Titel: | Ueber eine freiwillige Veränderung der Weine; von Balard. |
Fundstelle: | Band 163, Jahrgang 1862, Nr. XCVIII., S. 391 |
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XCVIII.
Ueber eine freiwillige Veränderung der Weine; von
Balard.
Aus den Comptes
rendus, December 1861, t. LIII p. 1226.
Balard, über eine freiwillige Veränderung der Weine.
Die neuesten önologischen Abhandlungen belehren uns darüber, daß wir über die
Krankheiten des Weines noch sehr wenig wissen. Ich habe in letzter Zeit Gelegenheit
gehabt, eine dieser freiwilligen Veränderungen oder Umsetzungen zu studiren, in
deren Gefolge der Wein, wie man sagt, umschlägt. Diese
durch nichts vorher angezeigte Krankheit fand in einer sehr kurzen Zeit statt.
Ein mir befreundeter Weinbergbesitzer von Montpellier, Hr. Serres-Solignac, hatte am 20. October
guten, vom Käufer anerkannten Wein verkauft. Am 14. November hatte dieser Wein eine
tief gehende Veränderung erfahren. Er war trüb, seine Farbe war vom lebhaften Roth
in ein Gelbroth übergegangen. Das Bouquet war verschwunden; der Geschmack war etwas
bitter; der Wein war umgeschlagen.
Die Thatsache, daß einige dieser Weine, nach dem Verdunsten im Wasserbade und dem
Trocknen bei 110° C. weniger festen Rückstand gaben, als die meisten Weine
aus derselben Gegend, konnte anfangs auf die Vermuthung führen, daß der Wein mit
Wasser versetzt seyn könnte, obwohl diesem der Charakter des Verkäufers und seiner
Angestellten widersprach. Wenn man nun bedenkt, daß der Trockensubstanzgehalt der
Weinevon sehr vielen
Umständen des Anbaues, der Düngung, der Reife, des Wetters etc. abhängt, so kann man
diese unter anderen Verhältnissen gewiß schätzenswerthe Bestimmung offenbar nicht
als maßgebend ansehen, um so weniger als bei verdorbenen Weinen die organische
Substanz uns gänzlich unbekannte Veränderungen erlitten haben kann. In dem
vorliegenden Falle konnte auf den Gehalt an Trockensubstanz um so weniger Gewicht
gelegt werden, als auch mehrere andere Weine aus dem gleichen Jahrgang und von
tadelloser Qualität keinen größeren Gehalt gezeigt haben, und der verdorbene Wein
außerdem seinen vollen Alkoholgehalt bewahrt hatte, auch in dem Kaligehalt keine
Abweichung bemerken ließ. Es lag also eine ganz natürliche Umwandlung des Weines
vor.
Bei einer mikroskopischen Untersuchung des Weines fanden Hr. Pasteur und ich sehr bald ein ganz specielles organisirtes Ferment,
ähnlich, wenn nicht gar identisch dem Milchsäureferment. Dieses Ferment fand ich in
noch vielen anderen Proben von in ähnlicher Weise verändertem Weine; es besteht aus
kleinen geraden Fasern, von einer Länge, die dem Durchmesser eines gewöhnlichen
Hefekügelchens gleichkommt; ihr eigener Durchmesser ist nur 1/10 hiervon. Wenn sie
sich in großer Menge in einer Flüssigkeit befinden und die Sonne darauf scheint, so
kann man sie schon an ihrem perlmutterartigen Aussehen von der unter gleichen
Umständen matten Hefe unterscheiden.
Um zu erkennen, ob dieses Ferment wirklich das gewöhnliche Milchsäureferment sey,
habe ich mehrfache Untersuchungen angestellt.
Eine kleine Menge dieser Fasern, auf einem Filter gesammelt und mit Hefewasser,
Zucker und Kreide hingestellt, gab nach zwei Tagen alle Anzeichen der
Milchsäuregährung, die übrigens bald in Buttersäuregährung übergieng. Bei einem
ähnlichen Versuch, jedoch ohne Hefewasser, blieb die Gährung im Milchsäurestadium
stehen, und es konnte die Milchsäure ohne Mühe nachgewiesen werden.
Die Umstände erlaubten mir, folgenden Vergleich zwischen dem frischen und dem
verdorbenen Wein anzustellen. Eine Bütte Wein war theils in Fässer von 350 Liter,
theils in ein Faß von 15000 Liter Inhalt gefüllt worden. Ersterer Wein hatte sich
ohne Veränderung erhalten, während der letztere vollständig umgeschlagen war. Man
kann dieses Verhalten offenbar der Wärme zuschreiben, die sich in der größeren
Quantität Flüssigkeit längere Zeit erhalten hatte, während in den kleinen Fässern
alsbald eine Abkühlung eingetreten war. Durch Vergleichen dieser beiden Producte
konnte also eine Aufklärung über die abnorme Gährung gehofft werden. Die chemische
Analyse constatirte nun folgende Unterschiede: Während der nicht verdorbene Wein
keine Essigsäure enthielt, fand sich in dem Wein des großen Fasses davon 1,5 Grm. per Liter, obwohl die Entwickelung von Kohlensäure
bewies, daß die gewöhnliche Essigbildung noch nicht eingetreten seyn konnte. In
beiden Weinen fand sich Traubenzucker, und zwar bestimmte ich denselben mittelst der
Kupferlösung zu 5,8 Grm. per Liter im gesunden, und zu
3,3 Grm. per Liter im kranken Weine.
Beide Weine zeigten nahezu denselben Weingeistgehalt.
Milchsäure – charakterisirt durch die Krystallform ihres Zinksalzes –
fand sich in beiden Weinen. Eine genaue Bestimmung der respectiven Mengen bleibt
noch zu machen; indessen fand ich auch in anderen, stets gesund gebliebenen Weine
verschiedener Herkunft Milchsäure. Ueber dieses Vorkommen beabsichtige ich später
noch specielle Untersuchungen anzustellen.
Bekanntlich erzeugt sich in späteren Stadien der Milchsäuregährung auch Wasserstoff.
Ich habe indessen in dem entwickelten Gase nur Kohlensäure gefunden, und muß daher
diese Gährung nur als eine alkoholische Nachgährung betrachten. Auch enthält die
durch Destillation des verdorbenen Weines gewonnene Essigsäure keine
Buttersäure.
Die hier in Rede stehende Krankheit des Weines ist nicht neu; ihr hat man vielleicht
die Säuerung zuzuschreiben, die sich während des Sommers bei manchen Weinen zeigt,
ohne daß man sie dem Zutritt der Luft zuschreiben könnte.
Es bleibt nun noch übrig die Lebensbedingungen jener mikroskopischen Wesen zu
studiren, wornach man vielleicht ihrer Entwickelung entgegenwirken kann. Ich werde
diese Untersuchung vornehmen, sobald das Abstechen der Weine mir eine genügende
Menge davon verschafft. Es ist in dieser Beziehung noch Alles zu thun übrig, doch
wollte ich hiemit wenigstens jetzt schon die Aufmerksamkeit auf diesen interessanten
Punkt hinlenken.
Es gibt viele Weine, die eine Nachgährung erleiden und dabei trübe erscheinen;
indessen verbessern sie sich eher hiedurch. Von 12 Proben Wein aus dem
Herault-Departement, welche ich in diesem Stadium untersuchte, fand ich eine,
welche trübe und scheinbar verändert, dennoch kein besonderes Ferment enthielt,
während 10 andere das oben beschriebene Ferment reichlich enthielten und demnach
dafür sprachen, daß die Ursache der Krankheit eine ziemlich allgemeine ist.
Es ist sehr wichtig, die Wahrheit in diesem Punkte zu erforschen. Wenn der Wein nur
einer gewöhnlichen Nachgährung unterworfen ist, so braucht man diese bloß
abzuwarten. Wenn er aber die angedeutete abnorme Gährung erleidet, so wird er sich
wahrscheinlich mehr und mehrverschlechtern, wenn diese Gährung intensiv genug ist, und
man nicht durch wiederholtes Schönen und Abziehen dahin gelangt, die mikroskopischen
Wesen zu beseitigen, welche vermuthlich die Anregung zu dieser Krankheit geben. Man
müßte in diesem Falle alle Gefäße mit derselben Sorgfalt reinigen, wie dieß bei dem
Desinficiren der Locale geschieht, worin die Seidenraupenkrankheit vorgekommen. Eine
einfache mikroskopische Beobachtung läßt aber in jedem Falle die Existenz des
eigenthümlichen Ferments leicht erkennen.