Titel: | Ueber die chemische Constitution des Roheisens und des Stahls; von E. Fremy. |
Fundstelle: | Band 158, Jahrgang 1860, Nr. LI., S. 209 |
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LI.
Ueber die chemische Constitution des Roheisens
und des Stahls; von E.
Fremy.
Aus den Comptes rendus, Octbr. 1860, Nr.
15.
Fremy, über die chemische Constitution des Roheisens und des
Stahls.
Die (vorstehende) interessante Mittheilung des Hrn. Caron veranlaßt mich der (französischen)
Akademie der Wissenschaften einige von den Resultaten mitzutheilen, welche ich bei
meinen seit langer Zeit fortgesetzten Untersuchungen über die Constitution des
Roheisens und des Stahls erhalten habe.
Zahlreiche Beobachtungen beweisen, daß der Stickstoff auf die Stahlbildung einen
Einfluß ausübt, und bestätigen die Ansicht welche Despretz in seiner Abhandlung über das Stickstoffeisen aufgestellt
hat.
Alle Chemiker kennen ja die so rasche Umwandlung des Schmiedeeisens in Stahl unter
dem Einfluß des Blutlaugensalzes, und die interessanten Versuche des
Stahlfabrikanten Saunderson,Polytechn. Journal Bd. CLV S.
156. wodurch derselbe bewies, daß sich der Stahl in den Cementirkästen nur unter
der doppelten Wirkung des Kohlenstoffs und des Stickstoffs bildet.
Ich vermuthete, daß die Wirkung des. Stickstoffs bei der Cementation nicht bloß darin
besteht, daß er dem Eisen den Kohlenstoff in gasförmigem Zustande darbietet, sondern
daß er sich auch, indem er mit dem Kohlenstoff vereinigt bleibt, mit dem Metall
verbinden kann.
Daß manche Sorten von Stabeisen, Roheisen und Stahl Stickstoff enthalten, hatte schon
Marchand unzweifelhaft nachgewiesen.Prof. C. Schafhäutl hat
zuerst im J. 1840 den Stickstoff im Roheisen und im Stahl nachgewiesen
(Journal für praktische Chemie Bd. XIX S. 408); später hat er diesen
Stickstoffgehalt für Roheisen, Stahl und Spiegeleisen zu 0,5 bis 1,2 Procent
angegeben (im Artikel Stahl in Prechtl's technologischer
Encyklopädie Bd. XV S. 364). Marchand fand bei
seinen im J. 1850 angestellten Versuchen den Stickstoffgehalt des Roheisens
und des Stahls niemals größer als 0,02 Proc., meistens erheblich niedriger
und äußerte hiernach seine Ansicht dahin, ein Stickstoffgehalt des Gußeisens
und des Stahls sey überhaupt nicht mit Sicherheit anzunehmen.In seiner neuesten Abhandlung über weißes und graues Roheisen, Graphitbildung
etc., welche im Journal für praktische Chemie Bd. LXXVI S. 257 (im Auszug im
polytechn. Journal Bd. CLIII S. 349)
erschien, bemerkt Schafhäutl. daß er mit
Zuverlässigkeit dafür stehen könne, daß der Stickstoff in den englischen
weißen Roheisensorten, bei welchen er ihn als vorhanden angab, auch gewiß
vorhanden war, dagegen hat er in mehreren deutschen weißen Roheisensorten
ebenfalls nur höchstens Spuren davon angetroffen.A. d. Red. Es blieb aber noch zu ermitteln, in welchem Zustande der Stickstoff sich im
Stahl oder im Roheisen befinden kann, und diese Frage beabsichtigte ich zu
lösen.
Wenn man nach der Methode von Berzelius den Stahl oder das
Roheisen mit Kupferchlorid behandelt, so bekommt man einen Rückstand, welcher
Graphit und eine braune Substanz enthält.
Letztere Substanz ist nicht Kohle, wie man allgemein glaubt; sie ist zum Theil in
Aetzkali löslich. Wenn man sie erhitzt, so entwickelt sie eine beträchtliche Menge
Ammoniak und zeigt Analogie mit gewissen Derivaten des Cyans.
Die Versuche, welche ich in einer besondern Abhandlung veröffentlichen werde,
beweisen daß das Roheisen und der Stahl, welche als Verbindungen von Kohlenstoff mit
Eisen betrachtet werden, vielmehr Verbindungen von Eisen mit einem zusammengesetzten
Radical sind, welches dem Cyan ähnlich ist und wie dieses direct durch die
Verbindung des Kohlenstoffs mit dem atmosphärischen Stickstoff erzeugt wird. Die
vorher erwähnte braune Substanz und das stinkende Oel, welche sich bei der
Einwirkung der Säuren auf das Roheisen und den Stahl bilden, sind die
Zersetzungsproducte dieses zusammengesetzten Radicals.
Die Metalloide, wie der Schwefel, der Phosphor, der Arsenik, welche die Eigenschaften
des Stahls und des Roheisens so bedeutend abändern, wirken, nach mir, hauptsächlich
auf die erwähnte stickstoffhaltige Verbindung und können dieselbe sogar durch
Substitution modificiren. Ich will in dieser Hinsicht einen Versuch mittheilen,
welcher mir aus dem theoretischen Gesichtspunkte interessant zu seyn scheint und für
mehrere in der Praxis beobachtete Thatsachen die Erklärung gibt.
Ich ließ in einem Tiegel mit kieselerdehaltigem Futter ein mit Holzkohlen
ausgebrachtes, sehr graphithaltiges. Roheisen schmelzen. Der so erhaltene König war
mit Graphit überzogen; das Roheisen hatte während der Operation 3 Procent Silicium
aufgenommen und war grau und hämmerbar geblieben: es glich folglich dem unter
günstigen Umständen mit Kohks erblasenen grauen Roheisen. Das Silicium hatte sich in
diesem Falle dem Kohlenstoff substituirt, welcher, indem er als Graphit in der
Metallmasse krystallisirte, das den Metallurgen wohl bekannte siliciumhaltige graue
Roheisen bildete.
Dasselbe graue Roheisen schmolz ich hernach in verschiedenem Tiegelfutter, welches an
das Metall Schwefel, Phosphor oder Arsenik abgeben konnte. Bei diesen Versuchen
wurde das Roheisen weiß und die Metalloide substituirten sich dem Kohlenstoff,
welcher, da er sich aus dem Metallbade vollständig ausschied, an dessen Oberfläche
krystallisirte und große Blätter von Graphit bildete.
Dieses Roheisen, mit Säuren behandelt, lieferte stinkende Oele welche die von mir zum
Weißmachen angewandten Metalloide enthielten.
Der Schwefel scheidet also aus dem Roheisen zum Theil den Kohlenstoff aus und bildet
ein schwefelhaltiges Radical, das ein weißes Roheisen erzeugt, welches nicht mehr
die Eigenschaft hat sich den Graphit einzuverleiben wie das gewöhnliche graue
Roheisen.
Um zu bestimmen, in welchem Verhältniß das Roheisen, das Feineisen und der Stahl zu
einander stehen, muß man die Veränderungen ermitteln, welche die in denselben
enthaltene organische Substanz durch die Metalloide erfahren kann. In dieser
Hinsicht sind die bisherigen Analysen des Roheisens und Stahls, wobei man den
Kohlenstoffgehalt im Ganzen bestimmte, ungenügend, denn was man allgemein
Kohlenstoff nannte, ist ein Gemenge von Graphit und stickstoffhaltiger organischer
Substanz; man berücksichtigt so den Graphit, welcher, da er in der Metallmasse bloß
zwischengelagert ist, darin gar keine Rolle spielt, und man vernachlässigt die
Bestimmung der stickstoffhaltigen Substanz, welche der eigentlich wirksame Körper
ist.
Nach dem Ergebniß meiner Untersuchungen kann man jetzt unmöglich mehr annehmen, daß
das Roheisen, das Feineisen und der Stahl im Wesentlichen eine Verbindung von Eisen
mit Kohlenstoff sind und sich unter einander nur durch das Verhältniß dieses
Metalloids unterscheiden.
Die Substanz, welche im Roheisen, Feineisen und Stahl auf eine für die Technik so
nützliche Weise die Eigenschaften des Eisens modificirt, kann manchmal ein Metalloid
seyn, sie kann aber auch zusammengesetzt seyn; im letztern Falle nähert sie sich den
Derivaten des Cyans und wird wie diese durch Einwirkung der Metalloide umgewandelt; wenn diese Substanz
entweder Stickstoff, oder Schwefel, oder Phosphor und Arsenik enthält, so bildet
sie, indem sie sich mit dem Eisen verbindet, das weiße, graue und halbirte Roheisen,
das Feineisen und den Stahl.
Aus der Farbe und dem Ansehen eines Roheisens kann man daher nicht auf seine
Zusammensetzung schließen; es gibt mehrere Arten von weißem Roheisen, welche sich
unter einander nur durch das in ihnen enthaltene Metalloid unterscheiden; und ein
mit Kohks ausgebrachtes graues Roheisen, welches 2 bis 3 Procent Silicium
zurückhält, kann einem mit Holz ausgebrachten grauen Roheisen gleichen, welches kaum
siliciumhaltig ist. Die Beziehungen zwischen Roheisen und Stahl sind nicht so
einfach als man allgemein glaubt.
Da gegenwärtig die Industrie bemüht ist Stahl zu niedrigem Preise zu erzeugen und das
Roheisen durch verschiedene Methoden in Stahl umzuwandeln, so wollte ich die
vorstehenden Thatsachen mittheilen, um den Praktikern hauptsächlich dadurch einen
Anhaltspunkt bei ihren Versuchen zu geben, daß ich sie über die Natur des Problems
aufkläre, welches sie zu lösen haben.
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Despretz bringt gelegentlich der Mittheilung von Caron in Erinnerung, daß er den Stickstoff mit einigen
Metallen, und insbesondere mit dem Eisen verbunden hat. Wenn man über Stabeisen,
während es auf einem Windofen der Rothglühhitze ausgesetzt ist, acht bis zehn
Stunden lang reines und trockenes Ammoniakgas leitet, so nimmt es bis 11,5 Procent
an Gewicht zu. Im Jahrgang 1829 der Annales de Chimie et de
Physique (polytechn. Journal Bd. XXXVI S.
140) sind die Versuche beschrieben, mittelst deren er beweist, daß das so
entstandene Product eine Verbindung von Stickstoff und Eisen ist. Es heißt daselbst:
„Das Eisen wird weiß, spröde, sogar zerreiblich, leichter, und rostet
an der Luft und im Wasser weniger als das gewöhnliche Stabeisen. Es behält seine
leichte Löslichkeit in den Säuren und die Eigenschaft vom Magnet angezogen zu
werden. Die Dichtigkeit des Metalls wurde bei einigen Versuchen auf 5
herabgebracht.“
Despretz hat sogar den Stickstoff direct mit dem
Stabeisen verbunden; das Stickstoffeisen bildet sich nämlich auch, aber in schwachem
Verhältniß, wenn man über das zum Rothglühen erhitzte Eisen einen Strom Stickgas
leitet.
Im II. Bande seines Traité élémentaire de
Chimie, p. 571 bemerkt Despretz: „Die
Erfahrung hat bewiesen, daß die Anwendung der thierischen Substanzen oder des Salmiaks die
Verbindung des Kohlenstoffs mit dem Eisen erleichtert. Das Eisen verbindet sich
Anfangs mit dem Stickstoff der thierischen Substanz oder mit dem Chlor des
Salzes, wovon es hernach durch den Wasserstoff befreit wird; das Metall wird
dadurch poröser und folglich geeigneter mit dem Kohlenstoff eine Verbindung
einzugehen.“