Titel: | Augenblickliche Photographie; die Pistolen-Camera, und eine neue Art von Fassung für positive Glasbilder. |
Fundstelle: | Band 157, Jahrgang 1860, Nr. XLV., S. 196 |
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XLV.
Augenblickliche Photographie; die
Pistolen-Camera, und eine neue Art von Fassung für positive
Glasbilder.
Aus dem photographischen Archiv, 1860 S.
130.
Ueber Pistolen-Camera, und eine neue Art von Fassung für
positive Glasbilder.
Was in der Geometrie der Punkt für die Größe, das ist in der Photographie die
Augenblicklichkeit für die Zeit. Zeit ist Dauer mit Anfang und Ende, aber
Augenblicklichkeit ist Anfang und Ende ohne Dauer.
Alle Operationen in der Chemie, Optik und Mechanik erfordern Zeit; streng genommen
kann daher eine augenblickliche Photographie mit physischen Mitteln nicht
hergestellt werden, indem das Licht, welches in einer Secunde 98000 Meilen
zurücklegt, rasch wie der Gedanke die entferntesten Gegenstände eben so rasch
trifft, wie die nächsten.
Der Ausdruck „photographische
Augenblicklichkeit“ ist so ausdehnbar und unbestimmt, wie die
Worte „kurz“ und „lang;“ der Eine hält
eine Belichtungszeit von einer Secunde für Augenblicklichkeit; der Andere, so rasch
wie der Deckel vom Objectiv entfernt und wieder aufgesetzt werden kann; noch Andere
dehnen die Augenblicklichkeit auf drei bis zehn Secunden aus.
Wir nehmen den Ausdruck wörtlich, und halten, so rasch wie man mit den Augen blicken,
also sie öffnen und wieder schließen kann, für Augenblicklichkeit. Es ist durch
Gelehrte constatirt, daß das auf die Netzhaut des Auges fallende Bild eines
Gegenstandes nicht in weniger als einer zehntel Secunde wieder entfernt werden kann.
Ein Bild also, welches in einer zehntel Secunde oder weniger erzeugt wird, kann
unserer Ansicht gemäß
erst auf den Namen eines „augenblicklichen Bildes“ Anspruch
machen.
Mit unseren jetzigen Apparaten ist es nicht möglich, eine derartige rasche Wirkung
hervorzubringen; die chemischen Präparate können nicht so empfindlich hergestellt
werden, oder man müßte in absoluter Finsterniß präpariren und hervorrufen; –
es ist daher nöthig einen Apparat zu construiren, der eine möglichst große
Lichtstärke besitzt.
Die Pistolen-Camera ist ein derartig combinirtes
Instrument, mit dem man augenblickliche Bilder in dem oben definirten Sinne
aufnehmen kann; dieselbe ist außerdem sehr klein und leicht, und die damit
aufgenommenen Bilder besitzen eine Schärfe und Feinheit, die durch nichts erreicht
wird.
Das ganze Instrument ist aus Messing hergestellt; es nimmt wenig Raum ein, da es nur
drei Zoll lang und 1 1/2 Zoll breit ist; es kann während des Belichtens wie eine
Taschenpistole in der Hand gehalten und losgedrückt werden.
Die Camera besteht aus drei Theilen:
1) dem Vorsatz;
2) dem Objectiv, und
3) der Cassette.
Der Vorsatz ist mit einem sehr sinnreichen Mechanismus versehen, um das Objectiv
durch Abdrücken eines Stiftes augenblicklich zu öffnen und zu schließen. Dieß
geschieht in der That so rasch, daß man währenddem nur bei höchst aufmerksamer
Beobachtung auf dem matten Glase ein Bild erkennen kann.
Die Linse selbst hat einen Durchmesser von zwölf Linien und ist in der Art eines
Doppelobjectivs mit höchst kurzer Brennweite construirt; mitten zwischen beiden
Gläsern ist eine Blendeneinrichtung. Die gewöhnlich angewendete Blende hat eine
Oeffnung von 3/8, für Porträts von 5/8 Zoll. Der chemische und optische Focus des
Objectivs stimmen überein.
Um ein Porträt aufzunehmen, schließt man den Apparat in eine Messinghülse mit Stativ,
welches auf einen Tisch oder ein gewöhnliches Stativ befestigt werden kann.
Will man im Freien arbeiten, so bedient man sich des sogenannten Manipulationsbeutels
aus wasserdichtem Stoffe, welcher durch ein am unteren Ende mündendes Rohr nach Art
der Luftkissen aufgeblasen wird und in dem man mit den Händen bequem manipuliren
kann. Die ganze Bagage, Apparat sammt Laboratorium, Cuvetten und Bädern, wiegt nicht
mehr wie sechs Pfund und kann bequem in der Hand getragen werden.
Um einen Begriff von der ausgezeichneten Schärfe zu geben, die sich mit der
Pistolencamera erzielen läßt, erwähnen wir eines kleinen Negativs, welches die erste
Seite der Times auf ein Plättchen von 3/8 zu 1/2 Zoll
reducirt darstellt; unter einem stark vergrößernden Mikroskop betrachtet, ist die
ganze Schrift mit jedem Buchstaben ganz scharf und rein zu erkennen. Hr. Skaife sandte uns noch einige andere Bildchen, alle von
vorzüglicher Feinheit und Schärfe; besonders ein Porträt (Brustbild) zeichnet sich
durch schöne Modellirung aus; ein anderes Bildchen stellt zwei Reiter aus Hidepark
dar, aus der Hand und ohne Stativ aufgenommen; ein kleines, für einen Ring
geeignetes Damenporträt ist Miß Morrit, das Original von
„Minna“ in Walter Scott's „Pirat.“
Hr. Skaife faßt seine Bilder auf eine sehr sinnreiche
Weise ein, in Form von Steinen, und macht uns hierüber folgende Mittheilung:
„Ich bemerke Ihnen, daß mein Verfahren bis jetzt noch nirgends
veröffentlicht wurde, und überlasse es Ihrem Ermessen, ob Sie dasselbe in Ihrem
Journal mittheilen wollen.
Es ist bekannt, daß der Canadabalsam von den Optikern bei achromatischen Linsen
als Kitt angewandt wird; denselben Stoff benutze ich zu meinen
„Chromo-Krystallen,“ nur ist hierbei eine etwas
stärkere Hitze erforderlich.
Ich nehme ein Stück polirtes buntes (rothes oder blaues) Glas von derselben Größe
wie das Bild, und erwärme es über einer Lampe auf einer Metallplatte; dann
schneide ich mit einer reinen Messerspitze oder einem Glasstreifchen ein Stück
Balsam – ohne Unreinigkeiten – ab und lege es auf das bunte Glas.
Das Bild erwärme ich ebenfalls schwach und lege es mit der Collodiumseite auf
die Balsamschicht; die letztere dehnt sich, wenn man eine genügende Menge
genommen hat, durch die Hitze und das Gewicht der oberen Platte aus, und beginnt
nach den Seiten zu Blasen zu werfen.
Sobald ein Streifen weißes Papier, den man zwischen das gefärbte Glas und die
Metallplatte hält, durch die Hitze gebräunt wird, muß man es abnehmen und
langsam erkalten lassen; sollte nach dem Abkühlen sich noch eine Blase zeigen,
so muß man nochmals erwärmen, und mit einem kleinen Kork auf die betreffende
Stelle drücken.
Wenn man die beiden Gläser, während sie noch warm sind, nicht mehr übereinander
schieben kann, sind sie genügend verkittet, und können nun an den Ecken
abgeschliffen und mattirt werden.
Beim Eintauchen in heißes Wasser, in Terpenthinöl oder Benzol trennen sich die
Gläser wieder, ohne zu brechen.“
Es sey noch erwähnt, daß man die kleinen Bilder der Pistolen-Camera mit
Leichtigkeit bis zu hundertmal vergrößert copiren kann, also in der Größe von etwa
acht zu zehn Zoll.
P. Liesegang.