Titel: | Ueber die Verwandlung der Stärke in Traubenzucker und Dextrin; von F. Musculus. |
Fundstelle: | Band 158, Jahrgang 1860, Nr. CXVI., S. 425 |
Download: | XML |
CXVI.
Ueber die Verwandlung der Stärke in Traubenzucker
und Dextrin; von F.
Musculus.
Aus den Annales de Chimie et de Physique, October 1860, S.
203.
Musculus, über die Verwandlung der Stärke in Traubenzucker und
Dextrin.
Nach der in der Wissenschaft angenommenen Ansicht geht die Stärke, bevor sie sich
durch Einwirkung der verdünnten Säuren in Traubenzucker verwandelt, zuerst in
Dextrin über, welches nur eine moleculare Modification der Stärke ist, und wird
hernach Traubenzucker, indem sie 4 Aequivalente Wasser aufnimmt. Durch die
Untersuchungen, welche ich über diesen Gegenstand anstellte, habe ich aber die
Ueberzeugung gewonnen, daß der Vorgang ein anderer ist, nämlich daß die Bildung von Dextrin und
Traubenzucker eher das Resultat einer Zersetzung der Stärke als einer bloßen
Wasseraufnahme ist.Um den Traubenzucker zu bestimmen, habe ich mich der titrirten Lösung von
weinsaurem Kupferoxydkali bedient; mittelst dieser Probeflüssigkeit konnte
ich die Reactionen mit Genauigkeit verfolgen. Meine Ansicht stützt sich auf folgende Thatsachen:
1) Das Diastas hat keine Wirkung auf Dextrin.
Digerirt man Stärke mit Diastaslösung bei einer Temperatur zwischen 70° und
75° C., so wächst die Menge des gebildeten Traubenzuckers, bis die
Flüssigkeit durch Jodtinctur nicht mehr blau oder roth gefärbt wird; von diesem
Zeitpunkt an hört die Reaction auf, obgleich noch viel Dextrin vorhanden ist, was
leicht nachzuweisen ist, indem man die Flüssigkeit mit 1 Proc. Schwefelsäure
versetzt und dann kochen läßt.
Setzt man nun eine gleiche Menge Stärke zu, so tritt eine neue Umwandlung ein, bis
Jod das Verschwinden aller Stärke anzeigt, und man findet, daß die Menge des
gebildeten Zuckers nun das Doppelte beträgt.
2) Der Traubenzucker und das Dextrin erscheinen zu gleicher Zeit und stehen immer in
demselben Verhältniß.
Wenn man die Reaction vor ihrer Beendigung unterbricht, und die nicht veränderte
Stärke durch Filtriren absondert, so enthält die filtrirte Flüssigkeit, welche durch
Jod nicht mehr blau wird, ein Gemenge von Dextrin und Traubenzucker aufgelöst.
Um die Menge von jedem dieser Körper zu erfahren, bestimme ich zuerst den
Traubenzucker mit dem weinsauren Kupferoxydkali; hernach versetze ich die
Flüssigkeit mit 1 Proc. Schwefelsäure und bringe sie in ein starkes Arzneiglas,
welches ich sorgfältig verschlossen mehrere Stunden lang in einer gesättigten und
siedenden Kochsalzlösung auf einer Temperatur von 108° C. erhalte (ein bloßes
Kochen bei dem gewöhnlichen Druck reicht nicht hin, wie man später sehen wird). Ich
betrachte die Reaction als beendigt, wenn die Zuckermenge nicht mehr zunimmt.
Ich habe so immer gefunden, daß nach dieser Operation die Zuckermenge dreimal so groß
ist als vorher. Das Gemisch besteht folglich aus 1 Aequiv. Traubenzucker und 2
Aequiv. Dextrin; dieses Verhältniß bleibt sich gleich, die Einwirkung des Diastas
mag kaum begonnen haben oder gänzlich beendigt seyn.
3) Die verdünnte Schwefelsäure wirkt anfangs wie das Diastas; ihr Verhalten
unterscheidet sich jedoch dadurch, daß ihre Wirkung nach dem Verschwinden der
Stärke, obgleich schwach, fortdauert.
Kocht man Stärke mit 1 Proc. Schwefelsäure, die man vorher verdünnt hat, so nimmt die
Zuckermenge rasch zu, bis die Flüssigkeit durch Jod nicht mehr blau wird. Alsdann
enthält die Lösung ein Gemisch von Dextrin und Traubenzucker im Verhältniß von 2 :
1, gerade so wie wenn man Diastas angewendet hätte.
Wenn man das Kochen fortsetzt, wird die Reaction außerordentlich schwach. Als ich
z.B. 2 Grm. gewöhnliche Stärke in 200 Kub.-Cent. gesäuertem Wasser
zertheilte, erhielt ich nach halbstündigem Kochen und in dem Zeitpunkt wo das Jod
keine Färbung mehr hervorbrachte, 0,60 Grm. Zucker, während hernach ein
vierstündiges ununterbrochenes Kochen erforderlich war, um eine Zuckerzunahme von 30
bis 35 Centigrm. zu erzielen, und daß noch unverändertes Dextrin vorhanden war,
davon überzeugte ich mich, indem ich die Flüssigkeit in geschlossenem Gefäß einer
Temperatur über 100° C. aussetzte.
Wenn der Traubenzucker, wie man bisher annahm, aus dem Dextrin durch Wasseraufnahme
desselben entstünde, so begreift man nicht, warum seine Bildung rascher erfolgt
während noch Stärke in der Flüssigkeit vorhanden ist, als nachdem bloß noch Dextrin
übrig ist; offenbar müßte das Gegentheil stattfinden.
4) Das gleichzeitige Erscheinen des Dextrins und des Zuckers zeigt sich bei Anwendung
von Schwefelsäure wie bei der von Diastas, und das Verhältniß beider ist
dasselbe.
Da in diesem Falle die Stärke durch das Kochen löslich gemacht worden ist, so kann
man sie nicht mehr abfiltriren, sondern muß sie durch Alkohol fällen. Sie hat dann
das Ansehen eines aus alkoholischer Lösung durch Wasser gefällten Harzes. Der
Traubenzucker und das Dextrin bleiben in der Lösung und können nun wie bei Nr. 2
bestimmt werden.
Aus meinen Beobachtungen ergeben sich folgende praktische Anwendungen:
1) Bei der Fabrication des Stärke- oder Traubenzuckers, wo man die Einwirkung
der Schwefelsäure als beendigt betrachtet, wenn die Flüssigkeit durch Jod nicht mehr
blau gefärbt wird und Alkohol keinen Niederschlag mehr in derselben hervorbringt,
bleibt eine große Menge Dextrin dem Zucker beigemischt, und da dasselbe mit der Hefe
nicht gährt, so veranlaßt es für den Consumenten einen großen pecuniären Nachtheil.
Die Fabrikanten müssen daher, um ein gutes Product zu erhalten, eine höhere
Temperatur mittelst Benutzung verschlossener Gefäße anwenden.
2) Der große Widerstand welchen das Dextrin der Wirkung der verdünnten Schwefelsäure
entgegensetzt, liefert ein Mittel, um ein Gemisch von Rohrzucker und Dextrin zu
titriren; es reicht hin, eine Minute lang zu kochen, um allen Zucker zu modificiren,
so daß er auf das weinsaure Kupferoxydkali reagirt; während dieser Zeit erleidet das
Dextrin gar keine Veränderung.
Wenn gleichzeitig Stärke vorhanden ist, so entledigt man sich derselben durch
Diastas, welches weder auf den Rohrzucker noch auf das Dextrin einwirkt.
3) Der große Aufwand von Gerste, welcher in den Brauereien nöthig ist, um ein nicht
viel Alkohol enthaltendes Getränk zu erzeugen, findet seine Erklärung in der
Wirkungsweise des Diastas; zwei Drittel der Stärke gehen als Dextrin in das Bier
über, welches übrigens diesem Getränk eine etwas gummige Consistenz ertheilt, die
sehr beliebt ist.
4) Bei der Fabrication des Kornbranntweins, wo der Zucker durch gekeimte Gerste
erzeugt wird, gehen zwei Drittel derselben unvermeidlich verloren.