Titel: | Neue Theorie der Cementation des Eisens; von H. Caron. |
Fundstelle: | Band 160, Jahrgang 1861, Nr. LXII., S. 207 |
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LXII.
Neue Theorie der Cementation des Eisens; von
H. Caron.
Aus den Comptes rendus, April 1861, t. LII p.
635.
Caron's Theorie der Cementation des Eisens.
Ich will zuerst die Thatsachen auseinandersetzen, auf welche ich meine Theorie
begründet habe.
Der englische Stahlfabrikant Saunderson schließt aus
seinen bekannten VersuchenPolytechn. Journal Bd. CLV S.
156., daß die Holzkohle, das Kohlenoxyd, Ammoniak und der
Zweifach-Kohlenwasserstoff, im reinen Zustande und einzeln für sich, zur
Stahlerzeugung nicht geeignet sind, zeigte aber daß das Stabeisen in Stahl
verwandelt wird, wenn man gleichzeitig Ammoniak und ölbildendes Gas auf dasselbe
einwirken läßt. Nachdem er nachgewiesen hat, daß die Cyanüre und die Ferrocyanüre,
bekannte Cementirmittel, nur durch ihren Cyangehalt wirken, bemerkt er:
„1) daß die Umwandlung des Stabeisens in Stahl nur bei
gemeinschaftlicher Einwirkung von Kohlenstoff und Stickstoff erfolgt; 2) daß
wenn in den bisher veröffentlichten Analysen des Stahls kein Stickstoffgehalt
aufgeführt ist, diese Analysen entweder schlecht angestellt oder unter dem
Einfluß einer vorgefaßten Idee ausgeführt wurden.“
„Letztere Behauptung, sagt Hr. Nicklès,
der Uebersetzer von Saunderson's AbhandlungJournal de Pharmacie et de Chimie, 1859, t. XXXVI p.
30., ist nicht richtig; wir haben eine Reihe Analysen von Stabeisen,
Roheisen und Stahl, welche die Gegenwart des Stickstoffs in diesen Metallen
nachweisen; nur enthalten nicht alle im Handel vorkommenden Sorten solchen, und
das Maximum, welches man darin finden konnte, beträgt 0,0002, nach den Analysen
von dem verstorbenen Professor Marchand in Halle,
welche um so unverdächtiger sind, weil derselbe von einem der Stahltheorie ganz
fremden Gesichtspunkt ausgieng. Nachdem nämlich nachgewiesen worden war, daß das
in den Hohöfen
vorkommende Titan kein einfacher Körper, sondern ein Gemenge von Cyantitan und
Stickstofftitan ist, vermuthete Marchand, daß
dasselbe bei dem Roheisen und dem Stahl der Fall seyn könne. Er hoffte daher
Stickstoff in diesen Carbureten zu finden, und man kann gewiß nicht sagen, daß
seine negativen Resultate unter dem Einfluß einer vorgefaßten Idee erhalten
wurden. Wenn somit der Stahl als stickstofffrei betrachtet werden kann, so folgt
aber daraus noch nicht, daß der gasförmige Stickstoff bei der Umwandlung des
Stabeisens in Stahl keine Rolle spielt.“
Im October v. I. zeigte ichPolytechn. Journal Bd. CLVIII S.
206., daß das Cyanammonium (blausaure Ammoniak) eines der kräftigsten
Cementirmittel ist; dieser Körper kann im gasförmigen Zustande bis in die Mitte der
Eisenstäbe eindringen und sie dadurch sehr schnell und vollkommen in Stahl
verwandeln. In der That erzeugt auch Saunderson (ohne es
zu wissen) in allen Fällen wo er mit den Kohlenwasserstoffgasen und Ammoniak
cementirt, Cyanammonium.Das Leuchtgas enthält nämlich bei der angewandten Temperatur (Rothglühhitze)
neben freiem Wasserstoff auch freie Kohle; nach Langlois verwandeln sich aber das Ammoniak und die Kohle bei der
Berührung in Cyanammonium. Dieselbe Bemerkung gilt für den Versuch von Fremy, welcher ebenfalls Ammoniak und Kohlenwasserstoff (Leuchtgas),
allerdings nach einander, aber unter solchen Umständen mit dem Stabeisen in
Berührung bringt, daß im Moment der Reaction die zur Bildung von Cyanammonium
erforderlichen Elemente vorhanden sind.Fremy leitet über das Stabeisen bei der
Rothglühhitze zuerst Ammoniak, wodurch Stickstoffeisen gebildet wird,
hernach Leuchtgas, dessen bei dieser Temperatur freier Wasserstoff in
Berührung mit dem Stickstoffeisen Ammoniak bildet und dieses erzeugt mit der
aus dem Leuchtgase frei gewordenen Kohle Cyanammonium.
Ich habe jetzt nachzuweisen, daß das Stabeisen beim Cementiren nach dem in der Praxis
gebräuchlichen Verfahren stets mit gasförmigem Cyanammonium oder mit flüchtigen
Cyanüren in Berührung gebracht wird. Dieß ist nicht schwer, weil Saunderson gezeigt hat, daß die reine Kohle nicht
cementirt, und weil nach meinen eigenen Versuchen die Stahlbildung in den
Cementirkästen der Gegenwart des Stickstoffs mit Beihülfe des Alkalis der Asche und
folglich der Bildung von Cyankalium zuzuschreiben ist.
Welche Rolle spielen nun diese Cyanüre? Wenn man dem Stabeisen freie oder fast freie
Kohle, zum Beispiel die aus den Kohlenwasserstoffen sich abscheidende, bei der hohen
Temperatur darbietet, welche bei derartigen Operationen gebräuchlich ist, so erzielt man zu
leicht die Sättigung des Eisens mit Kohlenstoff und erhält folglich nur Roheisen.
Bietet man aber dem Metall eine kohlenstoffhaltige Substanz dar, deren Elemente
durch eine kräftige Verwandtschaft mit einander verbunden sind, welche das Eisen nur
durch eine andauernde Berührung überwinden kann, so wird die an der Oberfläche der
Stäbe hervorgebrachte Stahlbildung die wünschenswerthe Grenze nicht überschritten
haben, bevor das Eisen bis zur Mitte cementirt ist.
Es gibt keine anderen Verbindungen des Kohlenstoffs, welche unzersetzbar und flüchtig
sind, als die Alkalicyanüre; folglich cementiren nur die Cyanüre bei den in der
Technik angewandten Temperaturen.
Es ist wohl zu beachten, daß eine zu lange dauernde Berührung, eine zu hohe
Temperatur das Resultat ändern. So kann das Cyanammonium, anstatt zu cementiren, das
Stabeisen in Roheisen umwandeln, wovon ich mich mehrmals überzeugt habe; mit
Cyankalium ist dieses Resultat nicht so leicht zu erzielen, weil dasselbe weniger
flüchtig und weniger zersetzbar ist, woraus sich schon ergibt, daß das für die
Technik geeignetste Cementirmittel das CyanbaryumDas Cyanbaryum wird leicht durch ein bloßes Gemenge von Holzkohlenpulver und
natürlichem kohlensauren Baryt (Witherit) erzeugt. Den Stickstoff liefert
theils die Kohle selbst, theils die Luft welche durch die Wände der
Cementirkästen eindringt. seyn muß, welches das am wenigsten flüchtige Cyanür ist; dasselbe wird auch
schon seit einigen Monaten (wie man aus der nachfolgenden Abhandlung ersieht) im
Großen zu diesem Zweck angewandt.
Alles dieses wird noch klarer werden, wenn ich zeige, daß andere Substanzen als die
Cyanüre, welche Kohle ohne Stickstoff enthalten, das Stabeisen in Stahl verwandeln
können, vorausgesetzt daß die Temperatur nicht die Grenze erreicht, wobei sie sich
zersetzen und daß man ihre Wirkung nicht zu lange andauern läßt. Wenn man sehr
reines Sumpfgas bei der Temperatur der vollen Rothglühhitze über Stabeisen leitet,
so bewirkt es eine Cementation, welche nicht so rasch erfolgt aber eben so gut ist
als diejenige der Cyanüre. Dasselbe ist der Fall mit dem LeuchtgasNachdem man es zur Reinigung durch eine Auflösung von Phosphorsäure und
hernach über Stückchen Kalihydrat geleitet hat., welches Sumpfgas in beträchtlichem Verhältniß enthält, und der Grund
weßhalb Fremy mittelst dieses Agens das Stabeisen nicht
in Stahl verwandeln konnte, ist, daß er bei einer zu hohen Temperatur operirte und
die reagirenden Substanzen zu lange mit einander in Berührung ließ; bekanntlich hat
Mac Intosh in England schon im Jahre 1834 Stahl mittelst Leuchtgas
fabricirt. Dessenungeachtet stimme ich mit Saunderson
bezüglich des ölbildenden Gases vollkommen überein; ich konnte durch Anwendung
dieses Gases nicht cementiren, obgleich ich bei einer möglichst niedrigen Temperatur
operirte, denn es zersetzt sich in der Wärme zu leicht; das Rohr, worin die
Operation geschah, fand ich mit Kohle gefüllt, und das Eisen, obgleich es
dunkelrothglühend in Wasser abgelöscht wurde, blieb weich und hämmerbar. Streng
genommen, kann das Cyan ebenfalls cementiren, aber weniger gut als das Sumpfgas.
Diese Versuche zeigen, daß zur Umwandlung des Stabeisens in Stahl das Cementirmittel
im Stande seyn muß, Kohle im Zustande einer chemischen Verbindung bis in die Poren
des Eisens einzuführen, wo sich dieses Metall dieselbe im Entbindungsmoment
aneignet; unter anderen Umständen erfolgt niemals eine Cementation.Ich bemerke in dieser Hinsicht, daß man nicht annehmen kann, es bilde sich
Stickstoffeisen in irgend einem Zeitpunkt der Cementation bei den
technischen Operationen. Das Stickstoffeisen von Despretz konnte bisher nur mittelst Ammoniak erzeugt werden, und
dieses ist in den Cementirkästen nicht vorhanden, würde darin auch bei der
stattfindenden Temperatur zersetzt werden. Der Stickstoff aber verbindet
sich bekanntlich mit dem Eisen nicht direct. Es läßt sich daher nicht annehmen, daß vor der Bildung des Stahls
ein Stickstoffeisen vorhanden ist; aber der Stickstoff der Luft gibt in
Berührung mit der Holzkohle und dem Kali ihrer Asche Cyankalium, weßhalb die
Gegenwart des Stickstoffs in der Atmosphäre der Cementirkästen absolut
nothwendig ist.
Nach dem Vorstehenden brauche ich auf das Vorkommen des Stickstoffs im Stahl nicht
näher einzugehen, denn meine Theorie ist davon ganz unabhängig. Nach meiner Ansicht
kann der Stickstoff nicht als ein wesentlicher Bestandtheil des Stahls betrachtet
werden, denn viele Personen und ich selbst haben Cementationen ohne die Gegenwart
von Stickstoff bewerkstelligt und andererseits konnte Marchand bei seinen gewissenhaften und genauen Analysen im Stahl entweder
gar keinen Stickstoff oder nur Spuren desselben findenDer Stickstoffgehalt des Stahls kann jetzt erst auf eine leichte und
zuverlässige Weise bestimmt werden, nachdem Fremy
die wichtige Thatsache entdeckt hat, daß das Wasserstoffgas, wenn man es
über das Stickstoffeisen bei der Rothglühhitze leitet, den Stickstoff
vollständig in Ammoniak umwandelt. Fremy fand den
Stahl von Krupp, Huntsman und Jackson stickstoffhaltig (S. 126 im
vorhergehenden Heft), und es sind die Resultate seiner weiteren
Untersuchungen in diesem Betreff abzuwarten.A. d. Red., daher ich zu demselben Schluß gelange, welchen er aus seinen Versuchen
zieht: „ist ein Stickstoffgehalt im Stahl enthalten, so gehört derselbe
offenbar eingeschlossenen fremden Stoffen an, welche eben so wenig wie
eingeschlossene Schlacken zu der wesentlichen Zusammensetzung des Eisens
gehören.“
Journal für praktische Chemie, 1850, Bd. XLIX S. 362; polytechn. Journal Bd. CXVII S. 286.