Titel: | Bemerkungen zu der Abhandlung von Leplay und Cuisinier über deren neues Verfahren für Säftereinigung und Knochenkohle-Wiederbelebung; von Dr. C. Stammer. |
Autor: | Karl Stammer [GND] |
Fundstelle: | Band 164, Jahrgang 1862, Nr. XVII., S. 64 |
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XVII.
Bemerkungen zu der Abhandlung von Leplay und Cuisinier über deren neues
Verfahren für Säftereinigung und Knochenkohle-Wiederbelebung; von Dr. C. Stammer.
Stammer, über Leplay's Verfahren für Säftereinigung u.
Knochenkohle-Wiederbelebung.
Wir sind es zwar gewohnt, daß unsere Nachbaren jenseits des Rheines wenig Kenntniß
von den Fortschritten und Arbeiten nehmen, welche auf diesem oder jenem
wissenschaftlichen oder technischen Gebiete in Deutschland gemacht werden. Wenn es
aber geschieht, so pflegt man wenigstens gar zu häufig den Ursprung zu verläugnen
und seiner glorreichen Nation die Ehre anzumaßen. Auch das möchte jedoch noch
hingehen, wenn nicht zugleich die auf diese Weise aus fremdem Gute mit mehr oder
weniger eigener Zuthat hergestellten Dinge der Welt mit großem Pompe, aber ohne
vorherige sorgfältige und gewissenhafte Prüfung, als etwas Neues, Originelles, als
ein nicht genug zu rühmender Fortschritt angepriesen würden. Es verschlägt jener
Ruhmrednerei wenig, wenn dann und wann solcher Humbug wie z.B. die Rousseau'sche Erfindung das verdiente Fiasco macht. Man
braucht nur die Publicationen der französischen Presse zu verfolgen, welche sich auf
ein einzelnes Fach, z.B. auf die Zuckerindustrie beziehen, um sich zu überzeugen,
wie weit entfernt diese Industrie in Frankreich von demjenigen Standpunkt ist,
welchen sie in Deutschland einnimmt, und wie wenig die Franzosen von dem Notiz
nehmen, was bei uns auf diesem Gebiete geforscht und gearbeitet wird.
Ich habe in dieser Zeitschrift schon mehrere Beispiele erwähnt, welche das Gesagte bestätigen können;
ein weiteres, recht auffallendes liegt eben vor uns.
Sollte man nach Durchlesung des vorhergehenden Artikels nicht glauben müssen, wir
bewegten uns, was die Filtration betrifft, in einer beklagenswerthen Finsterniß, die
endlich in Tag zu verwandeln, den Herren Leplay und Cuisinier vorbehalten war? Für die französischen Fabriken
mag das eher zutreffen, denn, wie die genannten Herren mit Recht tadeln, ist dort
bei großer Unkenntniß über Nutzen und Wirkung der Knochenkohle, das Streben nur auf
deren Entfernung aus den Zuckerfabriken gerichtet gewesen, während diese Substanz
doch längst anerkannt und unbestritten als der Angelpunkt der ganzen Fabrication
gelten muß. Allein die Forschungen der Herren L. und C. sind, wie auch ein früherer
Artikel von Hrn. Dr. Otto Dammer in diesem Journal Bd. CLXIII S.
386 hervorhebt, durchaus nicht dem Standpunkte entsprechend, den dieser
Zweig der technischen Wissenschaft heute einnimmt. Daß diese Herren keinen Bezug auf
deutsche Arbeiten in diesem Gebiete nehmen, braucht wohl gar nicht bemerkt zu
werden. Zu dem was der eben bezeichnete Artikel über diesen Punkt sagt, ist nur
wenig hinzuzufügen. Doch möchte ich auf Eines aufmerksam machen. Man hat den
Franzosen stets Klarheit und Präcision in ihren Berichten, Beschreibungen und
Erklärungen nachgerühmt. Man wird aber zugeben, daß der vorstehenden Mittheilung der
Herren L. und C. an die französische Akademie der Wissenschaften diese Eigenschaften
in hohem Grade mangeln. Es ist aus derselben weder zu erkennen, wie diese Herren der
so hoch gepriesenen „neuen“ Thatsache auf die Spur gekommen
sind, welche sie an die Spitze ihres Berichtes stellen, noch wie aus derselben
irgend ein praktischer Nutzen gezogen werden könne. Was soll es helfen, zu wissen,
durch welche einzelnen Mittel und nach welchem Zeitverlauf die einzelnen Theile der
Absorptionsfähigkeit wieder herzustellen sind, wenn ja doch die eine Reihe der
Absorptionen ohne die andere keinen Werth hat, und wenn gar nicht abzusehen ist, wie
man jedesmal nach Erschöpfung einer Eigenschaft diese etwa erst allein wiederbeleben
und dann im Filtriren weiter fortfahren solle? Denn den Nachweis über die Ausführung
der fractionsweisen Wiederbelebung nach Erforderniß des jedesmaligen Verschwindens
eines Theils der Kohlenkraft blieben uns die Herren Erfinder gänzlich schuldig.
Dazu kommt noch, daß die Feststellung der Zeit dieses Verschwindens, wie sie von den
Herren L. und C. gemacht wird, gar keinen Werth hat, indem dabei nur dieser eine
Factor, nicht aber die Menge und die Beschaffenheit der Säfte berücksichtigt wird,
was doch hier von der unumgänglichsten Nothwendigkeit gewesen wäre. Ja diese Herren
widersprechen sich
selbst, indem sie in einem Satze der Farbe der Säfte gar keine Wichtigkeit beilegen,
und in einem anderen es als einen Hauptnachtheil der Salze etc. schildern, daß sie
beim Kochen die Säfte dunkel färben.
Ich muß schon um Entschuldigung bitten, wenn ich nach dem Gesagten dennoch etwas im
Einzelnen auf die in Rede stehenden Forschungsresultate eingehe; allein ein paar
Bemerkungen kann ich nicht unterlassen, darüber noch hinzuzufügen.
Sieht man einstweilen von dem letzten Theile der Mittheilung der Herren L. und C. ab,
so kann alles Andere nur als müßiges Gerede bezeichnet werden, welches wirklich der
Mühe einer Widerlegung nicht lohnt. Es werden uns zwei Dinge angepriesen, von denen
das eine die Wiederbelebung nach ganz bekannter Weise,
nach der sogenannten österreichischen Methode ist, die bereits, wie auch von Hrn.
Dr. Dammer angeführt
wurde, bei uns ihre Verurtheilung erfahren hat. Man sollte freilich erwarten, daß
Leute, welche im Gebiete der Zuckerfabrication Erfindungen zu machen beabsichtigen,
zunächst das schon Vorhandene einigen Studiums würdigen würden. Hätten die Herren L.
u. C. dieß gethan, so würden sie aus den von Hrn. Dammer
angeführten Abhandlungen ersehen haben, welche Schwierigkeiten die bezeichnete
Wiederbelebungsmethode keine Verbreitung gewinnen ließen. Auch die Möglichkeit der
Anwendung von caustischem statt des kohlensauren Natrons liegt so nahe, daß sie ohne
Zweifel von den deutschen Erfindern in Betracht gezogen worden ist; daß sie diese
Abänderung nicht trafen, ist wohl Beweises genug, daß dieselbe weder erheblich ist,
noch einen Einfluß auf die Brauchbarkeit des Verfahrens üben kann.
Der andere Punkt, den die Herren L. u. C. als neu in Vorschlag bringen, ist die
Wiederbelebung in den Filtern! Fürwahr ein hübscher Vorschlag. Ob wohl die Herren
Erfinder schon einmal untersucht haben, wie es mit der Gleichmäßigkeit der Wirkung
einer Salzsäurebehandlung, oder mit der eines Auswaschens im Filter aussieht? Man
kann wohl voraussehen, was eine solche Untersuchung, wenn sie gut und sorgfältig
ausgeführt ist, für Resultate liefern muß. Es scheint den Herren ganz unbekannt
geblieben zu seyn, wie schwierig die Entfernung der Salze auch bei der besten
Waschmaschine ist. Der Gedanke dieser Wiederbelebung im Filter ist übrigens nicht
neu, sondern in manchem unpraktischen Kopfe schon mehrfach vorgekommen, was die
Herren L. u. C. aber ebenfalls nicht gewußt zu haben scheinen.
Es bleibt nun noch die Erfindung übrig, wornach die Absorptionskraft der Kohle in
beliebigem Grade vermehrt werden soll.
In dieser Weise ist freilich die Anwendung des sauren phosphorsauren Kalkes eine neue, und die Ehre,
diesen Gedanken zuerst ausgesprochen zu haben, soll den Herren L. u. C. nicht in
Abrede gestellt werden.
Allein die Herren Erfinder hätten nicht vergessen sollen, daß es, um Erfindungen zu
machen, nicht hinreicht fremde oder eigene Gedanken auszusprechen, sondern daß
dieselben auch begründet, daß die Methode ihrer Ausführung angegeben und die
Ausführbarkeit nachgewiesen, endlich der erzielte Erfolg in Zahlen dargethan werden
muß.
Hier fehlt noch mehr, als im ersten Theile jede Klarheit und Schärfe der
Beschreibung. Nach dem Mitgetheilten, welches noch dazu zwischen Erklärung und
Formel einen Mangel an Uebereinstimmung, oder doch eine Unsicherheit enthält, ist es
ganz unmöglich auch nur im Kleinen einen Versuch mit Knochenkohle anzustellen, von
Fabrikproben ganz zu geschweigen. Ehe die Herren L. u. C. uns sagen, wie sie die
Umwandlung des phosphorsauren Kalkes der Kohle in die zweibasische Verbindung,
welche so wunderbare Eigenschaften entwickeln soll, daß sie selbst die Kohle an
Absorptionsfähigkeit (wofür?) überträfe, in der Kohle hervorbringen und die neue
Verbindung darin ohne Nachtheil fixiren, kann man die Wahrheit ihrer Behauptung
nicht prüfen, und sind alle Zweifel an derselben berechtigt.
Ich möchte aber die Herren Leplay und Cuisinier auf zwei Thatsachen aufmerksam machen. Erstens wird saurer phosphorsaurer Kalk seit vielen
Jahren in Deutschland angewandt, und zwar zum Entkalken und Klären der Säfte und
Syrupe. Eine Verbindung, welche weniger Phosphorsäure enthält, ist hier ebenfalls
als „phosphorsaures Ammoniak“ angewandt worden. Die
Mittheilungen darüber sind von mir und Anderen schon längst geschehen. Niemand aber
hat je gefunden, daß irgend eine derartige Verbindung die merkwürdigen Eigenschaften
in solchem Maaße besitze, wie sie die französischen Entdecker gefunden haben wollen,
so daß daraus ein erheblicher Vortheil in Bezug auf Absorption (der Salze?) zu
erreichen wäre. Daß ein solcher Niederschlag bei seiner Entstehung den Syrup klärt, ist eine längst bekannte Thatsache; daß bisweilen
eine schwache Entfärbung erfolgt, mag auch nicht ganz
unrichtig seyn – allein das ist neben der entkalkenden Wirkung auch Alles, es
müßte denn seyn, daß die Herren eine ganz neue Verbindung mit neuen Eigenschaften
entdeckt hätten, wofür sie uns aber allen und jeden Nachweis schuldig geblieben
sind. Wie sie eine solche Verbindung vollends in der Kohle niederschlagen wollen,
ohne den Kohlenstoff in seiner Wirkung zu benachtheiligen, ohne der Porosität
Eintrag zu thun, ohne die Kohle mit Gyps, ja mit freier Säure zu beladen, wie sie die nachtheiligen
Wirkungen der unvermeidlichen Salzzuführung, die oft beobachtete sogenannte
„Gährung“ in den NachproductenEine Folge der Einführung des sauren phosphorsauren Kalkes in der gewöhnlichen Form in die Fabrikproducte. verhindern – das Alles zu hören wäre gewiß weit interessanter
gewesen, als der Herren Verfasser allgemeine Redensarten.
Zweitens aber scheint es, daß die Herren L. u. C. sich
mit den Eigenschaften ihres neuen Präparates nicht sonderlich vertraut gemacht
haben. Daß die in Rede stehende Verbindung, das auch „neutral“
genannte Salz 2 CaO, HO, cPO⁵ von reinem Wasser
nicht aufgelöst wird, ist freilich hinreichend bekannt, und die Herren L. u. C.
wissen das auch, allein daß dasselbe Salz eine sehr unbeständige Verbindung ist, so
daß es schon durch Kochen mit Wasser zersetzt wird, indem saurer phosphorsaurer Kalk
sich löst und basischer zurückbleibt, wie dieß von Baedecker nachgewiesen worden, und auch mit den von H. Rose beschriebenen basischen Wirkungen des Wassers
übereinstimmt – was man in jedem ausführlichen Lehrbuch nachlesen kannUnter anderen in Graham-Otto's Lehrbuch der anorganischen Chemie, 3.
Auflage, Bd. II S. 434. – das haben die Herren entweder nicht gewußt oder ignorirt!
Bedenkt man ferner, daß bekanntlich schon Kohlensäure das Salz löst – und daß
Zuckersäfte mit lösenden Eigenschaften für gar manche Salze versehen sind, so kann
man wohl annehmen, daß dieses Salz, wenn es künstlich in die Kohle gekommen, bei
deren Anwendung in der Fabrik nicht lange darin verbleiben werde.
Ob es bei dieser Zersetzung und Wegführung schädlich wirkt, kann man zwar nicht mit
Bestimmtheit voraussagen, doch wird keiner Fabrik die Anwesenheit eines sauren
Salzes in ihren Säften willkommen seyn, und von einem Nutzen des Salzes kann unter
solchen Umständen doch gewiß gar keine Rede seyn.
Welche Erscheinungen es gewesen sind, welche die Herren L. u. C. auf die Annahme
führten, dieser ihrer neuen Erfindung solche Vortheile zuzuschreiben, kann man
freilich nach ihrem mangelhaften Bericht, der über die wirklichen Beobachtungen
nichts enthält, nicht wissen; es können gar mancherlei Vorkommnisse, wenn man nicht
ernstlich nach deren Gründen forscht, auf solche irrthümliche Vorstellungen geführt
haben; allein so viel scheint sicher, daß so gar Vieles gegen die ausgesprochenen
Behauptungen spricht und so sehr Weniges für dieselben, daß eine Veranlassung zu
einschlagenden Versuchen nicht eher vorliegt, als bis wir durch genauere und ins Einzelne
gehende Mittheilungen, durch Berichte über zuverlässige Untersuchungen und
Ermittelungen der Erfinder selbst, eine bessere Meinung von ihrer Erfindung erhalten
haben, wozu aber freilich wenig Aussicht vorhanden seyn dürfte.