Titel: | Boydell's Straßen-Dampfwagen mit endloser Eisenbahn; vom Prof. Dr. Rühlmann. |
Fundstelle: | Band 152, Jahrgang 1859, Nr. LVIII., S. 249 |
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LVIII.
Boydell's
Straßen-Dampfwagen mit endloser Eisenbahn; vom Prof. Dr. Rühlmann.
Aus den Mittheilungen des hannoverschen Gewerbevereins,
1859 S. 17.
Mit Abbildungen aus Tab.
V.
Rühlmann, über Boydell's Straßen-Dampfwagen mit endloser
Eisenbahn.
Bereits seit mehreren Jahren sucht man in England ein für gewöhnliche Straßen
bestimmtes System von Dampfwagen auszubilden und praktisch zu machen, wobei sich mit
den Rädern zugleich eine Art endloser Eisenbahn fortbewegt, worauf erstere laufen.
Erfinder desselben ist ein gewisser Boydell in
London,Boydell's erstes Patent, auf sein
Fortschaffungssystem mit endloser Eisenbahn, datirt vom Jahre 1846. Ein
zweites Verbesserungspatent erhielt derselbe 1854. während die Ausführungen von C. Burell, Ingenieur
und Fabrikant landwirthschaftlicher Maschinen zu Thetford (Norfolk), besorgt werden.
Dieser Dampfwagen ist abgebildet in Fig. 1, 2, 3 und 4, wozu die Beschreibung
weiter unten folgen wird.
Die Grundidee dieses Systems ist durchaus richtig, indem sie dahin geht, vorerst eine
gute Fahrbahn zu schaffen, bevor man Dampfwagen auf gewöhnlichen Straßen in
Anwendung bringt, also nicht das durchaus falsche Project verfolgt, gute Dampfwagen
für gewöhnliche schlechte Straßen herzustellen.
Obgleich durch Beschreibung und Abbildung von der Sache unterrichtet, war ich am 14
Juli vorigen Jahrs, wo ich im Auftrag königlicher Regierung England besuchte, in
einer der Straßen der Stadt Chester (woselbst die königl.
Ackerbau-Gesellschaft ihre Sommerversammlung hielt) dennoch frappirt, als mir
Boydell's Dampfwagen mit
seiner endlosen Eisenbahn zum erstenmal in Wirklichkeit begegnete. Der
eigenthümliche klappernde Ton der in gleichmäßigen Zeitabschnitten auf die Straße
auffallenden Bahnschuhe, aus mit Eisen beschlagenen hölzernen Bohlen gebildet, die
colossale, elephantenähnliche, automatische Masse der ganzen Maschinerie überhaupt
und endlich ein in einer Gabeldeichsel vorgespanntes Pferd mit munterm Reiter auf
dem Rücken – sind gewiß hinreichende Zustände, um mein Erstaunen zu erklären.
Daß ich bei letzterer Zusammenstellung meinen Augen kaum traute und nahe daran war
die ganze Erscheinung für eine Posse zu halten, mußte offenbar sehr nahe liegen;
hinsichtlich des vorgespannten Pferdes erfuhr ich indeß bald, daß eine (Ende der
40er Jahre erlassene) Verordnung verbietet, in England mit Dampfwagen auf
gewöhnlichen Stadt- und Landstraßen ohne Verwendung vorgespannter Pferde zu
fahren, und um zum Ausstellungslocale mit der fraglichen Locomobile zu gelangen es
am geeignetsten war, die Dampfkraft als Triebmittel, das Pferd zur Erfüllung des
Gesetzes und den Reiter zum sichern Lenker in den Straßen der Stadt zu benutzen.
Nach diesen Abschweifungen kehre ich zu den erwähnten Abbildungen zurück, um vor
Allem die eigenthümliche Anordnung der endlosen Eisenbahn für diejenigen zu
erklären, welche nicht bereits auf anderem Wege damit bekannt geworden sind.
Hierzu beachte man zuerst Fig. 1 als Gesammtansicht
der Boydell-Burell'schen Locomobile (Patent Traction Engine or Steam Horse), wobei nicht
erforderlich seyn wird, näher auf die Verrichtung der bedienenden Personen, rechts
oder hinten des Maschinenwärters (Heizers) und links oder vorn des Lenkers
einzugehen, so wie es ebenfalls zum Verständniß der Locomobile hinreichen wird zu
bemerken, daß solche mit Ausnahme von Zahnrädern (Vorgelege), womit die Bewegung von
der Krummzapfenwelle auf die hinteren großen Triebräder übergetragen wird, von den
jetzt allgemein bekannten transportablen Dampfmaschinen nicht verschieden ist. Die
eigentliche Seele der Sache bleibt immer das sogenannte endlose an den Rädern
hängende Eisenbahngestänge, auf welches nunmehr speciell eingegangen werden
soll.
Zu diesem Zweck stellt Fig. 2 die Seitenansicht
der ganzen Anordnung in 1/30 wahrer Größe gezeichnet dar, Fig. 3 den Grundriß des
Eisenbahngestänges und Fig. 4 einen
entsprechenden Verticaldurchschnitt des letztern und des zugehörigen Radtheiles.
Dabei sind a, a sechs hölzerne mit eisernen
Kantenschienen und Nägeln armirte Bohlenschwellen, worauf in diagonaler Richtung zu
denselben die Eisenbahnschienen b, b befestigt sind. Die
eigenthümliche Gestellung der Spitzen oder Zehen c der
Schwellen a, so wie der Hacke oder des Hintertheils d läßt die Abbildung hinlänglich erkennen, auch erhellt
gleichzeitig, daß, weil die Schwellen länger als die Bahnschiene b sind, natürliche Gelenke gebildet werden, welche für
das nothwendige regelrechte Zusammengreifen und gehörige Aneinanderlegen der
Schienen, mit möglichst wenig Zwischenraum an den Stößen, von wesentlichem Nutzen
sind. Zur losen Verkuppelung der Bahnschwellen a mit dem
Rade dienen die gothischen Bogengehänge e (nach
Cycloiden gekrümmt), welche in Anschlägen f der
Radfelgen Platz finden (man betrachte hierzu namentlich den Durchschnitt Fig. 4), sich
darin verschieben können und am Herabfallen durch einen vorspringenden Stift g gehindert werden, der überdieß noch zur rechten Zeit
eine Führung durch das Krummstück h erhält und in
Ausschnitten oder Vertiefungen α, β
entsprechend schwingen kann. Sechs Steuer- oder Abweisestifte i, welche gegen die Schwellen a wirken, verhindern endlich noch, daß die Bahnschienen zu nahe an den
Radumfang kommen, sowie sie auch überhaupt ein Mittel mehr zur rechten
Lagenbestimmung der Schwellen und Schienen abgeben. Die Uebertragung der Bewegung
von der Kurbelachse geschieht, wie bemerkt, durch Zahnräder, wovon entweder ein Paar
oder zwei Paar zusammen wirken, je nachdem man mit größerer oder kleinerer
Geschwindigkeit fahren und respective geringere oder bedeutendere Lasten
fortschaffen will. Beispielsweise hatte eine der
kleinsten der mir bekannt geworbenen Boydell'schen Maschinen zwei horizontalliegende Dampfcylinder von je 6 1/2
Zoll Kolbendurchmesser und 10 Zoll Hub. Die Krummzapfenwelle trug ein Schwungrad und
zwei Getriebe an beiden Enden, jedes mit 10 Zähnen, welche entweder direct in zwei
fünffüßige Stirnräder mit je 96 Zähnen griffen, die auf der großen Triebachse
befestigt waren oder in die Verzahnung einer Vorgelegwelle mit Rädern von 20 Zähnen
und Getrieben von 10 Zähnen, so daß man nach Belieben die Triebräder mit 10/96 oder
mit 10/96. 10/20 = 5/96 Umgängen für jede Krummzapfendrehung, also schneller oder
langsamer, laufen lassen konnte. Endlich ließen sich auch alle Räder ausrücken,
sobald man die Maschine zum Dreschen oder anderen landwirthschaftlichen Arbeiten
verwenden wollte, wobei man das Schwungrad direct als Riemenscheibe benutzte. Die
große Geschwindigkeit der fortschreitenden Bewegung der Locomobile wurde zu 3 1/2 bis 4 1/2 englische
Meilen (4 2/3 engl. Meile = 1 deutsche) pro Stunde, die
kleine Geschwindigkeit dagegen zu 1 1/2 bis 2 1/2 Meilen pro Stunde angegeben. Das Gewicht der Maschine bemerkte man mir zu
ungefähr 7 Tonnen ohne Wasser und Kohlen, während sie von letzteren überdieß 1 1/2
bis 2 Tonnen aufnehmen konnte.
Eine zu Versuchen in Chester bestimmte Boydell-Burell'sche Locomobile war etwas größer als die
vorbemerkte, indem sie Dampfkolben von 7 Zoll Durchmesser und 12 Zoll Hub hatte, mit
Dampf von 80 Pfund Ueberdruck pro Quadratzoll arbeitete,
13 Tonnen wiegen und 800 Pfd. St. (einschließlich der endlosen Eisenbahn) kosten
sollte.Burell's Chester-Catalog verzeichnet
kleinere Maschinen mit endloser Eisenbahn von 7 bis 8 Pferden im Preise von
360 Pfd. St. und 380 Pfd. St., ferner solche von 16, 25, 30 und 50 Pferden
mit einfachem Vorgelege und endlich noch andere mit doppeltem Vorgelege (für
größere Lasten) von 25 bis 50 Pferden ohne Preisangabe. Tuxford in Boston (Lincolnshire) liefert
dieselben Maschinen (vortrefflich gearbeitet mit mehrfachen Verbesserungen)
von 20, 24, 28 und 32 Pferden beziehungsweise zu 650 Pfd. St., 780 Pfd. St.,
900 Pfd. St. und 1020 Pfd. St.
Bei dem Preispflügen der Chester-Ausstellung hatte Boydell-Burell's Maschine mit
eigenthümlichen Unglücksfällen zu kämpfen, indem bald der eine bald der andere Theil
derselben in Unordnung gerieth, sogar Brüche vorkamen, bis zuletzt auch die
zugehörigen Bodenbearbeitungsinstrumente nicht in gehöriger Bereitschaft waren und
dieß ganze Maschinensystem von der Preisconcurrenz ausgeschlossen werden mußte.
Behauptet wurde indeß, daß die Maschine privatim auf einem Nachbarfelde mit einem
vierschaarigen Fowler-Cotgrave'schen Pfluge sehr
gut gearbeitet, den Boden auf der Stelle gewendet und allen Erwartungen entsprochen
habe. Man berechnete hiernach sogar, daß sie täglich 4 Acres (etwas über 6
hannoversche Morgen), 9 Zoll tief, gehörig zu pflügen im Stande seyn würde.
Nach meiner eigenen Anschauung ist Boydell's Maschine zu
Feldarbeiten entweder eine höchst beschränkte, oder gar unbrauchbare zu nennen,
letzteres namentlich, wenn sie auf weichem, nassem oder auch wohl aus zähem Thon
bestehenden Boden fortschreiten soll. Günstig dagegen sind die Versuchsresultate,
wobei man das System allein zum Transport schwerer Gegenstände in Anwendung brachte.
So soll man davon vortheilhafte Anwendung zum Fortschaffen schwerer Geschütze (in
Woolwich) gemacht haben und in englischen Colonien noch machen. Ich selbst sah eine
Boydell'-Burell'sche Locomobile aus der
Chester-Ebene nach einem etwa 200 Fuß hoch gelegenen Versuchsfelde (nach Balcon) aufsteigen,
wobei die größte Ansteigung zu 1/10 (?) angegeben wurde und die Maschine in der That
die Höhe ohne Schwierigkeit erreichte, obwohl sie außer ihrem eigenen Gewichte noch
einen Wasser- und Kohlen-Tender, so wie einen mit Pflügen beladenen
Karren fortzuschleppen hatte.
Eben so günstig berichtet über Boydell's Transportsystem Hr. Ingenieur Moll in der Monatsschrift des Gewerbevereins zu
Köln (polytechn. Journal Bd. CL, S. 173),
auf welche Arbeit ich überhaupt, insbesondere wegen der dort geführten interessanten
Berechnungen, aufmerksam machen möchte, obgleich ich Hrn. Moll nicht beistimmen kann, wenn derselbe
schließt: „daß von ihm beigewohnte Versuche vollkommen berechtigen, die
Maschine bei regelmäßigem Transport größerer Lasten zur Anwendung zu
bringen.“ Meiner Ansicht nach hat das System in seinem jetzigen
Zustande gar keine Hoffnung zu einer Lebensdauer und zwar allein schon der vielen
beweglichen, Störungen und dem Zerbrechen unterworfenen, Theile wegen, noch gar
nicht der Preise gedacht, zu welchen man überhaupt damit zu transportiren und der
Concurrenz anderer Mittel zum Fortschaffen zu begegnen im Stande seyn wird.
Immerhin bleibt die Sache interessant und vielleicht auch in der Beziehung wichtig,
daß sie zu noch anderen Ideen führen kann, die vielleicht in vervollkommneter Weise
zur Lösung einer in der That nicht unwichtigen Aufgabe führen.