Titel: | Zur Turbinentheorie; vom k. k. Kunstmeister Gustav Schmidt. |
Fundstelle: | Band 155, Jahrgang 1860, Nr. LXXV., S. 248 |
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LXXV.
Zur Turbinentheorie; vom k. k. Kunstmeister
Gustav Schmidt.
Aus der österreichischen Zeitschrift für Berg- und
Hüttenwesen, 1860, Nr. 4.
Schmidt, zur Turbinentheorie.
Ist α der mittlere Einfallswinkel beim Ausfluß aus
dem Leitrad einer Jonval-Turbine, β der
spitze mittlere Winkel des ersten Schaufelelementes, v
die Peripheriegeschwindigkeit im mittlern Radhalbmesser R und H das Gefälle, so ist nach der
gewöhnlichen Turbinentheorie der theoretische Werth von v
Textabbildung Bd. 155, S. 248
Der wirkliche Werth v ist immer kleiner als V, und zwar setzt Redtenbacher für den günstigsten Gang der Turbine
v = 0,774 V (2).
Die Bedeutung dieses Corrections-Coefficienten nachzuweisen, ist der Zweck der
vorliegenden Zeilen. Ich setze, um mich kurz ausdrücken zu können, voraus, daß die
Grundsätze aus der Hydraulik, welche in der Turbinentheorie zur Anwendung kommen,
bekannt sind, insbesondere der Satz: die Wirkungsfähigkeit des Wassers wird gemessen
durch das Product aus dem Gewicht in die effective Höhe, und diese ist die Summe aus
der Wassermanometerhöhe und der Geschwindigkeitshöhe.
Bezeichnet
b die Radhöhe,
H¹ die Höhe der Unterfläche des Rades über dem
Unterwasserspiegel,
h¹ die Höhe des Unterwasserspiegels über das
mittlere Niveau der Austrittsöffnung aus der Röhre,
U₀ die wahre Geschwindigkeit im contrahirten
Querschnitt beim Ausfluß aus dem Leitrad,
U₁ die wahre absolute Geschwindigkeit des Wassers
nach erfolgtem Uebertritt ins Laufrad,
U₂ die absolute Austrittsgeschwindigkeit aus
demselben,
U₃ die Geschwindigkeit in dem Röhrenstück unter
dem Laufrad,
U₄ die Austrittsgeschwindigkeit aus der
Röhre,
h₀ h₁ h₂ h₃ h₄ die zu den entsprechenden U gehörigen, den Pressungszustand messenden
Wassermanometerhöhen,
u₁ u₂ die zu
U₁ U₂
gehörigen relativen Geschwindigkeiten nach der Richtung des Schaufelelements,
ρ den Verlust an effectiver Höhe bis zum Ausfluß
aus dem Leitrad,
ρ₀ den Verlust an effectiver Höhe beim
Uebertritt vom Leitrad ins Laufrad,
ρ₁ den Verlust an Druckhöhe durch die
unregelmäßige Bewegung und Reibung beim Durchgang durch das Laufrad,
ρ₂ den Verlust beim Austritt aus dem
Rad,
ρ₃ den Verlust in dem untern
Röhrentheil,
ρ₄ den Verlust bei dem Austritt aus der
Röhre,
so erhält man folgendes System von Gleichungen:
h₀
+
U₀²/2g
=
H – H¹ – b – ρ,
h₁
+
U₁²/2g
=
h₀ + U₀²/2g
ρ₀,
h₂
+
u₂²/2g
=
h₁ + u₁²/2g + b – ρ₁,
h₃
+
U₃²/2g
=
h₂ + U₂²/2g – ρ₂,
h₄
+
U₄²/2g
=
h₃ + U₃²/2g + H₁ + h₁ – ρ₃,
h₁
=
h,
ρ₄
=
U₄²/2g.
Die Addition aller dieser Gleichungen gibt nach Weglassung des Gemeinschaftlichen
beider Theile:
(U₁² + u₂²)/2g +
ρ₄ = H – ρ – ρ₀ – ρ₁
– ρ – ρ₃ + (U₂² + u₁²)/2g.
U₁² – u₁² +
u₂² – U₂² =
2g [H –
∑ρ] = 2gH [1 – ∑ρ/H].
Nun ist aber offenbar
1 – ∑ρ/H = ζ (3)
der Wirkungsgrad der Maschine ohne Rücksicht auf
Zapfenreibung. Werden durch letztere noch ρ₁ Procent consumirt, so ist der wahre Wirkungsgrad:
ζ₂ = ζ
– ζ₁ (4).
Durch Einführung der Bezeichnung (3) wird die oben stehende Gleichung:
U₁² –
u₁² + u₂² – U₂² = 2gζH (5).
So weit gilt die Gleichung ganz allgemein, ob die Turbine mit der vortheilhaftesten
Geschwindigkeit arbeitet oder nicht.
Nehmen wir also zuerst den allgemeinen Fall an, daß sie nicht mit der
vortheilhaftesten Geschwindigkeit arbeite, und stellen wir uns vor, daß man aus der
gemessenen Wassermenge und der bekannten Summe der Eintrittsquerschnitte die
thatsächliche relative Eintrittsgeschwindigkeit u₁ berechnet, und die thatsächliche mittlere Peripheriegeschwindigkeit
v beobachtet habe, so folgt der wahre Werth von U₁ aus
U₁² = u₁² + v² – 2u₁ v cos
β (6).
Ist ferner δ der spitze Winkel des letzten
Schaufelelements gegen den Horizont, oder richtiger der auf bekannte Weise zu
construirende wahre Austrittswinkel, so ist:
U₂² = u₂² + v² – 2u₂ v cos
δ (7).
Aus (6) und (7) folgt
U₁² – u₁² – (U₂² – u₂²) = 2v (u₂ cos
δ – u₁ cos β),
folglich wegen (5)
v (u₂ cos δ – u₁ cos β) = ζ g H (8).
In diesem allgemeinen Fall wird die Richtung von U₁ nicht mit jener von U₀
zusammenfallen, und die Richtung von U₂ nicht
vertical seyn; bezeichnet also φ den spitzen
Winkel der U₁ gegen den Horizont, ψ den spitzen Winkel der U₂ gegen die Horizontalebene, so ist:
Textabbildung Bd. 155, S. 250
Diese Werthe in (8) eingeführt, folgt:
Textabbildung Bd. 155, S. 250
oder auch wegen
sin ψ cos δ = sin (δ + ψ)
– sin δ cos ψ,
sin φ cos β = sin (β + φ)
– sin β cos φ,
Textabbildung Bd. 155, S. 250
Die Gleichung stellt die allgemeine Beziehung zwischen v
und ζ dar. Man darf nun wohl die Annahme machen,
daß der günstigste Gang der Turbine jener seyn wird, bei welchem die Richtung der
absoluten Geschwindigkeit U₁ (welche immer
kleiner als U₀ ist) mit der Richtung von
U₀ zusammenfällt, und die Richtung von U₂ wenigstens nahezu vertical ist.
Die Bedingungen für den vortheilhaftesten Gang sind also:
φ = αψ = π/2
(11),
folglich erhält man für denselben:
Textabbildung Bd. 155, S. 251
Das Verhältnißv/Vbeim günstigsten Gang ist also gleich der Quadratwurzel aus
dem Wirkungsgrad bei Vernachlässigung der Zapfenreibung.
Wir wollen dieses Ergebniß gleich an den Resultaten prüfen, welche von Redtenbacher bei verschiedener Wassermenge beobachtet und
in „Theorie und Bau der Turbinen“ Seite 192 mitgetheilt wurden.
Bei der Versuchsturbine war α = 45°, β = 90°, δ = 30°, R = 0,403 Meter, folglich V = √gH und die Anzahl Umdrehungen per Minute
Textabbildung Bd. 155, S. 251
Mittelst dieser Formel ergibt sich folgende Tabelle, unter der Voraussetzung, daß die
Zapfenreibung mit 7 Procent in Rechnung genommen werden darf.
NummerdesVersuchs.
GefälleHMeter.
BeobachteterWirkungsgradζ₂.
TheoretischerWirkunsgradζ = ζ₂ + 0,07.
Vortheilhafteste Anzahl Umgänge n.
Berechnet aus7,4213√ζH.
Berechnet vonRedtenbacher
Beobachtet vonRedtenbacher.
3
1,56
0,182
0,252
46,5
41
44,3
7
1,58
0,235
0,305
51,5
49
48,0
11
1,58
0,308
0,378
57,4
54
59,5
15
1,50
0,495
0,565
68,3
66
79,9
21
1,48
0,624
0,694
75,2
72
75,2
Die Uebereinstimmung muß als eine sehr gute bezeichnet werden, wenn man
berücksichtigt, daß auf dem Versuchswege doch nicht die absolut günstigste Unzahl
Umgänge gefunden werden kann, – und nur für diese gilt die Formel (12).
Vergleichen wir nun die von Redtenbacher angegebene
empirische Formel (2) mit (12), so ergibt sich: √ζ = 0,774, also ζ = 0,6, und
wenn ζ₁ = 0,07 angenommen wird, nach (4)
der wahre Wirkungsgrad ζ₂ = 0,6 –
0,07 = 0,53.
Die Redtenbacher'sche Angabe(2) ist also jedenfalls sehr
sicher, d.h. man kann eher erwarten, daß die Turbine mit Vortheil etwas schneller
umlaufen kann als vorausgesetzt wurde, als langsamer. Bei einer Turbine, welche bei
7 Proc. Reibungsverlust doch 68 Proc. Nutzeffect gibt, wäre ζ = 0,75, also v = 0,866 V.
Die obige Theorie läßt sich auch auf Ventilatoren und Centrifugalpumpen ausdehnen.
Bei diesen zeigt sich nämlich im günstigsten Gang die wirkliche Geschwindigkeit v größer als die sogenannte theoretische V₁ und man findet
v = 1/√ζ
V (13),
mit welchem Ergebniß die von Rittinger gemachten und in dessen „Ventilatoren und
Centrifugalpumpen“ mitgetheilten Versuche recht gut
übereinstimmen.
Przibram, den 29. November 1859.