Titel: | Nachträgliche Bemerkungen zur Theorie der Färberei; von Dr. P. Bolley. |
Autor: | Pompejus Alexander Bolley [GND] |
Fundstelle: | Band 155, Jahrgang 1860, Nr. CXXVI., S. 435 |
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CXXVI.
Nachträgliche Bemerkungen zur Theorie der
Färberei; von Dr. P.
Bolley.
Bolley, nachträgliche Bemerkungen zur Theorie der
Färberei.
Der in diesem Journal (Bd. CLIII S. 362) erschienenen Abhandlung „Kritische
und experimentelle Beiträge zur Theorie der Färberei“ war eine
Nachschrift beigegeben, die sich auf eine, erst nach dem DruckDie Mittheilung Hrn. Erdmann's findet sich im 7ten
Hefte des Jahrganges 1859 des Journals für praktische Chemie, dessen
Mitherausgeber Hr. Prof. Erdmann ist. Dieses Heft
wurde in Leipzig ausgegeben am 27. Juni; mir kam es zugleich mit dem 8ten
Heft Ende Juli zu. Meine Abhandlung war für das Programm unserer Anstalt
bestimmt, deren Schuljahr Mitte August schließt, auf welche Zeit das
Programm auszugeben war. Im Sommer 1858 publicirte ich eine Notiz
„über das Färben der amorphen Baumwolle“ und
bemerkte dabei, daß sie aus einer vielleicht bald zur Publication reifen
größern Arbeit herausgenommen sey. Diese Arbeit selbst war im Mai 1859
druckfertig. Die lithogr. Tafel und der Text lagen Ende Juli vollständig
gedruckt vor. – Dieß zur Verständigung über das Datum des Erscheinens
der hier zu besprechenden Arbeiten. derselben mir zu Gesicht gekommene Arbeit des Hrn. Prof. Erdmann in Leipzig bezog. Der geehrte Verfasser dieser
Arbeit fand sich zu Gegenbemerkungen im Journal für praktische Chemie Bd. LXXVIII S.
287 (daraus mitgetheilt im 1sten Februarheft, S. 200 dieses Bandes des polytechn.
Journals) veranlaßt, „da mehrere Stellen der Nachschrift auf
Mißverständnissen beruhen, und zu irrigen Ansichten Veranlassung
geben.“
Ich dachte nicht daran als ich jene Nachschrift schrieb, Prioritätsrechte die ich
angegriffen glaubte, wahren zu müssen; meine Arbeit über die Theorie der Färberei
gehört, nach der Natur des Gegenstandes wie nach ihrer ganzen Fassung, weniger in
das Gebiet experimenteller Entdeckungen, als in die Classe kritischer Versuche. Denn
ich habe immer nur da Beobachtungen angestellt und eingeschaltet, wo ich in den mir
bekannt gewordenen Arbeiten Anderer Lücken oder Widersprüche fand.
Bezöge sich die Discussion, die sich zwischen Hrn. Prof. Erdmann und mir erhob, nur auf die Frage der Zeit, in welche seine und
meine Versuche und deren Veröffentlichung fallen, so würde ich auf die
„Bemerkungen“ desselben schweigen können, dem Urtheil der
Leser überlassend, wieviel nach ihm durch mich, oder nach mir durch ihn für die
Theorie der Färberei geschehen sey. Es handelt sich aber um etwas anderes, nämlich
um die Beweiskraft seiner und meiner Versuche, und darum
halte ich die Sache für wichtig genug, um nochmals darauf zurückzukommen.
Die Versuche die Hr. Prof. Erdmann mit Hrn. Mittenzwey anstellte, lassen sich in Folgendem
zusammenfassen:
a) Es wurde structurlose Baumwolle in Alaunlösung
eingelegt, vollkommen wieder ausgewaschen, bei 100° C. getrocknet und
eingeäschert. In der Asche war keine Spur von Thonerde zu erkennen.
b) Mechanisch, sowie durch Kochen in Alkohol möglichst
gereinigte Flockbaumwolle wurde ebenfalls mit Alaunlösung zusammengebracht, mit
kaltem Wasser ausgewaschen, bis keine Schwefelsäure-Reaction mehr zu erkennen
war, und dann durch Einäschern und durch Auskochen mit Salzsäure auf die
Bestandtheile der Beize geprüft, – auch hier fand sich äußerst wenig oder
nichts weder von Schwefelsäure noch von Thonerde.
c) Structurlose und gewöhnliche, gereinigte Baumwolle
wurde mit Lösung von schwefelsaurem Eisenoxyd zusammengebracht und nach dem
Auswaschen beobachtet, daß sie etwas, wenn auch wenig Eisenoxyd aufgenommen
hatte.
d) Reiner schwefelsaurer Baryt wurde mit der nämlichen
Eisenauflösung einige Stunden digerirt, dann decantirt und ausgewaschen; auch dieser
hatte Eisenoxyd, und zwar ziemlich viel, dagegen nur Spuren von Schwefelsäure
aufgenommen.
e) Baumwolle die mit einer Auflösung von essigsaurer
Alaunerde stehen gelassen, und dann nach Abgießen der trüben Flüssigkeit
ausgewaschen worden war, zeigte nicht unbeträchtlichen Thonerdegehalt.
f) Auszüge von Rothholz und Blauholz wurden mit
Alaunlösung versetzt und es zeigte sich daß, namentlich beim Erwärmen, Niederschläge
gebildet wurden, wenn nur sehr wenig Alaunlösung zugesetzt worden war, daß dagegen
bei überschüssigem Alaun keine solche Fällungen entstanden.
Der Versuch a war nach Hrn. Erdmann's eigenen Worten angestellt worden, „um die Frage zu
entscheiden, ob die Baumwolle beim Beizen eine chemische Verbindung der
Cellulose mit der Beize oder einem oder mehreren ihrer Bestandtheile bilde, oder ob die Structur der Baumwollfaser, wie u.a. W. Crum's
Theorie voraussetzt, beim Proceß des Färbens wesentlich
sey.“
Es ist für ein völlig klares Verständniß der Aufgabe und der Mittel zu ihrer Lösung
– nach Hrn. Prof. Erdmann's eigenem Beispiel, der
in seinen „Bemerkungen“ nach möglichst scharfen Distinctionen
sucht – von Bedeutung, im Voraus zu constatiren, daß die
„Frage“ die er sich oder Hrn. Mittenzwey vorlegte, zwei Fragen sind, ohne
allen Gegensatz, deren Beantwortungen sich einander nicht ausschließen, obschon sie
in dem Text der Abhandlung des Hrn. Erdmann durch
„ob – oder“
(aut) mit einander verbunden sind. Kam ja doch, sowohl Hr. Prof. Erdmann als ich zu dem Resultat, daß beide verneint werden müssen!
Der letztere Theil obiger Frage war schon ein Jahr vorher durch meine Notiz
„über das Färben der amorphen Baumwolle“ gelöst. Hr. Prof.
Erdmann widerspricht diesem meinem Ausspruch. Die
Sache liegt aber einfach so: Walter Crum hatte der
Schlauchform der Baumwollzelle die Eigenschaft, Farbstoffe aufzunehmen zugeschrieben
– ich habe „amorphe“ oder
„structurlose“, also nicht schlauchförmige Baumwolle
gebeizt, wie man Baumwolle gewöhnlich beizt,Es bedarf darum keines Indicienbeweises aus dem Handwörterbuch der Chemie
(Artikel Alaunbeize, den ich schrieb) über die Frage, was ich wohl unter
Beizen verstanden habe. und wie namentlich die Bauwolle gebeizt war, von der W. Crum in seiner Abhandlung spricht. (Derselbe wiederholt
an verschiedenen Stellen den Vorgang der Zersetzung der
Beizlösung und Aufnahme der Basis in die Poren der
Baumwolle.) Ich habe auf diese Weise gefunden, daß es der Hülfe der Röhrenform der
Baumwolle nicht bedürfe, um den Proceß des Färbens zu erklären. Ist der Schluß den
ich aus meinen Versuchen zog, nicht richtig, dann freilich habe ich „collegium logicum“ umsonst gehört.
Hr. Prof. Erdmann sagt in seinen
„Bemerkungen“, daß er die Erwähnung dieser meiner Notiz
darum unterlassen habe, weil diese „in der Hauptsache etwas ganz anderes
enthält, als das worum es sich bei uns (Hrn. Erdmann
und Mittenzwey) handelte.“ Und ferner
bemerkt er: „Nur bei oberflächlicher Betrachtung“ scheine der
von mir angeführte Satz (daß die Structur der Baumwollefaser mit deren
Farbenanziehungsvermögen nichts zu thun hat) dasselbe auszusagen, als was er und Mittenzwey bewiesen habe. Die Uebereinstimmung sey nur
scheinbar, denn ich hätte bewiesen, daß meine amorphe Baumwolle Beizen
„binde.“
Alles das bezieht sich auf die erste Hälfte oben citirter
„Frage“, die Hrn. Erdmann und
Mittenzwey zur Vornahme ihrer Versuche veranlaßte,
oder vielmehr auf eine ganz andere Frage – die nämlich, ob chemische Anziehung zwischen Beize und Baumwolle
stattfinde. Die Antwort hierauf gewinnt Hr. Erdmann nicht
allein durch die Versuche die ich sub a, sondern mit
durch die, welche ich sub b, c, e anführte.
Wir sind in Widerspruch darüber, ob seine Methode die Frage zur Entscheidung zu
bringen die richtige sey, oder die von mir befolgten Wege.
Es ist offenbar zweierlei hier zu unterscheiden. 1) Was kann man folgern aus dem
Versuch: Baumwolle in die Beizlösung einzuweichen, sie auszuwaschen, zu trocknen und
die Asche zu bestimmen und zu analysiren? 2) Wie eignet sich dazu der Alaun, im
Gegensatz zu anderen Beizmitteln?
Der von Hrn. Prof. Erdmann eingeschlagene Weg ist früher
schon, und in jüngster Zeit von Verdeil
Polytechn. Journal 1stes Februarheft 1859 (Bd. CLI S. 204). betreten worden. Derselbe hat Wolle, Seide und vegetabilische Fasern mit
Alaun und mit anderen Salzen gebeizt und den Aschenrückstand der gebeizten Fasern
untersucht. Daß, und wie lange er auswusch ehe er trocknete und einäscherte, wird
zwar nicht gesagt, aber es geht dieß hervor aus der Angabe, daß Cellulose nach dem
Beizen keine Spur der Basis der Beize zurückgehalten habe. Während ich Zweifel an
der Richtigkeit der Verdeil'schen Versuche (nach welchen
sich auch in Cellulose die mit essigsaurer Thonerde gebeizt worden war, keine Asche
fand, und die auf einige Nachlässigkeiten in der Arbeit, oder im Bericht darüber
schließen lassen) in meiner Abhandlung nicht unterdrücken konnte, bin ich überzeugt,
daß die Versuche Hrn. Erdmann's gewissenhaft und mit
aller Sorgfalt ausgeführt sind, und daß deren Resultat richtig ist.
Aber was ich von der Zweckmäßigkeit der Methode halte, ist Folgendes.
Die Beobachtung, daß eine Faser (gleichgültig welche) die mit einer Beize
(gleichgültig welcher) zusammengebracht und dann gut ausgewaschen worden ist, nichts
von der Beize zurückhielt, ist nicht eine hinreichende Grundlage für den Ausspruch,
daß keine Anziehung zwischen Beize und Faser
stattgefunden habe. Ich sage absichtlich schlechtweg
„Anziehung“, denn wir haben – selbst aus Hrn. Erdmann's Abhandlung – erfahren, daß wir auch dann
nicht eine chemische
Anziehung annehmen dürfen, wenn die Asche der Faser Beizbestandtheile
erkennen läßt.
Wer kann bei dieser Untersuchungsmethode die Möglichkeit
absprechen, daß Beize gebunden – war, und daß die Verbindung durch langes Auswaschen
aufgehoben – zerstört worden ist? Oder hätte die
Annahme dieser Möglichkeit etwas Gesuchtes, Ungereimtes, Spitzfindiges? Ich glaube
das nicht. Erinnern wir uns nur eines unter unzähligen Beispielen: H. Rose bewies, daß bei dem Zusammenbringen von
Boraxlösungen mit Lösungen von Kupfervitriol Niederschläge erzeugt werden, die neben
Kupferoxyd wechselnde Mengen von gewässertem borsaurem Kupferoxyd enthalten, daß
aber dieß Salz durch Auswaschen mehr und mehr seine Borsäure verliert, und daß man
durch fortgesetzte Behandlung mit heißem Wasser die Borsäure vollständig entfernen
kann. Da haben wir die
Wiederzerlegung einer nach unseren gegenwärtigen
Ansichten unbestritten chemischen Verbindung durch Auswaschen
mit Wasser!
Ich habe deßwegen in meiner Abhandlung hervorgehoben, daß ich als einzigen Weg zur
Erkennung eines Anziehungsvermögens zwischen Faser und Säuren, Salzlösungen etc.,
oder der Zerlegung und theilweisen Fixirung letzterer den finde: die Flüssigkeiten
und Fasern zusammenzubringen und nach der Digestion die ersteren zu untersuchen, ob
sie geschwächt wurden oder das relative Verhältniß ihrer Bestandtheile änderten.
Was ist von der Wahl einer Alaunlösung zu dergleichen Versuchen zu halten?
Ich darf glücklicherweise mich auf meine Abhandlung berufen, daß ich – in der
angegebenen Weise – die Alaunlösung ebenfalls in den Kreis meiner
Untersuchung zog. Wenn die Erkenntniß des Verhaltens dieser Lösung gegen Baumwolle
für die ganze Theorie der Färberei von so cardinaler Bedeutung ist, so habe ich
wenigstens nicht verfehlt, die Sache auch von diesem Punkte aus anzufassen. Hr.
Prof. Erdmann bedauert, daß bei meiner Kritik seiner
Arbeit „das Verständniß des Grundes“ warum er Alaunlösung zu
seinen Versuchen wählte, nicht genauer hervortrete. Ich habe aber in meiner
Nachschrift ausdrücklich erklärt, welchen Vorzug der Alaun bei diesen Versuchen
biete; – was ich bekämpfte und jetzt wieder bekämpfen muß, ist die
Verallgemeinerung der Folgerungen die Hr. Erdmann aus
seinen Versuchen zieht.
Es stützt Hr. Erdmann seine Theorie theilweise auf die sub f angeführten Versuche; ich werde auf den eben
berührten Gegenstand daher nochmals unten, wenn ich jenes Verhalten bespreche,
zurückkommen.
Zuerst aber muß ich mich noch gegen den Vorwurf wenden, den Hr. Prof. Erdmann der Wahl eines in der Wärme zersetzbaren
Beizmittels, also der essigsauren Thonerde u.s.w., macht.
Er sagt in seinen Bemerkungen: „Daß eine solche
Beize auf jeden hineingebrachten Körper etwas von dem darin sich bildenden
Niederschlag absetzen müsse, also auch auf amorphe Cellulose und Baumwollefaser,
ist unschwer zu begreifen, und es kann die Entdeckung kaum überraschen, daß mit
dem Farbanziehungsvermögen einer in solcher Beize
behandelten, d.h. mit basischem Salz überlagerten, Baumwollfaser die Structur
derselben nichts zu thun hat, da man weiß daß dieses basische Salz die Fähigkeit
besitzt Farbstoffe anzuziehen.“
Wenn es von meiner Seite (1858) Verschwendung von Arbeit an vermeintliche Probleme
war, welche Hrn. Prof. Erdmann ganz offen wie eine
abgethane Sache vor Augen lagen, dann ist nicht einzusehen, weßhalb er (1859) für nöthig
hielt, die oben sub c und e
angeführten Versuche (Beizen structurloser und in natürlicher
Form befindlicher Baumwolle mit neutralen Eisenoxydsalzen und essigsaurer
Thonerde – beide leicht zersetzbar –) anzustellen?
Genug – ich habe mich in jener frühern Arbeit, um zu prüfen ob die Structur
der Baumwolle etwas zu deren Färbungsvermögen beitrage, der essigsauren Thonerde als
des gebräuchlichsten Beizmittels bedient.
Hr. Prof. Erdmann faßt den Unterschied seiner und meiner
Versuche dahin zusammen: „Hr. Bolley hat ja
gefunden, daß seine amorphe Baumwolle Beize binde, er
erzählt weiter, daß verschieden gefärbte Baumwolle von dem Schweizer'schen Lösungsmittel „„mit Zurücklassung
des Farbstoffs und der Beizen““ gelöst
werde.“ Wolle mir Hr. Erdmann auch nur
eine Stelle in. jener vorläufigen Notiz bezeichnen, wo ich mich des Ausdrucks
„binde“ bediene. Auch jene
vorläufige Notiz spricht sich schon am Schlusse dahin aus, daß Runge's Annahme einer chemischen Verbindung von
Beize, Pigment und Faser unstichhaltig sey. Auf diese letztere Ansicht spielt Hr.
Erdmann ebenfalls an, indem er
„baumwollsaurer Salze“ (Runge)
erwähnt.
In wiefern der Rest obigen Satzes, der sich auf meine Versuche über die Löslichkeit
der gefärbten Baumwolle in Kupferoxydammoniak bezieht, etwas Charakteristisches
enthalten soll, das den Unterschied zwischen den Erdmann'schen und meinen Untersuchungen darthue, kann ich nicht verstehen. Ich
habe gefärbte Baumwolle dem Kupferoxydammoniak ausgesetzt
und gefunden, daß die Baumwolle sich löse und Farbstoff sammt Beize zurückbleibe.
Die Baumwolle welche Hr. Erdmann mit Alaunlösung
digerirte und vollständig ausgewaschen hat, ist nicht färbbar. Diejenige aber welche er nach seiner Weise
in Alaunlösung legte, dann unvollständig auswusch und färbte, würde gewiß das nämliche Verhalten in
Kupferoxydammoniak zeigen, wie ich es fand – es würde
der Farblack zurückbleiben.
Mit wahrem Bedauern sehe ich aus einer Stelle in den
„Bemerkungen“ des Hrn. Prof. Erdmann, die sich um die Versuche sub f dreht,
daß er mich des Gedankens fähig hält, seine Verdienste mir zueignen zu wollen. Das
Recht des Datums der Veröffentlichung in Prioritätsfragen liegt auf der Hand, und
ich habe dieß Recht Hrn. Erdmann nicht streitig gemacht,
wenn ich in der Nachschrift zu meiner Abhandlung sagte, die Beobachtung sey mir
nicht neu, daß mehrere Farbstofflösungen mit wenig Alaunlösung versetzt
Niederschläge geben, die nicht auftreten, wenn reichlich Alaunlösung zugesetzt wird.
Wäre mir jene Beobachtung sehr überraschend vorgekommen, oder so bedeutungsvoll
erschienen wie Hrn. Erdmann, so hätte ich sie vielleicht schon früher
öffentlich besprochen, ich cedire aber sehr gerne alle Ansprüche an dieselbe soweit
ich darüber zu verfügen habe. Wenn man sich z.B. der Darstellung des Carmin durch
Kochen von Cochenille mit Wasser und Versetzen mit sehr wenig Alaun, Durchseihen und
mehrtägiges Stehenlassen erinnert, so bleibt an jener Beobachtung – wie ich
die Sache ansehe – vielleicht nur das doppelte Verdienst, 1) des Nachweises
daß das Verhalten allgemein sey, d.h. auch bei gewissen Farbholzabkochungen
zutreffe, und 2) der Betonung, daß häufig ein Irrthum berichtet wird.
Wir dürfen bei Beurtheilung der Rolle dieser Reaction in der Praxis der Färberei
folgende dem Hrn. Prof. Erdmann nicht entgangenen, aber
in seinen Schlußfolgerungen nicht hoch genug gewürdigten Umstände nicht
übersehen.
Bringt man in eine Farbstofflösung ein wenig Alaunlösung, erwärmt und verfährt auf
diese Art so lange bis kein Niederschlag mehr erfolgt und filtrirt dann, so wird man
immer noch eine sehr tiefgefärbte Pigmentlösung behalten. Das in die Lösung
übergegangene saure Salz oder die Schwefelsäure hindert das Niederfallen des Lackes
bei weiterem Alaunzusatze. Es erfolgt aber augenblicklich noch ein sehr reichlicher
Niederschlag, wenn man etwas Alkali hinzufügt. Ohne ein säureabstumpfendes Mittel
läßt sich nach meinen Beobachtungen nur der geringste Theil der vegetabilischen
Pigmente aus ihren Lösungen niederschlagen, während man eine Lösung derselben fast
vollständig entfärben kann, wenn man abgestumpften Alaun anwendet.
Hr. Prof. Erdmann sagt in seiner Abhandlung am Schlusse
der Beschreibung dieser Reactionen Folgendes:
„Diese Versuche erklären die Wirkung des Alauns beim Färben der Baumwolle
vollständig. Beim Beizen der Baumwolle mit Alaun wird diese einfach mit der
Lösung imprägnirt, beim darauf folgenden Auswaschen wird der größte Theil des
Alauns wieder entfernt, es bleibt die Baumwolle von einer sehr kleinen Menge von Alaun mechanisch
durchdrungen zurück. Das ist die gebeizte Baumwolle
u.s.w.“
Ich sage nochmals: nein, das ist eben die gebeizte Baumwolle
nicht.
Kann man sich wirklich vorstellen 1) das oft so subtile Geschäft des Färbers könne
sich der Chance des vollkommneren oder unvollkommnen AuswaschensIch rede hier, wie es Hr. Erdmann gethan, von
Baumwollefärberei; bei Seide z.B. treten ganz andere Grundbedingungen ins
Spiel., was beides große Nachtheile bringt, aussetzen; 2) der Färber werde der besprochenen,
aus der Natur der Reaction nothwendig hervorgehenden Vergeudung von Farbstofflösung
rathlos zusehen?
In seinen „Bemerkungen“ gegen meine Nachschrift sagt Hr. Erdmann: „Es ist wahr, daß in den Färbereien
statt des Alauns fast durchgängig andere Thonerdesalze als Beize angewendet
werden; dennoch glaube ich immer noch, den Alaun eines der
„gewöhnlichsten“ Beizmittel nennen zu dürfen, wenn
dieses Prädicat einer Beize wohl gegeben werden kann, die früher ausschließlich
in den Färbereien diente und jetzt noch sehr häufig in den Hauswirthschaften,
besonders auf dem Lande, zum Färben von Zeugen, außerdem zum Färben von Holz
u.s.w. verwendet wird.“ Betrachten wir diese Schutzrede für den Alaun
mehr beim Lichte! So weit ich weiß, darf aus schriftlichen Ueberlieferungen ziemlich
sicher geschlossen werden, daß im Alterthum neben Alaun abstumpfende Mittel,
Potasche u.s.w. gebraucht wurden. In der besten Arbeit die wir über die Alaunbeizen
haben, derjenigen von D. Köchlin, wird diese Ansicht
ebenfalls adoptirt. Ich will gerne glauben daß der Alaun iniu der hauswirthschaftlichen Färberei hie und da ohne Zusatz gebraucht wird,
aber vergessen wir dabei eines nicht, daß die Beschaffenheit der meisten Wasser ganz
allein – die Härte – schon hinreichend ist,
um ihn zu zersetzen und eine basische unlösliche
Verbindung auf der Faser niederzuschlagen. Am wenigsten aber scheint mir die
Anwendung des Alauns zu Holzbeizen als Verstärkung der für dieß Salz angeführten
Gründe zulässig. Es ist der Proceß des Holzbeizens in den meisten Fällen gar keinem
Färben vergleichbar, denn es dienen dazu sehr oft nur wässerige, weingeistige,
alkalische Farbstofflösungen ohne alle Beize, die man ohne nachheriges Waschen
einsaugen läßt. Wo Alaun vorkommt, trifft man aber häufiger Zusätze als ihn allein;
solche Zusätze sind Potasche, Salmiakgeist, Kalkwasser, Grünspan u.s.w. Käme er aber
auch ausschließlich zu diesem Zweck vor, so wird man doch den Unterschied der
Wirkungen nicht verkennen wollen, der zwischen dem Holze das mit Gerbsäuren,
eiweißartigen Körpern u.s.w. ganz imprägnirt ist und der Baumwolle besteht.
Ich kenne keinen Fall in der Baumwollfärberei, in welchem der Alaun nicht entweder
schon zersetzt angewendet würde, oder in Folge von Nachbehandlung, –
Kreidebäder, Kuhkothbäder, Galliren u.s.w. – nicht zersetzt werden müßte, ehe
die Pigmentlösung zur Einwirkung kommt.
Die Alaunbeizen in der Baumwollfärberei wirken sämmtlich, eine
wie die andere, durch Absetzen, sey es eines basischen schwerlöslichen Salzes
oder des Alaunerdehydrats.
Damit aber wird durchaus nicht zugegeben was Hr. Erdmann
als eine unkritische Tradition bezeichnet, indem er sagt: „Gewöhnlich
begnügt man sich mit der hergebrachten Annahme, daß die Beizmittel durch die
Zeuge zersetzt werden, Basis an die Faser abgeben und dann beim Ausfärben eine
dreifache Verbindung von Faser, Basis und Farbstoff sich bilde.“
– Derartige Sätze muß man genau ansehen. Ich stoße darin wiederum auf eine
Mengung ganz verschiedener Begriffe, die wohl auseinander gehalten werden sollten.
Man kann sehr gut den ersten Theil des Satzes gelten lassen ohne den zweiten zu
acceptiren, und so werden es wohl jetzt die meisten Chemiker und Techniker die dem
Studium dieser Fragen nachgegangen sind, halten.
Das Verhalten der Zinn- und Eisenbeizen ist ganz ähnlich, und es wird unter
dieser Anschauung eine hinlänglich befriedigende Uebereinstimmung der Begriffe von
der Wirkungsweise der wichtigsten Beizen hergestellt.
Ich hatte mir erlaubt in jener Nachschrift mit Bezug auf Herrn Erdmanns Arbeit zu sagen, daß nach meiner Meinung eine allgemeine Theorie der Färberei auf breiterer Grundlage
aufgebaut werden müsse, als einer Untersuchung „der Wirkungsweise der
Beizmittel, namentlich des Alauns, beim Färben der Baumwolle,“ und es
wird mir dafür von Hrn. Prof. Erdmann die nicht
mißzuverstehende Lehre eingeschärft, „daß das Streben in die Breite, bei
Fällen wie der vorliegende, weniger zu fördern pflegt als
das Auffinden des rechten Angriffspunktes.“
Ich meinerseits habe aus den Arbeiten Chevreul's, Persoz's,
Roard's, Thenard's, Köchlin's, Schlumberger's,
jenen von W. Crum, von Oschatz
und Anderen die Ueberzeugung gewonnen, daß es weder an Geist noch Fleiß gefehlt hat,
um in die unübersehbare Menge der mannichfaltigsten Erscheinungen Licht zu bringen.
Hr. Prof. Erdmann macht jenen Vorgängern den Vorwurf, daß
sie „alle die Sache nicht an der Wurzel anfaßten.“ Die meisten
dieser Männer, wovon sich einige, man kann sagen ihr ganzes Leben lang, mit dem
Studium der in die Färberei einschlagenden Themate abgegeben haben, leben noch, und
mögen sich gegenüber dieser Unterschätzung ihrer Arbeiten, wie ich, mit der
Ueberzeugung trösten daß verschiedene
„Angriffspunkte“ vorhanden sind, von welchen jeder der rechte
ist, während das von demjenigen, den Hr. Erdmann
ausersehen, nicht unbedingt gesagt werden kann.
Lassen wir es ganz dahingestellt, welche eminente Aufschlüsse über die Beschaffenheit
der gefärbten Faser das Mikroskop zu ertheilen im Stande ist – Aufschlüsse
die auf anderm Wege durchaus nicht erhalten werden können, und die, wie ich bei einer andern
Gelegenheit zeigen werde, für die Theorie der Färberei ganz unentbehrlich sind;
halten wir uns nur an den Weg des chemischen Experimentirens, und erwägen wir
unbefangen, ob mit den Versuchen des Hrn. Erdmann der
Angelpunkt der Frage gefaßt sey, indem sie uns belehren, wie sich eine Alaunlösung
in destillirtem Wasser einerseits gegen Baumwolle, andererseits gegen gewisse
Pigmentlösungen verhalte.
Wir wissen 1) daß andere Beizen, sowohl Thonerde- als Eisen- und
Zinnbeizen täglich vorkommen, und daß diese sich anders
verhalten als Alaunlösung gegen Baumwolle, und doch soll in dem Verhalten des Alauns
der Angriffspunkt für Erschließung aller hierher gehörenden Zweifel liegen.
Wir wissen 2) daß eine Reihe von Pigmenten ganz ohne Beize
in der Baumwollfärberei angewendet werden, – Safflor, Indigküpe u.s.w. und
doch sollen wir in Versuchen über das Verhalten des Alauns die Grundlage für eine
Theorie der Färbung der Baumwollfaser überhaupt erhalten.
Wir wissen 3) daß in der Baumwollfärberei Farbenpräcipitationsmittel dienen, die nur
im entferntern Sinne Beizen genannt werden dürfen, da man nicht die Faser vorher
damit imprägnirt, Verbindungen die ganz unzweifelhaft zersetzt
werden – das chromsaure Kali (bei Chromschwarz und Catechubraun),
und doch soll mit einer Betrachtung über das Verhalten des Alauns zur Faser die
Sache an der Wurzel angefaßt seyn.
Hiemit ist, wie ich denke, die Bedeutung des Verhaltens der Alaunlösung gegen
Baumwollfaser hinlänglich gezeichnet.
Aber was soll vollends für die Theorie der Wolle- und Seidefärberei damit
gewonnen seyn? Hr. Prof. Erdmann sagt ja, daß sich seine
Theorie „wahrscheinlich unter gewissen
Modificationen als allgemein gültig bei allen Färbeprocessen
herausstellen wird.“
Das Verhalten von Wolle und Seide gegen viele Salzlösungen und Farbstoffe weicht so
sehr von dem der Baumwolle ab, daß es unter allen Färbern zu einer Art Axiom
geworden ist, daß sich diese Fasern leichter färben lassen als Baumwolle. Noch in
neuester Zeit erklärten Maschke und Verdeil, von ganz verschiedenen Gesichtspunkten ausgehend, die Anziehung
zwischen färbenden Mitteln und den thierischen Fasern sey eine chemische – nicht so die der Baumwolle. Es würde viel zu weit
führen, wenn wir alles was sich auf diesem neuen reichen Gebiete gegen die
einseitige Ansicht erhebt, anführen wollten, aber das scheint mir gewiß, daß die
Hoffnung des Hrn. Erdmann, auch wenn ich den Ausdruck
„Modification“ in möglichst weitem Sinne zulasse, auf einer
Täuschung beruhe.
Ich reassumire: – ein experimentum crucis, an das
sich alle hieher gehörenden Erscheinungen als Modificationen ankrystallisiren, gibt es nicht, sondern wir haben es mit
verschiedenen Kategorien von Erscheinungen zu thun, die freilich in einer Kraft
zusammenlaufen. Zur Erkenntniß dieser Kraft wird man (und
wurde man schon lange) auf verschiedenen Wegen geführt. Es wird in der
Chemie sehr häufig nur von dem bequemen Rechte der inductorischen Methoden: aus dem
Besondern auf das Allgemeine zu schließen, Gebrauch gemacht, ohne daß man sich an
die minder fügsame Verpflichtung kehrt, daß außer den benutzten auch alle anderen in
einer Theorie zur Frage kommenden Thatsachen consultirt werden müssen.
Ganz abgesehen davon, daß die Elemente der Versuche des Hrn. Erdmann in der Praxis (der Verfahrensarten, deren Theorie gegeben werden
soll) sich nicht finden lassen, dürfen wir diese wenigen Versuche keineswegs als
ausreichend zu einer allgemeinen Theorie der Färberei ansehen, weil mit dieser
Prätension das Recht des Mitsprechens anderer Erscheinungen (die weder in Substanz
noch Verlauf mit den fraglichen verwandt sind) unterdrückt wäre, ehe es nach Gebühr
untersucht worden.
Das ist es, was ich in dem vorliegenden Falle von der „breiteren
Grundlage“ und von „dem richtigen Angriffspunkt“
halte.