Titel: | Bemerkungen zu dem Aufsatz des Hrn. Kessels über Sicherheits- und Combinationsschlösser; von G. Hertz. |
Autor: | G. Hertz |
Fundstelle: | Band 152, Jahrgang 1859, Nr. CIX., S. 419 |
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CIX.
Bemerkungen zu dem Aufsatz des Hrn. Kessels über Sicherheits-
und Combinationsschlösser; von G.
Hertz.
Mit Abbildungen auf Tab.
VII.
Hertz, über Sicherheits- und
Combinationsschlösser.
Die in dem Aufsatze des Hrn. Kessels (polytechn. Journal Bd.
CLI S. 340) angegebenen Mittel um Chubb-
und Bramah-Schlösser zu öffnen, können allerdings zum Zweck führen, doch wird dadurch dem
überaus großen Vorzug, den diese beiden Schloßarten vor allen
früheren haben, durchaus kein Eintrag gethan; denn während in den meisten
Fällen ein hinreichender Vorrath von verschiedenartig gestalteten Haken und
Dietrichen ausreichte, um jedes Schloß älterer
Construction zu öffnen, sind die von Hrn. Kessels angegebenen Werkzeuge zum Oeffnen von Chubb- und Bramah-Schlössern,
insbesondere der letzteren, solche, welche im größten Theil der Fälle erst für den
einzelnen Fall gemacht werden müssen, und dann erfordert ihre Anfertigung eine viel
größere Kunstfertigkeit und complicirtere Werkzeuge, wie sie sich nur in einer
größeren wohleingerichteten Schlosserwerkstatt finden, während gewöhnliche Dietriche
von Jedem gemacht werden können, der einen Schraubstock, Hammer, Feile und einen
kleinen Amboß hat.
Während also jeder gewandte Taugenichts sich leicht die Geschicklichkeit, gewöhnliche
Schlösser zu öffnen, aneignen kann, erfordert das Eröffnen von Chubb- und besonders von Bramah-Schlössern einen guten, geübten
Schlosser. Geschickte Schlosser verdienen aber leicht auf redliche Weise
ihr Brod und brauchen nicht zum Diebeshandwerk zu greifen.
Hr. Kessels hat aber auch einen
der wichtigsten Unterschiede zwischen den alten Schlössern und den Chubb- und Bramah-Schlössern unerwähnt gelassen.
Es wird nämlich das Oeffnen eines jeden ältern Schlosses erleichtert, wenn man durch
Anwendung von Gewalt diejenigen Theile oder einen derjenigen Theile im Innern des
Schlosses zerstört, welche in unversehrtem Zustande das Einbringen eines andern
Werkzeugs als des für das Schloß gemachten Schlüssels verhindern. Dahin gehören alle
Mittelbruch- und Reifbesetzungen.
Ebenso ist der Dorn an einem deutschen Schloß leicht herauszubrechen, er sey denn,
wie an den besseren Schlössern, aus einem Stück mit einer
rechtwinkelig daran stehenden Platte gearbeitet, welche von der andern Seite her
durch das Schloß durchgebracht und an der hintern Seite des Schloßkastens
festgenietet oder festgeschraubt ist.
Ganz anders verhält es sich aber mit den Chubb- und
Bramah-Schlössern. Da
wird das Oeffnen des Schlosses durch die geringste Veränderung der inneren
Theile nicht erleichtert, sondern so erschwert, daß in den meisten Fällen
keine andere Zuflucht bleibt als Erbrechen mit Gewalt, wobei das Schloß sowohl als
das Holzwerk an dem es befestigt ist, zerstört werden muß. Und
hierin liegt der entschiedene Vorzug der Chubb- und
Bramah-Schlösser vor allen anderen älteren Schloßarten.
Ich glaube mich nach dem Gesagten nun vollkommen berechtigt, wenn ich diesen beiden
Schlössern eine bei weitem größere Sicherheit zuschreibe, als es Hr. Kessels in seinem so gründlichen und
von größter Sachkenntniß zeugenden Aufsatz gethan hat; kann ihm aber nur
beipflichten wenn er
sagt, daß nur selten ein Chubb-Schloß so genau
gearbeitet seyn wird, daß alle Zuhaltungen, wenn der Riegel bei den
Oeffnungsversuchen gegen dieselben gedrängt wird, sich so gleich stark gegen den an
demselben befestigten Führungsstift B, Fig. 34, reiben, daß man
nicht mit dem Sperrhaken sollte herausfühlen können, welche von den Zuhaltungen am
festesten anliegt, worauf man dann zuerst diese, und dann die anderen so weit wird
heben können, bis sie über die Höhe des Führungsstifts B
hinauskommen, was sich durch ein, wenn auch nur geringes, Nachfallen des
angespannten Riegels bemerkbar machen wird – bis endlich, wenn auch die
letzte Zuhaltung so weit gehoben ist, der Riegel frei zurück- und durch den
Canal der Zuhaltungen hindurchgehen kann.
Es gibt aber ein ganz einfaches Mittel, um mit leichter
Mühe jedes, auch ein nur einigermaßen gut gearbeitetes
Chubb-Schloß so zu verbessern, daß es den von
Hrn. Kessels angegebenen
Oeffnungsversuchen ganz eben so gut wie das bestgearbeitete
widersteht.
Ein Blick auf Fig.
34 wird dieß beweisen.
Es ist A der Riegel,
B der Führungsstift am Riegel,
C die Zuhaltung,
D ein runder Stift, auf dem die Zuhaltungen aufgezogen
sind,
E die Feder, welche die Zuhaltung nach Unten drückt.
Man nimmt alle Zuhaltungen C vom Stift D ab, und untersucht, ob die Löcher, mit denen sie auf
diesem Stift stecken, vollkommen gleich groß sind. Sollte das nicht der Fall seyn,
so macht man sie, wenn sie zu klein sind, mittelst Nachreibens mit einer
Uhrmacher-Reibahle, oder, wenn sie zu weit sind, durch einige kleine Schlage
mit Hammer und Punzen, ganz gleich groß. Dann schiebt man alle Zuhaltungen, und zwar
in derselben Reihenfolge wie sie im Schlosse über einander liegen, auf einen gut
cylindrisch abgedrehten Stift, so daß sie sich durch Reibung an ihrer Stelle halten.
Nun werden sie zusammen so in den Schraubstock gespannt, und die nach dem Stift B zu liegenden, mit F
bezeichneten Seiten der Einschnitte der Zuhaltungen C
ganz rechtwinkelig und sauber befeilt, und wenn man noch mehr thun will,
übergeschliffen, so daß alle diese einzelnen Kanten der Zuhaltungen so aussehen, als
wären sie aus einem Stück Metall.
Ist nun der Stift B hübsch rechtwinkelig zur Fläche des
Riegels A aufgesetzt, so wird er, wenn dieser bei dem
Oeffnungsversuch gegen die mit F bezeichneten Seiten der
Zuhaltungen hingedrängt wird, gleich fest gegen jede derselben drücken; es wird sich
also auch bei dem sorgsamsten Verfahren nicht ermitteln lassen, welche von ihnen
diejenige ist, womit der
erste Versuch, sie bis zur Höhe des Stifts B zu heben,
gemacht werden muß, und wird sie wirklich auf diese Höhe gehoben, so wird sich doch kein irgend zu erkennendes Nachfallen des
Riegels selbst dem feinsten Gefühl bemerkbar machen.
Was nun die Mittel um Bramah-Schlösser zu öffnen
betrifft, so kann ich mich der Meinung des Hrn. Kessels, daß sie mit den geeigneten Werkzeugen
leichter als Chubb-Schlösser zu öffnen seyen, im
Allgemeinen und abgesehen davon, daß diese Werkzeuge selbst schwer anzufertigen und
auch gar nicht leicht zu handhaben sind, nur anschließen. – Wenn übrigens Hr.
Kessels gegen die jetzt
gewöhnliche Form der Federn einwendet, daß bei den Oeffnungsversuchen dieselben sich
auseinanderspreitzen und dadurch auf der Einschnittsplatte sich aufsetzen, oder, um
mich seiner Worte zu bedienen, darauf zu reiten kommen, so lassen sich auch dagegen
mehrere Mittel angeben, dieß zu verhüten. Während die jetzigen Federn oben
zusammengebogen sind und sich unten spreitzen, wie in Fig. 35
A, kann man sie 1) unten zusammenbiegen und sich oben
spreitzen lassen, wie in Fig. 35
B, oder 2) oben zusammenbiegen und in der Mitte sich
spreitzen lassen, wie in Fig. 35
C; 3) kann man sie aus einem ganzen Stück machen und
eine kleine Uhrfeder hinten daran befestigen, wie in Fig. 35
D; 4) kann man den Canal, in welchem die Federn gehen,
von Unten cylindrisch ausbohren und da hinein eine messingene Spiralfeder legen,
Fig. 35
E. Jede der angegebenen Arten wird eben so gute Dienste
leisten als die jetzt gewöhnlichen, und bei der in 4) angegebenen D hat man noch den Vortheil, daß man die allgemeine
große Spirale spart, welche jetzt üblich ist, um die einzelnen Federn, nachdem der
Schlüssel aus dem Schlosse entfernt ist, alle wieder nach Oben zu drängen.
Erwäge ich nun das oben Gesagte noch einmal, so muß ich dem Chubb-Schloß überhaupt den Vorzug vor dem Bramah-Schloß einräumen; denn es ist eben so schwer, wenn nicht
noch schwerer als das letztere mit Sperrzeug und dgl. zu öffnen, und hat noch den
besondern Vorzug vor diesem, daß es mit den einfachsten
Werkzeugen ganz gut gemacht werden kann, während ein Bramah-Schloß nur mit sehr complicirten theuren Werkzeugen gut
hergestellt werden kann, wie sie sich eben nur in größeren Werkstätten finden
können.
Findet nun mein oben angegebener Vorschlag zur Sicherung der Chubb-Schlösser, selbst der schlechteren Sorte, Beifall und bewährt
sich allgemein in der Praxis, wie er sich mir bewährt hat, so rechne ich das für
eine nicht unwesentliche Verbesserung, worauf ich ein um so größeres Gewicht lege,
als es ein ähnliches Mittel, nicht ganz gute Bramah-Schlösser zu verbessern, meines Wissens noch nicht gibt. Für die
Anregung, welche Hr. Kessels
zur Verbesserung der Schlösser dadurch gegeben hat, daß er die Mängel derselben
aufgedeckt hat, gebührt ihm größter Dank, und sein Aufsatz wird gewiß vielfältigen
Nutzen schaffen, dafür bürgt die immer mehr zunehmende Tüchtigkeit und Bildung
unserer Schlosser und Mechaniker.
Der Aufsatz des Hrn. Kessels
schließt mit den Worten: „Nachdem ich nun die Fehler und Mängel der
meisten Schlösser beschrieben habe, zeigt es sich deutlich, daß sie das bisher
in sie gesetzte Vertrauen keineswegs verdienen und daß sie bedeutenden
Verbesserungen unterworfen werden müssen, wenn sie den Anforderungen, welche man
an ein gutes Schloß stellt, nämlich: Sicherheit,
allgemeine Anwendbarkeit und einen mäßigen Preis vollkommen genügen
sollen.“
Das wird aber noch lange, wenn nicht für immer zu den Desideraten gehören. Höchstens
kann es dahin kommen, daß die beiden ersten Forderungen erfüllt werden. Ob auch die
letztere, ist sehr zweifelhaft und auch nicht einmal nöthig. Es ist eben so wenig
nöthig, daß jedes verschließbare Behältniß ein Chubb- oder Bramah-Schloß, oder das
neue, welches beide übertreffen soll, bekomme, als es nöthig ist, daß der Tagelöhner
eine eben so richtig gehende Uhr habe als der Astronom.
Ich will hier nur noch angeben, wieviel man meiner Ansicht nach mit Recht und
Billigkeit von einem guten Schloß erwarten darf. Ein Schloß erfüllt seinen Zweck
vollkommen, wenn es ohne Geräusch und Gewalt angestellten Oeffnungsversuchen eine
geraume Zeit lang, etwa eine Nacht hindurch, widerstehen kann. Sind Diebe sicher,
längere Zeit nicht gehört und nicht gestört zu werden, so werden sie, wenn es mit
dem geräuschlosen Oeffnen nicht gehen will, zum gewaltsamen Erbrechen schreiten; und
dagegen hilft die beste Construction eines Schlosses nicht. Sie zertrümmern das
Behältniß selbst, welches eben geschützt werden soll, und sey es auch der schwerste
und sicherste eiserne Geldschrank.
Bis jetzt ist meines Wissens nur ein Fall constatirt, daß ein Bramah-Schloß geöffnet worden ist. Das hat der amerikanische
Schlosser Hobbs im J. 1851 auf der Londoner
Industrie-Ausstellung mit einem ihm die ganze Zeit über
zugänglichen Bramah-Schloß gethan, welches dieser selbst vor
längerer Zeit – ich glaube 20 Jahre vorher – hatte anfertigen
lassen.
Das Publicum möge deßhalb die theoretischen Bedenken des Hrn. Kessels nicht falsch auffassen und ein zu großes
Mißtrauen gegen Chubb- und Bramah-Schlösser, jetzt unbedingt die besten von allen, fassen. Es
würde dadurch mehr geschadet als genützt.
Das von Hrn. Kessels in
Zeichnung gegebene und beschriebene Instrument zum Oeffnen von Bramah-Schlössern ist das von Hrn. Benecke in Berlin erfundene oder mindestens
demselben im Princip und in der Construction ganz ähnlich. Derselbe hatte sich in
den Berliner Zeitungen vom 5. Februar 1852 erboten, jedes Bramah-Schloß zu öffnen. Der Schlossermeister Fabian hatte ihm zu dem Ende in der Hauptversammlung der polytechnischen
Gesellschaft am 19. Februar 1852 einen Geldschrank mit Bramah-Schloß zum Eröffnen zur Verfügung gestellt. Hr. Benecke begann seine Versuche, die
er nach zwei bis drei Stunden aufgab, weil, wie er sagte, seine Werkzeuge für das
vorliegende Schloß nicht tief genug seyen.
Ein umständliches, motivirtes Gutachten der zur Ueberwachung des ganzen Verfahrens
niedergesetzten Commission, bestehend aus dem verstorbenen Baumeister Richter, dem Schlossermeister Marnory und mir, ward in der Hauptversammlung am 4. Mai desselben Jahres
verlesen und ist im 13ten Jahrgang der Verhandlungen der polytechnischen
Gesellschaft S. 59 abgedruckt.