Titel: | Theorie der Salpeterbildung; von E. Millon. |
Fundstelle: | Band 161, Jahrgang 1861, Nr. XI., S. 32 |
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XI.
Theorie der Salpeterbildung; von E. Millon.
Aus den Comptes
rendus, October 1860, t. LI p. 548.
Millon's Theorie der Salpeterbildung.
Bei meinen, zum Zwecke der Aufklärung über die Salpeterbildung in Algerien
unternommenen Untersuchungen ergab sich, daß die erforderlichen Elemente dazu die
hohe Temperatur des Bodens und der Luft während einiger Monate im Jahre, und die
Gegenwart eines Humuskörpers, eines Ammoniaksalzes und eines Gemisches von
kohlensauren Alkalien und Erden ausmachen; endlich ist erforderlich, daß die
genannten festen Körper mit Feuchtigkeit und Sauerstoff in Berührung kommen.
Fehlt nur eine dieser Bedingungen, so hört die Salpeterbildung so lange auf, bis
dieselbe wieder erfüllt ist; ich habe mich durch vielfach abgeänderte Versuche von
dieser Thatsache überzeugt.
Von allen den genannten Stoffen ist der Humus derjenige, dessen Nothwendigkeit man
sich am wenigsten erklären konnte. Dennoch liegt hier der Schlüssel zum Verständniß
der Salpeterbildung: das durch die Berührung jener Körper gebildete humussaure
Alkali absorbirt nämlich den Sauerstoff der Luft ziemlich kräftig und diese
Oxydation des Humus ist die Veranlassung zu derjenigen des Ammoniaks. Es ist dieß
der Einfluß der Berührung, der Ansteckung, wenn man so sagen darf. Die Verbrennung
geht in der Kälte bei der gegenseitigen Berührung der Körper vor sich, und die
Verbrennung des Humus hat die Verbrennung des Ammoniaks zur Folge.
Dieß ist so wahr, daß es mir gelungen ist, den Humus durch verschiedene andere
Substanzen zu ersetzen, so z.B. durch Phosphor, Kupfer, Eisen. Auch diese Stoffe
rufen durch ihre Oxydation bei gewöhnlicher Temperatur diejenige des sie berührenden
Ammoniaks hervor. Die Versuche wurden folgendermaßen angestellt:
In einen Glasballon von 6–8 Liter Inhalt brachte ich eine Phosphorstange und
so viel schwach ammoniakalisches Wasser, daß die Phosphorstange zur Hälfte damit
bedeckt war; es beginnt sofort die Verbrennung des Phosphors und zugleich diejenige
des Ammoniaks. Unter den Verbrennungsproducten findet man im Wasser gelöste Salpetersäure.
Kohlensaures Ammoniak, nicht aber schwefelsaures oder salzsaures, kann das Ammoniak
ersetzen. Wahrscheinlich sind nur flüchtige Körper im Stande an dieser Verbrennung
Theil zu nehmen, die offenbar in der Luft stattfindet.
Wendet man Kupfer statt des Phosphors an, so wird ebenfalls die Oxydation des
Ammoniaks bewirkt; sie geht sehr energisch vor sich und es bildet sich Salpetersäure
und salpetrige Säure; bei Kupfer ist diese Wirkung am stärksten. Um dieselbe durch
einen geeigneten Versuch zur klaren Anschauung zu bringen, verfährt man wie
folgt:
Man befeuchtet in einem großen Glasballon Kupferdrehspäne mit Aetzammoniak. Wenn die
Oberfläche des Metalls den Glanz verloren hat, stellt man denselben durch Schütteln
mit der ammoniakalischen Flüssigkeit wieder her und gießt, wenn dieß nicht mehr
wirksam ist, neues Ammoniak hinzu. Zu der so erhaltenen blauen Lösung fügt man
Barytwasser und kocht, wobei sich das Kupferoxyd niederschlägt und Ammoniak
entwickelt. In der abfiltrirten Lösung ist außer überschüssigem Baryt nur noch
salpetersaurer und salpetrigsaurer Baryt enthalten.
Interessant ist die Beobachtung, daß bei dieser Reaction zwischen Ammoniak, Luft und
Kupfer, also mittelst der ammoniakalischen Kupferlösung, die bekannte Lösung der
Pflanzenfaser bewirkt wird.
Nimmt man Eisen statt Kupfer, so findet derselbe Proceß nur viel langsamer statt,
weil das Eisen die Neigung hat, die Salpetersäure zu reduciren, wodurch die
Oxydation des Ammoniaks verlangsamt und beschränkt wird. Das Eisen ist durch
Eisenoxyd nicht zu ersetzen, was sehr für meine Theorie
der gleichzeitigen Oxydationen spricht. Alle Versuche, welche ich in der Absicht
anstellte, das Ammoniak durch Eisenoxyd zur Oxydation zu bringen, haben kein
Resultat ergeben, und es ist mithin die Unrichtigkeit der bisher vielfach geäußerten
Ansicht, daß die Salpeterbildung in der Reduction des Eisenoxydes durch Ammoniak
ihren Grund habe, zur Genüge dargethan.
Die Resultate meiner Versuche führen vielmehr zur Annahme dieser neuen Art von
Verbrennung. Diese Theorie wird auch noch auf andere Fälle Anwendung finden.Man sieht, daß man sich z.B. das Verschwinden zahlreicher reducirender
Körper, die sich bei der Fäulniß entwickeln, durch gegenseitige und
gleichzeitige Verbrennung erklären kann. Millon. Warum sollten nicht andere organische Körper ähnlich wie die Humuskörper
wirken? Warum sollten Phosphor, Eisen und Kupfer die einzigen Stoffe seyn, welche
die Verbrennung des Ammoniaks veranlassen? Warum sollten nicht auch andere
Substanzen als das Ammoniak in dieser Weise „angesteckt“ werden
können? Hieher gehört ohne Zweifel die bekannte Erscheinung, daß die farblose Lösung
eines Mangansalzes in Berührung mit einer zur Hälfte hineingetauchten Phosphorstange
sehr bald tief violett gefärbt wird.
Endlich ist auch anzunehmen, daß die Oxydation nicht der einzige chemische Vorgang
ist, der von einem Körper auf den andern übertragen werden kann, sondern daß auch
andere Verbindungen, Lösungen u.s.w. auf solchem Wege hervorgerufen werden können.
So ist es möglich, daß das Studium der Salpeterbildung auch nach vielen anderen
Richtungen hin fruchtbringend wird.