Titel: | Ueber die Auflöslichkeit des Bleies durch Essigsäure aus dem mit Blei versetzten Zinn; von Prof. Dr. Adolph Pleischl. |
Fundstelle: | Band 164, Jahrgang 1862, Nr. LIV., S. 200 |
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LIV.
Ueber die Auflöslichkeit des Bleies durch
Essigsäure aus dem mit Blei versetzten Zinn; von Prof. Dr. Adolph Pleischl.
Aus den Sitzungsberichten der Wiener Akademie der
Wissens., mathematisch-naturw. Classe, Bd. XLIII S.
555.
Pleischl, über die Auflöslichkeit des Bleies durch Essigsäure aus
dem mit Blei versetzten Zinn.
In den meisten Lehr- und Handbüchern der Chemie findet man angegeben:
„daß das Blei aus seinen wässerigen Lösungen durch Zinn metallisch, in
Dendriten, gefallt werde,“ und Proust (Gehlen's allgem. Journal der Chemie, Bd. III S. 146)
behauptet: „daß das Blei, welches sonst in Essig leicht auflöslich ist, in
Verbindung mit Zinn gar nicht aufgelöst werde.“ Diese beiden
Behauptungen verdienen wohl eine nähere Prüfung und zwar um so mehr, als sie selbst
noch gegenwärtig für richtig gehalten werden, wie unter anderen aus Regnault's Lehrb. d. Chem. (übersetzt von Strecker, 1858, Bd. I S. 530) zu ersehen ist, wo es
heißt, daß nebst Eisen und Zink, auch Zinn das Blei aus der Lösung der Bleisalze
fällt, und weil sie einen Gegenstand betreffen, der für die öffentliche
Gesundheitspflege von Wichtigkeit ist.
Zuerst entsteht die Frage, ob es denn wahr sey, daß Blei aus seinen wässerigen
Auflösungen durch Zinn metallisch gefällt werde, zu deren Beantwortung der Verfasser
eine große Reihe von Versuchen, und zwar mit concentrirten, wie mit sehr verdünnten
Lösungen von essigsaurem Bleioxyde sowohl wie von salpetersaurem Bleioxyde
angestellt hat, aus denen unwidersprechlich hervorgeht, daß
das Blei aus seiner Verbindung mit Essigsäure (aus dem sogenannten
Bleizucker) sowohl, wie aus der mit Salpetersäure, durch Zinn
nicht abgeschieden wird.
Hierauf wurden von dem Verfasser die Versuche in umgekehrter Weise angestellt, d.h.
ermittelt, ob metallisches Blei im Stande sey, aus salpetersaurem Zinnoxydul,
deßgleichen aus einer Lösung von Zinnchlorür, Zinn abzuscheiden. Durch sämmtliche
Versuche wurde constatirt, daß das Blei sich in elektro-chemischer Beziehung
positiv zum Zinn verhalte, d.h. daß es aus den
genannten Zinnsalzsolutionen alles Zinn ausfällte. Hierdurch ist somit die
Unstatthaftigkeit des Fundamentalversuches, auf welchen die obengenannten Chemiker
und andere sich stützen, erwiesen.
Da nach des Verfassers Versuchen das Blei aus seinen Auflösungen in Säuren durch Zinn nicht, wohl aber das Zinn durch das Blei ausgeschieden wird, so war es wichtig, zu ermitteln,
wie sich die Legirungen beider Metalle gegen die Säuren
und vorzüglich gegen die Essigsäure verhalten, und zwar um so mehr, als Proust behauptet, „daß das Blei, welches sonst
in Essig leicht auflöslich ist, in Verbindung mit Zinn gar nicht aufgelöst
werde.“ Auch nach Fischer
„bildet sich keine Spur von einer Bleiauflösung, wenn beide Metalle
zusammengeschmolzen sind; selbst dann nicht, wenn das Verhältniß des Bleies zum
Zinn = 1 : 1 ist.“
Ich komme somit, fährt der Verfasser fort, jetzt zu der Erörterung der Frage:
„Ob denn das Blei aus Legirungen desselben
mit Zinn von Essigsäure wirklich nicht aufgelöst werde?“ Um
einige Gleichförmigkeit zu erreichen, waren alle Legirungen mit denen Versuche
angestellt werden sollten, und deren waren 10, über denselben Kern in Becherform
gegossen worden, und daher geeignet, den sauren Flüssigkeiten eine große, nahezu
gleichgroße Oberfläche zur Einwirkung darzubieten. Alle 10 Becher wurden gereinigt,
mit einer gleichen Menge destillirten Essigs von 1,005 spec. Gew. gefüllt, und
leicht bedeckt, bei + 16 bis 21° R. stehen gelassen.
Mit jedem Becher wurden vier Versuche angestellt. Beim ersten blieb die Essigsäure
durch 3 Tage; beim zweiten durch 18 Stunden, und beim dritten Versuche durch 12
Stunden in dem Becher; beim vierten Versuche endlich wurde die Säure, und zwar 14
Loth, eine halbe Stunde hindurch im Becher gekocht und dann sogleich wieder daraus
entfernt. Die Bestimmungen von Zinn und Blei geschahen nach den bekannten
Methoden.
Die verschiedenen Becher bestanden:
Nr. 1.
aus
einer
Legirung
von
97 Zinn
und
3 Blei
„ 2.
„
„
„
„
95 „
„
5 „
„ 3.
„
„
„
„
90 „
„
10 „
„ 4.
„
„
„
„
85 „
„
15 „
„ 5.
„
„
„
„
80 „
„
20 „
„ 6.
„
„
„
„
75 „
„
25 „
„ 7.
„
„
„
„
70 „
„
30 „
„ 8.
„
„
„
„
50 „
„
50 „
„ 9.
„
„
„
„
25 „
„
75 „
„ 10.
ganz aus Blei.
Alle Versuche mit diesen Bechern ergaben ganz unzweideutig, daß aus Legirungen des
Zinnes mit Blei in sehr verschiedenen Verhältnissen, man könnte wohl sagen, in jedem
Verhältnisse, selbst durch sehr schwache Essigsäure nicht bloß
Zinn, sondern stets auch Blei aufgelöst wird.
Dieses Ergebniß ist um so bemerkenswerther, als der allergrößte Theil dieser
Versuche bei der gewöhnlichen Sommertemperatur der Luft und der Zimmer stattfand,
und bei dem allerkleinsten Theile der Versuche wohl Kochhitze, aber nur durch eine
halbe Stunde auf die Gefäße eingewirkt hat. Ferner hat sich ergeben, daß, wie der
Bleigehalt der Legirung zunimmt, auch mehr Blei daraus aufgelöst wird. Doch scheinen
auch hier einige Sprünge stattzufinden, auf welche ich aufmerksam machen will, da
ich selbst diesen Gegenstand nicht mehr weiter verfolgen kann.
Um einen anderen Theil des vorliegenden Gegenstandes zu erforschen und um die Frage:
in welchem Verhältnisse die Abnutzung dieser
verschiedenen Legirungen bei gleicher Behandlung erfolge, zu beantworten, wurde eine
andere Reihe von Versuchen vorgenommen.
Es wurden einige möglichst gleich große Becher von käuflichem Zinn und von
verschiedenen Legirungen gewählt, jeder Becher vorher gut gereinigt, dann genau
gewogen und hierauf mit einer gleichen Menge reiner Essigsäure von 1,010 spec.
Gewicht gefüllt, gleich lange bei derselben Lufttemperatur in Einwirkung gelassen,
hierauf die saure Flüssigkeit entfernt, das Gefäß vorsichtig gereinigt und auf die
Waage gebracht, und derselbe Versuch bei einigen Bechern viermal, bei anderen
dreimal wiederholt.
Es stellte sich heraus, daß, wie auch oben schon bemerkt wurde, die Abnutzung der
Legirungen im Allgemeinen fast gleichförmig mit dem Bleizusatze steigt; bei dem
ostindischen Zinn war die Abnutzung = 0,0089 die geringste, bei der Legirung von 30 Proc. Bleigehalt unter denselben
Umständen = 0,0139 die größte.
Wenn nun der Fundamentalversuch und der Fundamentalsatz (und als solcher muß die
Behauptung von Proust angenommen werden) sich als unrichtig erweisen, so sind wohl auch alle daraus
gezogenen Schlüsse und Folgerungen unrichtig.
Meine Versuche in der ersten Reihe haben lauter negative Resultate gegeben, das Blei
wurde durch das Zinn nicht gefällt. Die Resultate der
zweiten Versuchsreihe sind aber positiv, und sprechen ganz deutlich aus, daß das Zinn aus seinen löslichen Verbindungen durch metallisches
Blei gefällt werde, und entweder metallisch (in schwarzgrauen Flocken), oder oxydirt (als
weißer Niederschlag) erscheine. Die Ergebnisse der Versuche der ersten und zweiten
Reihe sind besonders in theoretischer Hinsicht beachtenswerth, die der dritten Versuchsreihe sind aber
für das praktische Leben von Wichtigkeit.
Wenn Vauquelin meint, daß der Weinessig auf das in den
Legirungen befindliche Blei nur wenig wirke, und ein Verhältniß von 17 bis 18 Blei
auf 83 bis 82 Zinn keine nachtheiligen Folgen für die Gesundheit befürchten lasse;
wenn Proust behauptet, „daß das Blei, welches
sonst in Essig leicht auflöslich ist, in Verbindung mit Zinn gar nicht aufgelöst
werde“ und alle anderen Autoren sich in gleichem Sinne aussprechen,
so beweisen die Versuche der dritten Reihe mit den verschiedenen Legirungen von 97
Zinn und 3 Blei angefangen bis herab zu 50 : 50 und bis 25 Zinn und 75 Blei, daß
destillirter Essig auflösend eingewirkt habe, und zwar bei + 21° R. während 3
Tagen, ferner während 18 Stunden bei derselben Temperatur; während 12 Stunden bei
20° R. und endlich während 1/2 Stunde im Becher gekocht und heiß ausgegossen; daß in allen diesen Versuchen jedesmal nebst
Zinn auch Blei aus dem Becher aufgelöst worden war, wie
die Reactionen unumstößlich beweisen. Diese 4 Versuche wurden in jedem einzelnen der
oben angeführten Becher mit der angegebenen Legirung sorgfältig unter denselben
Umständen angestellt und die Resultate unterliegen keinem Zweifel.
Es fand sich in allen sauren Flüssigkeiten aus den Bechern Zinn
und Blei aufgelöst, und die Menge des aufgelösten Bleies nahm zu, wie die
Menge des Bleies in der Legirung des Bechers zunahm, was aus den deutlicher
auftretenden Reactionen auf Blei zu ersehen war. Auch die Abnutzung stand damit im Einklange und Uebereinstimmung, wie die Versuche
in der vierten Reihe anschaulich machen.
Ich kann nicht unterlassen, hier noch folgende Thatsache anzuführen und zur
reiflichen Erwägung anzuempfehlen. Die Techniker wissen sehr gut, daß gewisse
Farbenbrühen nur gelingen und schön ausfallen, wenn sie in reinem Zinngeschirre
gekocht werden, dagegen mißrathen und mißlingen, wenn das Zinn des Kessels unrein
ist. Die Farbenbrühe ist also gewissermaßen ein sehr empfindliches Reagens auf die
Reinheit des Zinnes. Sollte nun der menschliche Organismus nicht wenigstens ein
ebenso empfindliches Reagens seyn, wie die Farbenbrühe? – Man sollte glauben,
er dürfte unter beiden das empfindlichere seyn.
Da obige Versuche unwiderleglich beweisen, daß aus den Legirungen von Zinn und Blei
nebst Zinn auch Blei durch Essigsäure aufgelöst werde, so
dürfte es wohl gerathen seyn, die in den einzelnen Ländern bisher bestandenen
Gesetze über einen erlaubten Zusatz von Blei zu dem zu verarbeitenden Zinne
abzuändern, weil bei einer zu gestattenden Legirung von Zinn und Blei zu Eß-
und Trinkgeräthen dem Unfug und Mißbrauch Thür und Thor geöffnet werden würde. Es
dürfte im Gegentheil wünschenswerth seyn, dafür zu sorgen, daß die bestehenden
Gesetze den betreffenden Gewerbsleuten auf irgend eine Weise gehörig bekannt gemacht
werden, und daß für strenge Befolgung derselben durch wiederholte Prüfung der in den
Handel gebrachten Waare von Seite der Behörden gesorgt würde.
Endlich wäre noch zu erinnern, daß es sich hier nicht so sehr um das Quantum, als um
das Quale handle; daß beim täglichen Genusse auch einer noch so geringen Menge eines
schädlichen Stoffes doch eine entsprechende Wirkung erfolgen müsse. Schließlich wäre
es sehr in Erinnerung zu behalten, daß man es hier mit einem hinterlistigen Feinde
zu thun habe; daß das Blei zu den schleichenden Giften gehöre, und sich oft erst
kund gibt, wenn es die innersten Wurzeln des Organismus bereits vergiftet hat.