von Unten nach Oben
wirkende Feder gegen dieselbe angedrückt, so daß, wenn man auf das freie Ende irgend
eines der Drähte einen schwachen Druck ausübt, dieser Draht unabhängig von den
übrigen sich senken läßt. Befindet sich das Papierband nicht an seinem Platz, und
man setzt das Excentricum in Bewegung, so geht eine an jedem der beiden äußeren
Drähte befestigte Spitze, während jeder Vor- und Rückbewegung des Rahmens,
von dem Contact mit der einen Feder zum Contact mit der andern Feder über. Mit Hülfe
dieser auf geeignete Weise eingeleiteten Contacte und Isolirungen ist alles so
angeordnet, daß während einer der Drähte gesenkt ist, der andere aber gehoben
bleibt, der galvanische Strom die Telegraphenleitung nach einer gewissen Richtung
durchläuft, wogegen er die entgegengesetzte Richtung annimmt, wenn der vorher
gehobene Draht nunmehr gesenkt ist, und umgekehrt. Sind beide Drähte zugleich
gehoben oder gesenkt, so ist der Strom unterbrochen. Wird nun das präparirte Papier
in den Falz gebracht und vorwärts gezogen, so wird der Strom nach einer und
derselben Richtung gehen, es mag der eine oder der andere von den beiden Drähten in
eines der Löcher der ihm entsprechenden Reihe treten, und wenn das Ende des anderen
Drahtes in eines der Löcher der zweiten Reihe tritt, so wird der Strom die
entgegengesetzte Richtung annehmen. Durch dieses Mittel sind die Ströme angewiesen,
einander automatisch
in derjenigen Ordnung und Richtung zu folgen, wie sie die Erzeugung jeder Art von
Signalen erheischt. Der mittlere Draht dient einfach als Führer des Papiers während
des Aufhörens der Ströme. Das Rad, welches das Excentricum in Thätigkeit fetzt, kann
aus freier Hand oder durch irgend eine Triebkraft in Umdrehung gesetzt werden. Wird
die Bewegung der Zeichengeber auf mechanische Weise bewerkstelligt, so genügen einer
oder zwei Gehülfen zur Ueberwachung einer beliebigen Anzahl von Apparaten um eine
gleiche Anzahl von Depeschen zu entsenden. Dieser Zeichengeber erfordert nur einen
einzigen Telegraphendraht. Man kann überdieß, wenn man will, die Depesche auf eine
einzige Löcherreihe reduciren; in diesem Falle erfordert der Durchlöcherungsapparat
nur 2 Tasten und der Zeichengeber anstatt 3 nur 2 Drähte.
Der dritte Apparat ist der Zeichenempfänger (recepteur), welcher auf der Ankunftsstation auf einem
Papierband schwarze Punkte hervorbringt, die in ihrer regelmäßigen Anordnung den
Löchern des Papiers entsprechen. Die Schreibfedern oder Stifte heben oder senken
sich in Folge ihrer Verbindung mit den beweglichen Theilen der Elektromagnete. Sie
sind in ihrer Thätigkeit unabhängig von einander, und so angeordnet, daß, wenn der
Strom den Inductionsdraht des Elektromagneten nach der einen Richtung durchläuft,
die eine, und wenn der Strom die entgegengesetzte Richtung annimmt, die andere der
Schreibfedern sich herabsenkt. Hört der Strom auf, so führen leichte Federn oder
besser kleine Magnete die Schreibfedern in ihre normale Lage zurück. Die Tinte wird
den Schreibfedern durch einen ungefähr 3 Millimeter hohen metallenen Behälter von
geeigneter Breite und Länge zugeführt, welcher innen vergoldet ist, damit ihn die
Tinte nicht angreifen kann; der Boden des Behälters ist mit zwei Löchern versehen,
welche so fein sind, daß die Capillarität den Ausfluß der Tinte durch dieselben
verhindert; die Enden der Federn befinden sich unmittelbar über diesen kleinen
Löchern; sie dringen in dieselben ein, wenn sie durch die Wirkung der Elektromagnete
niedergedrückt werden, und nehmen genug Tinte mit sich, um sehr sichtbare Zeichen
oder Punkte auf der Oberfläche des unter ihnen weggehenden Papiers zu hinterlassen.
Die progressive Bewegung des Papiers wird durch einen ähnlichen Mechanismus wie bei
dem zeichenempfangenden Apparat anderer Drucktelegraphen hervorgebracht und
regulirt.
Der vierte Apparat ist ein Instrument, welches ich Uebersetzer (traducteur) nenne. Sein Zweck
ist, das aus einer Reihenfolge von Punkten zusammengesetzte telegraphische Signal in
das gewöhnliche Alphabet zu übersetzen. Bei dem von mir angenommenen System, welches
die Zahl der zu einem Signal dienenden Punkte auf vier beschränkt, disponirt man über dreißig
besondere Zeichen. Man bemerkt an dem Uebersetzer außen neun Tasten, wovon acht in
zwei parallelen Reihen, vier in jeder Reihe, angeordnet sind; die neunte Taste ist
abgesondert angebracht. Der Haupttheil des Mechanismus ist ein Rad, auf dessen
Umfange in gleichen Abständen 30 Lettern angebracht sind, welche die Buchstaben und
andere Zeichen des Alphabetes darstellen. Ein zweiter Mechanismus ist so mit dem
ersten verbunden, daß wenn man die Tasten der oberen Reihe niederdrückt, das Rad um
1, 2, 4 oder 8 Buchstaben weiterrückt, dagegen um 2, 4, 8 oder 16 Buchstaben, wenn
man die Tasten der unteren Reihe niederdrückt. Drückt man nun die Tasten nach
einander in der Ordnung, in welcher die Punkte auf das Papier gedruckt sind, nieder,
d.h. die erste Taste für 1 Punkt, die erste und die zweite für 2 Punkte u.s.w., und
wählt man die Tasten der oberen oder unteren Reihe, je nachdem sich der Punkt auf
der oberen oder unteren Punktenreihe des Papierbandes befindet, so wird in Folge
obiger Anordnung das Letternrad in die geeignete Lage gebracht, um den Buchstaben zu
zeigen, welcher der Reihenfolge oder den auf dem Bande aufgetragenen Gruppirungen
von Punkten entspricht. Die neunte Taste preßt, wenn sie niedergedrückt wird, die
Lettern auf das Band, schiebt das letztere vorwärts, so daß es dem Letternrad eine
frische oder freie Stelle darbietet, und führt das Letternrad in seine erste Lage
zurück.
Ich schließe mit einigen Bemerkungen über die Vortheile, welche das neue System
gewährt. So groß auch die praktische Geschicklichkeit seyn mag, die ein Telegraphist
sich aneignet, so bleiben seine Resultate doch gegen eine automatische Procedur,
welche nur durch die Geschwindigkeit, die man den Bewegungen des Zeichengebers
ertheilen kann, beschränkt ist, weit zurück. Vermöge der Construction meines
Apparates kann man auf mittlere Entfernungen hin fünfmal so viel Signale entsenden,
als mit den gegenwärtigen Apparaten; für sehr bedeutende Entfernungen und für
Leitungsdrähte, welche inducirenden Einflüssen ausgesetzt sind, erleidet die
Geschwindigkeit nothwendig eine Beschränkung durch das Bestreben, welches sehr kurze
oder sehr rasch auf einander folgende Ströme haben, in einander überzugehen.
Abgesehen von dem Vortheile hinsichtlich der Geschwindigkeit des Druckes oder der
Transmission der Depeschen, besitzt das automatische Verfahren noch anderweitige
unläugbare Vortheile. Wenn der Betrieb einer telegraphischen Linie vortheilhaft seyn
soll, so muß der Telegraphist eine so rasche Manipulation sich aneignen, als sie mit
der Genauigkeit der Transmission der Depeschen sich verträgt; überdieß muß er mit
der Sprache, in welcher
die Depesche verfaßt ist, vertraut seyn, denn, wenn er eine Depesche zu expediren
hätte, welche in einer ihm unbekannten Sprache oder in Chiffern geschrieben wäre, so
wäre er genöthigt vorsichtig und langsam zu verfahren.
Bei meinem neuen System dagegen erfolgt die Transmission der vorbereiteten Depesche
mit derselben Geschwindigkeit, welcher alphabetischen Sprache oder Chifferschrift
sie auch angehören mag; und da die durchlöcherten Bänder zu einer bequemen Zeit
vorgerichtet, auch noch von einem Corrector revidirt werden können, so sind die
Leistungen des in Rede stehenden Systems von einer Genauigkeit, welche das System
der Transmission aus freier Hand nie gewähren kann. Ein anderer Vortheil des neuen
Systems besteht darin, daß eine und dieselbe vorbereitete Depesche durch eine
beliebige Anzahl von Telegraphenlinien in sehr rascher Aufeinanderfolge expedirt
werden kann. Ueberdieß läßt sich eine und dieselbe Depesche ohne weitere Arbeit
nöthigenfalls ein zweitesmal befördern.
Würde das System der automatischen Depeschenbeförderung allgemein eingeführt, so wäre
es naturgemäß, die Depeschen in dem Expeditionsbureau vorzubereiten, um so mehr als
die hiezu dienenden Apparate sehr tragbar und wenig kostspielig sind. Die
Operationen des Telegraphenbureau's würden sich in diesem Falle darauf beschränken,
die durchlöcherten Bänder durch den Signalapparat (transmetteur) der betreffenden Station gehen zu lassen, und auf der andern
Station die gedruckte Depesche in Empfang zu nehmen. Die Uebersetzung wie die
Vorbereitung der Depesche gehört in den Bereich des betreffenden
Administrations-Bureau's.
Im vorliegenden Falle handelt es sich also nicht darum, einer gewissen Art erlangter
Geschicklichkeit eine andere eben so schwer zu erlangende zu substituiren, welche
die Gesammtheit der Bediensteten zu einer langen und mühevollen Arbeit verdammen
würde. Die heutzutage erforderliche große praktische Fertigkeit wird bei dem neuen
Verfahren entbehrlich, weil die hauptsächlichsten und anstrengendsten Operationen
auf vollkommen automatischem oder mechanischem Wege vor sich gehen; man wird bei dem
neuen System sehr wenig zu lernen, im Gegentheil manches zu vergessen haben.