Titel: | Zur Geschichte der Photogen- und Paraffin-Industrie; von Dr. Hermann Vohl in Bonn. |
Autor: | Hermann Vohl |
Fundstelle: | Band 162, Jahrgang 1861, Nr. CV., S. 377 |
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CV.
Zur Geschichte der Photogen- und
Paraffin-Industrie; von Dr. Hermann
Vohl in Bonn.
Vohl, zur Geschichte der Photogen- und
Paraffin-Industrie.
Es sind bereits zehn Jahre verflossen, seitdem man die Darstellung flüssiger und
fester Kohlenwasserstoffe aus bituminösen Fossilien behufs deren Benutzung als
Beleuchtungsmaterialien fabrikmäßig betrieben hat.
Dieser Zweig der Beleuchtungsindustrie, dessen große Wichtigkeit sehr bald eingesehen
wurde, hat binnen dieser Zeit einen gewissen Aufschwung erfahren, und die Einführung
dieser neuen Beleuchtungsstoffe, der man von den meisten Seiten hemmend entgegen
trat, ist heute nicht allein gesichert, sondern in einem beständigen Zunehmen
begriffen.
Als ich im Jahre 1848/49 mit der Entdeckung des Photogens und Turfols vor das
Publicum trat, und ich deren Wichtigkeit als Beleuchtungsmaterialien nachwies, wurde
dieses nicht nur nicht eingesehen, sondern man trat mir mit Vorurtheilen und einer
eisernen Halsstarrigkeit behaftet entgegen.
Man suchte sogar diesem neuen und wichtigen Zweig der Beleuchtungs-Industrie in Folge
kleinlicher Sonderinteressen den Weg zu vertreten. Trotzdem hat sich diese Industrie Bahn
gebrochen, und wird binnen kurzer Zeit eine der ersten Stellen einnehmen.
Ich kann es nicht unterlassen, hier dem Manne meinen Dank abzustatten, der mit
Aufopferung bedeutender Geldmittel diesen neuen Industriezweig in Deutschland ins
Leben rief, und der trotz allen ihm sich entgegenstemmenden Hemmnissen mit eisernem
Fleiß, Beharrlichkeit und Consequenz das Ziel, welches er sich gesteckt hatte,
verfolgte. Es ist Hr. W. Wiesmann, der Chef der
Gesellschaft A. Wiesmann und Comp., welcher die fabrikmäßige Darstellung dieser Beleuchtungsmaterialien
nebst deren Verwendung in Deutschland einführte, und dem wir in dieser Hinsicht zu
großem Dank verpflichtet sind.
Auch die Lampenindustrie nahm sich kräftig des Photogens und der anderen
Beleuchtungsstoffe an, so daß kleineren Städten, die wegen des verhältnißmäßig zu
hohen Anlagecapitals nicht vortheilhaft mit Gas zu erleuchten waren, mit geringen
Kosten eine glänzende und billige Beleuchtung beschafft werden konnte. In Böhmen sah
ich mehrere Städte mit Photogen erleuchtet; so hatte z.B. Bensen in Nordböhmen schon
im Winter 1858 eine glänzende Beleuchtung vermittelst sächsischen und böhmischen
Photogens; auch mehrere dortige großartige industrielle Anlagen, mehrere
Baumwollspinnereien und die Maschinenpapierfabrik von Kopetzky und Comp. bei Bensen haben ihre Räume
mit Photogen und Solaröl erleuchtet.
Hier in der Rheinprovinz sind ebenfalls einige Städte mit Photogen beleuchtet, z.B.
Meckenheim und Rheinbach, und das dortige Publicum ist mit dieser billigen und
brillanten Beleuchtungsart sehr zufrieden gestellt.
Im Gegensatz zu diesen erfreulichen und günstigen Erfolgen der Einführung des
Photogens bei öffentlichen Beleuchtungen muß ich eines Falles erwähnen, wo eine
nicht unbedeutende Stadt am Rhein, Neuwied, versuchsweise die Beleuchtung
vermittelst Photogens einführte, dieselbe jedoch bald wieder abschaffte, weil dem
Dirigenten der Photogen- und Paraffinfabrik zu Dierdorf, der das Oel und die Lampen
geliefert und die städtische Beleuchtung übernommen hatte, trotz der öffentlichen
Beleuchtung mit gewöhnlichen Handlaternen zu Hause geleuchtet werden mußte, um ihm
dadurch die Vortrefflichkeit seiner Photogenbeleuchtung ad
oculos zu demonstriren.
Hr. Paul Wagenmann würde wohl diese Demüthigung nicht
erfahren haben, hätte er nicht eigensinnig an seiner fehlerhaften Lampenconstruction
festgehalten, und den Neuwiedern ein gutes kreosotfreies Photogen resp. Solaröl
geliefert. Die Stadt schritt nun nach dieser verfehlten Probe zur Errichtung einer
Gasbeleuchtungs-Anstalt.
Man würde aber auch gewiß mit demselben Rechte an manchen mit Gas erleuchteten Orten
einen solchen launigen Act der Volksjustiz üben können, um der betreffenden
Gasbeleuchtungs-Gesellschaft die Güte ihres Fabrikates darzuthun. Das Publicum in
Bonn hat schon längst das Recht erlangt, trotz der Gasbeleuchtung dem Hrn.
Gasdirector mit Handlaternen heimleuchten zu dürfen.
Dieser neue Zweig der Beleuchtungs-Industrie machte, nachdem ich das erste
Etablissement (1849–50) in Beuel bei Bonn für die Gesellschaft A. Wiesmann und Comp. errichtet
hatte, und besonders, nachdem von mir der Beweis geführt war, daß die Braunkohle ein
vortreffliches Material zur Paraffinerzeugung bot, ein großes Aufsehen in allen
Braunkohlenrevieren, und hauptsächlich in der Provinz und dem Königreiche Sachsen.
Auch in Böhmen und den preußischen Rheinlanden suchte man die Braunkohle als
Beleuchtungsmaterial zu verwenden.
Sowohl in dem Königreiche, wie der preußischen Provinz Sachsen tauchten nun eine
Menge derartiger Fabriken auf, die theils mit geringen, theils mit bedeutenden
Geldmitteln ausgestattet, ihre Arbeiten fast eben so schnell wieder einstellten, wie
sie entstanden waren, und zwar aus dem Grunde, weil sie keinen günstigen Erfolg
erzielten, und sie die Producte nicht wie ich sie angegeben hatte, darstellen
konnten.
Diese neue Industrie erlebte also in diesem Lande dasselbe Schicksal, welches einige
Jahrzehnte vorher die Rübenzuckerfabrication dort erfahren mußte, und dennoch ist
heute die Runkelrübenzuckerfabrication eine der bedeutendsten Erwerbsquellen dieses
Landes.
Man sprach der Photogen- und Paraffinfabrication das Verdammungsurtheil, sprach ihr
jede Lebensfähigkeit ab, und gab dem Industriezweig selbst die Schuld, anstatt nach
der wahren Ursache des Mißlingens zu forschen und dem Uebelstande abzuhelfen.
Die meisten dieser Etablissements strauchelten über die Schwierigkeiten der
Theererzeugung, da den Leitern derselben die so nöthigen chemischen Kenntnisse
abgingen, und diese stillliegenden und verlassenen Photogenfabriken Sachsens sind
Warnungstafeln für diejenigen, welche ohne gründliche Kenntnisse, resp.
wissenschaftliche Bildung derartige Anstalten errichten oder leiten wollen.
Nichtsdestoweniger wird aber eben Sachsen die Heimath dieser neuen Industrie werden,
weil die reichen Braunkohlenlager es dazu bestimmen, und das Land, welches heute
diesen neuen Industriezweig mit Mißtrauen betrachtet, wird in einigen Jahren vom
Gegentheil überzeugt seyn, und dieser Industrie einen der ersten Plätze zusprechen
müssen.
Ich habe mich davon überzeugt, daß bei allen derartigen Unternehmungen, welche
gescheitert sind, die Ursache des Mißlingens nur in der unvortheilhaften
Theererzeugung gegeben war, und daß diese Etablissements mit einem Drittel des
Anlagecapitals glänzende Geschäfte gemacht haben würden, wenn nicht die
unverzeihlichsten Mißgriffe bei der Theererzeugung den Ruin hätten herbeiführen
müssen.
Die genaue Kenntniß der Vorgänge bei der trockenen Destillation der bituminösen
Fossilien ist bei der Anlage und Leitung einer derartigen Fabrik unbedingt
nothwendig; leider ist jedoch meistentheils die Einrichtung und Leitung dieser
Etablissements Personen anvertraut, welche sehr dürftige oder gar keine chemische
Kenntnisse besitzen, und somit darf es uns nicht Wunder nehmen, wenn das genaue
Studium der trockenen Destillation bei der Theererzeugung, welches von so großer
Wichtigkeit für diesen Fabricationszweig ist, gänzlich unterlassen wurde, und daß
die bei dieser Operation eingetretenen Störungen nicht beseitigt werden konnten, da
man deren Ursache nicht erkannte.
Jede Erfindung ist bei ihrem Auftreten noch mit mancherlei Mängeln behaftet, für die
erst in späterer Zeit Abhülfe gefunden wird, und nur ein gründliches Studium der
einzelnen Vorgänge der Operationen, wissenschaftlich unterstützt, kann diese Mängel
beseitigen. Von einem wahren Fortschritte ist aber in Sachsen während der Zeit, in
welcher diese Industrie dort Fuß gefaßt hat, gar keine Rede, und findet dieses in
dem vorhin Bemerkten seinen Grund.
Es ist eine bekannte Thatsache, daß, wie nach einem befruchtenden Regen Tausende von
Pilzen aus der Erde hervorschießen, so auch nach irgend einer lebensfähigen
Erfindung eine Unzahl von Verbesserungs-Vorschlägen hervortauchen, deren wahrer
Werth sehr bald erkannt wird, und die nicht selten, von Unberufenen ausgehend, bei
ihrem Erscheinen schon den Todeskeim in sich tragen. Eine Menge solcher
angepriesenen Verbesserungen in der Theer-, resp. Photogen- und Paraffinfabrication
und an den dazu dienenden Apparaten tragen leider zu sehr den Stempel des
Unpraktischen und der Unwissenheit an sich, als daß sie einer Beachtung der
Sachverständigen könnten werth gehalten werden.
Außerdem gibt es leider auch noch eine große Anzahl von Industrierittern, welche mit
wichtigen Entdeckungen prunkend, in die Lärmtrompete stoßend, der Sache nicht nur
nicht fördernd, sondern vielmehr sehr hinderlich sind. Sie sind es, welche diesem so
wichtigen Industriezweig den Fortschrittshemmschuh anlegen, indem sie das Zutrauen
der Industriellen mißbrauchen und zuletzt sogar vernichten.
Rufen wir uns die Vorschläge zu Verbesserungen und Angaben neuer vortheilhafter
Apparate zur Theerfabrication, die während dieser 10 Jahre gemacht wurden, ins
Gedächtniß zurück! Wo finden wir sie noch in Anwendung? Was haben sie
gefruchtet?
Gedenken wir der verschiedenen Theerschwelöfen und continuirlichen
Theererzeugungsapparate, von Paul Wagenmann mit Plus- und
Minus-Exhaustoren, von Delahaye mit aufrechtstehenden
Retorten, von Unger und dem anhaltischen Fabriken-Verein
(die beiden letzteren wurden in Preußen patentirt), ferner des Theerschwelofens nach
anhaltischem Princip von Jacobi ausgeführt etc. etc., und
fragen wir, welche Vortheile haben sie dieser Industrie gewährt, und wo sind diese
Apparate in Betrieb, so werden wir gestehen müssen, daß viele nur als eine Zeichnung
auf dem Papier existirten, andere dagegen sehr bald von den Fabrikanten als
unpraktisch verworfen wurden. Alle diese Verbesserungen waren nicht im Stande der
Horizontalretorte den Credit zu rauben, welche sich
noch bis jetzt als am zweckmäßigsten bewährt hat.
In jüngster Zeit wurde auf der Augustenhütte bei Beuel von Jacobi ein Theerschwelofen nach dem anhaltischen Princip errichtet;
derselbe hat jedoch kein günstiges Resultat ergeben, und die Herren Wiesmann und Comp. sind zu
ihrem alten Retortensystem, an welchem sie mehrere vortheilhafte Veränderungen
vorgenommen haben, zurückgekehrt. Jacobi ist, ohne selbst
den Apparat vollständig in Betrieb gesetzt zu haben, nach Rußland abgereist, um dort
neue Etablissements nach seinem Princip einzurichten. Ich werde auf die Kühlung und
den Gang seines Ofens im zweiten Theile dieser Abhandlung zurückkommen.
In einem Zeitraum von 14 Jahren, in welchem ich mich fast ausschließlich mit diesem
Industriezweig befaßte, erhielt ich häufig Besuche von solchen Personen, die sich
entweder mit diesem neuen Zweig der Beleuchtungs-Industrie vertraut machen wollten,
um als Leiter einer solchen Anlage auftreten zu können, oder aber für eigene
Rechnung eine derartige Fabrik zu gründen beabsichtigten, oder es waren solche,
welche sich als Sachverständige zu erkennen gaben, und schon längere Zeit in diesem
Industriezweig wollten gearbeitet haben, die aber mehr oder minder einer jeden
gründlichen und wissenschaftlichen Bildung entbehrten und den Mangel an praktischer
Erfahrung in jeder Weise bekundeten.
Bei der Besprechung der Theererzeugung, der wichtigsten und schwierigsten Operation
der ganzen Photogen-Industrie, wurde von den meisten dieser Proceß als ein solcher
bezeichnet, dessen Kenntniß sich von selbst verstehe und überhaupt keine
Schwierigkeiten darbieten könne. Nichtsdestoweniger hatten nur Wenige einen
oberflächlichen Begriff von den Vorgängen bei der trockenen Destillation und den
Bedingungen, die zu einer vortheilhaften Theererzeugung erheischt werden. Einige
waren Apotheker gewesen, andere hatten einer Knochenbrennerei vorgestanden, wieder
andere hatten auf irgend einer Hoch- oder Realschule das Practicum im chemischen Laboratorium während
eines Semesters belegt gehabt und dort höchstens 3 bis 4 Pfund Theer dargestellt,
zuletzt präsentirten sich junge Ingenieure, die bei einer Gasbeleuchtungsanstalt
beschäftigt gewesen waren, alle aber hatten in Folge ihrer Studien und reichen
praktischen Erfahrungen die Ueberzeugung, den ganzen Proceß der trockenen
Destillation und somit die Theererzeugung gründlich zu verstehen; sie glaubten alle
„Theer zu produciren“ sey die leichteste Operation der
ganzen Photogen- und Paraffin-Industrie.
Welch traurige Folgen daraus entstanden sind, ersehen wir an dem jetzigen Zustande
der sächsischen und auch theilweise der böhmischen Photogenfabriken.
Die Photogenfabriken in Sommersdorf, Aschersleben und bei Wittenberg etc., welche
nach dem Plane des Hrn. F. A. Schröder aus Aschersleben
eingerichtet sind, erinnern lebhaft an eine Knochenbrennerei. Die Theerproduction
findet hier in sehr kleinen, niedrigen, viereckigen, eisernen Horizontalretorten
statt, welche in zwei bis drei Etagen in die Destillationsöfen eingelegt sind. Die
Kühlvorrichtungen sind äußerst mangelhaft, und gewähren den Theerdämpfen und den
sich entbindenden Gasen nur einen gehemmten Abzug, weßhalb der erzeugte Theer von
schlechter Qualität und hohem spec. Gewichte ist; dabei ist die Ausbeute bei dem
sonst guten Rohmaterial gering und die Destillationszeit durch diese mangelhafte
Einrichtung auf ein Maximum hinausgeschoben, wodurch der Brennmaterialaufwand ein
enormer ist. Alle diese Fabriken mußten ihre Arbeiten einstellen, und büßten nicht
unerhebliche Capitalien ein.
Wurden die Photogenfabriken von solchen errichtet, welche einer Gasanstalt
vorgestanden oder dort ihre praktischen Kenntnisse gesammelt hatten, so sehen wir
die Anwendung der Thonretorten, der Sperrflüssigkeiten bei der Condensation, so wie
Einführung von Exhaustoren jeglicher Art. Der Erfolg dieser Fabricationsmethode ist
eine schlechte und geringe Theererzeugung neben einer enormen Gasproduction. Mehrere
Fabriken in Sachsen, resp. der Provinz Sachsen und Böhmen, haben uns traurige
Beispiele davon geliefert.
Um einen schlagenden Beweis zu führen, wie sehr die Theererzeugung für die
Rentabilität einer Photogenfabrik maaßgebend ist, theile ich nachfolgende Campagne
einer derartigen Anstalt in Böhmen mit.
Im Sommer 1858 wurde ich von einer sächsischen Actiengesellschaft, welche eine
Photogenfabrik in der Nähe von Markersdorf in Nordböhmen angelegt hatte und nur
höchst ungünstige Resultate in qualitativer wie quantitativer Hinsicht erzielte,
ersucht das Rohmaterial, welches aus einem bituminösen Thon bestand, auf dessen
Gehalt an Theer, resp. Photogen und Paraffin zu prüfen, und nachdem ich die vortheilhafte
Gewinnung des Photogens und Paraffins aus diesem Fossil durch Verarbeitung von 400
Pfd. luftrockenem Rohmaterial in meinem Apparate nachgewiesen hatte, übernahm ich
es, die ganze Fabricationsmethode an Ort und Stelle genau zu untersuchen, resp. den
Uebelständen abzuhelfen.
Die Gesellschaft hatte noch, ehe sie die Anlage bei Markersdorf machte, eine
Photogenfabrik in Sachsen durch Hrn. Wichmann anlegen
lassen, und zwar sollten in derselben die bitumenreichen Braunkohlen ihrer Gruben
bei Karcha verarbeitet werden. Nachdem Wichmann längere
Zeit in Karcha ohne günstigen Erfolg gearbeitet hatte, schob er die Schuld auf das
RohmaterialIch habe später das Rohmaterial, die Braunkohle von Karcha, in meinem
Laboratorium (in Bonn) untersucht und gefunden, daß dieses Fossil 9 bis 10
Proc. eines sehr paraffinhaltigen Theers von 0,930 spec. Gewicht ergibt, und
sich vortrefflich zur Photogen- und Paraffinerzeugung eignet.A. d. Verf. und veranlaßte die Gesellschaft, behufs Verwerthung ihrer Braunkohlengruben
in Böhmen, die auch große Mengen eines bituminösen Thones ergaben, zum Verlegen der
Photogenfabrik nach dorten in die Nähe der Gruben bei Markersdorf bei böhmisch
Kamnitz. Bei meiner Ankunft fand ich die Einrichtung der Theererzeugungs-Apparate
wie folgt:
Die Retorten waren eiserne elliptische horizontale Retorten, und wurden deren zwei
bis drei durch eine sehr zweckmäßige Feuerungsanlage erwärmt. Das Brennmaterial
bestand größtentheils aus demselben Fossil, welches auch zur Destillation benutzt
wurde, nur unbedeutende Quantitäten holziger Braunkohlen wurden aus der Grube
gefördert und als Brennmaterial verwendet.
Das Fossil gab bei der sehr zweckmäßigen Feuerungsanlage, die, wenn ich nicht irre,
von dem jetzigen Director der königl. Gas-Anstalt zu Dresden, Hrn. Dr.
Jahn, herrührte, hinreichende Wärme zu einer günstigen
Theerproduction.
Die Retorten hatten dagegen eine sehr ungünstige Construction, und die zur Abführung
der Dämpfe dienenden Röhren entsprachen keineswegs ihrem Zwecke. Die Retorten
mündeten in ein gemeinschaftliches Sammelrohr, und aus diesem gelangten die Dämpfe
und Gase in einen sogenannten Luftcondensator, wie er bei der Leuchtgasfabrication
aus Steinkohlen gebräuchlich ist. Von dort aus passirten die mit Oel geschwängerten
Gase ein wahres Labyrinth von horizontalen und verticalen Röhren. Die unvortheilhaft
angebrachten Sperrflüssigkeiten entsprachen bei diesem Apparate einem Gesammtdruck
von 10 bis 11 Zoll. Nach den genauen Angaben des Hrn. Directors der Gesellschaft und des Hrn. Wichmann selbst wurden folgende Resultate bei der
Theererzeugung erzielt.
Anmerkung. Der zur Destillation zu verwendende bituminöse
Thon wurde in Böhmen Kohle genannt, und ich habe deßhalb die Bezeichnung
beibehalten.
Textabbildung Bd. 162, S. 383
Kohlenverbrauch in Pfunden;
Destillationsproducte in Pfunden; Theer; Ammoniakwasser; Rückstand; Gas u.
Verlust; Datum; Retortenzahl; zur Destillation; zur Feuerung; Totalverbrauch;
Quantum; Sp. Gewicht; Procent; Quantum; Destillationszeit in Stunden; 1858
October; 1859 Januar; Eine vierzehntägige Destillation ergab bei Anwendung der
Wichmann'schen Apparate in Summa (das spec. Gewicht und der Procentsatz sind die
Durchschnittszahlen); Nachdem ich die unvortheilhafte Condensation beseitigt und
durch eine zweckmäßige, wie ich sie früher in diesem Journal Bd. CXXXIX S. 221 angegeben, ersetzt
hatte, begann die Destillation mit demselben Rohmaterial unter meiner
persönlichen Leitung; Eine fünftägige Destillation ergab demnach summarisch
nachfolgende Resultate die procentische Ausbeute so wie das spec. Gewicht sind
Durchschnittszahlen)
Zu den folgenden Destillationen wurde die Kohle vorher auf den Retortenöfen
getrocknet.
Textabbildung Bd. 162, S. 384
Kohlenverbrauch in Procenten;
Destillationsproducte in Pfunden; Theer; Ammoniakwasser; Rückstand; Gas u.
Verlust; Datum; Retortenzahl; zur Destillation; zur Feuerung; Totalverbrauch;
Quantum; Sp. Gewicht; Procent; Destillationszeit in Stunden; 1859 Januar;
Februar; Das summarische Ergebniß der getrockneten Kohle war demnach (spec.
Gewicht und der Procentsatz sind Durchschnittszahlen); Die unvortheilhaften
Dimensionen der Retorten und ihrer Mündungsröhren machten ein Reinigen derselben
am 5. und 6. Februar nothwendig; Bei den folgenden Destillationen war die Kohle
noch schärfer getrocknet und gleichförmig in baumnußgroße Stücke zerschlagen,
wodurch die Retorten mehr fassen konnten
Das summarische Ergebniß nebst den Durchschnittszahlen der procentischen Ausbeute und
der spec. Gewichte ist wie folgt.
Textabbildung Bd. 162, S. 385
Kohlenverbrauch in Procenten;
Destillationsproducte in Pfunden; Theer; Ammoniakwasser; Rückstand; Gas u.
Verlust; Datum; Retortenzahl; zur Destillation; zur Feuerung; Totalverbrauch;
Quantum; Sp. Gewicht; Procent; Destillationszeit in Stunden; 1859 Februar;
Zusammenstellung der verschiedenen Destillations-Ergebnisse; A. Wichmann'scher
Apparat und nasse Kohle; B. Bei Anwendung des Vohl'schen Condensators und nasser
Kohle; C wie B, nur getrocknete Kohlen; D wie C, nur die Kohle noch schärfer
getrocknet
Es ergaben demnach 100 Gewichtstheile Kohle durchschnittlich:
100 Gewichtsth.Kohlen ergaben an
Wichmann'scherApparat
Wichmann'sche
Retorten und Kühlung nach Vohl,
naß.
getrocknet.
scharf getrocknet
Theer
0,980 Procent;spec. Gew. 0,986.
4,318 Procent;spec. Gew. 0,924.
5,132 Procent;spec. Gew. 0,924.
5,318 Procent;spec. Gew. 0,920.
Feuerungskohlen-Verbrauch
361 Pfund.
169,8 Pfund.
167,6 Pfund.
156,4 Pfund.
Aus diesen Resultaten geht klar hervor, daß der Wichmann'sche Apparat die Bedingungen zu einer günstigen Theererzeugung nicht
besaß, und er nach einem Princip angelegt war, welches den Gaserzeugungsapparaten
entsprach. Dieser
Mißgriff bedingte die geringe Ausbeute an Theer von schlechter Qualität (spec.
Gewicht 0,986), verlängerte die Destillationszeit, und vermehrte den
Brennmaterialverbrauch auf mehr als das Doppelte des nothwendigen Quantums.
Die Beseitigung der Wichmann'schen Kondensation und die
Verminderung des Druckes, der auf den Retorten ruhte, so wie die Anwendung meiner
Condensation vermehrten bei sonst gleicher Beschickung und Behandlung der
unvortheilhaften Retorten, die Theerausbeute von 0,98 Proc. auf 4,318 Proc., und
nachdem das Destillationsmaterial getrocknet worden war, auf 5,318 Proc.
Die Qualität des Theers hatte sich nun bedeutend verbessert, und sein spec. Gewicht
war von 0,986 auf 0,923 reducirt worden. Der Theer, welcher früher dickflüssig und
von schwarzer Farbe war, war dünnflüssig geworden und seine Farbe hellbraun.
Der Brennmaterialverbrauch war von 361 Proc. auf 156,4 Proc. herabgesunken, die
Destillationszeit war von 40,3 auf 24 Stunden reducirt worden.
Um 100 Pfd. Theer aus diesem bituminösen Thon zu erzeugen, sind demnach
erforderlich:
Textabbildung Bd. 162, S. 386
Ausgaben für; Beim Apparat von
Wichmann; Beim veränderten Apparate von Vohl; Quantum; Geldbetrag; Thlr. Sgr.
Pf.; Destillationskohle; Feuerungskohle; Schichtenlöhne; Verschleiß und sonstige
Unkosten; 100 Pfd. Theer kosten demnach im Apparate von Wichm.; im Apparate von
Vohl
Anmerkung: Die Tonne Kohle à 300 Pfd. ist zu 4 Sgr. veranschlagt.
Diese Kohle, welche also bei einem sehr mangelhaften Apparate 100 Pfd. Theer zu 24
Thlr. 16 Sgr. 2 Pf. geliefert hatte, war befähigt, dasselbe Quantum von besserer
Qualität und in kürzerer Zeit zu 4 Thlr. 7 Sgr. zu liefern. Dabei ist zu bemerken,
daß die Retorte sehr mangelhaft construirt war, und nur die Hälfte der
Destillationscapacität besaß.
Schon oft habe ich Gelegenheit gehabt, sowohl in diesem Journal wie anderwärts darauf
aufmerksam zu machen, daß die Destillationscapacität einer Retorte mindestens 1000
Pfd. à 24 Stunden seyn müsse.
Wie ich schon früher bemerkte, hatte ich eine Quantität des Rohmaterials vorher in
meinem Laboratorium (zu Bonn) in meinem Apparate behandelt. Es stellten sich darnach
die 100 Pfd. Theer von 0,920 spec. Gewicht zu 3 Thlr. 17 Sgr. 5 Pfd.
Zu 100 Pfd. Theer waren nämlich erforderlich an:
Thlr.
Sgr.
Pf.
Destillationskohle = 1561 Pfd. (300 Pfd à 4 Sgr.)
–
21
–
Feuerungskohle = 2498
1
3
5
4 Schichtenlöhne à 12
Sgr
1
18
–
Verschleiß der Apparate und sonstige Unkosten
–
5
–
––––––––––––––––
In
Summa Thlr.
3
17
5
Es würden demnach mit diesem Apparate die 100 Pfd. Theer noch 19 Sgr. 7 Pf. billiger
zu stehen kommen, abgesehen davon, daß man in 24 Stunden eine bei weitem größere
Quantität (beinahe das Doppelte) produciren kann, und demnach die Arbeitslöhne und
das Brennmaterial sich bedeutend vermindern werden.
Der Unterschied des Theerpreises ist lediglich durch die Productionsmethode, resp.
durch die Construction der Theererzeugungs-Apparate bedingt, und es steht ganz außer
Zweifel, daß die Apparate und die Methode bei der Theererzeugung einer viel zu
geringen Beachtung gewürdigt worden sind.
Das vorgeführte Factum möge ferner als Beweis dienen, wie selbst eine mangelhafte Construction der Retorten bei vortheilhafter Kühlung eine ziemlich günstige
Theerausbeute zuläßt.
Schon vor mehreren Jahren habe ich die Theerproduction dem damaligen Standpunkte nach
in diesem Journal genau beschrieben, und mich auch über den Vorgang bei der
trockenen Destillation umfassend geäußert (polytechn. Journal Bd. CXXXIX S. 218), dennoch glaube ich im
Interesse der Industriellen zu handeln, wenn ich diesen so wichtigen Proceß einer
nochmaligen Besprechung in einer später folgenden Abhandlung unterziehe.
(Ich werde dieses Thema wie folgt abhandeln:
1) Trockene Destillation im Allgemeinen;
2) Einfluß der Temperatur auf die sich bildenden
Producte;
3) Kühlung, resp. Condensation.)
Der Theer, welchen ich bei den verschiedenen Destillationen in Markersdorf gewonnen
hatte, wurde nun der weiteren Verarbeitung, behufs Photogen- und Paraffin-Erzeugung,
übergeben, und nachfolgende Resultate erzielt.
Destillation der Rohöle aus dem gewonnenen
Theer.
Theer, erhalten vermittelst des
unveränderten Wichmann'schen Apparates.
Textabbildung Bd. 162, S. 388
Destillationsproducte; Portion;
Angewandter Theer; Wasser; Leichtes Oel; Paraffinmasse; Kohksrückstand im
Kessel; Gas und Verlust; Sp. Gewicht; Quantum; Procent.
Es ergaben demnach 100 Pfd. Wichmann'scher Theer
durchschnittlich an:
Wasser
13,296
leichtem Oel
35,795
Paraffin-Masse
23,407
Kohksrückstand
13,743
Gas und Verlust
13,759
–––––––
100,000.
Theer, vermittelst der Wichmann'schen
Retorte und der Vohl'schen Kühlung erhalten.
Textabbildung Bd. 162, S. 388
Destillationsproducte; Portion;
Angewandter Theer; Wasser; Leichtes Oel.; Paraffinmasse; Kohksrückstand im
Kessel; Gas und Verlust; Sp. Gewicht; Quantum; Procent.
Anmerkung. Da sämmtliche Theermassen zusammengegossen
wurden, so mußte das spec. Gewicht desselben ein gleichförmiges seyn; bei Portion
IV, VI, VII und VIII war die Entwässerung sehr nachlässig vorgenommen worden.
Es ergaben demnach 100 Pfd. dieses Theeres durchschnittlich an:
Wasser
11,747
Leichtem Oel
51,140
Paraffinmasse
27,988
Kohksrückstand
7,901
Gas und Verlust
1,224
–––––––
100,000.
Zusammenstellung.
Wichmann'sche
Retorte und Kühlung.
Wichmann'sche Retorte
undVohl'sche Kühlung
Wasser
13,296
11,747
leichtes Oel
35,195
51,140
Paraffinmasse
23,407
27,988
Kohksrückstand
13,743
7,901
Gas und Verlust
13,759
1,224
––––––––––––––––––––––––––––––––––––
100,000
100,000.
Die Rohöle, resp. das leichte Oel und die Paraffinmasse wurden nun nach meiner
Methode zuerst mit Alkalien und alsdann mit Schwefelsäure behandelt, gewaschen und
abgeblasen.
Nachfolgende Tabellen geben eine Uebersicht über die bei diesem Processe verwendenden
Chemikalien und deren Einwirkung, sowie über die erhaltenen Producte.
Zuerst wurden die leichten Rohöle behandelt.
Behandlung des leichten Rohöls zur
Darstellung von Photogen und Solaröl.
Textabbildung Bd. 162, S. 390
Leichtes Rohöl; Behandlung mit
Aetznatron; Behandlung mit Schwefelsäure; Resultirtes Oel.; Reinigung resp.
Trennung des behandelten Oeles durch Abblasen; Verlust durch die Reinigung;
Festes Aetznatron; Erhaltenes Kreosot-Natr.; Angewandte Säure von 66° B.;
Photogen; Solaröl; Portion; Quantum; Spec. Gewicht; Quantum in Pfd.; Spec.
Gewicht des Rohöls nach der Behandlung; Verlust in Procent
Anmerkung. Die Portion VI bestand aus dem leichten Rohöl
der Theerdestillation resp. Rohöl-Destillation VI = 403 Pfd. und 152 Pfd. Rohöl
einer früheren Theerdestillation.
100 Pfd. leichtes Rohöl ergaben demnach
an
Photogen von
0,825 –
40,049 Pfd.
Solaröl „
0,895 –
36,809 „
Kreosot-Natron
–
41,192 (enthält 15,653 Pfd. Kreosot oder 38 Prc.)
–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
An Chemikalien wurden dazu verwandt:
an
festem Aetznaton
8,521 Pfd.
Schwefelsäure v.
66° B.
10,482 „
–––––––––––––––––––––––––––––––
Der Verlust betrug durch die
Schwefelsäure
6,854 Pfd.
und durch das Abblasen
0,635 „
––––––––––––––
In Summa betrug der Verlust
7,489 Pfd. oder Proc.
Die bei der Theerrectification erhaltene Paraffinmasse wurde mit Alkali und Säure
behandelt, dann abgeblasen und aus dem Rückstande durch Ablutschen das Paraffin von
dem Solaröl geschieden.
Das Paraffin wurde nach meiner Methode mit reinem Photogen gewaschen und, nachdem
letzteres von demselben abgeblasen war, mit verwittertem Glaubersalz zur Entfernung
des Wassers im Wasserbade geschmolzen.
Ich erhielt folgende Resultate:
Behandlung der Paraffinmasse des Theeres
aus dem Wichmann'schen Apparate mit Aetznatron und concentrirter
Schwefelsäure.
Textabbildung Bd. 162, S. 391
Portion; Quantum in Pfund;
Behandlung mit Aetznatron; Behandlung mit Schwefelsäure; Fertige Produkte nach
dem Abblasen und Ablutschen; Festes Natron in Pfund; Erhaltenes Kreosotnatron;
Schwefelsäure in Pfund; Verlust; Photogen; Solaröl; Paraffin
Wichmann.
Vohl.
100 Pfd. Paraffinmasse ergaben demnach an
Photogen
2,46
7,34
Solaröl
65,39
63,40
Paraffin
6,44
9,00
Kreosot-Natron
12,85
13,18
–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
(Das Kreosot-Natron enthält 30 Proc. Kreosot.)
An Chemikalien wurden dazu
verwandt:
festes Aetznatron
2,50
2,58
Schwefelsäure von 660 Baumé
9,54
8,82
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Der Verlust durch die Schwefelsäure betrug
21,71
20,35.
Die summarische Ausbeute der verschiedenen Theersorten ergibt sich demnach wie folgt
in Procenten:
Theer des Wichmann'schen,
des Vohl-Wichmann'schen
Apparats.
Photogen
14,973
22,535
Solaröl
28,538
38,235
Paraffin
1,507
2,518
Kreosot-Natron
17,815
24,754
Aus dem Vorhergehenden wird zur Genüge erhellen, daß die größtmögliche Ausbeute an
Photogen und Paraffin durch die vortheilhafteste Theererzeugung bedingt ist, und man
auf diese Operation die größte Sorgfalt verwenden muß.
(Die FortsetzungDer
Verfasser wird in derselben die trockene
Destillation im Allgemeinen und insbesondere diejenige der
Braunkohle und des Torfes behufs Erzeugung eines Photogen- und
paraffinreichen Theeres besprechen.
folgt.)