Titel: | Eis-Locomotiven zum Transport von Waaren auf gefrorenen Flüssen und Landseen. |
Fundstelle: | Band 161, Jahrgang 1861, Nr. XXIII., S. 83 |
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XXIII.
Eis-Locomotiven zum Transport von Waaren
auf gefrorenen Flüssen und Landseen.
Aus dem Breslauer Gewerbeblatt, 1861, Nr.
14.
Mit einer Abbildung auf Tab. II.
Eis-Locomotiven zum Transport von Waaren auf gefrorenen
Flüssen u. Landseen.
Ein Kaufmann Gabriel Solodornikoff in Moskau hat sich das
Privilegium für Rußland erworben, Eis-Locomotiven zum Transport von Waaren auf gefrorenen
Flüssen und Landseen während der langen Winterzeit anzuwenden. Dergleichen
Locomotiven sind in England von Nathaniel Grew erbaut und
zu beziehen durch den Kaufmann Eduard Correy,
New-Broad-Street 8, in London.
Ein Bild von dergleichen Locomotiven gibt Fig. 20 und nachfolgende
Beschreibung.
Die Locomotive ist nach Art der gewöhnlichen
Eisenbahn-Tender-Locomotiven gebaut. Auf einen Rahmen von
schmiedeeisernen Platten stützt sich ein Locomotiv-Röhrenkessel mit
hinreichend großem Feuerkasten, um Holzfeuerung anwenden zu können. Auf den Kessel
aber ist ein Wasserkasten aufgesattelt. Der Rahmen mit Kessel und Cylinder stützt
sich auf zwei Treibräder von 4 Fuß Durchmesser und auf vier eiserne Schlitten, von
denen je zwei an jedem Ende des Rahmens angebracht sind. Die Achse der Treibräder
ist genau im Schwerpunkte der ganzen Maschine angebracht, um das ganze Gewicht der
Locomotive auf Adhäsion ausnutzen zu können und ihr also so viel Zugkraft als
möglich zu geben. Zur Vermehrung derselben sind außerdem auf dem Umfang der Räder
Stahlspitzen befestigt, welche, wenn die Locomotive leer läuft, also keine Zugkraft
zu entwickeln braucht, ausgeschraubt und abgenommen werden.
Der Treibachse ist in verticaler Richtung, für die Ausgleichung der Unebenheiten auf
den Eisflächen möglichst viel Spielraum gegeben. Auf diese Treibachse ist der
größere Theil der Last der Maschine durch zwei Tragfedern und auf die vier Schlitten
der übrige Theil der Last durch vier Tragfedern vertheilt. Zwei Cylinder von je 6''
Durchmesser und 16'' Kolbenhub, welche seitwärts am Rahmen in der Nähe des
Feuerkastens angebracht sind, übertragen die Triebkraft mittelst Kurbelstange auf
die Treibräder. Die Pressung des Dampfes, mit welcher die Locomotive arbeitet,
beträgt 100 Pfd. pro Quadratzoll; sie arbeitet mit
Expansion, und der abgehende Dampf wird theilweise in den auf dem Kessel
befindlichen, etwa 50 Kubikfuß Wasser haltenden Wasserkasten geleitet; außerdem aber
mündet in diesen Kasten noch ein drittes Dampfrohr, weil es, häufig an Wasser
mangelnd, erforderlich wird, das in den Wasserkasten geworfene Eis oder den Schnee
in Wasser zu verwandeln. Außerdem ist eine Giffard'sche
Dampfstrahlpumpe zur Speisung des Kessels angewendet, deren Saugrohr und Druckrohr
so angeordnet sind, daß beim Stillstande der Locomotive an den Stationspunkten,
Wasser aus dem Flusse oder dem See direct gehoben und in den Wasserkasten gedrückt,
während der Fahrt aber aus dem Wasserkasten dem Kessel zugeführt werden kann. Das
Saugrohr jener Pumpe ist zu diesem Zwecke von Gummi hergestellt und wird durch ein
in die Eisdecke gehauenes Loch ins Wasser gesteckt.
Zur Steuerung oder Lenkung der Locomotive sind die Schlitten am Vorderende der
Locomotive mittelst Schraubenspindel und Kurbel drehbar gemacht; dieselben drehen
sich jedoch unabhängig von den sie drückenden Federn.
Die Locomotive wird von zwei Leuten geführt; der Eine, der Locomotivführer, besorgt
die Behandlung der Maschine, d.h. Heizung und Führung in richtiger Geschwindigkeit,
der Andere, der Wagenführer, besorgt, auf dem Vorderende der Maschine stehend, die
Steuerung oder Lenkung derselben. Neide Leute stehen in einem mit Glasfenstern
versehenen Häuschen und sind somit gegen die Kälte geschützt; auch kann der
Locomotivführer von seinem hinteren Standpunkt aus mittelst Hebel die Lenkung der
vorderen Schlitten, also auch der Maschine besorgen.
Die Locomotive kann rückwärts so gut wie vorwärts laufen; sie ist mit allen
Sicherheits-Vorrichtungen gegen Ueberspannung der Dämpfe und zur Controlirung
des Wasserstandes versehen etc. Das Brennmaterial wird theils in dem Häuschen für
die Führer, theils seitwärts am Kessel in aufgehangenen Körben mitgeführt.
Endlich ist an jedem Ende des Locomotivrahmens ein kräftiger Haken angebracht, um
vorn oder hinten die mit Waaren beladenen Schlitten oder Wagen anhängen zu können,
ähnlich wie man auf Eisenbahnen verfährt.
Die Locomotive ist, was das Material anbelangt, bis auf die gußeisernen Cylinder, nur
von Schmiedeeisen und Stahl hergestellt, um derselben die größte Festigkeit bei der
größten Leichtigkeit zu geben. Sie soll incl. Wasser und
Brennmaterial kaum 150 Centner wiegen, also ohne Wasser kaum 75 Centner.
Es ist wohl nicht in Abrede zu stellen, daß bei dem langen Winter in Rußland, der
sich im größten Theile desselben auf durchschnittlich acht Monate erstreckt, alle
Transportmittel von Wichtigkeit sind, die zur Hebung des Verkehrs in dieser
Jahreszeit beitragen können; um so mehr, als viele Orte in Rußland, z.B. die an den
häufig vorkommenden Landseen gelegenen Städte und Dörfer, überhaupt nur in den
Wintermonaten einen Verkehr über das Eis unterhalten; während in den Sommermonaten
wegen der schlechten Wege und den oft großen Entfernungen um die Landseen herum
jeder Verkehr stockt. Unter diesen Umständen ist der Eis-Locomotive
jedenfalls eine sehr freundliche Aufnahme in Rußland zu prophezeien, und dürfte
dieselbe bald in vielen Exemplaren über das Eis der dortigen Flüsse und Seen
fliegen; allein auch für Länder, deren Winterzeit sich nur auf drei bis vier Monate
erstreckt, dürfte die Anwendung derselben namentlich dann nicht ohne Vortheil für
den Unternehmer seyn,
wenn man in den Sommermonaten die Eis-Locomotive als locomobile Dampfmaschine
für Agricultur-Zwecke benutzt, wozu sich dieselbe mit Leichtigkeit einrichten
läßt, wenn man die Enden der Locomotive durch Stützen unterbaut und die
Treibräder-Umfange als Riemenscheiben zur Uebertragung der Bewegung auf
beliebige landwirtschaftliche Maschinen benutzt. Auch in Rußland beabsichtigt man
die Eis-Locomotive noch in den Sommermonaten auszunutzen und sie in den
dortigen großen Waldungen zum Schneiden der im Winter geschlagenen Hölzer zu
verwenden.