Titel: | Ueber die Umwandlung des Stärkmehls in Dextrin und Krümmelzucker; von T. Musculus. |
Fundstelle: | Band 164, Jahrgang 1862, Nr. XL., S. 150 |
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XL.
Ueber die Umwandlung des Stärkmehls in Dextrin
und Krümmelzucker; von T.
Musculus.
Aus den Comptes rendus, Januar 1862, t. LIV p.
194.
Musculus, über die Umwandlung des Stärkmehls in Dextrin und
Krümmelzucker.
Im verflossenen Jahre habe ich in einer der (französischen) Akademie vorgelegten
AbhandlungPolytechn. Journal Bd. CLVIII S.
424. zu beweisen gesucht, daß die Umwandlung des Stärkmehls in Dextrin und
Krümmelzucker unter dem Einfluß der Diastase oder der verdünnten Schwefelsäure
vielmehr in einer Zersetzung als in einer Wasseraufnahme mit vorhergehender
isomerischen Umwandlung bestehe. Die von mir erlangten Resultate sind in der
(vorstehenden) Abhandlung von Payen bestritten worden. Da
unter den von Payen mitgetheilten Beobachtungen mehrere
mit den meinigen übereinstimmen, und andere meine Ansicht vollkommen zu bestätigen
scheinen, so erlaube ich mir, über diesen Gegenstand folgende Bemerkungen zu
machen.
Hr. Payen glaubt, daß ich durch die eigenthümliche
Structur der Stärkmehlkörner irre geführt worden sey, indem ich zufällig Gemische
von Krümmelzucker und Dextrin finden konnte, in Folge der größeren oder geringeren
Aggregation der einzelnen Schichten der Körner. Es ist aber der in meiner früheren
Abhandlung mitgetheilte Fundamentalversuch, welcher mich zu einer der allgemein
angenommenen ganz entgegengesetzten Ansicht geführt hat, ganz unabhängig von der
Structur der Stärkekörner. Dieser Versuch ist folgender:
Wenn man Stärkmehl mit einer Lösung von Diastase digerirt und von Zeit zu Zeit den
gebildeten Krümmelzucker bestimmt, so findet man, daß diese Menge bis zum
Verschwinden alles Stärkmehles zunimmt (was man mittelst Jodlösung leicht erkennen
kann). Von diesem Punkte an entsteht kein Zucker mehr, so lange man auch erwärmt,
obwohl noch unverwandeltes Dextrin in Lösung bleibt, wie Payen dieß selbst gefunden hat. Wenn man aber eine neue Menge Stärkmehl
hinzusetzt, so beginnt die Zuckerbildung wieder, um wieder aufzuhören, wenn das
Stärkmehl verschwunden ist, und so weiter fort, bis zur Erschöpfung der Wirksamkeit
der Diastase, d.h. nach Persoz und Payen, wenn ein Theil Diastase 2000 Thle. Stärkmehl gelöst hat.
Wie soll man diese Erscheinung erklären, wenn das Stärkmehl sich zuerst in Dextrin
und dann in Krümmelzucker verwandelt? Man müßte annehmen, daß die Diastase auf
einen Theil des Dextrins eine stärkere Wirkung ausübt, als auf den anderen, was doch
unmöglich scheint.
Nimmt man verdünnte Schwefelsäure statt Diastase, so findet dasselbe statt, nur
schreitet die Zuckerbildung noch fort, wenn das Stärkmehl verschwunden ist, wiewohl
mit äußerster Langsamkeit; auch dieß hat Payen erkannt,
da er, um das Maximum an Krümmelzucker zu erhalten, fünf Stunden lang erhitzen
mußte. Da die Operation bei einem höheren Drucke als dem normalen rascher vor sich
geht, so habe ich vorgeschlagen, in geschlossenen Gefäßen zu kochen, indem ich
hoffte wohlfeiler zu arbeiten und ein weniger gefärbtes Product zu erhalten, indem
bekanntlich eine Krümmelzuckerlösung bei langem Kochen stark gebräunt wird. Setzt
man frisches Stärkmehl hinzu, so wird die Bildung des Krümmelzuckers erheblich
beschleunigt und nach 25–30 Minuten bläut die Flüssigkeit, wenn man mit
Stärke in Kleisterform arbeitete, nicht mehr die Jodtinctur.
Da ich stets nach jedem Stärkezusatz, und wenn ich die Operation im Augenblicke
unterbrach, wo die Lösung durch Jodtinctur nicht mehr gebläut wird, beobachtete, daß
nur ein gewisser und zwar stets derselbe Antheil dieser Stärke in Zucker verwandelt
war, so habe ich daraus geschlossen, daß hier eine Spaltung und nicht eine
isomerische Umwandlung mit nachfolgender Wasseraufnahme stattgefunden habe.
Wenn ich angab, daß die constanten Mengen Dextrin und Krümmelzucker, welche sich bei
dieser Reaction bilden, im Verhältniß von 2 : 1 stehen, so wollte ich damit nur
diejenigen Mengen bezeichnen, welche von der Zersetzung des Stärkmehls herrühren. Es
ist also nicht auffallend, daß Payen nicht mit mir
übereinstimmt, obwohl ich, um dieses Verhältniß zu finden, die Operation in dem
Augenblicke unterbrach, wo die Jodtinctur das Verschwinden des Stärkmehls anzeigte,
während Payen mit dem Erhitzen bis zum Aufhören der
Zuckerbildung fortfährt.
Indessen stellt sich die Uebereinstimmung wieder her, wenn man den Versuch Nr. 5 mit
Nr. 1 der Abhandlung von Payen vergleicht.
Beim ersteren Versuch erhielt er mit Diastase 26,03 Proc. Krümmelzucker, und bei dem
letzteren, wo er die Wirkung der (im Verhältniß von 3 Proc. zugesetzten)
Schwefelsäure erschöpfte, 83,6 Proc., was sich dem von mir angegebenen Verhältnisse
nähert.
Es ist klar: im Versuche Nr. 5 hat die Diastase nur das Stärkmehl in Zucker
übergeführt, während beim Versuch 1 durch die Schwefelsäure sowohl aus Stärke, wie
aus Dextrin Zucker entstanden ist.
Payen sagt, daß er bei einem anderen Versuche mit
Diastase und Stärkmehl bis zu 50 Proc. Krümmelzucker erhalten habe, indem er die
Diastase auf Kleister einwirken ließ, was ich nie erreichen konnte, selbst wenn ich noch 24 Stunden
lang nach dem Verschwinden des Stärkmehls erhitzte.
Dieses Resultat würde darthun, daß der Krümmelzucker die Wirkung der Diastase auf das
Dextrin nur unvollkommen aufhebt und somit die Wirkungsweise der Diastase und
diejenige der verdünnten Schwefelsäure ähnlicher darstellen. Wenn aber der
Krümmelzucker die Zuckerbildung aus Dextrin mehr oder weniger verhindert, so hindert
er nicht diejenige aus Stärkmehl, woraus also folgt, daß, so lange Stärkmehl in der
Flüssigkeit ist, das Dextrin nicht angegriffen wird.
Endlich hat Payen gefunden, daß die Wirkung der Diastase
nahe bei 10º unter Null (?) stattfindet, und daß bei dieser niedrigen wie bei
den höheren Temperaturen, stets ein Gemisch von Krümmelzucker und Dextrin entsteht;
niemals hat man Dextrin ohne Krümmelzucker erhalten können.
Ich glaube, daß man dieses Resultat als eine Bestätigung meiner Angaben betrachten
kann.
Schlußfolgerungen.
Wenn man annimmt, daß das Stärkmehl sich unter dem Einfluß der Diastase oder der
verdünnten Säuren, welche nur durch ihre Gegenwart wirken, zuerst in Dextrin und
dann in Krümmelzucker verwandelt, so kommt man zu folgendem Schluß:
Es erleidet ein Körper lediglich durch die Gegenwart eines anderen, eine Reihe von
Metamorphosen. Wir kennen zwar mehrere Beispiele von Zersetzungen und Verbindungen
in Folge der katalytischen Kraft, allein niemals veranlaßt diese geheimnißvolle
Kraft gleichzeitig eine Lösung, eine isomerische Umwandlung und eine Wasseraufnahme.
Es ist also nicht auffallend, daß die Chemiker eine andere Erklärung für diese
Erscheinung gesucht haben.
Lutz hat in einer Abhandlung über die Rolle des Wassers
bei den chemischen Erscheinungen, die Verwandlung des Stärkmehls in Krümmelzucker
mit einer Verseifung verglichen. Er hat dabei, gestützt auf die Existenz und die
Eigenschaften der Zuckerschwefelsäure, die Bildung eines zusammengesetzten Aethers
des Glykose-Alkohols (Berthelot) angenommen, der
in Gegenwart von Wasser bei höherer Temperatur nicht bestehen könne, und daher
unmittelbar nach seiner Bildung in Schwefelsäurehydrat und Glykose (Krümmelzucker)
zerfalle:
S²O⁶C¹²H¹ºO¹º + 4HO = S²O⁶, 2HO + C¹²H¹²O¹²
Zur vollständigen Analogie fehlt aber dieser sinnreichen
Hypothese die von mir angeführte Thatsache.
Man kann also sagen, daß die Stärke unter dem Einfluß der Schwefelsäure sich in Dextrin
und Krümmelzucker unter Wasseraufnahme spalte, genau so wie die Fette, welche mit
derselben Säure eine Fettsäure und Glycerin unter Wasseraufnahme liefern.
Uebrigens zersetzen sich alle übrigen Glykoside in
ähnlicher Weise: unter dem Einfluß der Schwefelsäure, oder des Kalis, oder einer
stickstoffhaltigen Substanz, erhält man stets Krümmelzucker unter Wasseraufnahme und
einen anderen Körper. Das Salicin gibt Krümmelzucker und Saligenin; das Phloridzin
gibt Krümmelzucker und Phloretin; das Tannin gibt Krümmelzucker und Gallussäure
etc.