Titel: | Ueber Blutlaugensalzfabrication; von Dr. C. Noellner. |
Fundstelle: | Band 157, Jahrgang 1860, Nr. XCI., S. 357 |
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XCI.
Ueber Blutlaugensalzfabrication; von Dr.
C.
Noellner.
Aus den Annalen der Chemie und Pharmacie, 1860, Bd. CXV S.
238.
Noellner, über Blutlaugensalzfabrication.
In den Annalen der Chemie und Pharmacie, Bd. CVIII S. 8 (polytechn. Journal Bd. CLI S. 54) suchte ich wo möglich in
gedrängter Darstellung ein aus der Praxis entnommenes Bild des theoretischen Theils
der Blutlaugensalzfabrication dem von Liebig schon 1841
gegebenen anzureihen, und erwähnte u.a., daß schwefelalkalihaltende wässerige
Auflösung mit Cyankaliumlösung, namentlich beim Erwärmen, sofort Schwefelcyankalium
bildet; ferner, daß Schwefelcyankalium schon in der Rothglühhitze sich in die
Bestandtheile Schwefel und Cyankalium trennt, und daß gerade dadurch dem
Blutlaugensalzfabrikanten Zeit und Gelegenheit geboten wird, durch Einhalten der
Temperatur, wobei auch die Verwandtschaft des Schwefels zum Eisen eintritt, durch
Zusatz von Eisen, den Schwefel aus dem Bereich der schädlichen Einwirkung für die
spätere Blutlaugensalzbildung zu bringen.
Hr. R. Hoffmann, welcher denselben Gegenstand zu seiner
Untersuchung gewählt, läugnet nun in einer im Januarheft 1860 den Annalen der Chemie
und Pharmacie (S. 68 in diesem Bande des polytechn. Journals) mitgetheilten
Abhandlung diese auf vielfache Versuche wohlbegründete, für Theorie wie Praxis
gerade ganz besonders wichtige Thatsache, indem er sich mit großer Bestimmtheit
folgendermaßen ausspricht:
„Eben so unbegründet ist die bis dahin
allgemein verbreitete Annahme, daß Schwefelcyankalium innerhalb der durch die
Fabrication bedingten Verhältnisse durch Eisen zu Cyankalium reducirt werden
könne. Bei Anwendung des gewöhnlichen Materials (Eisendreh- und
Bohrspäne) gelingt diese Umwandlung gar nicht, durch sehr fein vertheiltes (aus
Oxyd durch Kohle reducirtes) und in großem Ueberschuß verwendetes Eisen nur in
sehr beschränktem Maaße.“
Ich kann es nur bedauern, einer mit so vielem Fleiß ausgeführten Arbeit, wie die des
Hrn. Hoffmann ist, ganz mit eben derselben Bestimmtheit
im Interesse der Wissenschaft widersprechen und darauf bemerken zu müssen, daß
Schwefelcyankalium allerdings sehr leicht und zwar schon
in der Rothglühhitze, sowohl bei kleinen wie großen Versuchen, vollständig durch
Eisen zerlegt wird. Um sich schnell davon zu überzeugen, darf man nur ein kleines
Gußeisentiegelchen von etwa einem Kubikzoll Inhalt
(es braucht noch nicht einmal Schmiedeeisen, noch viel weniger durch Wasserstoffgas reducirtes
und fein zertheiltes Eisen zu seyn) zum starken Rothglühen bringen, etwas
Schwefelcyankalium eintragen und zwei Minuten lang der
Rothglühhitze ebenfalls aussetzen, und allein durch die Wandungen des gußeisernen
Tiegelchens, ohne irgend welchen anderweitigen Eisenzusatz, ist alles
Schwefelcyankalium vollständig schon reducirt.
Man wird verwundert fragen, wie ist es möglich, daß so schroff sich gegenüberstehende
Ansichten über einen scheinbar doch so leicht auszuführenden Versuch existiren
können; und dennoch findet dieser Widerspruch seine Erklärung wie Entschuldigung
einfach darin, daß es ganz darauf ankommt, wie die Glühung ausgeführt und wie ein
und dieselbe vorher fein gepulverte und daher genau gemengte Schmelze nachher im
Wasser aufgelöst wird.
Denn wird z.B. die Schmelze gleich Anfangs mit nur wenig oder viel Wasser, mit heißem
oder kaltem Wasser übergossen, oder das Wasser wird auf die Schmelze oder umgekehrt
die Schmelze ins Wasser gegossen, oder die alkalische Flüssigkeit wird vor dem
Eisenzusatz oder nachher mit Säuren neutralisirt u.s.w., in allen diesen Fällen
entstehen immer andere Verhältnisse des darin enthaltenen Cyankaliums,
Schwefeleisens, Schwefelkaliums u.s.w. zu einander, so daß es dem aufmerksamen und
geübten Experimentator leicht gelingt, eine und dieselbe
Schmelze einmal so aufzulösen, daß die Lösung mit Eisenoxydsalzen nur Berlinerblau,
oder nur die rothe Lösung von Schwefelcyaneisen bildet, oder daß sich beides
zugleich bildet und die rothe Flüssigkeit vom blauen Niederschlag sich abfiltriren
läßt.
Wird nun ein solcher geglühter Rückstand des Schwefelcyankaliums mit Eisen, eben so
wie eine Schmelze der Blutlaugensalzfabriken, welche je nach der Dauer und
Intensität der Glühung einmal mehr Schwefeleisen, ein andermal mehr Schwefelkalium
in relativer Menge enthalten können, in den Händen des Experimentators mit Wasser
nachher so behandelt, daß das bereits zerlegte Schwefelcyankalium sich von Neuem aus den Glührückständen wieder bilden muß, so kann
es auf den ersten Blick freilich scheinen, als ob das Schwefelcyankalium in der
Glühhitze gar nicht zerlegt worden sey, während es eben so schnell wie das
Blutlaugensalz durch die Gegenwart von Wasser wieder gebildet wurde, je nachdem man
das Cyankalium mit Schwefeleisen oder mit Schwefelkalium im Moment der Auflösung
zusammenbringt – Thatsachen, die ich in meiner oben citirten Abhandlung, so
weit sie von theoretischem Interesse sind, andeutete, und die für den Fabrikanten um
so wichtiger sind, weil der Stickstoff des in Schwefelcyankalium anstatt in
Blutlaugensalz umgewandelten Cyankaliums für die Fabrication nach dem gewöhnlichen
Verfahren regelmäßig verloren geht.
Da auch die Ansichten über den Kaliverbrauch bei der Blutlaugensalzfabrication sehr
von einander abweichen, mag es wohl nicht ohne Interesse seyn, auch hier noch einige
sich hierauf beziehende Zahlen anzuführen, welche bei Arbeiten im Großen erhalten
wurden.
In ein lediglich für Blutlaugensalz neu errichtetes und daher mit allen aus der
Praxis hervorgegangenen neueren Bequemlichkeiten und Vortheilen zur Vermeidung jeder
Verluste versehenes Geschäft wurden eingeführt:
406 Centner Potasche, und nach Verbrauch derselben genau Rechnungsabschluß gemacht.
Es ergab sich für die vorliegende Frage:
163
Centner
Blutlaugensalz im Faß verkauft,
13
„
deßgl. Inventar,
24
„
rohes Blutlaugensalz,
16
„
noch nicht aufgelöste Schmelze,
112
„
wieder erhaltenes Kali (sogenanntes Blaukali),
61
„
salzsaures Kali,
15
„
schwefelsaures Kali, aus Schwärze durch Oxydation an derLuft wieder
erhalten
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
404
Centner
nebst einigen nicht gewogenen Krystallgruppen vonKaliumeisencyanür
und Cyanid, zu Ausstellungen bestimmt.
Bei einem zweiten Rechnungsabschluß ergab sich: 659 Centner Potasche eingeführt,
und erhalten
457
Centner
blausaures Kali,
93
„
Kali-Inventar,
116
„
schwefelsaures und salzsaures Kali
–––––––––––––
666
Centner.
Vergleicht man nun vom theoretischen Standpunkt aus den Kaliumgehalt der reinen
Potasche mit dem des Blutlaugensalzes, so ergibt sich allerdings noch ein Deficit an
Kalium; allein in der rohen Potasche hat man es auch noch mit Feuchtigkeit und
Kieselerde zu thun, welche durch ihre Abscheidung als werthlos aus dem Geschäft und
der Berechnung ganz verschwinden, während der Fabrikant das nahe
chemisch-reine und trockene Blutlaugensalz abliefert. Vor allem aber wird bei
der gewöhnlichen Bestimmung des Alkaligehalts der käuflichen Potasche auch der
ganze, nie fehlende, neuerdings sogar sehr oft absichtlich im Handel noch zugesetzte
Sodagehalt derselben als Potasche in Rechnung gebracht, während gewöhnlich gerade
entgegengesetzt, namentlich im Winter, dieser mit dem Chlorkalium als das bekannte
krystallisirbare Doppelsalz von kohlensaurem Natron Kali aus der Fabrication
entfernt wird und auf diese Weise noch einen Theil wirkliche Potasche mit sich
entführt.
Ferner ist eine absolut genaue Auswaschung der Rückstände beim Fabrikbetrieb
ebenfalls nicht denkbar, und kommt der Kaligehalt alsdann der Anwendung derselben
als Dünger noch zu Gute, und zuletzt ist eine genaue Bestimmung der wirklichen
Einnahme von reinem kohlensauren Kali immer sehr schwierig, da alle Proben immer nur
mit einzelnen Grammen ausgeführt werden, und selbst glühend geschmolzene rohe
Potasche am Boden anders zusammengesetzt seyn würde, als an der Decke der erstarrten
Masse. Alle diese aus der Praxis hervorgegangenen Thatsachen waren es, welche die
Vermuthung mich aussprechen ließen, daß der Kaliverbrauch nicht viel größer sey, als
die Rechnung es verlangt, und daß Verluste als Kalium oder Chlorkalium u.s.w. nur
eine untergeordnete Rolle beim Kaliverbrauch einnehmen können, vorausgesetzt, daß
das ganze Verfahren sammt Einrichtung für diese Fabrication mit Sachkenntniß und
Aufmerksamkeit bis in alle Einzelnheiten ausgeführt werden.
Zuletzt sagt Hr. Hoffmann in der kritischen Zeitschrift
für Chemie u.s.w. S. 38 bis 39 über den vorgeschlagenen Kreide- und
Eisenzusatz wie folgt: „es wäre nicht
einzusehen, warum nicht der bei der Bildung von Schwefelcalcium
freiwerdende Sauerstoff ohne gleichzeitige Anwesenheit von Kohle verhindert
werden sollte, das aus dem Schwefelcyankalium abgeschiedene Cyankalium wieder zu
oxydiren, d.h. mit anderen Worten: durch eine Umsetzung des Schwefelcyankaliums
mit Oxyden (Kalk) kann wohl cyansaures, nicht aber Cyankalium entstehen, und das
Eisen kann hier die Stelle der Kohle zur Aufnahme des Sauerstoffs nicht
vertreten, da umgekehrt seine Oxyde ihren Sauerstoff an Cyankalium
abgeben.“ Nach meiner Ansicht ist es aber viel richtiger anzunehmen,
daß das glühende Kohlenoxydgas des Flammofens, worin in
jedem neueren Blutlaugensalzgeschäfte obige Operation zu geschehen pflegt, die
Metalloxyde und daher auch das Calciumoxyd, eben so wie in jedem Hohofenproceß
täglich geschieht, reducirt. Der Schwefel des Schwefelcyankaliums Wird in der
Glühhitze, wie in meiner oben citirten Abhandlung augenscheinlich dargethan, sich
vom Cyankalium trennen und basisches Schwefelcalcium, bei Gegenwart von Eisen auch
Schwefeleisen bilden, welches letztere dann bekanntlich mit Cyankalium die
Blutlaugensalzbildung bedingt.
Der beste augenscheinliche Beweis, daß Kreide eine Wirkung ausübt, ist ferner der,
daß alle auf diese Weise erhaltenen Laugen stets hell erscheinen, während ohne
diesen Zusatz sie in der Regel grün sind. Uebrigens kann ein Kreidezusatz auch nur
dann von Werth seyn, wenn durch Verarbeitung viel schwefelhaltiger Stoffe (Horn, Wolle) der Schwefel im
Geschäft sich mehr anhäuft, als durch das Eisen allein entfernt werden kann, und ein
sachverständiger Dirigent jede auftretende Erscheinung sofort richtig zu beurtheilen
vermag.