Titel: | Künstliche Darstellung des Alizarins; von Z. Roussin. |
Fundstelle: | Band 160, Jahrgang 1861, Nr. CXXXII., S. 450 |
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CXXXII.
Künstliche Darstellung des Alizarins; von
Z. Roussin.
Aus den Comptes rendus, Mai 1861, t. LII p.
1033.
Roussin, über künstliche Darstellung des Alizarins.
In der vorhergehenden Abhandlung habe ich das Binitronaphtalin als eine fruchtbare
Quelle gefärbter Producte bezeichnet; durch Behandlung mit reducirenden
Alkaliverbindungen, wie den Sulfuriden, den in Aetzkali aufgelösten
Zinnoxydulsalzen, dem Cyankalium etc., gibt diese Substanz prachtvoll rothe,
violette oder blaue Abkömmlinge. Wenn die reducirenden Agentien aber saurer Natur
sind, wenn man z.B. ein Gemisch von Zink und verdünnter Schwefelsäure, von
Eisenfeile und Essigsäure, von gekörntem Zinn und Salzsäure etc. anwendet, so
erleidet das Binitronaphtalin durch dieselben keine Veränderung. Um auf den Grund
dieses unerwarteten Verhaltens zu kommen, habe ich die Eigenschaften des
Binitronaphtalins vollständiger studirt als es bisher geschah. Unter den
beachtenswerthen verdient folgende besonders hervorgehoben zu werden.
Wenn man das krystallisirte Binitronaphtalin mit concentrirter Schwefelsäure
behandelt, so zeigt sich keine Reaction. Erhitzt man das Gemisch bis auf 250°
C., so löst sich das Binitronaphtalin vollständig auf und die Flüssigkeit färbt sich
nur ganz schwach bernsteingelb. Die concentrirte Schwefelsäure beginnt erst nach
langem Sieden auf diese Substanz zu reagiren. Wenn man jene saure Lösung mit Wasser
verdünnt, so wird das Binitronaphtalin mit seiner anfänglichen weißen Farbe
ausgefällt. Diese auffallende Beständigkeit eines organischen Körpers in Berührung
mit concentrirter und heißer Schwefelsäure erinnerte mich natürlich an eine analoge
Reaction. Wenn man die gepulverte Krappwurzel mit concentrirter und auf 100°
C. erwärmter Schwefelsäure behandelt, so werden bekanntlich alle im Krapp
enthaltenen organischen Substanzen verkohlt, nur der Farbstoff der Wurzel, das
Alizarin, widersteht dieser kräftigen Einwirkung der Schwefelsäure, welche bei jenen
in der Entziehung von Sauerstoff und Wasserstoff in Form von Wasser besteht.
Bekanntlich hat man nach der Formel und den Haupteigenschaften des Alizarins längst
vermuthet, daß dasselbe der Naphtalinreihe angehören dürfte. Die allgemein
angenommene Formel des Alizarins ist C²⁰H⁶O⁶, diejenige
des Binitronaphtalins C²⁰H⁶ (AzO⁴)². Ein
reducirendes Agens, welches dem Binitronaphtalin 2 Atome Sauerstoff entziehen und
den Stickstoff desselben in Ammoniak überführen könnte, würde dasselbe also
wahrscheinlich in Alizarin verwandeln. Diese Vermuthung hat sich durch meine Versuche bestätigt. Auf
folgende Weise kann man das Alizarin künstlich darstellen.
Man bringt ein Gemisch von Binitronaphtalin und concentrirter Schwefelsäure in eine
geräumige Porzellanschale, welche auf dem Sandbad erhitzt wird. Durch die Erhöhung
der Temperatur löst sich das Binitronaphtalin in der Schwefelsäure vollständig auf.
Nachdem das Gemisch beiläufig die Temperatur von 200° C. erreicht hat, wirft
man gekörntes Zink hinein, wornach sich bald schweflige Säure entbindet. Nach
Verlauf von beiläufig einer halben Stunde ist die Operation beendigt. Wenn man
alsdann einen Tropfen des sauren Gemisches in kaltes Wasser fallen läßt, so entsteht
in Folge der Bildung von Ulizarin eine prachtvolle violettrothe Färbung. Manchmal
tritt eine zu heftige Reaction ein, wenn man nämlich mit einem großen Quantum von
Material operirt, wenn die Zinkmenge zu beträchtlich ist und wenn man die Temperatur
nicht sorgfältig überwacht; alsdann kommt die Schwefelsäure rasch zum Sieden und es
entwickeln sich weiße Dämpfe in Masse mit Geräusch. Diesen Umstand kann man aber
immer leicht vermeiden, indem man nur kleine Quantitäten von gekörntem Zink zusetzt
und die Temperatur überwacht. Wenn dieser Unfall eintrat, ist das Verhältniß des
Alizarins beträchtlich vermindert, es bleibt aber von demselben noch eine ziemliche
Menge im Rückstand.
Nach beendigter Reaction verdünnt man die Flüssigkeit mit ihrem 8–10fachen
Volum Wasser, erhitzt sie zum Kochen und bringt sie dann bald auf ein Filter. Sie
setzt beim Erkalten das Ulizarin als eine rothe Gallerte ab, welche manchmal den
Gefäßen anhängt, manchmal in der Flüssigkeit suspendirt ist. In beiden Fällen zeigt
sich diese Gallerte, unter dem Mikroskop untersucht, als eine Vereinigung von
nadeiförmigen Krystallen. Die Mutterlauge ist stark roth gefärbt und enthält eine
beträchtliche Menge Alizarin aufgelöst. Man kann sie unmittelbar zum Färben
verwenden, nachdem man sie mit Wasser verdünnt und auf geeignete Weise neutralisirt
hat. Sie enthält viel schwefelsaures Ammoniak. Auf dem Filter bleibt unaufgelöstes
Alizarin zurück, welches man durch die ätzenden oder kohlensauren Alkalien leicht
abziehen und durch Säuren wieder fällen kann.
Bei der vorhergehenden Reaction kann das Zink durch zahlreiche andere Substanzen
ersetzt werden, wie Zinn, Eisen, Quecksilber, Schwefel, Kohle etc., überhaupt durch
alle einfachen oder zusammengesetzten, organischen oder unorganischen Körper, welche
bei hoher Temperatur auf die Schwefelsäure reagiren und dieselbe reduciren.
Die beiden folgenden Gleichungen erklären die Reaction:
Textabbildung Bd. 160, S. 452
In der ersten Gleichung reagirt ein Metall auf die Schwefelsäure, und in der zweiten
die Kohle selbst.
Das nach dem vorhergehenden Verfahren erhaltene Alizarin besitzt alle
charakteristischen Eigenschaften und alle Reactionen des gewöhnlichen Alizarins. Es
ist wenig löslich in Wasser, und löst sich in Alkohol und Aether auf. Es
verflüchtigt sich zwischen 215 und 240° C. mit einem gelben Dampfe, und gibt
dunkelrothe krystallinische Nadeln; die Farbe dieser Krystalle variirt übrigens ein
wenig. Von Salzsäure und concentrirter Schwefelsäure wird es nicht angegriffen. In
den ätzenden und kohlensauren Alkalien löst es sich mit einer schönen dunklen
purpurblauen Farbe auf; die Säuren fällen diese Lösung in orangerothen Flocken. Wie
das Alizarin des Krapps liefert es gefärbte Lacke von der größten Schönheit. Das
künstliche Alizarin fixirt sich auf den Faserstoffen wie das natürliche Alizarin,
und gibt analoge Nüancen von großer Reinheit.
Die Elementaranalyse des aus dem Krapp ausgezogenen Alizarins lieferte bisher
Resultate, welche wenig übereinstimmten, ohne Zweifel weil es schwierig von allen
Verunreinigungen zu befreien ist. Die Elementaranalyse des künstlichen Alizarins,
welche ich nächstens vornehme, wird die Formel dieses wichtigen Farbstoffs
feststellen.
Dumas, welcher Roussin's
vorstehenden Aufsatz der Akademie der Wissenschaften einreichte, bemerkte, daß die
Identität des im Krapp enthaltenen Alizarins und des künstlichen Products noch nicht
ganz erwiesen ist. Von letzterm fehlt noch die Elementaranalyse. Gewisse
charakteristische Anwendungen des Alizarins zum Färben und zum Zeugdruck konnten mit
dem künstlichen Product noch nicht versucht werden. Es ist zu wünschen, daß die von
der Akademie ernannte Commission (welche aus den Herren Chevreul, Dumas und Balard besteht) die Frage
bald entscheidet, weil bei derselben bedeutende Interessen betheiligt sind.