Titel: | Ueber die Aeußerung der Elasticität an stahlartigen Eisenstäben und Stahlstäben, und über eine beim Biegen solcher Stäbe beobachtete Molecularbewegung; von W. Lüders. |
Autor: | W. Lüders |
Fundstelle: | Band 155, Jahrgang 1860, Nr. VIII., S. 18 |
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VIII.
Ueber die Aeußerung der Elasticität an
stahlartigen Eisenstäben und Stahlstäben, und über eine beim Biegen solcher Stäbe
beobachtete Molecularbewegung; von W.
Lüders.
Mit Abbildungen auf Tab.
I.
Lüders, über die Aeußerung der Elasticität an stahlartigen
Eisenstäben und Stahlstäben.
Das Mägdesprunger Stabeisen wird in schwäbischen geschlossenen Feuern bei harten
Kohlen und heißem Winde aus einem zum größten Theil aus Neudörfer Spatheisenstein erblasenen weißen Roheisen gefrischt, unter
Hämmern zu allen Sorten Reif- und Hufstabeisen verarbeitet, und zeichnet sich
durch Stahlnatur, verbunden mit großer Zähigkeit, aus, so daß es stets 10–15
Thlr. im Preise über anderen Harzer Eisensorten steht.
Beim Probiren eines mit kleinen Hartrissen versehenen, 2 1/4 · 5/8 Zoll
starken Reifstabes durch die Wurfprobe, bemerkte ich im Jahre 1854 auf beiden
Flächen der gebogenen Stelle eine dem Feilensieb ähnliche
Zeichnung, dadurch entstanden, daß die schwache Glühspanschicht in sich fast
rechtwinkelig schneidenden Parallellinien von großer Regelmäßigkeit abgeworfen
war.
Unser Eisen ist vermöge seiner Stahlnatur stets mehr geneigt beim Biegen oder
Abkühlen in Wasser den Glühspan abzuwerfen, als weiches Eisen, doch war es noch
nicht bemerkt, daß dieses Abwerfen in so regelmäßigen Figuren geschah, sondern man
wußte nur, daß die härteren Stäbe, und in ungleichartigen Stäben die härteren
Stellen, am meisten zum Abwerfen geneigt waren. Dieß geschah meist in der Weise, daß
der Stab ein weiß und rostbraun gesprenkeltes Aussehen bekam, wobei an den Stellen
der stärksten Biegung das meiste Weiß vorherrschte.
Diese interessanten Figuren auch an anderen Stäben hervorzubringen, gelang nur
selten, doch überzeugte man sich an vielen seitdem erhaltenen Belegstücken, daß der
Querschnitt der Stäbe, ob flach oder quadrat, von keinem Einfluß sey, wohl aber eine
eigenthümliche Textur, respective chemische Beschaffenheit des Materials.
Es zeigten sich die Figuren weder an grobkörnigem, noch weichem sehnigem, noch
feinkörnigem oder rohem Stabeisen, sondern lediglich am zähesten und dabei
stahlartigen Material mit feiner weißer Sehne ähnlich dem Federstahl, so daß also
die Erscheinung mehr als eine Eigenschaft des Stahles, denn des Stabeisens zu
betrachten war. Sie wurde dann auch beobachtet an hiesigem Federgußstahl, an solchem von
Friedrichsthal im Schwarzwald (gewalzt), und an einer 3/4'' breiten als Metallsäge
benutzten Uhrfeder (englischer Gußstahl), nicht aber an härteren Gußstahlsorten. Am
schönsten und regelmäßigsten zeigten sich jedoch die Figuren bei der Fabrication von
Lumpenmessern aus hiesigem einmal raffinirtem Rohstahl. Dieselben werden vielfach
überschmiedet, geschliffen und dann gehärtet. Beim Härten nun tritt an Messern mit
weichen und harten Stellen in Folge der ungleichmäßigen Schwindung eine schwache
Biegung ein, in Folge deren die beim Anwärmen erzeugte schwache Oxydhaut in den
erwähnten Figuren abgeworfen ward.
Die Zeichnungen waren auf beiden Seiten der Messer, doch nur in den Partien des
Materiales sichtbar, welche die Qualität des zähen Federstahles besaßen.
Fig. 15 und
16 zeigen
Copien solcher Partien in wahrer Größe, wobei A, B die
Längsachse des Messers andeutet.
Ebenso bedeckten bei den gefrischten Stabeisenstäben die Figuren nicht die ganze
Fläche des Stabes; beim Gußstahl jedoch gingen in Folge des vollkommen homogenen
Gefüges die Linien durch, so weit die Biegung sich erstreckt hatte.
Um nun zu sehen, ob die Linien der Abwurffiguren, so wie sie von den Flächen der
Stäbe über die Kanten sich hinüberzogen, auch ins Innere hineingingen, wurden die
Stücke sauber abpolirt, und mit sehr verdünnter Salpetersäure geätzt, wobei die
Figuren sich mit weißerer Farbe auf dunklerem Grunde sehr schön freiätzten, jedoch
nur an solchen Stellen, wo sie schon vorher sichtbar
waren, nur daß sie in feinerer Nüancirung hervortraten. Es war also nicht ein den
Stab schon vorher durchziehendes heterogenes Skelett, sondern es erstreckte sich das
freigeätzte als heterogen erwiesene Netz von Linien nur auf die Stelle der Biegung,
war also eine Folge der Biegung.
Es gelang jedoch das Netzen nur an einigen Stäben, auch nur bei Anwendung von sehr
verdünnter Salpetersäure und bei sehr vorsichtigem Manipuliren, weil eine Secunde
längerer Einwirkung oft das feine Bild wieder schwächte. Es gelang im Allgemeinen
nur an den stärkeren Stäben, wo die Figuren in Folge heftigerer Erschütterung eine
größere Fläche einnahmen, da aber auch noch nach öfterem Abfeilen. Man mußte daher
annehmen, daß die heterogenen Lamellen nur eine gewisse Schicht des Stabes
ausmachten, die abhängig sey von der Größe der erfahrenen Erschütterung, so daß sie
bei den undeutlicheren Belegstücken schon durch das Abfeilen mit fortgenommen
sey.
Die erwähnte stählerne Metallsäge zeigte schon ungeätzt die Figuren in mit bloßem
Auge erkennbaren linearen Erhabenheiten von weißer Farbe und etwa 1/5–1/4
Millimeter Breite.
Gehen wir nun zur Beschreibung der Figuren selbst über:
Es finden sich auf den Flächen der gebogenen Stäbe zwei Systeme von Parallellinien,
welche sich unter rechten Winkeln schneiden und mit der Längsachse des Stabes,
respective mit der Achse der Biegungsebene einen halben Rechten bilden, wodurch
kleine Quadrate und Rechtecke entstehen. Es zeigen sich die Figuren in derselben
Weise sowohl auf den Flächen als auf den Kanten parallellepipedischer Stäbe, es
würden also die durch die Linien repräsentirten härteren Lamellen Abstumpfungen an
den 8 Ecken des Parallellepipedons bilden, wie das Oktaeder am Würfel.
Auch in den Abständen der Parallellinien scheint viel Regelmäßigkeit zu herrschen;
dieselben betragen 1/32 bis 1/8 Zoll und zwar in der Weise, daß die kleineren
Abstände immer 1/2 oder 1/4 der Nächstliegenden größeren zu seyn scheinen. An den am
meisten erschütterten Stellen wiederholt sich der Parallellismus in engeren
Abständen und erscheinen die Linien breiter, wodurch das Ganze, namentlich im
geätzten Zustande, verworrener wird. Die Breite der Linien geht im geätzten Zustande
vom kaum Meßbaren bis zu 1/3 Millim., doch erscheinen die breiteren Linien an
einigen Stellen durch Aneinanderlegung von mehreren feinern Parallellinien
entstanden zu seyn. Auch entstehen auf diese Weise mitunter scheinbar krumme Linien,
indem eine anliegende Parallellinie schärfer hervortritt.
An einem Stabe zeigte sich nach dem Aetzen noch ein drittes System von Linien, etwa
10 an der Zahl, rechtwinkelig zur Achse der Biegung, also eine Diagonale der
Quadrate.
An den Lumpenmessern die beim Härten nur eine geringe Biegung erfahren hatten, waren
die Winkel unverkennbar rechte, während an den durch Werfen oder Schlagen gebogenen
Stäben die gebildeten Vierecke Rhomben waren, deren spitzer Winkel von circa 83° an der Kante des Stabes anlag. Zeigten
sich dabei die Figuren auch an den schmäleren Flächen des Stabes, so lag hier der
stumpfe Rhombenwinkel von 97° an der gebogenen Kante. Diese Abweichungen sind
lediglich eine Folge der zu starken Biegung, indem der Winkel auf der gebogenen
Fläche wohl ein rechter war, durch das nachherige Geraderichten aber spitz
wurde.
Von sehr wesentlichem Einfluß ist die Richtung der Biegungsebene.
Bei regelmäßig erzeugten Biegungen trat auch eine sehr regelmäßige Zeichnung ein; bei
windschiefen oder Kantenbiegungen wurden die Figuren unregelmäßiger.
An einem durch eine Schere abgeschnittenen Stück gewalzten Federgußstahles wurden
sich schneidende Curven beobachtet, weil die Richtung der Biegungsebene sich mit
jedem kleinsten Zeitabschnitt verändert hatte (siehe Fig. 17).
Was nun die theoretische Ursache der beschriebenen Beobachtungen anbetrifft, so kann
man die genannten Figuren wohl schwerlich als Klangfiguren hinstellen, da einmal die
bei Klangfiguren entstehenden Knotenlinien stets gekrümmt und die scheinbar geraden
Linien nur Zweige hyperbolischer Curven sind; dann weil die verschiedensten Stäbe
von verschiedenem Klange stets dieselbe Figur ergeben.
Man dachte ferner an die Widmannstedt'schen Figuren am
Meteoreisen mit dem verworrenen Netz heterogener Linien, und daß die Figuren
Krystallkanten repräsentiren möchten, die ja an jedem Körper schwerer löslich sind,
als die übrige Masse: da hätten jedoch beim Netzen die Zeichnungen auch über die
gebogene Stelle hinausgehen müssen, ganz abgesehen davon, daß beim öfteren
Ueberschmieden der Stäbe unmöglich eine gleichmäßige Lage der mikroskopischen
Krystalle, aus denen jede feinste Sehne zusammengereiht ist, beibehalten werden
konnte.
Der wesentliche Einfluß, den die Richtung der Biegungsebene auf die Bildung der
Figuren ausübt, führte zu folgendem Schluß:
Es durchzieht die Elasticität den Federstahl nach allen Richtungen, und äußert sich
beim Biegen, d.h. beim Ueberwinden der Elasticitätsgränze, in der Weise, daß ein
Skelett von 4 sich schneidenden steiferen Parallelflächen zuerst eine solche
Erschütterung auf die Oberfläche des Stabes ausübt, daß auf den Schnittlinien in der
Oberfläche zuerst die Oxydhaut abgeworfen wird, ja daß sogar dabei eine
Molecularbewegung in der Weise stattfindet, daß diese Lamellen bei subtiler Aetzung
sich als härter erweisen, was sie vorher nicht waren.
Diese sich schneidenden Parallel-Lamellen bilden einen Theilungskörper und
dieser ist das reguläre Oktaeder, welches dergestalt liegt, daß die Achse der
Biegungsebene die Hauptachse des Oktaeders ist, und die Flächen eines in seiner
Längsachse gebogenen Parallelepipedons mit demselben ein Kuboktaeder bilden. Auf
diese Weise entstehen die stets Quadrate bildenden Schnitte der Oktaederlamellen auf
den Flächen der Stäbe, entsprechend der krystallographischen Projection des
Oktaeders.
Das dritte System von Linien, freilich nur an einem Stück sicher beobachtet, dürfte
ein System von Lamellen repräsentiren, welches rechtwinkelig zur Hauptachse des
Oktaeders und zur Achse der Biegung liegt.
Savart (Poggendorff's Annalen Bd. XVI S. 206) hat die
Achsen der Elasticität an verschiedenen Körpern durch Klangfiguren bestimmt, und gefunden, daß dieselben
mit den wichtigsten geometrischen Achsen der Krystallform übereinstimmen; dieß würde
auch hier mit der tesseralen Form des Stabeisens im Einklang seyn. Auch fand er, daß
in gestört krystallisirten Metallmassen Schnittscheiben in verschiedenen Richtungen
erhalten, denselben Ton gaben, also die Elasticität in allen Richtungen gleich
wirkt. Nach Fuchs (polytechn. Journal Bd. CXXIV S. 346) soll der Stahl eine
Legirung von tesseralem und rhomboedrischem Eisen seyn, und diese beiden Qualitäten
in steter Spannung sich befinden, daher der Vorgang beim Härten; möglich, daß der
Federstahl gerade die Gränze inne hält und noch lediglich aus tesseralem Eisen
besteht, während härtere Stahlsorten, welche die Figuren nicht zeigen, mit
rhomboedrischem Eisen legirt sind.
Auch an reinem Zinn (tesserale Form) habe ich beobachtet, daß der sogenannte
Zinnschrei beim Biegen auch begleitet ist von einer Molecularbewegung, indem an den
gebogenen Stäben ganz ähnliche sich schneidende Parallellinien sichtbar werden, wie
beim Federstahl, welche schon im ungeätzten Zustande in linearer Erhabenheit sich
zeigen. Zinnlegirungen, Blei oder Zink zeigen die Erscheinung nicht.
Ich übergebe diese Beobachtungen der Oeffentlichkeit mit der Bitte, daß bessere
Kräfte meine Arbeit gütig aufnehmen und weiter erschöpfen möchten.
Mägdesprung, den 19. November 1859.