Titel: | Einige Worte zur Beleuchtung der von Hrn. Prof. Dr. Max Pettenkofer aufgestellten Theorie über die Bewegung der Meßtrommel in der nassen Gasuhr. |
Fundstelle: | Band 163, Jahrgang 1862, Nr. CXII., S. 424 |
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CXII.
Einige Worte zur Beleuchtung der von Hrn. Prof.
Dr. Max Pettenkofer aufgestellten Theorie über die Bewegung
der Meßtrommel in der nassen Gasuhr.
Walther, über die Bewegung der Meßtrommel in der
nassen Gasuhr.
Hr. Prof. Dr. Max Pettenkofer
theilt in diesem Bande des polytechn. Journals Seite 274
eine eigenthümliche Ansicht über die Ursache der Bewegung der Meßtrommel in der
nassen Gasuhr mit; er kommt nämlich zu dem Schlusse, daß die Bewegung der Meßtrommel
durch das Uebergewicht des Wassers verursacht werde, von dem sich in der
eintauchenden Kammer mehr befinde, als in der aus dem Wasser austretenden.
Er benutzt zur Erläuterung seiner Erklärung einen auf Seite 276 abgebildeten
Cylinder, der auch dem Unterzeichneten im Folgenden als Anhaltspunkt dienen soll,
und sagt von demselben auf Seite 277:
„Stellt man den Cylinder A auf
den Lagern D, E in ein Gefäß, in welchem das Wasser
eben so hoch steht, wie im Innern des Cylinders (natürlich bei n') etc.“
Nachdem der verehrte Hr. Verfasser bis hieher in seiner Betrachtung gekommen war,
hätte er sich wohl auch die Frage stellen sollen, was geschehen würde, wenn man
plötzlich die rechte Cylinderhälfte N gänzlich abnehmen
könnte. Er würde gewiß selbst zu der Antwort gekommen seyn, daß der Wasserspiegel
n' vollkommen unverändert bleibt. Die Cylinderwandungen haben also das Gewicht des Wassers nicht
getragen; denn sonst könnte dasselbe nach Wegnahme der Cylinderwandungen
nicht unverändert stehen bleiben. Fragt man sich dann ferner, was wird in der linken
Cylinderhälfte, der Kammer M vorgehen, wenn die rechte
Cylinderhälfte abgenommen wird, wobei man sich natürlich den Cylinder als gewichtlos
oder das Gewicht der abgenommenen Cylinderhälfte durch irgend ein Gegengewicht
ersetzt denken muß, so wird die Antwort darauf nicht schwer seyn. Es wird der
Wasserstand m' und alles Uebrige in der Kammer M vollständig unverändert bleiben, und der Cylinder wird
seine drehende Bewegung unverändert fortsetzen, gleichgültig ob die rechte Seite des
Cylinders mit ihrem von Hrn. Professor Pettenkofer
beliebten Wassergewichte oder Uebergewichte vorhanden ist oder nicht. Zur Bewegung, d.h. Drehung des
Cylinders ist also seine rechte Hälfte durchaus unnöthig.
Ich möchte nun die Frage stellen, was wohl von einer Erklärung zu halten ist, welche
sich auf Etwas stützt, welche Etwas zur Hauptsache
macht, von dem es ganz
gleichgültig ist, ob es existirt oder nicht, und das, ohne eine Veränderung in den
Erscheinungen hervorzurufen, beliebig weggenommen oder hinzugefügt werden kann. Die
Beantwortung dieser Frage überlasse ich dem geneigten Leser.
Das Wasser oder die Flüssigkeit in der nassen Gasuhr wird nach wie vor der Erklärung
des Hrn. Prof. Pettenkofer einfaches Absperr-,
Liederungs- oder Dichtungs-Mittel bleiben, welches sich mit der
möglich geringsten Reibung an alle veränderlichen Querschnitte eines Gefäßes
luft- oder gasdicht anschließt, und der Vorgang in der Gasuhr wird nach wie
vor so einfach als möglich bleiben, nämlich so einfach wie der Vorgang im großen
Gasometer, oder in irgend einer Gasglocke, die steigt, sobald man Luft oder Gas von
größerer Spannung als die umgebende Luft sie hat, in selbe einleitet. Ob dieses
Steigen geradlinig oder im Kreisbogen geschieht, ist ganz gleichgültig. Wenn nun
trotz der Einfachheit des Vorganges und der Erscheinungen es Manchem schwer fällt,
sich das vollkommen klar zu machen, was in der Gasuhr
vorgeht, so liegt der Fehler daran, daß nicht Jedermann sein Anschauungs- und
Vorstellungsvermögen so viel geübt hat, wie andere Geistesrichtungen, und ich möchte
fast die Behauptung aufstellen, daß der Hauptunterschied zwischen dem Praktiker und
Theoretiker darin besteht, daß der erste nur durch die
Anschauung gelernt, und sein Anschauungs-, so wie sein Vorstellungsvermögen
fast allein, in besonderem Maaße, ausgebildet hat, während der zweite alle übrigen
Geistesrichtungen mehr cultivirt hat, als das Anschauungsvermögen. Es ist deßhalb
eine ganz gewöhnliche Erscheinung, daß der Praktiker sehr schnell das gesammte
Wesen, z.B. einer complicirten Maschine, im Zusammenhange auffaßt, im Augenblicke
sieht, wo etwas Fehlerhaftes sich befindet, und Vorschläge zur Abhülfe machen kann,
während der Theoretiker leicht am Einzelnen hängen bleibt, Mühe hat, sich den
Zusammenhang des Ganzen vorzustellen, und noch größere Mühe, wenn es sich darum
handelt, das Gesehene zu jeder beliebigen Zeit sich vollkommen klar wieder vor sein
geistiges Auge zu stellen.
Doch ich bin hier zu weit von der Einsprache gegen die von Hrn. Prof. Dr. Pettenkofer vorgelegte
Erklärung abgeschweift, und will nur noch bemerken, daß ich, um allenfalls noch
Ungläubigen den praktischen Beweis dessen geben zu können, was ich in Bezug auf die
Gasuhr behauptete, eine Gastrommel herstellen ließ, welcher ein Theil ihres Umfanges
fehlt, so daß in der von ihrer Cylinderwandung entblößten Zelle von einem
Wassergewichte oder Uebergewichte keine Rede seyn kann, und die demungeachtet in der
kritischen Lage, nämlich derjenigen, in welcher das Wassergewicht wirken sollte,
noch gerade so gut geht, als wenn dieTrommel unversehrt wäre. – Ueber weitere
Erscheinungen, welche Hr. Prof. Dr. Pettenkofer beobachtet hat, und die darin bestehen, daß
das Wasser, statt stille zu stehen, von einer Zelle in die andere abfließt, und daß die halb
gefüllte Trommel mit den Fingern schwerer zu drehen ist, als die ganz gefüllte oder
auch ungefüllte Trommel etc., enthalte ich mich jeden Wortes, da Jedermann, der die
Einrichtung der Gasuhr wirklich versteht, sich sicherlich auch die richtige
Erklärung für diese Erscheinungen machen wird. Solchen, welche die Einrichtung einer
Gasuhr nicht verstehen, würde auch ein Eingehen auf diese Erscheinungen nicht zum
Verständniß helfen.
C. Walther, kgl. Professor.