Titel: | Ueber die Anwendung des Leuchtgases zur Stahlerzeugung; vom Ober-Bergingenieur Gruner zu St. Etienne. |
Fundstelle: | Band 160, Jahrgang 1861, Nr. LXIV., S. 215 |
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LXIV.
Ueber die Anwendung des Leuchtgases zur
Stahlerzeugung; vom Ober-Bergingenieur Gruner zu St. Etienne.
Aus den Comptes rendus, April 1861, t. LII p.
681.
Gruner, über die Anwendung des Leuchtgases zur
Stahlerzeugung.
In seiner dritten Abhandlung über die Zusammensetzung des Roheisens und des
StahlsS. 122 im vorhergehenden Heft. fragt Hr. Fremy die Metallurgen, ob die Resultate
seiner Versuche über Stahlerzeugung mittelst Leuchtgas nicht in der Praxis benutzt
werden könnten. Ich erlaube mit im Namen der Metallurgen zu erwiedern, daß sich die
Praxis hierüber längst entscheidend ausgesprochen hat.
Macintosh in Glasgow hat schon vor mehr als 25 Jahren
mehrere Tonnen Cementstahl fabricirt, indem er zum Dunkelrothglühen erhitztes
Stabeisen der Einwirkung des Leuchtgases unterzog. Er behandelte auf diese Weise in
einer Operation 100 bis 150 Pfund Eisenstäbe von 2 Zoll Breite auf 6 Linien Dicke.
Die Cementation dauerte 18 bis 20 Stunden, und wenn die Operation länger fortgesetzt
wurde, fand eine Ueberkohlung statt. Dufrénoy hat
diese Details in der dritten Reihe der Annales des mines,
t. V p. 171 mitgetheilt.Journal für praktische Chemie, Bd. II S. 333. Er satz selbst Proben von diesem Stahl, wovon ein Theil in Gußstahl
verwandelt und dann nach den gewöhnlichen Verfahrungsarten bearbeitet wurde. Die
dünnen überkohlten Stäbe hatten, sagt Dufrénoy,
fast das Ansehen des Graphits.
Man kann also durch die Einwirkung des Leuchtgases allein
(ohne Beimischung einer andern Substanz), nach Belieben Stahl oder Roheisen
erhalten, je nach der angewandten Zeit oder Temperatur. Um Stahl zu erhalten, ist es
keineswegs nothwendig, auf das Stabeisen vorher Ammoniak einwirken zu lassen, um es
mit Stickstoff zu verbinden.
Nun enthält allerdings das (im Großen gereinigte) Steinkohlengas immer Ammoniak und
ich will dessen Einfluß beim Cementiren keineswegs läugnen. Auch will ich über das
Vorhandenseyn oder die Abwesenheit des Stickstoffs in den Stahlsorten nicht
absprechen, soviel scheint mit aber klar zu seyn, daß wenn im Stahl Stickstoff
enthalten ist, solcher auch im Roheisen befindlich seyn muß. Schon vor 20 Jahren hat
Dr. Schafhäutl in München wirklich
Stickstoff in den (englischen weißen) Roheisensorten gefunden.
Bekanntlich führt man beim gewöhnlichen Cementiren mit Holzkohle das Schmiedeeisen
stufenweise in Stahl und letzteren hernach in
Roheisen über. In welchem Zeitpunkt der Operation und durch welche Reaction würde
nun der anfangs absorbirte Stickstoff neuerdings das Eisen verlassen? Woher könnte
im hämmerbaren Gußeisen, welches oft Stahl ist, der Stickstoff kommen, wenn nicht
das Roheisen selbst solchen enthielte? Und wie könnte sich beim Puddeln auf Stahl
der Stickstoff mit dem Eisen und dem Kohlenstoff verbinden, wenn das Roheisen ihn
nicht schon enthält? Ich habe vor einem Jahre in einer Abhandlung über den
Puddelstahl (Annales des mines, t. XV) gezeigt, daß das
Frischen des Roheisens im Flammofen stets unter einer Decke von
zweifach-basischen eisen- und manganhaltigen Schlacken geschieht, wenn
man Puddelstahl erhalten will. Nun frage ich, wie könnte sich der Stickstoff der
heißen Atmosphäre des Ofens durch diese Schlackendecke hindurch mit dem Eisen und
dem Kohlenstoff verbinden? Wenn der Puddelstahl Stickstoff enthält, so kann er
sicher nur vom Roheisen herrühren, und es scheint mit eben so interessant, ihn darin
nachzuweisen, als in dem Stahl selbst.
Ich erlaube mit noch einige Zweifel zu äußern hinsichtlich der Möglichkeit, die
Gegenwart des Stickstoffs im Stahl durch den Wasserstoff nachzuweisen. Bei der
Rothglühhitze entzieht das Schmiedeeisen dem Ammoniak den Stickstoff und setzt den
Wasserstoff in Freiheit; und bei derselben Temperatur
würde dieser Wasserstoff neuerdings den Stickstoff dem Eisen entziehen, welches
bezüglich der gasförmigen Molecüle, die auf es einwirken können, immer im Ueberschuß
vorhanden ist? Die Erzeugung des Ammoniaks unter diesen Umständen wäre schwieriger
zu begreifen, als die directe Vereinigung des Wasserstoffs und des freien
Stickstoffs.
Eine Thatsache endlich, welche beweist, daß der Stahl und das reine Roheisen sich nur
durch verschiedene Verhältnisse derselben Elemente von einander unterscheiden, ist
die, daß das reine weiße Roheisen sich wie der Stahl härten und sogar schmieden
läßt; bekanntlich verwendet man das weiße Roheisen von Siegen direct zur Anfertigung
der Zieheisen.
Aus Vorstehendem ersieht man: 1) daß, wenn der Rohstahl (gefrischte Stahl) Stickstoff
enthält, dieses Element sich auch im Roheisen befinden muß; und 2) daß das
Schmiedeeisen, wie längst bewiesen ist, sowohl durch die gewöhnliche Cementation als
durch die Cementation in Steinkohlengas, nach Belieben in Stahl oder in Roheisen
umgewandelt werden kann,
wozu nur die Zeit oder die Temperatur eine verschiedene zu seyn braucht.