Titel: | Ueber einen neuen Faserstoff, Fibrilia genannt; von Vattemare. |
Fundstelle: | Band 161, Jahrgang 1861, Nr. LXVII., S. 233 |
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LXVII.
Ueber einen neuen Faserstoff, Fibrilia genannt;
von Vattemare.
Aus den Comptes
rendus, April 1861, t. LII p. 865.
Vattemare, über einen neuen Faserstoff, Fibrilia
genannt.
Die Aufmerksamkeit der Oekonomen und Industriellen der nördlichen amerikanischen
Freistaaten ist schon längere Zeit auf ein neues, aus Massachussetts stammendes
Product gelenkt worden, welches die Baumwolle ersetzen soll. Der Name Fibrilia, welchen dieses Product führt, ist eine
gemeinschaftliche Bezeichnung verschiedener aus mehreren wilden und cultivirten
Pflanzenarten gewonnenen Faserstoffe; diese Pflanzen kommen nicht allein in Amerika
sondern auch in anderen Theilen der Erde unter gleicher Breite vor. Diejenigen
dieser Pflanzen, welche bis jetzt für die Baumwollenindustrie angebaut werden und
sich am geeignetsten zum Gebrauche zeigen, sind der Lein, der Hanf und das
Chinagras. Von den übrigen, welche zur Fibrilia verarbeitet werden können, nennt man
Aloe, Althea, Ananas, Heidekraut, Zuckerrohr, Disteln, Maisblätter, Palmblätter,
Farnkräuter, verschiedene Grasarten, Ginster, Hopfen, wilden Indigo, Binsen, Malven,
weißen und schwarzen Maulbeerbaum, BrennesselBrennnessel, Bohnenstengel, Stengel von Erbsen, Kartoffeln, Stroh von Getreidearten
(vor der Reife), wilde Raute, Weide, Traubenranken etc.
Die Fibrilia kann allein angewandt werden; sie liefert
dann einen von den jetzt gebräuchlichen ganz verschiedenen Stoff, der neben der
Reinheit und Schmiegsamkeit der Baumwolle die ganze Schönheit des Fadens besitzt.
Man kann dieses Product mit Wolle und Baumwolle gemischt verarbeiten.
Wenn man bisher noch nicht den Hanf, Flachs und das Chinagras in Amerika auf diesen
eigenthümlichen Baumwollstoff verarbeitet hat, so geschah dieß weil diese Pflanzen
zum größten Theil nur der Samen wegen gebaut und die Stengel verworfen worden sind,
indem die Baumwolle zu reichlich vorhanden und zu wohlfeil war, um Leinemanufakturen
entstehen zu lassen.
Versuche haben dargethan, daß die Umwandlung der übrigen oben genannten
Pflanzentheile in Fibrilia möglich ist; nur ist bis jetzt
diese Fabrication noch nicht lohnend. Auch ist die Idee der Baumwollisirung –
wenn man so sagen darf – des Flachses nicht neu; nur waren alle Versuche bei
den bisherigen niedrigen Preisen der Baumwolle eben nur Versuche geblieben. Indessen
hat ein Hr. N. N. aus Boston, gestützt auf seine im Jahr 1854 angestellten Versuche,
am Niagara-Canal eine Fabrik zur Gewinnung eines Faserstoffs gegründet, den
er Fibrilia nannte; bald konnte er vier ebensolche
Fabriken in Thätigkeit setzen. Die daselbst ausgeführten Operationen (Krempeln,
Weben etc.) unterscheiden sich von den entsprechenden bei der Baumwolle gar nicht.
Die Fabriken sind in voller Thätigkeit und werden ohne Zweifel durch die Ereignisse
in Nordamerika einen ganz besondern Anstoß erhalten.