Titel: | Ueber Schnellgerberei; von Wilhelm Kampffmeyer, Lederfabrikant. |
Fundstelle: | Band 157, Jahrgang 1860, Nr. XCV., S. 382 |
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XCV.
Ueber Schnellgerberei; von Wilhelm Kampffmeyer,
Lederfabrikant.
Aus den Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des
Gewerbfleißes in Preußen, 1860 S. 48.
Kampfmeyer, über Schnellgerberei.
Die Lohgerberei ist für die Wissenschaft noch so ziemlich eine terra incognita. Möglich, daß die großen, fast unüberwindlichen
Schwierigkeiten, welche der Forschung auf diesem Gebiete der Industrie
entgegentreten, dazu geführt haben, die Gerberei zu einer Kunst und uns Gerber zu
Künstlern zu machen, eine Bezeichnung, auf die wir Praktiker gern verzichten
möchten, um schlichte Handwerker zu werden, wenn die Leuchte der Wissenschaft die
Geheimnisse des Gerbprocesses enthüllte und uns Klarheit zu selbstbewußtem Handeln
gewährte.
Lohgares Leder ist von jeher als eine chemische Verbindung der thierischen Haut mit
der Gerbsäure, der Gerbproceß also als ein chemischer bezeichnet worden; und wie
unsicher noch die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung über diesen Proceß
sind, geht schon daraus hervor, daß Dr. Knapp in München in einem interessanten, auch als
Broschüre erschienenen Aufsatze über „Natur und Wesen der Gerberei und des
Leders“
Im polytechn. Journal Bd. CXLIX S.
305 und 378. durch sehr triftige Gründe diese Hypothese umzustoßen und den Gerbproceß als
einen rein physikalischen, als einen Proceß der Flächenanziehung hinzustellen sucht.
Die Wissenschaft hat der Praxis zwar eine Menge gerbstoffhaltiger Pflanzen
bezeichnet und die Kenntniß der chemisch wichtigen Gerbstoffe wesentlich erweitert;
mit den technisch wichtigen Gerbstoffen, mit ihrem Verhalten zur thierischen Haut,
mit der wechselseitigen Einwirkung beider aufeinander und dem daraus entstehenden
Product, dem Leder, hat sie sich indeß bisher so wenig beschäftigt, daß dadurch dem
Praktiker noch keine Anhaltepunkte zum rationellen Geschäftsbetriebe geboten sind.
Selbst über den Gerbgehalt der gebräuchlichsten Gerbmaterialien gehen die Angaben
sehr weit auseinander und die den Gerbmaterialien, außer dem reinen Gerbsäuregehalt,
anderweitig beigemengten Stoffe, welche einen sehr großen Einfluß auf die Güte des
Fabricats ausüben und ebenso, wie ihr Gerbgehalt über ihren Werth entscheiden, sind
uns noch völlig unbekannt. Von wie bedeutender Einwirkung die Zusammensetzung des verwendeten
Wassers auf den Gerbproceß ist, welchen Einfluß die Temperatur, das Licht, die
Elektricität, die Beschaffenheit der Rinden auf das Gerbresultat ausüben, weiß der
Praktiker nur annähernd aus seiner Erfahrung zu beurtheilen; die wissenschaftlichen
Untersuchungen haben sich nach dieser Richtung hin noch nicht ausgedehnt, die
wissenschaftliche Begründung aller dieser, für den Gerbereibetrieb so überaus
wichtigen Fragen fehlt noch ganz, und der Gerber ist heute noch wie vor Hunderten
von Jahren zu einem rein empirischen Geschäftsbetriebe gezwungen, während alle
übrigen Industriezweige durch den Beistand der Wissenschaft die großartigsten
Fortschritte gemacht haben. Unklare und unrichtige Anschauungen über die Vereinigung
oder Verbindung der Haut mit den gerbenden Substanzen haben daher bei dem Bestreben
zu nützen und Fortschritte zu machen, in der Regel zu unfruchtbaren, oft sogar
widersinnigen Versuchen geführt. Alle Anstrengungen in der Lohgerberei, den
langdauernden Gerbproceß zu kürzen, sind bis jetzt ohne großen und von sehr
zweifelhaftem Erfolg gewesen; man hat dieß Resultat in der Regel nur auf Kosten der
Qualität des Leders oder durch größeren Aufwand von Gerbmaterialien erreicht, und
die große Mehrzahl jener Versuche hat sich schwer bestraft, indem sie nur zu oft mit
dem Ruin der Fabrikanten endeten. In unsern deutschen Lohgerbereien hat sich daher
das althergebrachte Verfahren nicht nur vorherrschend fest erhalten, sondern wird
auch durch die abschreckenden Beispiele, welche die bisherigen Schnellgerbversuche
zur Folge hatten, mit der größten Hartnäckigkeit festgehalten. Als den
übereinstimmenden und durch die Erfahrung bewährten Grundsatz der deutschen
Sohlledergerberei darf man annehmen, daß nur durch eine möglichst lange Gerbdauer
mit junger Eichenrinde (Spiegelrinde) ein allen Anforderungen auf Haltbarkeit,
Dichtigkeit und Eleganz entsprechendes Sohlleder erzielt werden kann, und unsere
guten rheinischen Sohllederfabricate werden ohne Anmaßung oder Ueberhebung als die
besten der Welt bezeichnet werden können. Im Besitz der vorzüglichsten
Eichenspiegelrinde, durch die am Rhein allgemein verbreitete und als sehr lohnend
anerkannte Niederwaldwirthschaft und eines für die Sohllederfabrication geeigneten
kühlen, klaren und etwas harten Bergwassers, liefern unsere rheinischen Fabrikanten
durch die bewährten und dadurch sprüchwörtlich gewordenen Grundsätze:
„Zeit und Lohe geben Leder“ und „saure Gerbung,
gute Gerbung“ Fabricate, die an Haltbarkeit, Dichtigkeit und
Zähigkeit von keinem andern übertroffen, ja, in den seltensten Fällen nur erreicht
werden. Die Erfahrung der Praxis hat überzeugend gelehrt, daß mit dem gleichen
Quantum Lohe bei längerer Gerbdauer ein viel günstigeres Resultat erreicht wird, als
mit dem größeren Quantum Lohe in kürzerer Zeit. Je länger die Leder in den Gruben stehen,
um so saurer wird, durch den Zutritt der Luft zu den Gerbbrühen und die sich dadurch
bildende Gallus- und Essigsäure, die Gerbung; um so fester, dichter,
schwerwiegender, schönfarbiger und beliebter wird aber auch das Fabricat; und die
Behauptung der Chemiker, daß saure Gerbung größeres Loh-Consum beansprucht
und darum von den Fabrikanten eine schnellere süße Gerbung angestrebt werden müsse,
hat deßhalb wenig Anklang bei der Praxis in Deutschland gefunden. Die englischen und
nordamerikanischen Lederfabricate, welche fast allgemein in sehr erheblich kürzerer
Zeit gegerbt werden, ertragen, soweit sie hier bekannt worden sind, bis jetzt noch
keinen Vergleich mit unseren besten deutschen Fabricaten, und von solchen kann hier
überhaupt nur die Rede seyn, da schlechte Fabricate aller Orten, bei jedem Verfahren
geliefert werden können und geliefert werden. Weder die englischen noch die
nordamerikanischen besten Fabricate bieten den gleichen Schutz gegen Feuchtigkeit,
haben also nicht eine gleiche Dichtigkeit und Festigkeit, wie unser gutes
rheinisches Sohlleder, und werden diese auch nach meinem Dafürhalten kaum je
erhalten können, weil dieser Unterschied als eine nothwendige und unausbleibliche
Folge der Verschiedenheit der Gerbverfahrungsweisen erscheint. Die unsern
rheinischen Fabricaten von Natur eigene Dichtigkeit und Festigkeit wird dem durch
kräftige Extracte gegerbten englischen und amerikanischen Fabricate erst durch
künstliche Manipulationen, durch Walzen oder Hämmern, aber nur scheinbar gegeben;
sie zeigen nicht einen gleichen innig gemengten, glänzenden und festen Schnitt und
erweichen sehr bald im Wasser. Dem Engländer, der, um sich vor Feuchtigkeit und
Erkältung zu schützen, doppelte, fingerstarke Sohlen auflegen lassen muß, gewähren
diese keinen größeren Schutz, als unsere einfache, dünnere deutsche Sohle. Der
Widerstand der deutschen Gerber gegen die von den Chemikern vorgeschlagene süße
Gerbung durch Extracte ist daher, durch die in der Praxis gemachten Erfahrungen und
die sich oft widersprechenden, noch nicht zur Genüge erwiesenen und klaren Angaben
der Theoretiker, kein ganz unbegründeter; dennoch aber läßt sich nicht abläugnen,
daß die deutschen Gerber mit allzu großem Vorurtheil ihren alten Grundsätzen
ankleben, und den riesigen Fortschritten, welche die Lederfabrication, namentlich in
Nordamerika in den letzten Decennien genommen hat, viel zu geringe Aufmerksamkeit
geschenkt, ja, ich möchte behaupten, systematischen Widerstand entgegen gesetzt
haben. Die Amerikaner haben durch Vervollkommnung des technischen Betriebes, durch
Erfindung einer Menge von Maschinen, welche die Arbeitszeit verkürzen, Menschenkraft
entbehrlich machen und die Fabricationskosten verringern, sowie durch die Annahme
des von den Chemikern aufgestellten Grundsatzes der süßen Gerbung durch kräftige Extracte, einen so
großen Aufschwung genommen und sind zu so befriedigenden Resultaten, sowohl in Bezug
auf Güte des Fabrikats, wie in billigerer Herstellung gelangt, daß bei den
großartigen Vorräthen billiger Gerbmaterialien, welche Amerika besitzt, die von
dortigen Fabrikanten ausgesprochene Erwartung, bald den Continent, der den
amerikanischen Staaten früher das Leder lieferte, mit Lederfabrikaten versorgen zu
wollen, um so weniger als eine Unmöglichkeit erscheinen kann, da Amerika jetzt schon
entschieden billiger fabricirt als wir, und in unserm deutschen Vaterlande das
Bestreben nach Billigkeit selbst auf Kosten der Qualität zum großen Schaden unserer
Industrie leider eine immer größere Ausdehnung und größeren Anklang in unserer
Fabrication gewinnt. Ein seit mehreren Jahren für Boston, New-York und
Philadelphia wöchentlich erscheinendes Riesenblatt, der Shoe
and Leather Reporter, liefert höchst interessante Nachweise über den
dortigen Häute-, Leder- und Schuhhandel und über die mächtigen
Fortschritte der dortigen Leder-Industrie. Die Vereinigten Staaten, deren
Häute-Import für die dortigen Lederfabriken im Jahre 1837 613,500 Stück
ausländische Häute, im Werthe von 2 Millionen Dollars, betrug, importirten im Jahre
1858, trotz der Krisis des Jahres 1857, 2,757,000 Stück Wildhäute, im Werthe von 10
Millionen Dollars, trotz der sehr gehobenen einheimischen Production von Häuten und
Fellen, die auf 3 Millionen Stück und 6–7 Millionen Schaf- und
Ziegenfelle veranschlagt wird. New-York allein, das heute der größte Markt
der Welt für Wildhäute ist, und preisbestimmend auf sämmtliche Häutemärkte des
Continents einwirkt, importirte im Durchschnitt der letzten 5 Jahre jährlich
1,630,000 Stück Wildhäute, und 600,000 Stück jährlich mehr als Liverpool und London
zusammen genommen. Die Total-Häute-Einfuhr der Vereinigten Staaten
betrug nach dem letzten Census 7,729,000 Dollars pro
Jahr, und bildeten den bedeutendsten Import-Artikel der
Roh-Materialien. Die Sohlleder-Inspection in New-York war im
Jahr 1827 265,000 Seiten, im Jahr 1857 war sie auf 3,248,000 Seiten und 1858 auf
3,500,000 Seiten gestiegen. Der Werth des in den Vereinigten Staaten producirten
lohgaren Leders war nach dem Census von 1850 33 Millionen Dollars, und beträgt jetzt
50 Millionen Dollars. Die Stadt Lynn mit 15,000 Einwohnern liefert allein jährlich
für 6 Millionen Dollars vorzugsweise Frauenschuhe, und der Staat Massachusets für 50
Millionen Dollars Schuhe und Stiefeln. Die Lederfabrication selbst bildet in Amerika
einen der blühendsten Industriezweige. Der Amerikaner strebt wegen des hohen
Zinsfußes des Capitals und wegen der theuren Arbeitskräfte nach schnellen Erfolgen,
und die Absicht der dortigen Lederfabrikanten ist deßhalb auf möglichste Beschleunigung des
Gerbprocesses und auf Ersatz der menschlichen Arbeitskraft durch Maschinenkraft
gerichtet. Die sehr zahlreichen, dort patentirten Erfindungen bezwecken eine
möglichst vollständige und schnelle Ausnutzung der Lohe, und Verbesserungen und
Erfindungen von Maschinen, um theure menschliche Arbeitskraft zu ersparen, während
man bei uns mehr die wissenschaftliche Seite, die Ergründung der Geheimnisse des
Gerbprocesses sich als Aufgabe gestellt hat. Für den technischen Fortschritt haben
die Amerikaner mit bewundernswerthem Scharfsinn und Erfolg gearbeitet, der den
Gerbern des Continents als ein nachahmenswerthes Beispiel dienen kann. Man hat viel
leistende und treffliche Lohmühlen und Pumpen construirt, Hautmühlen oder Walken und
brauchbare Schwitzen erbaut. Die große Mehrzahl der Gerbereien besitzt, nachdem man
durch unermüdlichen Eifer dahin gelangt ist, das verbrauchte Loh durch zweckmäßige
Feuerungs-Anlagen naß als Heizmaterial, ohne Beimischung kräftigerer
Feuerungsmaterialien zu benutzen, eigene Dampfmaschinen, und es werden jetzt dort
Dampfmaschinen von 30 Pferdekräften ausschließlich mit verbrauchter nasser Lohe
gefeuert. Von großem Interesse ist es namentlich, die Fortschritte zu verfolgen,
welche man in der Extraction der Lohbrühen gemacht hat. Anfangs wurden die Extracte
durch Aufgüsse von kochendem Wasser, das durch gewöhnliche Kesselfeuerung erwärmt
wurde, gewonnen und in eben derselben Weise die Lohbrühen erwärmt. Um Brennmaterial
zu ersparen, wurden später schmale kupferne Pfannen von 40 Fuß Länge, unter die man
den Feuerungs-Canal hinleitete, zur Erwärmung der Lohbrühen benutzt. Nach
Einführung der Dampfmaschinen in den Gerbereien wurde der Dampf direct in die
Extractionsgefäße oder in die zu erwärmende Lohbrühe geführt. Als man bemerkte, daß
der Dampfmaschine durch den Widerstand, welchen der aus dem Kessel in die
Extractionsgefäße geleitete Dampf fand, circa 3
Pferdekräfte verloren gingen, hat man den Dampf durch 80 Fuß lange eiserne Röhren,
in welchen mit Lohbrühe gefüllte kupferne Röhren aufgehängt wurden, geleitet, und in
dieser Weise die durchfließenden Brühen erwärmt und den zu heißem Wasser
condensirten Dampf noch weiter benutzt. In neuester Zeit bedient man sich zur
Extrahirung 10–12 unter einander verbundener mit Lohe gefüllter Gefäße, von
denen immer eins jeden Tag frisch gefüllt wird, die mit einem darüber befindlichen
Fasse ebenfalls in Verbindung stehen, und leitet durch hydrostatischen Druck die
allmählich sich von Faß zu Faß verstärkende Brühe auf das zuletzt neu gefüllte
Gefäß, und erhält in dieser Weise, nachdem das Wasser auf das letzte und am
wenigsten Gerbstoff enthaltende kochend aufgeleitet ist, alle 24 Stunden, ein für
den Betrieb hinreichend genug abgekühltes, sehr kräftiges, immer ziemlich gleich starkes
und vollständig klares Gerb-Extract, dadurch, daß die Gerbbrühen von Faß zu
Faß, immer von Unten nach Oben übergeleitet werden und sie dadurch alle mechanischen
Beimischungen von Staub und Farbestoffen auf dem Boden der Gefäße ablagern. Auf dem
Continent und namentlich in Deutschland sind die billigeren Arbeitslöhne und der
niedrige Zinsfuß, vor Allem aber das der deutschen Lohgerberei zu Grunde liegende
Princip: „saure Gerbung, Ruhe und ein mäßiger Wärmegrad,“ die
Gründe, daß den technischen Verbesserungen und dem Maschinenbetrieb nicht die
gleiche Aufmerksamkeit zugewendet worden ist, wie in den amerikanischen Gerbereien,
die süße Gerbung, Bewegung und einen erhöhten Wärmegrad zur Basis ihres
Geschäftsbetriebes genommen haben. Aus diesen Gründen, und weil wir trotz
mannichfacher Versuche doch noch nicht dahin gelangt sind, unsere Dampfmaschinen
durch Feuerung mit ausschließlich nasser Lohe in Betrieb zu setzen, hat bei uns auch
die Anwendung der Dampfkraft in den Gerbereien bisher nur einen sehr beschränkten
Eingang gefunden. Dagegen sind mannichfache Anstrengungen gemacht worden, um den
Gerbproceß zu verkürzen, leider aber mit eben nicht großem Erfolge.
Es soll hier nicht die Aufgabe seyn, die zahlreichen, resultatlosen
Schnellgerbversuche und speculativen Betrügereien, die mit pomphaft angepriesenen
Erfindungen in den Gerbereien betrieben worden sind, zu beleuchten; es sollen nur
die den meisten Erfolg versprechenden größeren Bestrebungen hervorgehoben und einige
im Princip wichtige, noch nicht in ausgedehnterem Maaßstabe zur Ausführung gekommene
Versuche angeführt und beleuchtet werden. Ich erwähne zuerst der, auf ein neues, aus
Frankreich herüber gekommenes Gerbsystem vor einigen Jahren gegründeten
Lederlackirfabrik von A. Gammersbach u. Comp. in Köln.
Nach diesem in Frankreich und Belgien patentirten Schnellgerbverfahren, über das
sich auch ein sehr tüchtiger deutscher Sachkenner in der vortheilhaftesten Weise
ausgesprochen hat, werden in Soignies wöchentlich 200 Stück Vacheleder gegerbt,
ebenso in St. Amand les Eaux wöchentlich 400 Stück; die Gerbung soll mit reiner
Eichenlohe auf ganz natürliche Weise und mit vollständiger Ausnutzung der Lohe an
Gerbestoffen geschehen, und schöne Sohlhäute liefern; es sollen einige Pfund
Mehrgewicht erzielt werden und das ganze Verfahren so beispiellos einfach seyn, daß
die erforderlichen Einrichtungen leicht und billig herzustellen sind; Wasserarbeiten
und Vorarbeiten sind dieselben, wie beim gewöhnlichen Betriebe; zum Aeschern der
Häute werden 2 Tage erfordert, und die zum Betriebe erforderliche bewegende Kraft
soll so gering seyn, daß ohne Dampfmaschine (es wird Alles kalt behandelt) nur ein
Arbeiter dazu erforderlich ist. Ueber die Resultate, welche die Firma A. Gammersbach u. Comp. bei diesem Verfahren erzielt hat,
sind bestimmte Angaben bisher noch nicht bekannt geworden; einige kleine Probestücke
von Vacheleder, welche ich von jenen Fabrikaten gesehen habe, die aber zu klein
waren, um ein vollgültiges Urtheil zu gestatten, hatten eine ganz vortreffliche
Gerbung, schienen aber der natürlichen Festigkeit unserer nach dem alten
Gerbverfahren behandelten rheinischen Fabrikate zu entbehren, um den gleichen Schutz
und die gleiche Haltbarkeit wie jene zu versprechen. In neuester Zeit wird nach
denselben oder ähnlichen Prinzipien zu Mühlheim am Rhein eine Gerberei eingerichtet,
welche ihrer Anlage nach die großartigste auf dem Continent zu werden verspricht Zum
Betriebe dieser Gerberei ist eine Fläche von 5 Morgen abgedacht worden; weitere
Resultate liegen jetzt noch nicht vor, da die Fabrik noch im Bau ist und das
Verfahren als Geheimniß betrachtet wird. Die Fabrik ist von einer Actiengesellschaft
in Köln gegründet, an deren Spitze Hr. Herrmann Engels,
ein im Häutegeschäft sehr bewanderter und mit den nordamerikanischen
Fabricationsverhältnissen vertrauter, höchst intelligenter Mann steht. Mit der
Lederfabrik soll gleichzeitig eine Lackir- und Schuhfabrik verbunden und ein
großartiges überseeisches Exportgeschäft darin beabsichtigt werden.
Eine neuere Schnellgerbmethode, die schon ein bestimmteres Urtheil durch vorliegende
Fabrikate gestattet, ist von Charles Knoderer zu
Straßburg. Die Knoderer'sche Methode ist nicht neu in der
Idee, wohl aber in der Durchführung; sie beruht auf Ausführung des Gerbprocesses im
luftleeren oder vielmehr luftverdünnten Raume. Charles Knoderer hatte bereits, im Jahre 1857 ein Patent auf sein Verfahren in
Bayern erlangt, das nach Ablauf veröffentlicht wurde und im polytechnischen Journal
Bd. CLI S. 457 näher beschrieben ist.
Die damalige Absicht Knoderers, hölzerne Gefäße luftleer
machen, und bei unausgesetztem Gebrauch in luftdichtem Verschluß erhalten zu wollen,
war schon durch die Porosität des Holzes und ebenso durch die nothwendigen,
kostspieligen und complicirten Einrichtungen eine zweifelhafte, und ist deßhalb
mannichfachen Anfechtungen ausgesetzt gewesen. Diesen Uebelständen soll in neuerer
Zeit durch Ersetzung der hölzernen Gruben und Fässer durch eiserne, sowie durch
Vereinfachung der Einrichtungen abgeholfen worden seyn, und das Verfahren selbst
viel wesentliche Verbesserungen erfahren haben, so daß der früher schon versuchte,
in der Durchführung aber gescheiterte Plan im luftverdünnten Raume zu gerben jetzt
von Hrn. Knoderer durchgeführt erscheint. Als das
Resultat seines Verfahrens bezeichnet Hr. Knoderer
Ersparung von 75 Procent der Zeitdauer des Gerbprocesses gegen das bisherige deutsche Gerbverfahren,
und außerdem 50 Procent Ersparniß an Lohe bei größerem Uebergewicht. Die Erfindung
des Hrn. Knoderer wird von einer Gesellschaft unter der
Firma: Société de la nouvelle Tannerie
française in einer unter Leitung des Hrn. Charles Knoderer stehenden Lederfabrik in Straßburg ausgebeutet,
die in den letzten Jahren bereits einen Umsatz von 800,000 Francs gemacht hat, in
diesem Jahre es auf eine Million Francs zu bringen hofft, und deren Fabrikate durch
mehrfache Prämiirung auf Ausstellungen ausgezeichnet sind und zu den höchst
bezahlten französischen Fabrikaten gehören sollen. Die mir zugegangenen Proben Knoderer'schen Fabrikats von Sohlleder, Vacheleder,
Zeugleder, Fahlleder und Roßleder zeigten durchweg eine vollkommen satte und schöne
Gerbung, gestatteten aber ebenso durch die Kleinheit der Stücke, wie durch ihre
Appretur keine genügende Beurtheilung. Hr. Knoderer, an
den ich mich gewandt, ist meinem Wunsche, unappretirte Stücke, die eine genauere
Beurtheilung der Gerbung wie der natürlichen Festigkeit seiner Fabrikate zuließen,
einzusenden, in freundlichster Weise nachgekommen. Das übereinstimmende Gutachten
Sachverständiger geht dahin, daß das Sohlleder, wenn auch nicht dem vorzüglichsten
rheinischen an Eleganz und natürlicher Festigkeit und Dichtigkeit vollständig
gleichkomme, doch in Festigkeit und Schönheit den meisten in den Handel kommenden
und beliebten rheinischen Fabrikaten gleichzustellen sey, viele derselben sogar
überträfe; die Vacheleder, von sehr schöner Gerbung, wiewohl etwas groben Narben,
müssen durch ihre ausgezeichnete Appretur als ganz vorzüglich bezeichnet werden;
ebenso seine Zeugleder. Die Frage, ob, wie beim gewöhnlichen Gerbverfahren, die
Gerbbrühen nicht genügen die in den Häuten enthaltene atmosphärische Luft zu
verdrängen, und ob durch vorheriges Entziehen der Luft aus den Häuten ein so
überraschend schneller Erfolg, wie ihn Hr. Knoderer
hinstellt, erzielt werden kann, ist eine für die Praxis höchst wichtige Frage an die
Wissenschaft, die durch mich nicht erledigt werden kann. Von größter Wichtigkeit
würde die bei dem Knoderer'schen Verfahren sich
herausstellende Ersparniß an Gerbmaterial seyn. Während mit der sich mehrenden
Bevölkerung und dem steigenden Luxus sich der Lederbedarf progressiv vergrößert,
verschwinden in demselben Maaße die Waldungen, diejenigen Quellen, aus denen wir
unsere Gerbmaterialien schöpfen, und die Preise der Rinden haben nicht nur in allen
Theilen Deutschlands, sondern auch in England, Frankreich und anderen europäischen
Staaten eine enorme, bisher noch nie dagewesene Höhe erreicht und dadurch ein
unentbehrliches Bedürfniß, als welches das Leder wohl bezeichnet werden kann, und
dessen billigste Herstellung immer wünschenswerth seyn wird, nicht nur sehr vertheuert,
sondern es hat sich an vielen Orten bereits effectiver Mangel an Rinden
herausgestellt, so daß man auch in Deutschland zur Verwendung anderer
Gerbmaterialien, die ein Leder von viel geringerer Beschaffenheit liefern, hat seine
Zuflucht nehmen müssen.
Die Knoderer'sche Gerbmethode ist daher nicht nur für die
Wissenschaft und die Fabrication selbst, sondern von großem allgemeinem Interesse
und eine möglichst vielseitige Prüfung und Besprechung derselben wünschenswerth.
Einer besonderen Erwähnung verdient unter den neueren Gerbmethoden die von Albert Zahn in Halle. Während man in England und Amerika, und
überhaupt bei allen bisherigen Schnellgerbmethoden bemüht gewesen ist den
Gerbmaterialien schnell und in möglichster Vollständigkeit den Gerbstoff zu
entziehen, um ihn als Extract den Häuten schneller und leichter zuzuführen, wenden
sich die neueren Schnellgerbmethoden nach einer andern Richtung, und bezwecken die
Aufnahme des Gerbstoffs durch die Haut zu erleichtern – ein Ziel, das viel
schwerer und langsamer zu erreichen ist, als die Extraction der Gerbmaterialien
selbst, denn, wie bekannt, werden bei dem bisherigen alten Gerbverfahren zur
Aufnahme des Gerbstoffs bei schweren Häuten oft Jahre erfordert, um eine
vollständige satte und schöne Gerbung zu erzielen. Knoderer glaubt beide Seiten, die schnelle Entziehung des Gerbstoffes bei
den Materialien und seine leichte Aufnahme durch die Haut, im luftverdünnten Raume
zu erreichen; Zahn in Halle präparirt dagegen, nach
Beendigung der Wasserarbeiten, die vollständig gereinigten Häute und Felle für die
schnelle und leichte Aufnahme des Gerbstoffes durch ein ganz unschädliches Mittel,
das Dr. Knapp in seiner
Abhandlung: „Natur und Wesen der Gerberei und des Leders“ schon
als ein Gerbmittel bezeichnet, und würden somit nach seiner Theorie die schon
gegerbten Häute oder Felle nur eine Nachgerbung durch Lohe erhalten, die sie für die
Praxis erst brauchbar machten. Das Zahn'sche
Präparationsmittel erfordert keine großen Kosten, pro
Fell höchstens 1 Sgr., und ist bei ausgedehnter Anwendung im großen
Geschäftsbetriebe, wozu dem Fabrikanten leider die nöthigen Mittel fehlen, um sein
Verfahren selbst ausbeuten zu können, noch billiger. Dagegen will Zahn eine ganz bedeutende Lohersparniß erreichen, und
schwarz zugerichtete 2 Pfd. schwere Kalbfelle, die sonst 7 bis 8 Pfd. bester
Eichenlohe und mindestens 6 Wochen Zeit zum Gerben erfordern würden, mit 2 1/2 Pfund
bester Lohe in 10 Tagen, und braune Schlichtkalbfelle im Gewicht von 2 2/3 Pfund,
die sonst mindestens 8 Pfund bester Lohe und 7 Wochen Zeit erfordern würden, in 18
Tagen mit 30 Pfd. bester Lohe gegerbt haben. Eine rohe Kuhhaut von 21 Pfund Rohgewicht,
die nach der Beendigung der Wasserarbeiten in eine schon gebrauchte, ziemlich
kraftlose Farbe eingetrieben wurde, erhielt durch 3 Pfund bester Eichenlohe in 25
Tagen ein Gar-Gewicht von 17 Pfund bei vollständiger und guter Gerbung,
während sie bei dem gewöhnlichen Verfahren mindestens 55 Pfund Lohe und 3 bis 4
Monate Zeit erfordert haben würde. Die Zahn'schen Felle
sind überaus milde, ohne bei vollkommener Gare der nothwendigen Dichtigkeit und
Festigkeit zu entbehren, die Fleischseite von den Schlichtfellen ist sehr schön
glatt und glänzend, und die Farbe der roh-lohgaren und schwach gefetteten
Felle sehr hell und schön; beim Einwalken und Zwicken der daraus geschnittenen
Vorschuhe und Schäfte haben die Fabrikate eine große Festigkeit und Zähigkeit
gezeigt, und die daraus gefertigten und schon lange Zeit getragenen Stiefel haben
bei großer Eleganz mindestens dieselbe Haltbarkeit gezeigt, wie sehr gute, nach dem
gewöhnlichen Verfahren gegerbte Fabrikate, so, daß dieselben als ganz vorzügliche
Fabrikate bezeichnet werden müssen. Die bisher von Zahn
angestellten Gerbungen haben sich nur auf Oberleder (Kalb- und Fahlleder)
beschränkt; ob und wieweit sein Verfahren auch auf Vacheleder, Brandsohlleder und
geschwitztes Sohlleder anwendbar seyn mag, ist noch nicht festgestellt. Das Zahn'sche Verfahren, wenn es sich bei weiteren Versuchen
im Großen in gleicher Weise bewähren sollte, erscheint um so beachtenswerther, als
alle kostspieligen Veränderungen fortfallen, und alle Einrichtungen, wie sie bisher
in den Gerbereien gewesen sind, unverändert verbleiben.
Zum Schluß sey noch eines Schnellverfahrens erwähnt von Karl Dittmann in Ludwigslust, das bisher auch nur auf Oberleder in kleinem
Maaßstabe, wegen der beschränkten Verhältnisse des Erfinders, hat Anwendung finden
können, und das, in eben der Weise wie das Zahn'sche
Verfahren, die Präparirung der Haut zur leichteren Aufnahme des Gerbstoffes
bezweckt. Dittmann wendet eine besondere
Enthaarungsmethode an, und beginnt hierbei mit der Präparirung der Haut, aber durch
ein anderes Mittel als Zahn. Die Vorarbeiten werden
billiger, als bei dem gewöhnlichen Verfahren, und im Gerbproceß mengt er den
Lohbrühen dasselbe Präparationsmittel bei, wie beim Enthaaren, wodurch ein
außerordentlich schnelles Extrahiren der Lohe und eine ebenso schnelle Aufnahme des
Gerbstoffes durch die Haut erzielt werden soll. Die Gerbung ist eine durchaus süße,
die Felle besitzen große Zugkraft und Zähigkeit, und bei großer Milde entsprechende
Festigkeit; über die Haltbarkeit der Fabrikate liegen die günstigsten Zeugnisse
vor.
Die hier besprochenen Schnellgerbmethoden unterscheiden sich von dem in Deutschland allgemein
gebräuchlichen Gerb-Verfahren ganz wesentlich dadurch, daß sie zu ihrem
Princip die süße Gerbung wählen, während das deutsche Verfahren saure Gerbung zum
Principe hat, und man allgemein glaubt, durch saure Gerbung das größeste
Uebergewicht und das dichteste Fabrikat zu erzielen. In Betreff des Uebergewichts
ist es bereits factisch erwiesen, daß der Engländer und Amerikaner durch die süße
Gerbung mit concentrirten Extracten ein größeres Uebergewicht erreicht, als der
Deutsche durch die saure Gerbung. Der verhältnißmäßig billigere Preis der englischen
und amerikanischen Fabrikate, und die bei den hier besprochenen Schnellgerbmethoden
in Aussicht gestellte Loh-Ersparniß bestätigen den von den deutschen
Praktikern angefochtenen Grundsatz der Chemiker, daß die saure Gerbung ein größeres
Loh-Consum beanspruche. Wenn die besprochenen Schnellgerbmethoden sich bei
weiterer Prüfung in ihren Angaben und Leistungen bestätigen und vollständig
bewähren, wenn die versprochene große Loh-Ersparniß in der That zu erreichen
ist, so ist damit das Princip der deutschen Gerberei in ihren Grundvesten
erschüttert, und die Theorie feiert mit ihrem Princip der süßen Gerbung einen neuen
und großen Sieg über das Princip der Praxis.